Cover
Titel
The Age of Cinna. Crucible of late Republican Rome


Autor(en)
Lovano, Michael
Reihe
Historia-Einzelschriften 158
Erschienen
Stuttgart 2002: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
188 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard Linke, Fachgebiet Geschichte, Technische Universität Dresden

Es gibt nur wenige römische Politiker, die ein so schlechtes Image in der Forschung wie Lucius Cornelius Cinna haben. In der Regel wird er als ein Mann bewertet, der von den Unruhen in seiner Zeit profitierte und eigensüchtig seine Macht mit brutalen Mitteln ausbaute, ohne aber selbst wesentliche Impulse für die Entwicklung beizutragen. Noch schlimmer als die Vorwürfe hinsichtlich seiner skrupellosen Machtausübung ist wahrscheinlich sein Image als Verlierer, als ein Mann, der zwar durch die Zufälle der Zeitumstände nach dem ersten Marsch Sullas auf Rom an die Spitze des Staates gekommen ist, dessen Machterhalt aber nur durch die Abwesenheit Sullas möglich wurde. Sein Ende, so die gängige Sicht in der Forschung, war durch die Rückkehr Sullas aus dem Osten vorgezeichnet. So ist das Bild von Cinna und seinem Regime durch die Verbindung von persönlicher Brutalität und historischer Bedeutungslosigkeit geprägt.

Das Buch von Michael Lovano möchte diese Beurteilung grundlegend revidieren. Lovano meint, dass die modernen Einschätzungen in einem überzogenen Maße den Verleumdungen gegenüber Cinna in den Schriften der Sieger folgen. Die kritische Hinterfragung des antiken Materials soll ein neues Licht auf die Persönlichkeit und das Wirken von Cinna werfen. Lovano baut dabei seine Darstellung in fünf Hauptkapiteln auf. Zunächst schildert er knapp die historischen Rahmenbedingungen und vor allem die Situation in den Jahren 91 bis 88 v.Chr., wobei der Schwerpunkt auf den Aktivitäten der Volkstribune M. Livius Drusus und P. Sulpicius Rufus in dieser Zeit liegt (S. 13-23). Der zweite (S. 25-51) und dritte (S. 53-77) Hauptabschnitt widmen sich konkret dem politischen Handeln von Cinna. Eingeleitet wird der zweite Abschnitt durch einen interessanten Vorgriff auf den späteren Werdegang von Cinnas Nachkommen. Hierbei kommt nicht nur die bekannte Ehe einer der beiden Töchter Cinnas mit Caesar zur Sprache, sondern Lovano kann auch auf den Sohn Cinnas verweisen, der die Tochter von Pompeius heiratete und dessen Sohn nach vielen Wechselfällen im Jahre 5 n.Chr. mit Augustus zusammen Konsul war. Zu Recht sieht der Autor darin einen deutlichen Hinweis auf eine bleibende Integration der Familie in die römischen Führungszirkel. Die einfache Abstempelung von Cinna als einem situativen Aufsteiger, der kaum Spuren in der römischen Gesellschaft hinterlassen hat, lässt sich also nicht halten.

Trotz dieser anregenden Überlegungen bleibt auch die Rekonstruktion von Lovano von der Tatsache geprägt, dass wir über das Leben und den politischen Werdegang von Cinna vor seiner Wahl zum Konsul nichts wissen. Die Gründe für seine Wahl können also nur aus den allgemeinen Rahmenbedingungen eher vage erschlossen werden. Dies unternimmt Lovano durch den Verweis auf die vielfältigen Aktivitäten der Volkstribune in dieser Zeit und die noch offene Frage nach der Integration der Italiker in die römische Gesellschaft. In jedem Fall hat er Recht mit seiner Feststellung, dass Cinna ohne eine breite Unterstützung in den politisch relevanten Kreisen in dieser prekären Situation nicht zum Konsul hätte gewählt werden können. Er muss also einen beträchtlichen Rückhalt in der Gesellschaft besessen haben, und sei dieser auch nur durch den ungewöhnlichen Mut bedingt gewesen, den Cinna bewies, als er dem mit roher Gewalt agierenden Militärmachthaber Sulla durch seine Kandidatur die Stirn zu bieten wagte. Dass Sulla überhaupt die Wahl eines Gegners zum Konsul zuließ, war allein der Tatsache geschuldet, dass er gezwungen war, möglichst schnell gegen Osten aufzubrechen. Einen längeren Aufenthalt in Rom hätten ihm seine Truppen, die ihm vor allem wegen der Aussicht auf reiche Beute im Rahmen des Feldzuges im Osten nach Rom gefolgt waren, nicht gestattet.

