A. Kosuch: Abbild und Stellvertreter Gottes

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Titel
Abbild und Stellvertreter Gottes. Der König in herrschaftstheoretischen Schriften des späten Mittelalters


Autor(en)
Kosuch, Andreas
Reihe
Passauer Historische Forschungen 17
Erschienen
Köln 2011: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
363 S.
Preis
€ 47,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Bauch, Institut für Geschichte, Technische Universität Darmstadt

Die Sakralität des Königtums ist ein klassischer Forschungsgegenstand der Herrschaftsgeschichte des Früh- und Hochmittelalters. Wenn auch die Annahme, dass im Gefolge des Investiturstreits eine kontinuierliche Desakralisierung eingesetzt habe, zunehmend differenziert wurde, ist doch für das spätmittelalterliche römisch-deutsche Herrschertum die Frage nach dessen sakraler Grundierung nur punktuell untersucht worden. Diesem spärlich ausgeleuchteten Bereich widmet sich die Passauer Dissertation von Andreas Kosuch von 2008/2009.

In der ausführlichen Einleitung diskutiert Kosuch den Forschungsstand zur Sakralität des Königtums bzw. eine im Anschluss an Ernst Kantorowicz sicher zu apodiktisch formulierte, aber keineswegs nur unterstellte Verschiebung der Herrschaftslegitimation auf eine juristisch-römischrechtliche Ebene. Sehr knapp fällt der Forschungsstand beim Verweis auf die zeremoniellen Ausgestaltungen des Königtums im Spätmittelalter aus, nur die Stichworte Weihnachtsdienst und Herrscheradvent seien genannt – Kosuch interessiert ausschließlich die herrschaftstheoretische Ebene. Dabei setzt seine Untersuchung den Fokus auf die beiden Fragen nach der Einsetzung des Herrschers durch Gott und die Vorstellung vom Monarchen als Abbild und Stellvertreter Gottes bzw. Christi als Eckpfeiler einer sakralen Herrschaftsauffassung.

Die Rekonstruktion dieser beiden Aspekte von der Antike bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts nimmt mit knapp 100 Seiten einen großen Teil der Arbeit ein. Mag diese Gewichtung auf den ersten Blick befremden, schließlich soll es um eine diachrone Untersuchung der genannten Vorstellungen im Spätmittelalter gehen, werden hier doch in angemessener Ausführlichkeit die Ideen und Argumentationsmuster ausgebreitet, die auch nach 1250 die Diskussion beeinflussten. Nach einem raschen Durchgang durch die Traktatliteratur von der Mitte des 13. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts, der auf die beiden Leitfragen fokussiert, folgt die Detailuntersuchung einzelner Autoren wie Thomas von Aquin, Dante, Marsilius oder Bartolo da Sassoferrato. Eine explizite Begründung der Auswahl der oft wohlbekannten Autoren wird nicht getroffen, obwohl die Kriterien dafür schon interessiert hätten. Recht eindeutig lassen sich die meisten untersuchten Traktate einer hierokratischen oder dualistischen Position zuordnen, Ausnahmen wie Bartolo da Sassoferrato und Baldo degli Ubaldi bestätigen die Regel. Von geringerem Umfang ist dann als zweiter Teil die Untersuchung von Schriften aus dem 15. Jahrhundert, auch darunter prominente Namen wie Nikolaus von Kues, Peter von Andlau oder Enea Silvio Piccolomini. Nach 1400 traten die Fragen nach dem Verhältnis von imperium und sacerdotium in den Hintergrund, bestimmten doch das Große Abendländische Schisma und schließlich die Kirchenreform die Diskussion der Zeitgenossen. Papst- und Kaisertum standen nicht mehr im Konflikt zu einander, sondern sahen sich jeweils mit der Anforderung konfrontiert, nur mit dem Konsens der untergeordneten Ebenen legitim handeln zu können.

Im Gesamtergebnis kann Kosuch feststellen, dass die Frage nach der Einsetzung des Herrschers durch Gott im Spätmittelalter sehr unterschiedlich beantwortet wurde. Von der Musterlösung der Legisten (imperium a deo, imperator a populo) bis zu einer Abhängigkeit des Monarchen vom Volkswillen etwa bei Marsilius von Padua reichte die Spannbreite möglicher Antworten, wobei im 15. Jahrhundert hierokratische Theorien stark an Bedeutung verloren. Die propagierte Gottunmittelbarkeit der Herrschaft war dabei keineswegs ein einheitliches Konzept, sondern Mittel zur Abwehr päpstlicher Ansprüche. Auch die Vorstellung vom Herrscher als imago bzw. vicarius dei ist nach Canossa weiterhin in den herrschaftstheoretischen Schriften präsent, wobei die Gottähnlichkeit in besonderer Tugendhaftigkeit begründet lag, die Stellvertretung äußerte sich im Handeln des Herrschers als oberster Richter. Umstritten war vor allem die Frage, ob das Christus- bzw. Gottesvikariat des Kaisers/Königs und des Papstes sich in die Aufgabenbereiche in spiritualibus und in temporalibus differenzieren ließ. Die von Ernst Kantorowicz hervorgehobene Bedeutung des römischen Rechts für die Vorstellung des Monarchen als vicarius Dei relativiert Kosuch überzeugend. Ein weiteres Ergebnis der Arbeit ist, dass aus der Vorstellung vom Herrscher als Abbild und Stellvertreter Gottes in viel geringerem Maße als im Früh- und Hochmittelalter ein ethischer Anspruch an das Herrscherhandeln resultierte und so letztlich selbst der tyrannische Herrscher als Abbild Gottes galt. Ein Ausblick in die Neuzeit rundet Kosuchs Monografie ab. Den Eindruck eines sorgfältigen Lektorats trüben auch sehr vereinzelte Irritationen nicht, wenn etwa von den ‚Prager Kompakten‘ (S. 249) die Rede ist, wo sicher Kompaktaten gemeint waren. Diskussionsbedürftiger ist die wiederholte Einschätzung gewisser Positionen als ‚demokratisch‘ (zum Beispiel S. 272) oder ‚absolutistisch‘ (zum Beispiel S. 275).

