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Titel
Das Licht des Evangeliums und das Zwielicht der Politik. Kirchliche Karrieren in der DDR


Autor(en)
Findeis, Hagen
Erschienen
Frankfurt a.M. 2002: Campus Verlag
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Maser, Ostkirchen-Institut Münster

Die von Detlef Pollack im Rahmen eines DFG-Projektes betreute, von der Fakultät für Kulturwissenschaften der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder im Juli 2000 angenommene und mit Unterstützung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gedruckte Dissertation stellt gewissermaßen die Fortsetzung bzw. Auswertung des von Findeis und Pollack 1999 herausgegebenen Bandes „Selbstbewahrung oder Selbstverlust. Bischöfe und Repräsentanten der evangelischen Kirchen in der DDR über ihr Leben – 17 Interviews“ dar. Was dort noch ganz konventionell daherkam, wird hier nun in einer „Mischform aus den Verfahren der narrativen Schule, der objektiven Hermeneutik und einer gestalttheorethisch-strukturalistischen Deutung einerseits sowie einer kategorialen Inhaltsanalyse andererseits“ (S. 21) erneut auf den Prüfstand gebracht und nach allen Regeln jener Methoden und Theorien durchgeknetet, deren wechselnde Zuständigkeiten in den Anmerkungen fortlaufend mitnotiert werden. Ziel des ambitionierten Unternehmens ist es, „die biographischen Dispositionen der ostdeutschen Kircheneliten zu rekonstruieren, aus denen heraus sie ihre Weltdeutungen produziert und ihre politischen Entscheidungen getroffen haben“ (S. 20). Hinter diesem Ansatz steht die persönliche Enttäuschungserfahrung des Autors, daß es „unmöglich“ zu sein scheint, „die Unwägbarkeiten in den theologischen Gedankengebäuden der Kirchenvertreter mit nichttheologischen Mitteln zu erklären, ohne die Theologie auch schon zu kritisieren“ (ebd.). Das damit gekennzeichnete Problem, vor dem die Historikerzunft, insbesondere auch die Kirchliche Zeitgeschichte, ja nun allerdings nicht zum ersten Mal steht und für das auch bereits Lösungsmöglichkeiten erarbeitet wurden, wird von Findeis kaum reflektiert und mit der Anmerkung entsorgt: „Sobald man religiöse Ideen anders als durch Ideen erklärt, offenbaren sich die Schwierigkeiten des Fremdverstehens von Religion. Letztlich bewegt sich die Theologie in einem Zirkel substanzhaften Denkens, denn Gott kann bekanntlich nur aus sich selbst erklärt werden.“ (ebd., Anm. 8). Ähnlich behend schafft sich Findeis übrigens auch „die mit gesellschafts- und akteurstheoretischen Vorurteilen behafteten Arbeiten Gerhard Besiers“ (S. 18) vom Halse, was ihn dann jedoch keineswegs davon abhält, den Heidelberger Kirchenhistoriker immer wieder als Lieferanten für erwünschte Belege in Anspruch zu nehmen.

Objekte der Findeisschen Untersuchung sind die DDR-Bischöfe Ingo Braecklein, Werner Krusche, Werner Leich und Eberhard Natho sowie der seinerzeit einflußreiche Theologe Johannes Hamel und der Kirchenjurist und –politiker Manfred Stolpe. Die Interviews mit den Bischöfen Hans-Joachim Fränkel, Albrecht Schönherr, Gottfried Forck, Heinrich Rathke, Johannes Hempel, Horst Gienke und Christoph Demke sowie den Theologen und kirchlichen Amtsträgern Walter Papst, Reinhard Steinlein, Heino Falcke und Günter Krusche, die in der Veröffentlichung von 1999 gleichfalls dokumentiert wurden und auch hier häufig genug zitiert werden, blieben außen vor, ohne daß die damit verbundene Selektion wirklich ausreichend begründet würde.

Findeis geht es darum, „die politische Engführung der Diskussion auf die Nähe der Kirchen zum Staat aufzubrechen und neben theologischen oder ideengeschichtlichen Gesichtspunkten vorpolitische Dimensionen, vor allem alltagsweltliche und lebensgeschichtlich erworbene Prägungen in die Untersuchung mit einzubeziehen“ (S. 19). Diese Fragerichtung hat gewiß ihre Berechtigung und befördert manche biographischen Details und Zusammenhänge an die Öffentlichkeit, die so bisher noch nicht allgemein bekannt waren und die Grundprägungen der vorgestellten, um nicht zu sagen: sezierten Persönlichkeiten deutlicher erkennen lassen. Ob der hierbei betriebene interpretatorische Aufwand durch das Ergebnis allerdings gerechtfertigt wird, bleibt für den kirchlichen Zeithistoriker fraglich. Viele Erkenntnisse, die hier in aller Breite expliziert werden, lassen sich doch bereits bei der Lektüre der den einzelnen Interviews vorangestellten „Biographischen Daten“ erahnen.

