Titel
Sinking Columbus. Contested History, Cultural Politics, and Mythmaking during the Quincentenary


Autor(en)
Summerhill, Stephen J.; Williams, John Alexander
Erschienen
Anzahl Seiten
219 S.
Preis
£42.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jochen Meissner, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Ursprungsintentionen sollten gewürdigt werden. Deswegen ist das Beste an diesem Text, dass „Gescheiterte“ darüber berichten, wie es dazu kommen konnte, dass sich ihre Pläne nicht erfüllten. Um Missverständnissen vorzubeugen: „Sinking Columbus“ ist nicht das Programm dieses Buches, sondern seine Quintessenz. Es geht den beiden Autoren nicht darum, den Mythos Kolumbus zu entzaubern oder gar darum, Kolumbus „zu versenken“. Es handelt sich nicht um ein Manifest, sondern um den Versuch, sich selbst und anderen zu vergegenwärtigen, warum es 1992 nicht gelang, so etwas wie den Ursprungsmythos der westlichen Welt als solchen in Szene zu setzen: weder in den USA noch, wie die Verfasser glauben, irgendwo sonst. „Sinking Columbus“ ist ein fast erstaunter US-amerikanischer Bericht darüber, dass die 500. Wiederkehr der Landung des Cristobal Colón in der westlichen Hemisphäre noch nicht einmal mehr in „God’s own country“ jene Bindewirkung entfalten konnte, die ihm vor allem dort lange zu Eigen war.

Das Buch ist am stärksten in seinem ersten Teil, der vier Kapitel und weit mehr als die Hälfte des Textes umfasst. Ganz im Mittelpunkt steht dabei das Scheitern der Chicagoer Pläne, die glorreichen Weltausstellungserfahrungen von 1893 und 1933 im Jahre 1992 zu wiederholen. Hier berichten zwei Insider und Teilnehmer der US-amerikanischen Debatten um die Gestaltung des „Quincentenary“ und vermögen deshalb wertvolle Einblicke zu geben, wie in diesem konkreten Fall US-amerikanische Geschichtspolitik funktionierte (oder besser gesagt nicht funktionierte). John Alexander Williams war von 1986 bis 1988 Direktor der Jubiläumskommission und zeitweise als Mitarbeiter der Washingtoner Administration dafür zuständig, das offizielle Programm für die 500-Jahr-Feiern zu koordinieren. Stephen J. Summerhill ist Romanist und erlebte aus der Perspektive eines mit spanischer Literatur befassten academic die Wendungen des Wissenschaftsdiskurses zum Thema aus nächster Nähe mit.

Um die Geschichte nicht allzu tragisch erscheinen zu lassen, formulieren die Verfasser eine versöhnliche Kernthese: „The 1992 Quincentenary succeeded because it failed.“ Zwar hätten alle Pläne am Ende „gefloppt“; dies sei aber als Erfolg einer neuen Geschichtsvision zu werten, die sich für die „vision of the vanquished“ interessiere, Ethnizität ins Zentrum vieler Diskussionen gestellt habe und deswegen mit einer Jubelfeier anlässlich der europäischen Invasion Amerikas (S. 123) nicht mehr kompatibel gewesen sei. Der Umbruch im Geschichtsbild habe sich genau in jenen 1980er und beginnenden 1990er-Jahren vollzogen, in dem die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten liefen.

Die beiden Autoren liefern auf diesen ersten 130 Seiten fast so etwas wie eine dichte Beschreibung davon, wie parallel laufende Entwicklungen in der Chicagoer Lokalpolitik und der Lokalpolitik anderer potenzieller Austragungsorte, der politischen Szene im Bundesstaat Illinois, der Washingtoner Bundesregierung und auf dem internationalen Parkett zusammenwirkten mit dem Verlauf wissenschaftlicher Diskurse und wissenschaftspolitischer Entwicklungen, um Kolumbus am Ende grandiosen Schiffsbruch erleiden zu lassen. Während Politiker, Wissenschaftler, Künstler, Wirtschaftsfachleute und die Branche der Eventmanager z.T. schon Ende der 1970er-Jahre mit großer Verve und eindrucksvoller Anschubfinanzierung daran gingen, die ersten Weichenstellungen für ein Ereignis vorzunehmen, an das sie große Hoffnungen knüpften, weil sie es u.a. eben auch für einen bombensicheren Investitionstipp hielten, fällt die abschließende Bilanz von Summerhill und Williams mehr als nüchtern aus: An keinem Ort wurden die geplanten Besucherzahlen auch nur annähernd erreicht. Die Einnahmen blieben in den allermeisten Fällen hinter den Investitionen zurück. Nachhaltig wirksame Verbesserungen wurden allenfalls in Form des einen oder anderen wissenschaftlichen Publikationsvorhabens (Stichwort Tavianis Neuausgabe des Kolumbustextkorpus) oder in Form der Restauration historischer Bauten erreicht. Vielerorts gaben die geplanten Gedenkveranstaltungen eher Anlass zur Kontroverse und lösten Proteste aus – erfüllten also nicht die Hoffnungen, gesellschaftlich integrativ zu wirken.