In seiner Methodendiskussion (S. 27–33) problematisiert der Autor durchaus die fehlende Kontextualisierung einer traditionellen, hermeneutischen Ideengeschichte. Nur durch die Heranziehung weiterer Quellengattungen könne die Wirkmächtigkeit theoretischer Überlegungen in der politischen Praxis der Zeit erfasst werden. Sicher kann eine Arbeit des dargestellten Zuschnitts keine umfängliche Diskursrekonstruktion leisten, obwohl gelegentlich auf Quellen verwiesen wird, die keineswegs dem Genre der theoretischen Schriften entstammen (etwa S. 106, S. 186 Anm. 12). In der Dissertation ganz auf die Untersuchung unedierter Quellen zu verzichten und überwiegend bekannte politische Theoretiker heranzuziehen, ist ebenfalls aus dem klassisch ideengeschichtlichen Ansatz heraus erklärbar. Aus ihm entsteht auch die Gefahr, den Fokus nur auf die Verwendung von Schlagwörtern wie vicarius Christi und imago Dei und die damit verbundenen neuen oder (häufiger) alten Argumentationsfiguren zu richten. Aspekte wie die Sazerdotalität des Herrschers oder auch die Bedeutung von Herrschaftsinsignien spielen dabei keine Rolle. Sicher sind diese von Kosuch nicht in den Untersuchungsfokus gestellt worden. Und doch können sich damit Vorstellungen verbinden, die tatsächlich Aspekte von Ebenbildlichkeit und Stellvertretung Christi etwa durch den Kaiser thematisieren. So beschreibt der im Werk nicht untersuchte Konrad von Megenberg im zweiten Buch seiner Ökonomik, wie der Kaiser die Passion Christi miterleiden und im Kreuz gerühmt werden müsse. Von Konstantin an seien die Kaiser zur beständigen Erinnerung an die Passion Christi Bewahrer des Kreuzesholzes und der Lanze gewesen. Die ausgestreckten Flügel des Reichsadlers hingegen glichen den Armen Christi am Kreuz, mit denen der Erlöser alles an sich gezogen habe (Yconomica, trac. 4, c. 15). Solche Stimmen, die darüber hinaus einen Bezug zur Herrschaftspraxis erkennen lassen, fallen im untersuchten Werk unter den Tisch.

Den Verdacht, die beiden en detail analysierten Elemente sakraler Herrschaft seien im Spätmittelalter doch eher Traditionsgut, das in den Traktaten ohne jeden Bezug zur Herrschaftspraxis mitgeschleppt wird, kann die Arbeit von Kosuch aufgrund ihrer Selbstbeschränkung auf eine hermeneutisch vorgehende Ideengeschichte nicht entkräften. Trotzdem ist die Rekonstruktion des polittheoretischen Elitendiskurses der Zeit ein sehr nützlicher Beitrag, um die Sakralität des Königtums im Spätmittelalter neu zu vermessen. Manches Ergebnis wird man unter Heranziehung anderer Quellen modifizieren wollen, etwa die gesunkene Bedeutung tugendhaften Herrscherhandelns für die Sakralität. Verwiesen sei hier auf die Aussagen toskanischer Chronisten, die im Januar 1355 den Adventus Karls IV. in Pisa als Ankunft des Gotteslamms kommentierten und dabei die Frömmigkeit und Demut des Herrschers mit besonderem Nachdruck hervorhoben.1 Auch herrscherliches Selbstverständnis und Wege der Herrschaftsrepräsentation dürften ganz andere Schwerpunkte setzen als die Traktatliteratur, man denke an die Aussagen in Arengen, zeremonielle Praktiken wie Weihnachtsdienst und Heiltumsweisungen in Prag und Nürnberg. Doch um eine solche Kontrastierung von Herrschaftstheorie und -praxis vornehmen zu können, bedarf es Arbeiten wie der vorliegenden. Erst dann kann begonnen werden auch für das Spätmittelalter zu beantworten, was Helmut Beumann bereits 1955 angemahnt hat: „Eine Geistesgeschichte, die allein vom theoretischen Schrifttum des Mittelalters […] ausgeht, muss […] die Frage offen lassen, inwieweit solche Spekulationen von den Zeitgenossen selbst für die Beurteilung ihrer Wirklichkeit als verbindlich erachtet worden sind.“2

Anmerkungen:
1 Vgl. Cronaca senese di Donato Neri, Rerum Italicarum Scriptores² 15/6, S. 576; Anonimo Pisano, Rerum Italicarum Scriptores 15, S. 1028.
2 Helmut Beumann, Die Historiographie des Mittelalters als Quelle für die Ideengeschichte des Königtums, in: Historische Zeitschrift 180 (1955), S. 449–488, hier S. 452.

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