M. Herzog u.a. (Hrsg.): Kunst und Ästhetik im Werk Leni Riefenstahls

Cover
Titel
Kunst und Ästhetik im Werk Leni Riefenstahls.


Herausgeber
Herzog, Markwart; Leis, Mario
Anzahl Seiten
237 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nils Havemann, Historisches Institut, Abteilung Neuere Geschichte, Universität Stuttgart

Die Schauspielerin, Regisseurin und Fotografin Leni Riefenstahl gehörte zu den Künstlern im „Dritten Reich“, die sich den Nationalsozialisten andienten. Viele Bücher haben sich mittlerweile mit ihrer Biographie beschäftigt und in diesem Zusammenhang herausgearbeitet, wie leicht es dem NS-Regime fiel, Filmschaffende für sich zu gewinnen. Die Propaganda, die Riefenstahl für die Diktatur betrieb, wurde dabei ebenso ausführlich beleuchtet wie ihre Skrupellosigkeit, mit der sie ihre Projekte verwirklichte, und die Beharrlichkeit, mit der sie sich in der Bundesrepublik jeglicher kritischen Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Verhalten verweigerte.1

Es gehört zu den Vorzügen des vorliegenden Sammelbands über „Kunst und Ästhetik im Werk Leni Riefenstahls“, dass er sich nicht lange bei den bekannten Fakten aufhält. Die Herausgeber Markwart Herzog und Mario Leis gehen in ihrer Einleitung nur knapp auf das enge Verhältnis der Regisseurin zu Adolf Hitler ein, erwähnen eher beiläufig die Tatsache, dass sie für ihren Film „Tiefland“ Roma und Sinti zwangsverpflichtete, von denen einige später in Vernichtungslagern ermordet wurden, und käuen nicht noch einmal die längst dekonstruierte Selbstinszenierung der Künstlerin als ‚verführte Unschuld‘ durch. Sie beschränken sich in dieser Hinsicht auf das zutreffende Urteil, dass Riefenstahl „die Chancen, die ihr die Diktatur für die künstlerische Karriere geboten haben, intrigant und konsequent, kompromiss- und rücksichtslos genutzt hat“ und dass sie ein besonders krasses Beispiel für die „Unfähigkeit zur Selbstkritik“ gewesen sei (S. 21). Dadurch, dass die hinlänglich behandelte Frage nach Schuld und Moral nicht erneut zum Gegenstand einer aufgeregten Untersuchung wird, können die Herausgeber den Blick auf die eigentliche Intention ihres Bandes richten. Es geht ihnen darum, „die künstlerische Leistung der Tänzerin, Schauspielerin, Regisseurin und Fotografin in den Mittelpunkt zu stellen“ (S. 21), wobei der Band nicht nur ihr Œuvre im Nationalsozialismus, sondern auch der Nachkriegszeit behandelt.

Für dieses Ziel haben sich rund ein Dutzend renommierter Medienwissenschaftler, Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler zusammengefunden, die allesamt in ihren Beiträgen nachzuweisen vermögen, wie nachhaltig Riefenstahl die Kunst des 20. Jahrhunderts beeinflusst hat. Bereits der Beitrag von Daniel Kothenschulte über „Riefenstahls angewandte Avantgarde“ verweist unter anderem darauf, dass die Videoclip-Ära der 1990er-Jahre Riefenstahl in ihrer Mischung aus Werbung und Kunst, Stummfilmzitaten und Novitäten wieder entdeckte. Der Autor legt dar, dass man sich solchen Erkenntnissen nur dann unbefangen nähern könne, wenn man sich des üblichen sprachlichen Duktus entledige, mit dem Riefenstahls Werk bislang betrachtet worden sei. Erst durch die Ersetzung des Begriffs ‚Propaganda‘ durch das gebräuchlichere Wort ‚Werbung‘ könne vom Konfliktpaar „Kunst und Faschismus“ abgelenkt werden, der beispielsweise die Diskussion um Ideologie und Ästhetik im 1935 uraufgeführten Film „Triumph des Willens“ über den Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP beeinträchtigt habe.

