D. Schönpflug: Der Weg in die Terreur

Titel
Der Weg in die Terreur. Radikalisierung und Konflikte im Straßburger Jakobinerclub (1790-1795)


Autor(en)
Schönpflug, Daniel
Erschienen
München 2002: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Middell, Zentrum für höhere Studien, Universität Leipzig

Daniel Schönpflug mag die Jakobiner nicht. Ihre „Schreckensherrschaft“ und „blutige Diktatur“ verdienen die Verurteilung, die liberale Historiker des 19. Jahrhunderts für sie ausdrückten. Zugleich teilt Schönpflug die Begeisterung der zeitgenössischen deutschen Beobachter für die „Geburtsstunde der Freiheit“ 1789.

Für die Beschreibung der Straßburger Revolutionsereignisse ergibt sich aus dieser Verteilung der Sympathien ein Dilemma, wenn der Verfasser mit einem auf François Furet zurückgeführten Ansatz der „Radikalisierung“ arbeiten will. Bei diesem erklärt nicht die „thèse des circonstances“ mit Krieg, Wirtschaftskrise und königlichem Doppelspiel sowie Bürgerkrieg im Westen die Schärfe der Auseinandersetzung, sondern eine in ihren Wurzeln, eben 1789, angelegte Diskurslogik, die aus dem Willen zur nationalen Einheit eine immer schärfere Neigung zur Erfindung und Ausgrenzung von Feinden der Revolution ableitete.

Der Verfasser behilft sich aus diesem Dilemma mit einer Fußnote, in der zwischen der Begründung der Diskurslogik und ihrer Realisierung in der Dérapage von 1793 ein „himmelweiter Unterschied“ postuliert wird. Letztlich bleibt damit aber offen, ob nun die Französische Revolution von ihrem Beginn an auf die schiefe Bahn geraten sei (wie François Furet in seinem Plädoyer für das Verlassen des französischen Sonderwegs eine zeitlang behauptete), oder ob sie irgendwann eine Grenze überschritten habe, bis zu dieser Grenze aber durchaus als fortschrittlich zu bewerten sei. „Légende noire“ oder liberale Zweiteilung der Revolution?

Für Schönpflug bleibt die Verortung der Auseinandersetzung um die Gesamtdeutung der Revolution scheinbar nebensächlich, denn er konzentriert sich auf eine andere Dimension der Debatte um die Revolution in Frankreich: Gegenüber einer älteren Interpretation, die die Führungsfunktion der hauptstädtischen Ereignisse unkritisch voraussetzte und die Provinzstädte brav den Handlungsvorgaben der Kapitale folgen ließ, schließt sich Schönpflug jenen an, die auf der Diversität der regionalen und lokalen Konstellationen beharren und ein eigentümliches Ineinandergreifen und partielles Synchronisieren von relativ unabhängigen Revolutionen als Ausgangspunkt wählen. Diese Perspektive ist zwar so neu nicht, wenn man an die Studien von Alan Forrest über Südfrankreich, Roger Dupuy über die Bretagne und vielen anderen denkt und wenn man Michel Vovelles Bemühungen nachgeht, die Mechanismen für die Synchronisierung von Mentalitäten, Aktionsformen, Kommunikationsstrukturen usw. aufzudecken. Rolf Reichert hat dies in seiner Revolutionsdarstellung „Das Blut der Freiheit“ 1998 auch konzeptionell gelungen verarbeitet. Aber natürlich lebt die Qualifikation dieser Perspektive von der Ergänzung durch gründliche Lokal- und Regionalstudien, und Schönpflugs Dissertation bedeutet in diesem Prozess einen wichtigen Schritt vorwärts.

Die am klassischen Muster der Ausdifferenzierung des Club des Jacobins, einer Sozialgeschichte seiner Mitglieder und einer politischen Kulturgeschichte der organisationsinternen Verhandlungen sowie seiner Aktionsformen gegenüber Munizipalität und Armee ausgerichtete Darstellung ist gründlich aus den Quellen gearbeitet und enthält viel Neues im Detail. Insofern gehört diesem Buch ein fester Platz in der Bibliothek der unverzichtbaren Regionalstudien, ohne die künftig keine Revolutionsgeschichte mehr auskommt.

Bei der Deutung seines Materials kommt Schönpflug aber dann doch wieder Furets Komplettverdikt in die Quere. Gegen die im Thermidor des Revolutionsjahres II etablierte Version, hergelaufene Auswärtige, wie Eulogius Schneider, hätten die zu Ruhe und Ordnung neigenden Bürger von Straßburg zu Exzessen der Radikalisierung verführt, versucht der Autor den Nachweis zu erbringen, dass der elsässische Jakobinismus seine Wurzeln in der Revolutionsbegeisterung von 1789 hatte, demzufolge hausgemacht war, lange bevor die Représentants en mission der Pariser Revolutionsregierung in Straßburg eintrafen.

Schönpflug kann zeigen, dass kulturelle Feindbilder, die in der bikonfessionell geprägten Grenzlage Straßburgs lange vor der Revolution Ausdruck fanden, in der Revolution und vor allem während der Terreur aufgegriffen und zugespitzt wurden. Er vollzieht nach, wie Einheimische die Radikalisierung der Pariser Emissäre unterstützten und rhetorisch wie praktisch mitvollzogen. Hass auf Fremde, Marginalisierung der Germanophonen und der Juden waren keine implantierten Phänomene, sondern gehörten in eine xenophobe Grundstimmung, die sich mit dem Näherrücken der Front immer mehr zu Verschwörungstheorien verdichtete. Indem Schönpflug dies an lange Zeit verschollen geglaubten Akten, in denen die Clubprotokolle aufbewahrt sind, detailliert nachzeichnet, leistet er nicht nur einen Beitrag zur Revolutionsgeschichtsschreibung, sondern signalisiert zugleich, dass nach beinahe zehnjähriger Flaute wieder Bewegung in die deutsche Forschung zur Französischen Revolution kommt. Die mangelnde Sympathie für die Helden seines Buches kommt ihm dabei durchaus zugute, denn er erkennt scharfsichtig eine Reihe von Problemen und neigt nicht dazu, sie in überbordender Sympathie für den Fortschritt, den die Revolution bedeutet hätte, zu übersehen.

Am Ende fragt sich der verwirrte Leser allerdings, wie eine Interpretation, die die Kontinuitäten seit 1789 und weiter zurück seit dem Ancien Régime betont und damit den strukturalistischen Zweig der Mentalitätsgeschichte stärkt, zusammenpasst mit den entschiedenen Urteilen über die Jakobiner von 1793/94, die sichtlich mehr taten als nur vorhandene Trends aufzugreifen. Schönpflugs Monografie gibt jedenfalls Gelegenheit, wieder an Diskussionen in der internationalen Revolutionshistoriographie anzuknüpfen, die in den letzten zehn Jahren in Deutschland kaum mehr verfolgt worden sind. In der Hoffnung, nicht zu optimistisch zu sein, könnte man den vorliegenden Band als Zeichen eines wiedererwachenden Forschungsinteresses an der politischen Geschichte der Revolution deuten.

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