Für die Kernphase der Herrschaft Cinnas von 87 bis 84 v.Chr. besteht Lovanos Grundthese in der Überlegung, dass Sulla durch die explosive Kombination aus tabubrechender Gewaltanwendung im politischen Binnenraum und mangelnden Ordnungsvorgaben nach dem Sieg die römische Gesellschaft in höchster Verunsicherung zurückgelassen hat. Die erste Bürgerkriegssituation hatte die Römer zutiefst desorientiert. Maßgebliche Autoritäten wie der Senat waren durch das Vorgehen Sullas in ihrem gesellschaftlichen Renommee erheblich beschädigt. Die Neujustierung des politischen Lebens war zudem durch die drohende Rückkehr des Gewaltherrschers aus dem Osten unwägbar wie selten zuvor. In dieser Lage war es kaum möglich, die Ordnung rechtlich nach unanfechtbaren Prinzipien wieder zu stabilisieren. Lovano sieht sehr wohl, dass Cinna sich mehr als einmal mit seinem Handeln in die Grauzone der Legitimität und sogar darüber hinaus begeben hat. Doch weist er die primäre Schuld dafür dem destruktiven Vorgehen Sullas zu. Cinna sei zu einem derartigen Vorgehen gezwungen gewesen, um das Gemeinwesen wieder handlungsfähig zu machen. Die herabwürdige Brandmarkung seiner Position als dominatio sei das Produkt der feindlich gesonnenen Darstellung der späteren Sieger. Bei genauerer Analyse der antiken Autoren sei oft nicht festzustellen, ob seine führende Stellung wirklich nur auf purer Aneignung beruhte oder nicht doch auf politischen Mechanismen, wie z.B. Wahlen, basierte, die die beteiligten Zeitgenossen als rechtmäßig empfunden haben. Genau wie bei seiner ersten Wahl sei seine durchaus erfolgreiche Etablierung als führende Persönlichkeit in Rom nur erklärbar, wenn er die Unterstützung wichtiger gesellschaftlicher Kräfte gehabt hat.

Die Stabilisierung des römischen Gemeinwesens in dieser kritischen Phase war in den Augen von Lovano eine erstaunliche Leistung. Die Ermordung Cinnas 84 v.Chr. durch meuternde Soldaten war eher ein zufälliges Ereignis, das der mangelnden Fähigkeit Cinnas im Umgang mit den Truppen entsprang. Insgesamt lasse sich daraus keine strukturelle Ablehnung Cinnas durch die Bevölkerung Italiens ablesen.

Seine Kernpositionen zu dem Lebenswerk Cinnas vertieft Lovano in einem vierten (S. 79-103) und einem fünften Abschnitt (S. 105-135). Im Rahmen des vierten Kapitels stellt er zunächst die Lage in den einzelnen westlichen Provinzen dar und kommt dabei zu dem Schluss, dass die Verwaltung dieser Reichsteile in der Zeit Cinnas trotz des drohenden Bürgerkrieges nicht vernachlässigt worden ist. Insgesamt, so sein Fazit, habe die politische Gruppierung um Cinna in dieser Hinsicht sehr verantwortungsvoll gehandelt. Eine weitere Stütze für seine These, daß das Regiment Cinnas einen beachtlichen Rückhalt in der Bevölkerung gehabt habe, sieht Lovano im Verlauf des Bürgerkrieges 83-82 v.Chr., in dessen Rahmen zwar erhebliche Truppenverbände zu Sulla übergelaufen seien, die politischen Erben Cinnas sich aber trotz dieser schwierigen Lage lange halten konnten und von vielen Seiten bis zum Schluss unterstützt wurden, obwohl die eigentliche Führungsfigur schon tot war. Abgeschlossen wird das Buch durch einen ausführlichen Exkurs über die Quellen zu der Epoche (S. 142-159) sowie durch eine Bibliografie und Indizes.

Die Untersuchung ist ein interessanter Versuch der Neubewertung einer historischen Figur. In vieler Hinsicht gelingt es Lovano, gängige Vorurteile zu erschüttern und neuen Interpretationen zumindest ein ,Existenzrecht' im Rahmen kritischer Quellenanalyse zu erkämpfen. Für die Stabilität der Vorherrschaft Cinnas in Rom und die hohen Energieverdichtungen im Abwehrkampf gegen den zurückkehrenden Sulla sind seine Überlegungen in jedem Fall plausibler als die abwertenden Einschätzungen der früheren Forschung. Die Leistung Cinnas muss in diesem Licht neu bewertet werden. Aber wie so oft bei radikalen Neuinterpretationen schießt auch Lovano über das Ziel hinaus. Aus dem Willen heraus, die Überlieferung von tendenziösen Einflüssen zu bereinigen, wird ein zu einseitig positives Bild Cinnas gezeichnet. Aus pauschalen Vorwürfen entsteht so eine grundsätzliche Unschuldsvermutung, der die Vita Cinnas nicht gerecht wird. Letztlich kann auch Lovano bei aller Akribie nicht das entscheidende Problem lösen, dass unsere Informationsbasis zum Leben des L. Cornelius Cinna zu dünn ist, um über alle Umstände seines politischen Wirkens ein differenziertes Urteil zu fällen. Dass die bisherigen Verdammungen so nicht haltbar sind, hat er jedoch sehr plausibel darlegen können.

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