H. Schaller: Der Nationalsozialismus und die slawische Welt

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Titel
Der Nationalsozialismus und die slawische Welt.


Autor(en)
Schaller, Helmut
Erschienen
Regensburg 2002: Pustet
Anzahl Seiten
320 S., 30 Abb.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Jockheck, Seminar für Geschichtswissenschaft, Universität der Bundeswehr Hamburg

Helmut Schaller verspricht im Vorwort eine Darstellung wissenschaftlicher und ideologischer Hintergründe sowie ausgewählter politischer Aspekte der „slawisch-deutschen Beziehungen“ von 1933 bis 1945 (S. 5). Die Hauptkapitel widmen sich der deutschen Osteuropaforschung, antislawischen Aussagen der nationalsozialistischen Ideologie, dem Umgang mit slawischsprachigen Bevölkerungsgruppen und slawischen Kulturdenkmälern innerhalb des Deutschen Reiches sowie der deutschen Kultur- und Wissenschaftspolitik in Zentral-, Ost- und Südosteuropa vor allem während der Kriegs- und Besatzungszeit. Den Schluss bildet ein kurzer Ausblick auf die Bewertung der nationalsozialistischen „Ostpolitik“ nach 1945. Eingedenk der andauernden Debatten über den Zusammenhang von „Ostforschung“ und „Ostpolitik“ im nationalsozialistischen System scheint die Zeit für eine umfassend angelegte Synthese zwar noch nicht reif, aber ein kritischer Blick auf die seit einigen Jahren wesentlich intensivierte und ausgeweitete Forschung 1 wäre schon willkommen.

Solche Erwartungen erfüllt Schaller mit seiner Darstellung allerdings nicht, da er nur selten und vereinzelt Ergebnisse neuerer Forschung erwähnt. Stattdessen präsentiert Schaller in Form von Reproduktionen, Zitaten und Paraphrasen umfangreiches Quellenmaterial, teils aus Berliner Archiven, vor allem aber aus zeitgenössischen Veröffentlichungen. Dabei verlässt er sich im Wesentlichen auf die Aussagekraft seiner Quellen 2; Analyse und Kontextualisierung stehen durchweg hinter Dokumentation und Deskription zurück. Nach welchen Kriterien Schaller sein Material ausgewählt, gegliedert und gewichtet hat, erläutert er nicht. So meint Schaller mit „deutscher Osteuropaforschung“ offenbar vor allem sein eigenes Fach, die Slawistik. Die nicht minder wichtige Rolle zahlreicher Vertreter anderer Disziplinen – nicht nur aus den Geisteswissenschaften – wird allenfalls am Rande behandelt. Unklar bleibt, weshalb sich ein eigenes Kapitel mit der Stadt und dem Gau Bayreuth befasst (S. 72-92), während andere Zentren nationalsozialistischer „Ostforschung“ und „Ostpolitik“, allen voran Berlin, aber etwa auch Königsberg oder Breslau, nicht zusammenhängend behandelt werden. Und dass „der zentrale Punkt der Bewertung der Slawen aus der Sicht des Nationalsozialismus“ bei Houston Stewart Chamberlain zu finden sei (S. 99), ist äußerst fragwürdig – mithin auch Schallers Entscheidung, dem Schwiegersohn Richard Wagners ebenfalls einen eigenen Abschnitt (S. 94-99) einzuräumen. Weiter ist zu fragen, warum zwar die NS-Politik gegenüber den Sorben (S. 126-148), nicht aber diejenige gegenüber der größten slawischen Minderheit im Reich, den Polen, geschildert wird – obwohl es sich anbietet, gerade an diesem Beispiel den komplizierten Zusammenhang von kurzfristigen, taktisch motivierten Rücksichtnahmen mit der Verfolgung langfristiger, vor allem rassenideologisch bedingter Ziele auf dem Weg zum „Großgermanischen Reich“ näher zu untersuchen.

