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Titel
Demokratie und Maulkorb. Der deutsche Rundfunk in Berlin zwischen Staatsgründung und Mauerbau


Autor(en)
Herbst, Maral
Erschienen
Berlin 2001: Vistas Verlag
Anzahl Seiten
317 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Schultze, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzende Verbreitung des Rundfunks - zunächst über Draht und dann drahtlos über Welle - hat für gravierende Veränderungen gesorgt. Besonders in großen Städten und Ballungsräumen war es nun möglich eine Vielzahl von Menschen zu erreichen. Der Hörer konnte als Rezipient mit Musik, Hörspiel und Nachrichtensendungen unterhalten, aber auch seine (politische) Meinung beeinflusst, ja oft erst gebildet werden. Dem Rundfunk kam als Mittel zur Durchsetzung ganz bestimmter politischer Ziele „eine bedeutende Rolle zu; seine Omnipräsenz während des Nationalsozialismus hatte die Wirkung des Rundfunks unter staatlicher Kontrolle in tragischer Weise vorgeführt” ( S. 271). Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb der Rundfunk in Deutschland Objekt politischen Kalküls: „Er wurde zum Sprachrohr des Kalten Krieges.” (S. 271)

Maral Herbst erzählt die Geschichte des Verhältnisses der im Kalten Krieg konkurrierenden deutsch - deutschen Rundfunkanstalten in den Jahren 1949 bis 1961 in Berlin. Sie wählt dabei einen strukturellen Vergleich von Nordwestdeutschem Rundfunk Berlin (NWDR), seinem Nachfolger Sender Freies Berlin (SFB) und dem Berliner Rundfunk (BR).

Noch vor der deutschen Kapitulation besetzte eine Einheit der Roten Armee das Haus des Rundfunks (HdR) in der Masurenallee in Berlin-Charlottenburg. Unmittelbar nach dem 8. Mai 1945 erhielt Hans Mahle, Mitglied der Gruppe Ulbricht, vom sowjetischen Stadtkommandanten Bersarin den Befehl, die Voraussetzungen für einen regulären Sendebetrieb zu schaffen. Und bereits Mitte Mai wurde ein Programm von 19 Stunden täglich gefahren. Im April 1946 entschieden die englischen Kontrolloffiziere des NWDR in Hamburg, eine Zweigstelle dieses Senders in Berlin einzurichten. Von Beginn an hatte der Rundfunk eine tragende Rolle in der politischen Reeducation der Deutschen. „Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23.5.1949 und der DDR am 7.10.1949 bedeutete für den Berliner Rundfunk und den NWDR-Berlin, dass die beiden Rundfunkanstalten einerseits in öffentlich-rechtlicher und andererseits in staatlich gelenkter Form in den jeweiligen Staat zunehmend integriert wurden.” (S.39)

Für die Rundfunkpolitik in Berlin war immer ihr Status als Viersektorenstadt prägend. Mit dem Scheitern einer gemeinsamen Nachkriegspolitik der Alliierten scheiterte auch eine gemeinsame Rundfunkpolitik. Nach der Staatsgründung der DDR und der Erhebung (Ost-)Berlins zur Hauptstadt wurde Berlin auch Sitz des staatlichen Rundfunks und bald wurde auch im westlichen Teil der Stadt der Ruf nach einer eigenen Rundfunkanstalt (neben dem NWDR-Berlin) laut. Der Sender Freies Berlin (SFB) als Nachfolger des NWDR-Berlin führte bald schon eine Art „Kampf” gegen den Berliner Rundfunk (BR) im Äther. Obwohl auf beiden Seiten keine verbindlichen Vorschriften der jeweiligen Besatzungsmacht über das Rundfunkprogramm bestanden, hielt man sich eng an deren politische Linie. Zudem bestand die jeweilige Absicht, die Hörer auf der anderen Seite mit zu versorgen.

In ihrer Untersuchung der genannten westberliner Rundfunkanstalten sowie der ostberliner Rundfunkanstalt Berliner Rundfunk in der Zeit von 1949 bis 1961 konzentriert sich Herbst auf folgende Vergleichsaspekte: Organisation, Programm, Personal, Hörer und Technik. Die Arbeit ist in sieben Kapitel unterteilt. Nach der „Einleitung” (S. 15) folgt im zweiten Kapitel der Vergleich „Berliner Rundfunk und NWDR-Berlin” (S. 37). Das dritte Kapitel widmet sich dem Vergleich „SFB und Berliner Rundfunk” (S. 119), dem sich ein eigenes Kapitel über „Hörer und Hörerforschung beim Berliner Rundfunk und SFB” anschließt (S. 179).

