C. Zwanzig: Gründungsmythen fränkischer Klöster

Cover
Titel
Gründungsmythen fränkischer Klöster im Früh- und Hochmittelalter.


Autor(en)
Zwanzig, Christofer
Reihe
Beiträge zur Hagiographie 9
Erschienen
Stuttgart 2010: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
539 S.
Preis
€ 74,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Kleinjung, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Christofer Zwanzig widmet sich in seiner Dissertation den Konstruktionen und Transformationen klösterlicher Gründungserinnerungen am Beispiel der Klöster Heidenheim, Solnhofen, Ansbach und Kitzingen in der Zeit vom 8. bis zum 12. Jahrhundert. Er ordnet sich damit ein in die Reihe kulturwissenschaftlich ausgerichteter Arbeiten zu Erinnerung, Gedächtnis und Gemeinschaftsbildung im mittelalterlichen Religiosentum. Auch Christofer Zwanzig greift auf das von Aleida und Jan Assmann begründete Konzept des kollektiven und kommunikativen Gedächtnisses zurück, um die Entstehung, Kontinuitäten und Veränderungen von Gründungserinnerungen zu untersuchen und so die Bedeutung der Fundationsquellen für ihre jeweilige Gegenwart zu erschließen. Diese Fundierungserinnerungen begreift Zwanzig als Gründungsmythen und bezieht sich auf Assmanns Definition, wonach ein Mythos etwas sei, das nicht vergessen werden darf. Die Frage „Wer sind wir?“ beantworte eine Klostergemeinschaft immer wieder neu mit dem Gründungsmythos, der entsprechend ausgestattet und angepasst werde. Wer aber nimmt in welchem Zusammenhang diese Transformationen und Anpassungen vor – und warum? Diese Fragen stellt Christofer Zwanzig in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Seine Arbeitsthese lautet, dass sich das Bemühen um Heiligkeit eines Gründers und seines Ortes nicht allein auf die Klostergemeinschaft beschränken lasse. So fragt er allgemeiner nach den „Trägergruppen der Erinnerung“ und nimmt die soziale Umwelt der Klöster mit in den Blick.

Die Arbeit ist in drei chronologisch gestaffelte Teile gegliedert. Im ersten Teil behandelt Christofer Zwanzig die Gründungserinnerungen im 8. und 9. Jahrhundert zur Zeit der Ausprägung der fränkischen Sakrallandschaft. Einen ersten Einschnitt sieht er im 10. Jahrhundert aufgrund eines tiefgreifenden Wandels der Klosterlandschaft durch herrschaftliche Veränderungen. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Gründungserinnerungen im 10. und 11. Jahrhundert vor dem Hintergrund bischöflicher und adliger Einflussnahme. Das abschließende Kapitel widmet Christofer Zwanzig dem 12. Jahrhundert. Ein erneuter Einschnitt erscheint hier aufgrund der Ausdifferenzierung der vita religiosa geboten. Am Ende eines jeden Großkapitels steht eine gut gegliederte Zwischenzusammenfassung. Den Abschluss bildet die Gesamtzusammenfassung. In einem umfangreichen Anhang bietet Christofer Zwanzig nicht nur den Abdruck der Gründungsberichte der behandelten Klöster, sondern auch Tabellen, die eine schnelle Erschließung des relevanten Quellenmaterials – über die untersuchten Klöster hinaus – bieten. So wurden Nachrichten über Reliquienbeisetzungen, Urkunden und Urkundenfälschungen aufbereitet, und es findet sich auch ein Verzeichnis aller adligen und bischöflichen Gründungen benediktinisch geprägter Klöster in Franken im 12. Jahrhundert. Ein Register rundet die Arbeit ab.

Bereits für die Lebensbeschreibungen der Heiligen Wynnebald und Sola aus dem 8. und 9. Jahrhundert kann Christofer Zwanzig feststellen, dass die Gründungserinnerungen den Charakter von Gründungsmythen annahmen. Sie erklärten die Entstehung der Klostergemeinschaft und wiesen gleichzeitig in die Zukunft. Diese Zukunftsausrichtung kann jedoch mit Assmann in zweierlei Weise erfolgen: als kalte Erinnerung, die einen Status quo erhalten, und als heiße Erinnerung, die aktiv Veränderungen etwa in der herrschaftlichen und rechtlichen Stellung der Klostergemeinschaft herbeiführen möchte. Bei der Entstehung der Gründungserinnerungen lassen sich an den Beispielen Heidenheim und Solnhofen bereits Einflüsse von außen greifen. Die Trägergruppen waren zwar hierarchisiert, die Mönche, die das Grab des Gründers hüteten, spielten für die Heiligkeit des Ortes die entscheidende Rolle. Doch lässt sich die Heiligkeit nicht auf die Klostergemeinschaft allein beschränken, die Integration des sozialen Umfelds war laut Zwanzig wichtiger als Distinktion.