Was konkret gemeint ist, wenn in dem Band von einer fehlgeleiteten Debatte in der bisherigen Forschung die Rede ist, verdeutlicht Clemens Zimmermann in seinem Beitrag über die politischen Dokumentarfilme Riefenstahls, die nach dem vorherrschenden Interpretationsmuster manipulative Propagandafilme mit einer großen emotionalen Wirkung auf das damalige Publikum gewesen seien. Zimmermann stellt ihre große Resonanz in Frage und weist unter anderem anhand von Gestapo-Berichten nach, dass sie insgesamt „nur eine begrenzte Zustimmung“ in der deutschen Bevölkerung hervorgerufen hätten (S. 63). In jedem Fall lasse sich die propagandistische Verführungskraft, die in der Filmwissenschaft insbesondere dem „Triumph des Willens“ zugeschrieben worden sei, „weder auf filmischer Ebene feststellen noch in einer realen Publikumsstudie verifizieren“ (S. 76). Vielmehr müsse man erkennen, dass die politischen Dokumentarfilme in „ihrer Intention auf Lebensnähe, emotionale Verdichtung und Dramatisierung durchaus internationalen Standards entsprachen“ (S. 65).

Ebenso wenig wie Zimmermann verfällt Karl Ludwig Pfeiffer in eine billige Apologie, wenn er in seinem Beitrag über Riefenstahls Olympia-Filme die These von einer ideologischen Durchdringung des Sports bezweifelt. Ohne den „Karrierismus“ der Künstlerin, ihre „unentwegten Manipulationen, ja Fälschungen in der Selbstdarstellung und das opportunistische Ignorieren schlimmster politischer Kontexte“ (S. 83) zu verkennen, betont Pfeiffer, wie sehr in „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ die Ideologie „auf einen Rahmen reduziert“ bleibe, „der die Sportdarstellung nicht überformt oder deformiert“ (S. 85). Damit schließt der Autor an die breit diskutierte Untersuchung von Christiane Eisenberg an, die gegen die bis dahin vorherrschende Tendenz in der Forschung mit ihrer These von der „Eigenwelt“ des Sports bis zu einem gewissen Grad auch die Olympischen Spiele von 1936 rehabilitierte.2

Es gehört zum gepflegten wissenschaftlichen Diskurs, dass solche Urteile auch in dem vorliegenden Sammelband nicht unwidersprochen bleiben, zumindest eine differenzierende Ergänzung erfahren. Maren Polte analysiert in ihrem Beitrag über „Fotografie als Filmmarketing“ Riefenstahls 1937 veröffentlichtes Olympia-Buch „Schönheit im olympischen Kampf“. Sie identifiziert die Künstlerin „als Dienerin einer engen Ideologie“, die „auch den Sport aller humanen Potenziale entkleidet“ (S. 135). Polte begründet ihre Überzeugung mit dem „ideologische[n] Klassizismus“, mit der „Rückbindung an die Antike durch die Körperverehrung“, die Riefenstahls ästhetische Prinzipien sowohl im Film als auch im Buch bestimmen würden (S. 135). Als Technikerin und Handwerkerin sei Riefenstahl „fortschrittlich und experimentierfreudig“, in ihren politisch-ästhetischen Intentionen hingegen „reaktionär und propagandistisch“ gewesen (S. 135).

Diese Aussage verdeutlicht die extremen Pole, zwischen denen alle Aufsätze schwanken und welche die Diskussion um Riefenstahl, exemplarisch für viele Debatten um Kunst und Künstler im „Dritten Reich“, erheblich erschweren: Zum einen vermögen sich nur wenige der Faszination zu entziehen, die Riefenstahl mit ihren Bildern in Film und Fotografie erzeugte. Zum anderen bleibt die Abscheu vor dem politischen Hintergrund ihres Schaffens, das dem NS-Regime in die Hände spielte. Insofern ist die Rezeptionsgeschichte ihres Werks, die Gaëlle Liedts in ihrem Beitrag „Zwischen Verehrung und Hass“ mit Blick auf Frankreich erhellt, auch für Deutschland exemplarisch, wo die Künstlerin ebenfalls nur wenige gleichgültig ließ.

Von dieser Warte aus tritt die Relevanz des Buches weit über eine Neubewertung von Riefenstahls Œuvre hinaus zutage: Es ist insgesamt zu einem überzeugenden Plädoyer dafür geworden, bei aller Notwendigkeit, Leben und Werk eines Künstlers stets in der Zusammenschau betrachten zu müssen, den kulturellen Eigensinn der Kunst nicht unterschätzen zu dürfen. Die Anschlussfähigkeit dieser Erkenntnis an andere Kontroversen in der Geschichtswissenschaft wie beispielsweise um die Biographie des Sportwissenschaftlers Carl Diem liegt auf der Hand und wird daher von den Herausgebern selbst mit Recht betont.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Lutz Kinkel, Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das „Dritte Reich“, Hamburg 2002; Rainer Rother, Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents, München 2002; Jürgen Trimborn, Riefenstahl. Eine deutsche Karriere, Berlin 2002.
2 Christiane Eisenberg, „English sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800–1939, Paderborn u.a. 1999, S. 409–429.

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