Chicago schließlich, 1982 ganz offiziell vom Pariser Bureau of International Expositions (BIE) zum Austragungsort proklamiert und darin von Präsident Reagan und seiner Administration zunächst unterstützt, geriet zum einen durch die Budgetkürzungen unter immer stärkeren finanziellen Druck. Zum anderen wuchs der politische Widerstand in Chicago selbst gegen eine sehr traditionell ausgerichtete Jubelfeierlichkeit, die der großen african-american community dieser Stadt offensichtlich nicht nur nichts anzubieten hatte, sondern sie mit Bauvorhaben in der Nähe ihrer Stadtbezirke sogar zu bedrohen schien. Der 4. Dezember 1987 brachte das endgültige Aus für die hochfliegenden Chicagoer Pläne, Austragungsort der 1992er-Weltausstellung zu werden, als das BIE offiziell erklärte, dass Chicago bei ihnen nicht mehr als Veranstaltungsort registriert sei.

So überzeugend die Beschreibung der Vielfalt der 1992er-Planungen in den USA gelungen ist und so spannend und sogar unterhaltsam sich dieser Insiderbericht über die Entwicklungen in den USA liest – das Buch ist allein schon deswegen unbedingt empfehlenswert –, so sehr fällt es im zweiten Teil ab, in dem eine Umschau über die internationalen Entwicklungen zum 1992er-Ereignis versucht wird. Das eigentliche 1992er-Event, nämlich die Expo in Sevilla, die mit 42 Millionen Besuchen von 15,5 Millionen erwarteter Menschen die Zahlen sogar noch übertraf und von einem unüberschaubaren Begleitprogramm im ganzen Land flankiert wurde, wird mit gerade einmal 23 Seiten mehr als stiefmütterlich behandelt, wohl auch, weil gerade Sevilla eine im Buch immer wiederkehrende Behauptung nicht bestätigt, dass nämlich im Medienzeitalter Weltausstellungen oder vergleichbare Großveranstaltungen ein Anachronismus seien. Besucherzahlen, wie sie erforderlich seien, um den ungeheuren Aufwand zu rechtfertigen, der für sie erbracht werden muss, ließen sich heute in aller Regel nicht mehr, wie noch in der großen Zeit der Weltausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mobilisieren, wenn man zugleich auch am Fernsehen an ihnen teilhaben könne. Allenfalls Sportveranstaltungen könnten noch als Ausnahme gewertet werden, die aber vor allem die Regel bestätigten, dass angesichts der thematischen Fragmentierung moderner Gesellschaften, inhaltlich orientierte Veranstaltungen heute immer damit rechnen müssten, mindestens ebenso viel Widerstand wie Unterstützung zu provozieren.

Die Autoren verwenden auf die Genueser Kolumbusfeierlichkeiten immerhin noch 16 Seiten, obwohl Genua eigentlich ein noch größerer Flop war als Chicago. Während Chicago aus den Planungen ausstieg, noch bevor die wirklich großen Summen investiert worden waren, wurde in Genua tatsächlich eine Menge Geld ausgegeben, das aber in wesentlichen Teilen im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzt wurde. Die größte Infrastrukturmaßnahme, nämlich die Verlegung der den Altstadtbereich vom Hafen buchstäblich abtrennenden Hauptverkehrsader unter die Erde, erwies sich zunächst nicht in der Lage, den gesamten Durchgangsverkehr aufzunehmen und wurde schon im September 1992 von einem Hochwasser überflutet. Besonders pikant, wenn man bedenkt, dass es um die Vorbereitung einer historischen Feierlichkeit ging: Bei den Bauarbeiten stieß man auf die Ruinen des ursprünglichen Altstadtkerns. Der große Zeitdruck führte dazu, dass eben diese nicht ausgegraben werden konnten, sondern der Baumaßnahme zum Opfer fielen. Summiert man die Budgets der nationalen italienischen Kommission zu jenen, die Genua und Ligurien für 1992 ausgaben, ging es um mehr als 1 Milliarde US-Dollar. Dennoch blieben die tatsächlichen Besucherzahlen weit unter den 43.000, die die Planer veranschlagt hatten.