Eine sehr interessante und aufschlussreiche Komparationsmethode eröffnet die Autorin in Kapitel fünf „Programm - Politische Kommentare” (S. 215). Hier wird eine sprachvergleichende Analyse politischer Kommentare vorgenommen. Dieser Kontext innerhalb der Arbeit wäre eigentlich ein Thema für sich, aber um das Programmangebot der Rundfunkanstalten zu rekonstruieren und gegenüberzustellen, war es dennoch praktikabel, so vorzugehen. Auch hier bereitete die dürftige Aktenlage der Autorin Schwierigkeiten, obwohl 13 Kommentare und Interviews der Rundfunkanstalten aus den Jahren zwischen 1950 und 1961 Eingang in die Arbeit fanden. Dabei stammen sieben Kommentare aus westberliner Rundfunkanstalten und sechs aus ihrem ostberliner Pendant.

Der Forschungsansatz hierbei, wie in der gesamten Arbeit, beruht auf einem qualitativen, komparativen Verfahren. Dabei wird Bezug auf jene politischen Ereignisse genommen, die am selben Tag für beide Rundfunkanstalten aktuell waren und ein Manuskript hinterließen. Leider ist dies, bedingt durch die schlechte Quellenlage, nicht bei den herausragenden politischen Ereignissen jener Zeit, wie dem 17. Juni 1953 oder dem 13. August 1961, der Fall (S. 217). Dennoch lässt sich im allgemeinen festhalten, dass „ der Tenor der Sprache für die fünfziger Jahre prägnant war und über die Auseinandersetzungen der Systeme im Äther Aufschluß” gibt (S. 216). Auch damit wird die These der Arbeit gerechtfertigt, dass das permanente Reagieren des öffentlich-rechtlichen und staatlichen Rundfunks in der Viersektorenstadt Berlin aufeinander das Produkt der Aktions- Reaktionspolitik des Kalten Krieges zwischen 1949 und 1961 war (S. 18). Ob ein zitierter Kommentar gesendet wurde oder nicht, spielt hierbei keine Rolle, denn die Aussagerelevanz blieb bestehen, da andere (gesendete) Kommentare im gleichen sprachlichen Stil verfasst wurden.

Spätestens hier wird deutlich, welche Bedeutung die Sprache im Kalten Krieg und der Rundfunk als Verbreiter ausgewählter Wörter und eines (neuen) spezifischen Wortschatzes besaßen. Kommunistische und antikommunistische Rhetorik standen sich direkt gegenüber. Um zu diffamieren und herabzusetzen, wurden im Rundfunk Vergleiche zum Dritten Reich auf das jeweils andere Gesellschaftssystem bezogen und systemeigene Begriffe negativ besetzt. So war beispielsweise der Begriff Propaganda in der DDR ein nicht negativ besetzter Begriff, wurde aber durch den westberliner Rundfunk zu einem solchen gemacht. Da hierzu keine Tonquellen zur Verfügung standen, konnten die Kommentare auch nicht in einer phonetischen Transkription dargestellt werden, was sicherlich dazu beigetragen hätte, dass die Kommentare an Lebendigkeit gewonnen hätten und viel von der sprachlich-semiotischen Eigenheit dieser Rundfunkepoche dem Leser hätte vermittelt werden können.

Im sechsten Kapitel „Fazit - Rundfunkpolitik in Berlin 1949 bis 1961” (S. 271) beleuchtet Maral Herbst nochmals die Rolle Berlins als Viersektorenstadt und ihre besondere Rolle bei der politischen Agitation durch die Sender.

Den Abschluss bildet, wie gewöhnlich, ein Anhang mit ausführlicher und übersichtlicher Quellen- und Sekundärliteraturübersicht (S. 293). Eine besondere Würdigung verdient hierbei die dezidierte Primärquellenübersicht. Geordnet nach Archiv, Signatur, Rundfunksender und Jahr finden sich eine Vielzahl von Dokumenten, Kommentaren, Tonaufnahmen usw., die dem methodischen Charakter dieser Arbeit entsprechen und eine gute Übersicht über die betreffenden Akten bringen. Das Fehlen eines Index ist allerdings bedauerlich.

Die Autorin hat mit ihrer Arbeit nicht nur zeitgeschichtliche und sozialgeschichtliche Aspekte berührt. Auch für den technikgeschichtlich interessierten Leser findet sich etwas, wie beispielsweise der Übergang vom Langwellensender zur UKW, die Rundfunkstörmaßnahmen der DDR oder die jeweilige Umsetzung des Kopenhagener Wellenplanes von 1950. Ein eigener Unterpunkt zum Thema „Technische Kapazitäten” (S.61) rundet das Bild dieser lesenswerten Arbeit ab.

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