Findeis geht die ihm schriftlich vorliegenden Interviewtexte gewissermaßen Satz für Satz durch und unterbricht diese fortlaufend durch mehr oder weniger konsistente und ausführlich interpretierende Einschübe. Er fällt also den Sprechern (eine Frau gehörte nicht zu den Interviewten!) gleichsam ständig in das von ihm durch die Interviewfragen gelenkte Wort, ohne daß den Befragten die Gelegenheit zur Entgegnung oder weiteren Verdeutlichung gegeben wäre, obwohl die Möglichkeit zur Rücksprache ja prinzipiell bestand. Dieser „vorlaute“ Umgang mit den Interviewtexten wird an jenen Stellen besonders peinigend, wo die Sachkenntnis des Interviewers nicht ausreichend ist und seine Erklärungen deshalb in die Irre führen. Hier sei nur ein ganz randständiges Beispiel herausgegriffen: Werner Krusche wuchs bei schlesischen Tanten auf, die der spätere Bischof dem „Pietismus“ zuordnete und deshalb (und als Inhaberinnen eines Geschäftes) in der Nazizeit als politisch zurückhaltend einstufte. Findeis wittert nun in dem Hinweis des Bischofs auf den Pietismus der Tanten eine theologische Plausibilisierung von deren „politischen Opportunismus“, zumal „der Geschäftssinn seiner Tanten kein Paradebeispiel für pietistische Weltentsagung darstellt“ (S. 134f.). Ein kurzer Blick in eine der landläufigen Darstellungen des Pietismus hätte jedoch darüber belehren können, wie pietistische Frömmigkeit und ausgeprägte Geschäftstüchtigkeit Hand in Hand gehen konnten und vielleicht sogar gehen mußten.

Am Beispiel der Interviewanalyse von Johannes Hamel läßt sich zeigen, wie der Findeissche Ansatz dann aber eben auch über Nebenschauplätze in Randzonen führt. Gewiß wurde Johannes Hamel durch sein Elternhaus, insbesondere durch seine Mutter, die Gefängniserfahrung von 1953 und den in Kreisen der Bekennenden Kirche weitverbreiteten Anti-Dibelius-Komplex zutiefst geprägt. Aber das alles erklärt doch kaum die bedeutende und eigentlich singuläre Rolle, die der Naumburger Dozent für die Kirchen in der DDR gespielt hat. Allenfalls Heino Falcke böte sich hier in gewisser Weise als Parallele an. In einer zum Schluß der Untersuchung vorgetragenen Typologie wird Hamel dem Typ des „Ästhetikers“ zugerechnet: „Der Ästhetiker legt es darauf an, sich über bestehende Lagermentalitäten hinwegzusetzen. Die innerhalb der Kirche alle Zeit wache und empfindlich gewahrte Skepsis gegenüber staatlichen Umarmungsversuchen ist ihm ebenso gleichgültig wie er sich über hergebrachte Gewohnheiten ekklesialer Selbstkonditionierung hinwegsetzt. Der deutlichste Ausdruck dieser Distinktion ist seine soziale Außenseiterrolle. Allerdings versteht er diese durchaus nicht als Stigma, durch das er sich von sozialer Akzeptanz ausgeschlossen sehen würde. Der Ästhetiker begreift sich als Einsamer und Freier. [...] Würde sich der Ästhetiker in eine Gruppe, sei es innerhalb oder außerhalb der Kirche, integrieren, ließe sich der Glanz des geheimen Neuerers kaum aufrechterhalten. Es ist also gerade die Attitüde des Häretikers der legitimen Kultur, mit der der Ästhetiker seinen sozialen Geltungsanspruch markiert.“ (S. 428). Das alles ist richtig, in den weiteren Mitteilungen zu den Befindlichkeiten des „Ästhetikers“ sogar faszinierend und trifft sicherlich auch auf Johannes Hamel zu. Aber welche „biographischen Dispositionen“ erklären das Persönlichkeitsbild Hamels wirklich einleuchtend? Dieser „Typus“ ist ja innerhalb des deutschen Protestantismus nicht völlig singulär. Gehört er nicht zu jenen Persönlichkeiten, die eine von vielen bewunderte heldenhafte Phase in ihrer Biographie hinter sich brachten und nach der Neuordnung der politischen und kirchlichen Rahmenbedingungen dann nicht jene institutionelle Stellung zugebilligt bekamen, auf die sie Anspruch zu haben glaubten? Aus solcher Erfahrung kann beim „Ästhetiker“ ein Selbstverständnis und eine Haltung von anstrengend prophetischer Anmutung erwachsen, wie sie in besonders ausgeprägter Weise beispielsweise bei Martin Niemöller und Friedrich Schorlemmer, aber eben auch bei Johannes Hamel, studiert werden können.