Auch im 10. und 11. Jahrhundert blieb die Verehrung der Gründer nicht auf die Gemeinschaft allein beschränkt. Gründungserinnerungen sind daher nicht nur als Ausdruck einer ausschließlich klösterlichen Mentalität zu verstehen (S. 228). Vielmehr lässt sich für Ansbach, Heidenheim und Kitzingen festhalten, dass sich in den Texten nicht alleine das Selbstbild der dortigen Gemeinschaft spiegelt, sondern dass für die Erinnerung auch adlige Laien und das bischöfliche Umfeld zuständig sind. Allgemeine politisch-herrschaftliche Entwicklungen im Untersuchungsraum spiegeln sich in den Gründungsquellen wider: So geht mit einer Welle adliger Klostergründungen ein Anwachsen von Texten einher, die sich mit der Verehrung laikaler Klostergründer beschäftigen, zudem werden vermehrt frühmittelalterliche Klostergründungen in der Rückschau auf königliche Gründer zurückgeführt, um eine Nähe zeitgenössischer fränkischer Herrschaftsträger zum Königtum zu untermauern.

Im abschließenden Teil zum 12. Jahrhundert legt Christofer Zwanzig den Schwerpunkt auf Klosterkonflikte wie Reformauseinandersetzungen. Auch im 12. Jahrhundert schuf keine Gemeinschaft ihren Gründungsmythos und ihre Identität ohne Einflüsse von außen (S. 412). Ein Vergleich mit zisterziensischen Gründungsquellen erlaubt die Relativierung der „Krise“ des benediktinischen Mönchtums im 12. Jahrhundert: Die Gründungsquellen der benediktinischen Klöster lassen sich nicht alleine als Reaktion auf die zisterziensischen Neugründungen verstehen. Die Motive liegen vielmehr in der Gemeinschaft selbst und in der Stabilität oder der Veränderung ihres sozialen Umfelds begründet. In keinem der Fälle definierte die Gemeinschaft im engeren Sinne ihre Heiligkeit aus sich heraus: „Vielmehr begegnen uns in den Quellen auch die vielfältigen Erwartungen, die durch das engere und weitere Umfeld der Kommunitäten an sie herangetragen wurden“ (S. 414). Das von Christofer Zwanzig angeführte Beispiel Kitzingen zeigt dies eindrücklich: Die Erwartungen konzentrierten sich im 12. Jahrhundert allein auf die Lebensweise der Nonnen. Das Grab und der Dienst am Grab bestimmten nicht mehr über die Heiligkeit des Ortes.

Christofer Zwanziger legt eine methodisch durchweg überzeugende und theoretisch anspruchsvolle Studie vor. Das wichtigste Ergebnis der Arbeit ist ohne Zweifel die Bestätigung der eingangs formulierten Arbeitsthese, wonach monastische Fundationserinnerungen nicht Ausdruck einer ausschließlich klösterlichen Identität seien. Christofer Zwanzig kommt auf Basis seiner gründlichen Quellenanalyse zu dem Schluss, dass die soziale Konstruktion der Vergangenheit ein Werk ist, an dem die Klostergemeinschaft selbst, die Bischöfe und das laikale Umfeld über Jahrhunderte hinweg immer wieder neu Anteil hatten. Der Wunsch nach Teilhabe an der Heiligkeit eines Ortes vereinte die Klostergemeinschaft und ihr soziales Umfeld.

Die klösterlichen Gründungsmythen sind daher als „lebendige Mythen“ im Sinne Aleida und Jan Assmanns zu verstehen, da sie an die jeweilige Gegenwart angepasst und neu erklärt wurden. Christofer Zwanzigs Arbeit leistet so einen wichtigen Beitrag zu kulturwissenschaftlichen Fragen der Identitäts- und Gemeinschaftsbildung durch Erinnerung. Die integrative und kommunikative Funktion der Gründungsquellen ist bisher in der Forschung – gerade im Vergleich zu Stiftungen – noch nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Christof Zwanziger führt zwar die Unterschiede zwischen den betrachteten Klöstern an, bietet aber am Schluss keine Erklärungsangebote mehr für diesen Befund, was nach der Länge der Untersuchung nicht verwundert. Warum der Einfluss von Laien bei einem Klöster größer war als bei einem anderen, warum bei einem Kloster das Gründergrab für die Erinnerung entscheidend blieb, in einem anderen vergessen wurde, bleibt Gegenstand für weitere Forschungen. Reizvoll für zukünftige Studien wäre es z.B. nach dem Wirkungsgrad geschlechterspezifischer Faktoren zu fragen. Es dürfte kein Zufall sein, dass in Kitzingen, dem einzigen untersuchten Frauenkloster, die Gründerin Hadelog im Laufe des 12. Jahrhunderts zu Gunsten eines anonymen Klerikers aus dem Gründungsbericht verdrängt wurde und zeitgleich die rechte Lebensweise der Nonnen zum alleinigen Kriterium der Heiligkeit des Ortes wurde und das Grab der Hadelog in Vergessenheit geriet.

Man hätte sich abschließend gewünscht, dass der Autor selbst in der Einleitung stärker das Profil seiner Arbeit konturieren würde. Auch hätten sich einige Passagen sicher straffen lassen. Doch trübt dies in keiner Weise den positiven Gesamteindruck: Mit seiner Dissertation hat Christofer Zwanzig nicht nur für die fränkische Landesgeschichte und die monastische Forschung einen gewichtigen Beitrag geleistet, sondern er bietet auch für zukünftige kulturwissenschaftliche Forschungen viele Anknüpfungspunkte.