Besonders unbefriedigend aber ist Schallers Darstellung für die Kriegsjahre. Welche Rolle deutschen „Ostforschern“ bei der Konzeption, Rechtfertigung und Durchsetzung des nationalsozialistischen Vertreibungs- und Vernichtungsprogramms in Zentral- und Osteuropa zukam, lassen Schallers Ausführungen kaum erahnen. Zwar erwähnt Schaller mit den deutschen Universitäten, Stiftungen und Instituten in Prag (S. 162-167) sowie in Krakau und Posen (S. 186-199) wichtige wissenschaftliche „Vorposten“ des NS-Regimes in den annektierten und besetzten Gebieten, streift aber die dort entfalteten Aktivitäten nur kurz. Gleiches gilt für die „Deutschen Wissenschaftlichen Institute“ in Preßburg (S. 174), Zagreb, Belgrad, Sofia, Bukarest und Odessa (S. 273-281).3

Die Liste solcher Einwände und Fragen ließe sich noch beträchtlich verlängern und um die Richtigstellung etlicher Ungenauigkeiten und Fehler 4 ergänzen. Äußerst bedenklich stimmt, dass Schaller zum Ende seines Buches behauptet, „eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des Nationalsozialismus“ könne den während des „Dritten Reiches“ aktiven deutschen Slawisten wie auch den mit ihnen zusammenarbeitenden ausländischen Kollegen bis auf eine einzige Ausnahme 5 nicht zugeschrieben werden (S. 287). Schaller folgt hier schlicht der Apologie seiner Protagonisten, obschon er selbst Quellen zitiert, die seiner pauschalen Behauptung widersprechen. Im Übrigen lässt sich spätestens seit Michael Burleighs bahnbrechender Studie zur „Ostforschung“ nicht mehr ernsthaft bestreiten, dass auch namhafte deutsche Slawisten schon lange vor 1933 in den Kategorien des „Volkstumskampfes“ dachten und handelten, vor allem in Bezug auf Polen und Tschechen. Damit gab es von vornherein wesentliche ideologische Gemeinsamkeiten mit dem Nationalsozialismus. Schaller verweist immer wieder darauf, dass nach 1933 einzelne Aktivitäten deutscher Slawisten behindert oder unterbunden wurden. Dies beweist jedoch nur, dass das Regime die „Ostforscher“ nicht durchweg hofierte, sondern vor allem jene Tätigkeiten guthieß, die jeweils seinen aktuellen politischen und propagandistischen Bedürfnissen entsprachen – und eben diesen Anforderungen versuchten nicht wenige der Forscher mit ihren Arbeiten durchaus zu genügen.6

Anmerkungen:
1 Eine Sammlung neuester Beiträge zum Thema bricht die bislang üblichen zeitlichen und nationalen Verengungen auf: Piskorski, Jan M.; Hackmann, Jörg; Jaworski, Rudolf, Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, mit einem Nachwort von Michael Burleigh (Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung 1), Osnabrück 2002.
2 Allein die wörtlichen Zitate machen überschlägig mehr als die Hälfte des Textbestandes in diesem Buch aus.
3 Nur ein Beispiel: Auf S. 184 erwähnt Schaller „Ausländerverbände der Abstimmungszeit in Posen und Ostoberschlesien“, meint aber offenbar die dortigen Verbände der polnischen Aufständischen. Im übrigen fand in Posen, anders als 1921 in Oberschlesien, keine Abstimmung über die staatliche Zugehörigkeit statt.
4 Zur „Reichsuniversität Posen“ liegt seit langem vor: Piotrowski, Bernard, W sluzbie rasizmu i bezprawia. „Uniwersytet Rzeszy“ w Pozaniu (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu, Seria Historia 112). Poznan 1984; Neueren Datums sind: Hausmann, Frank-Rutger, „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 169), Göttingen 2001; Glettler, Monika; Miskova, Alena, Prager Professoren 1938-1948. Zwischen Wissenschaft und Politik, (Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa 17), Essen 2001; Rybicka, Anetta, Instytut Niemieckiej Pracy Wschodniej. Institut für deutsche Ostarbeit, Krakow 1940-1945, Warszawa 2002.
5 Gemeint ist der 1938 erschienene, unbedeutende Aufsatz „Das Slawentum und die deutsche Slawistik“ von Friedrich Wilhelm Neumann, aus dem Schaller auf den S. 66-67 zitiert.
6 Das zeigt z.B. der von Schaller gleich mehrfach (S. 51-55; S. 137-142) angeführte „Fall“ des Leipziger Slawisten Reinhold Trautmann. Die Veröffentlichung der Ergebnisse seiner zuvor geförderten Forschungen über slawische Ortsnamen in Norddeutschland wurde 1939/40 nach langen Auseinandersetzungen verboten und das Buch eingezogen. Doch bedeutet dies keineswegs, dass Trautmann sich nicht bemüht hätte, seine Arbeit dem Regime anzudienen: Vielmehr hatte er die Publikation seiner Ergebnisse im April 1939 expressis verbis mit dem Einsatz schwerer Waffen in einem Krieg gegen Polen verglichen; siehe Burleigh, Michael, Germany Turns Eastwards. A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988, S. 125.

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