Titel
Gender, Work and Wages in Industrial Revolution Britain.


Autor(en)
Burnette, Joyce
Reihe
Cambridge Studies in Economic History – Second Series
Erschienen
Anzahl Seiten
390 S.
Preis
€ 37,85
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jutta Schwarzkopf, British Cultural Studies, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld

Es gehört zu den frühesten Erkenntnissen feministischer Wissenschaft, dass das Geschlecht Einfluss auf die Höhe der Entlohnung hat. Zwei wesentliche Erklärungen der Lohndifferenzen sind herausgearbeitet worden: Die geschlechtliche Segregation des Arbeitsmarkts lässt Frauen nur geringer entlohnte Tätigkeiten finden, und dort, wo sie gleichartige Arbeit wie Männer verrichten, greift ein Spektrum von Begründungen, mit deren Hilfe ihre geringere Bezahlung scheinbar objektiviert wird. Diese Befunde will die Wirtschaftshistorikerin Joyce Burnette in diesem aus ihrer Dissertation hervorgegangenen Buch für Großbritannien zur Zeit der Industrialisierung von etwa 1750 bis 1850 anhand des neoklassischen Ansatzes der Märkte mit unbeschränktem Wettbewerb überprüfen. Dazu hat sie allerdings nur spärlich vorhandene Datensammlungen wie Volkszählungen oder lokale Händlerverzeichnisse sowie eine große Zahl qualitativer Aussagen ausgewertet, die auf der Sichtung eines breiten Spektrums unterschiedlichsten Quellenmaterials wie die Berichte von Reisenden oder parlamentarischer Untersuchungskommissionen beruht.

Die Auswertung dieses Materials zeigt, dass Frauen zwar in einer Vielzahl von Branchen beschäftigt waren, doch wird zugleich eine ausgeprägte Geschlechtersegregation ebenso wie eine Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern deutlich. Da Burnette nur wenige Beispiele geschlechtsbezogener Stücklöhne gefunden hat, wertet sie den niedrigeren Wochenlohn von Frauen als Hinweis auf deren geringere Produktivität, die durch Körperkraft, deren Einsatz durch die Technologie der Industrialisierungsperiode noch längst nicht entbehrlich geworden war, und ihr ‚Humankapital‘, geprägt durch geringere schulische und berufliche Bildung, beeinflusst worden sei. Am Beispiel des landwirtschaftlichen Arbeitsmarkts mit seinem unbeschränkten Wettbewerb zeigt sie, dass auf Frauen trotz ihrer geringeren Produktivität immer dann vermehrt zurückgegriffen wurde, wenn Männerlöhne anstiegen. In anderen Branchen hingegen sei der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt durch explizit gegen die Beschäftigung von Frauen gerichtete Ausschlussmechanismen beschränkt worden. Hier wendet sie sich gegen den aktuellen Forschungsstand1 – ohne ihn jedoch zu nennen – indem sie weder den ersten Arbeitsschutzregelungen für Frauen noch möglichen Präferenzen der Arbeitgeber einen wesentlichen Einfluss zubilligt, sondern die Gewerkschaften als die wesentlichen Akteure sieht. Ihnen sei es gelungen, durch Monopolisierung arbeitsprozessbezogener Fähigkeiten und Fertigkeiten, also den Ausschluss von Frauen, die Höhe der Löhne für Männer zu steigern. Im Bereich der Selbständigkeit etablierten Berufsverbände ähnlich diskriminierende Beschränkungen. Hinsichtlich der schon lange kontrovers diskutierten Auswirkungen der Industrialisierung auf die Erwerbschancen von Frauen nimmt Burnette eine zeitliche Differenzierung vor. Vor 1850 habe sinkende Nachfrage nach weiblicher Arbeitskraft die materielle Lage von Frauen verschlechtert. Nach 1850 dagegen sei der Rückgang der weiblichen Erwerbsquote einerseits durch sinkende Nachfrage, andererseits jedoch durch größere Wahlmöglichkeiten für Frauen bedingt. Die Verbreitung gesundheitsbezogener Kenntnisse habe zu höheren hauswirtschaftlichen Standards geführt, das heißt Frauen hätten den Einsatz ihrer Arbeitskraft zunehmend auf Hausarbeit verlagert, was zudem durch steigende Familieneinkommen möglich geworden sei. Von beidem hätten zumindest verheiratete Frauen profitiert.

Burnette führt die Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern auf die geringere Produktivität von Frauen zurück. Die geschlechtsbezogene Segregation des Arbeitsmarktes sei nicht die Ursache der Lohndifferenz, sondern habe diese sogar verringert, indem sie Frauen in Beschäftigungen wie Klöppelei oder Knopfmacherei lenkte, in denen die Entlohnung weniger von Körperkraft abhängig gewesen sei. In den Segmenten des Arbeitsmarkts mit unbeschränktem Wettbewerb sei die geschlechtsbezogene Arbeitsteilung durch Wettbewerbsvorteil determiniert. Dieser habe Frauen in die Kinderfürsorge gelenkt, so dass sie bevorzugt solche Beschäftigungen gesucht hätten, die sich einigermaßen problemlos mit der Beaufsichtigung von Kindern verbinden ließen. Dagegen seien in jenen Segmenten des Arbeitsmarktes, in denen der Wettbewerb beschränkt worden sei, Männer in der Lage gewesen, die Höhe ihrer Löhne zu steigern, indem sie das Angebot an Arbeitskräften durch Ausschluss von Frauen beschränkten. Daraus folgt für Burnette zweifelsfrei, dass Märkte mit unbeschränktem Wettbewerb Frauen ökonomisch zum Vorteil gereichen. Vor allem aber meint sie nachgewiesen zu haben, dass die geschlechtsbezogene Arbeitsteilung im ökonomischen Sinne rational gewesen und nicht auf Geschlechterideologie zurückzuführen sei.