An der Interpretation des Interviews mit Manfred Stolpe wird schließlich deutlich, wie begrenzt der analytische Mut von Findeis im Einzelfall sein konnte. Gewiß war der ehemalige Konsistorialpräsident und spätere brandenburgische SPD-Ministerpräsident kein einfacher Gesprächspartner, aber die biographischen Ungereimtheiten, die sich in dessen Vita finden, haben doch bereits den Untersuchungsausschuß des Landtages Brandenburg so ausführlich wie unbefriedigend beschäftigt, daß eine so ambitionierte Analyse daran nicht hätte vorbeigehen dürfen. Die dürre Mitteilung „1955 legte Stolpe an einer Greifswalder Erweiterten Oberschule das Abitur ab“ (S. 275, vgl. auch S. 293), reicht einfach nicht aus, gibt es doch Stolpes eigene Auslassung zu diesem Themenkomplex: „Das sind Unklarheiten zur Schulzeit, Unklarheiten zum [...] sogar zum Jahr des Abiturs aufgetaucht, da ist der Name der Schule nicht richtig dargestellt worden, ich habe da bedauerlicherweise den Namen der Schule, die übrigens zu der Zeit, als ich da war, war der Name nicht in Nutzung, war nicht in Gebrauch.“ (Bericht des Untersuchungsausschusses 1/3 des Landtages Brandenburg, Drucksache 1/3009 vom 29.4.1994, Minderheitenbericht der CDU-Abgeordneten Dr. Vette und Walter, S. 28f.) Fast nicht mehr erstaunlich ist dann die Kürze, mit der im Interview und vor allem in dessen Interpretation auf Stolpes „habituelle Affinität zu den ‚Kameraden’ des MfS“ eingegangen wird. Ganze zweieinhalb Seiten (S. 303-305) müssen genügen, dieses Thema zu erörtern, das doch auch im Licht der von Findeis verwendeten interpretatorischen Verfahren einige neue Aspekte und Erklärungsversuche hätte produzieren können.

Versucht man unter Rückstellung der Frage, ob die vorgelegte Studie nicht doch unter der Diskrepanz zwischen grundlagentheoretischem Anspruch und forschungspraktischer Umsetzung leidet, zusammenzufassen, was über die von ihm befragten und analysierten DDR-Kirchenvertreter herausgekommen ist (vgl. S. 443ff.), so sind zunächst deren zeitgeschichtlich-biographische Prägungen im Zeitraum zwischen Weimarer Republik und früher DDR zu nennen. Diese bedingten Grundauffassungen von deutsch-nationalem Zuschnitt und die grundsätzliche Skepsis gegenüber politischen Ideologien bei der Hitlerjugend-Generation bis hin zu einem vorwiegend pragmatischen Verhältnis gegenüber der DDR-Wirklichkeit, das diejenigen bestimmte, deren Karrieren vorwiegend in der DDR absolviert wurden. Bürgerlicher Art waren sie alle mehr oder minder, was auf eine letztlich konservative Grundhaltung hinauslief, die Kontakte zu anderen Milieus erschwerte, wenn nicht unmöglich machte und eine unübersehbare Distanz gegenüber Demokratie und Menschenrechten nach sich zog. Damit waren die Dauerkonflikte mit jener Generation vorprogrammiert, die sich in den achtziger Jahren resistent, dissident oder auch oppositionell artikulierte. Generalisierend konstatiert Findeis bei den „kirchlichen Repräsentanten gegenüber den Handlungszwängen des DDR-Systems [einen] Wandel von einer Haltung der Widerständigkeit hin zu einer Haltung der Anpassung“ (S. 448). Aber das war bei Gerhard Besier schon 1993, wenn auch auf der Grundlage eines ganz anderen Ansatzes, zu lesen. Findeis liefert eine persönlichkeitszentrierte Begründung dieser Analyse nach und bestätigt sie damit auf seine Weise.

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