Völlig ins Ungleichgewicht gerät das Buch freilich, wenn es auf die Dominikanische Republik und Mexiko jeweils nur sechs Seiten verwendet und diese zusammen mit weiteren zwei und einer halben Seite Einleitung alles sind, was zu Lateinamerika ausgeführt wird. Immerhin versäumen es Summerhill und Williams nicht, auf den wesentlichen Beitrag Mexikos und vor allem Leon Portillas hinzuweisen, nämlich die treibende Kraft dafür gewesen zu sein, dass aus den ursprünglich geplanten „Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag der Entdeckung“ eine „conmemoración del encuentro de dos mundos“, also ein Gedenken an das Aufeinandertreffen zweier Welten wurde, aber sie missverstehen grundlegend die Subversivität dieses Begriffswechsels, wenn sie auch die neue Bezeichnung als Euphemismus für einen Vorgang kennzeichnen, der aus ihrer Sicht besser als Invasion zu charakterisieren wäre. Auch z.B. den personellen Wechsel im Vorsitz der mexikanischen Kommission von Leon Portilla, über Leopoldo Zea zu schließlich Enrique Florescano als eine Abwendung von den kritischen Aspekten des Quinto Centenario zu deuten, zeigt, dass den beiden Autoren offensichtlich die intime Kenntnis der Hintergründe fehlt, die dieses Buch im ersten Teil, wenn es die Entwicklungen in den USA beschreibt, so außerordentlich lesenswert machen. Dies wird durch die Literaturauswahl, auf die sich diese Studie stützt, noch unterstrichen: Sie besteht, von ganz wenigen spanischen Ausnahmen abgesehen, fast ausschließlich aus englischsprachigen Publikationen.

Überhaupt ist der Text nicht frei, von manchem Hinweis darauf, dass die Verfasser den turn zugunsten einer facettenreicheren, weniger eindeutigen Pluralität von Deutungsangeboten rational nachvollzogen, sich selbst in dieser komplexer gewordenen Welt aber noch nicht wieder so richtig zurecht gefunden haben. Etwa wenn sie zuweilen Hinweise auf ganz klassische kulturelle Stereotypen geben: die Spanier sind naiv (S. 133); die Italiener korrupt (S.153); der sozialistische Präsident Liguriens als früherer Hafenarbeiter „had less formal education and was somewhat unpolished“ (S.152); die lateinamerikanischen Eliten kümmern sich nicht um „ihr“ Volk (S. 171) usw. Auch die gelegentlich aufscheinenden Biologismen (S. 191) sowie die kritischen Töne zur US-amerikanischen Ethnizitätsdebatte („I knew Dukaki before he became Greek“, S. 107ff.) heben das Buch sicher aus der Masse der Publikationen heraus, die vor allem politically correct sein wollen, verdeutlichen aber vor allem immer wieder, wie tief dieser Text im US-amerikanischen Kontext verankert ist.
Der Schiffsbruch, den Kolumbus 1992 in den USA und insbesondere in Chicago erlitt, wird in diesem Buch in glasklarer Weise analysiert und überzeugend interpretiert. Die intime Detailkenntnis der beiden Autoren, die über das Geschehen aus erster Hand berichten, macht diesen Text unbedingt lesenswert. Für die Entwicklungen anderenorts, vor allem in Spanien und Lateinamerika sollte man dagegen besser andere, vor allem spanischsprachige Quellen heranziehen.1

Anmerkung:
1 Vgl. dazu z. B. Dölker, Michaela, Die Inszenierung von Geschichte in Spanien zum 500. Jubiläum der Fahrt des Kolumbus. Die „Exposición Universal de Sevilla 92“, unveröffentlichte Magisterarbeit, Hamburg 2004.

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