Dieser Befund verdankt sich einem grundlegenden Mangel von Burnettes Untersuchung, der in ihrem Begriff von Geschlecht begründet ist und sie häufig von Geschlechterideologie sprechen lässt. Sie begreift Geschlecht nicht als Strukturkategorie, sondern als Ideologem, dem sie die ‚tatsächlichen Umstände‘ entgegenstellt (S. 3). In ausgeprägt reduktionistischer Manier versteht sie jeden Bezug auf Geschlecht in ihren Quellen als diskursive Verschleierung der tatsächlichen, sprich ökonomischen, Motive des Handelns. Zwar bezieht sie sich auf eine Fülle von Untersuchungen, die Geschlecht als eine Kategorie sozialer Ungleichheit verstehen, doch an die Stelle einer differenzierten Auseinandersetzung tritt der Vorwurf, hier werde der Diskurs mit den tatsächlichen Motiven verwechselt.

Burnettes Begriff von Geschlecht beeinträchtig ihre Untersuchung in konzeptueller und methodischer Hinsicht. So begreift sie die für ihr Anliegen relevanten ökonomischen Kategorien, vor allem den Arbeitsmarkt, aber auch arbeitsprozessbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten, als geschlechtlich neutral. Gleichfalls erscheinen ihr die auf dem Arbeitsmarkt aufeinander treffenden Subjekte als geschlechtslose Wesen, deren Handeln ausschließlich ökonomisch motiviert ist. Die inzwischen vorliegende ausdifferenzierte Kritik an diesem Verständnis2 ist Burnette keine Erwähnung, geschweige denn Auseinandersetzung wert, obwohl sie mit ihrem reduktionistischen Verständnis an klare Erkenntnisgrenzen stößt. So lautet ihre Erklärung dafür, dass durch Erfahrung erworbene wichtige arbeitsprozessbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie etwa in der Handspinnerei, infolge von Mechanisierung ihren Marktwert verloren – hinter dieser ökonomischen Formulierung verbirgt sich die Usurpation und spätere Monopolisierung der Maschinenspinnerei durch Männer mit dem Argument der männlichen Technikaffinität –, Frauen hätten ‚Pech gehabt‘ (S. 123)!

Dort, wo Burnette Geschlechtszugehörigkeit ernst nimmt, erweist sich ihr Begriff als essentialistisch. So hält sie Körperkraft für biologisch determiniert und allein geschlechtsbezogen differenziert. Entgegen schon lange vorliegenden Erkenntnissen3, mit denen jede Auseinandersetzung fehlt, setzt sie durch Männer verrichtete Tätigkeiten umstandslos mit körperlich schwerer Arbeit gleich. Dies hält sie jedoch nicht davon ab, von ‚ungewöhnlichen Frauen‘ (S. 163) zu sprechen, die hinsichtlich ihrer Körperkraft Männern nicht nachstanden und gemeinsam mit ihnen für körperlich schwere Tätigkeiten angeheuert wurden. Wäschewaschen, eine nahezu ausschließlich von Frauen verrichtete Tätigkeit trotz der hohen Anforderungen an Körperkraft, ist die einzige Ausnahme, die Burnette präsentiert und für die sie auch bereit ist zu konzedieren, hier habe sich Geschlechterideologie gegenüber der ökonomischen Regel des Wettbewerbsvorteils durchgesetzt (S. 162/3).

In methodischer Hinsicht macht Burnettes mangelndes Gespür für Manifestationen des Geschlechterverhältnisses schließlich auch misstrauisch gegen ihre Benutzung qualitativer Aussagen, die sie, anders als das quantitative Material, nicht der gebotenen Quellenkritik unterzieht. Nur so ist der erstaunliche Befund vom Ausnahmecharakter geschlechtsbezogener Stücklöhne erklärlich. Burnettes Verständnis von Geschlecht führt in letzter Konsequenz zur Apologie der Verhältnisse. Ist die Rezensentin noch geneigt, ihr zu folgen, wenn sie Schwangerschaft und Geburt als biologisch gegebene phasenweise Minderung weiblicher Produktivität versteht, so gilt dies nicht für ihre Ausführungen zur Betreuung und Erziehung von Kindern. Dass diese ausschließlich von Frauen geleistet wird, ist für Burnette die Folge einer ökonomisch rationalen Entscheidung. Da Männer höhere Einkommen erzielen als Frauen und diese im Falle außerhäuslicher Erwerbsarbeit noch einen beträchtlichen Teil ihres Lohns für außerfamiliale Kinderbetreuung aufwenden müssten, zögen sie sich lieber aus der Erwerbsarbeit völlig zurück oder griffen zu Heimarbeit. Die in dieser Argumentation angelegte Zirkularität ist ihr offenbar entgangen. Insgesamt vermag dieser Rückgriff auf den neoklassischen Ansatz der Märkte mit unbeschränktem Wettbewerb zur Erklärung der geschlechtsbezogenen Arbeitsteilung nicht zu überzeugen.

Anmerkungen:
1 Z.B. Sonya O. Rose, Protective Labor Legislation in Nineteenth-Century Britain: Gender, Class, and the Liberal State, in: Laura L. Frader / Sonya O. Rose (Hrsg.), Gender and Class in Modern Europe, Ithaca 1996, S. 193-210.
2 Z.B. Edith Kuiper (Hrsg.), Out of the Margin. Feminist Perspectives on Economic Theory, London 1995.
3 Für den Bergbau z.B. Angela V. John, By the Sweat of Their Brow. Women Workers at Victorian Coal Mines, London 1984.

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