I. Goddeeris (Hrsg.): Solidarity with Solidarity

Cover
Titel
Solidarity with Solidarity. Western European Trade Unions and the Polish Crisis, 1980-1982


Herausgeber
Goddeeris, Idesbald
Reihe
The Harvard Cold War Studies Book series
Erschienen
Lanham 2010: Lexington Books
Anzahl Seiten
322 S.
Preis
$ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Brier, Deutsches Historisches Institut Warschau

Bereits in den 1980er-Jahren hatte die Gründung der Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaft „Solidarität“ (Niezależny Samorządny Związek Zawodowy [NSZZ] „Solidarność“) eine breite zeitgenössische, überwiegend journalistische bzw. politik- und sozialwissenschaftliche Literatur hervorgerufen. Seit geraumer Zeit hat nun ein Prozess der geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung dieses für die polnische und europäische Zeitgeschichte so wichtigen Phänomens eingesetzt. Der von Idesbald Goddeeris herausgegebene Sammelband „Solidarity with Solidarity“ erschließt in diesem Zusammenhang Neuland, da er nicht die Ereignisse in Polen selbst, sondern westeuropäische Reaktion auf die sogenannte Polenkrise zum Gegenstand hat.

Die Beiträge zu dem anzuzeigenden Band behandeln ausschließlich Gewerkschaften und damit die wichtigste Trägergruppe westlicher Solidarität mit Solidarność. Neben einer Einleitung enthält das Buch neun Kapitel zu Gewerkschaften in Schweden, Spanien, Italien, Großbritannien, der Bundesrepublik, Frankreich, Dänemark, Belgien und Österreich; ein weiterer Beitrag ist dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) und dem Weltverband der Arbeitnehmer (WVA) gewidmet. Die größtenteils auf Archivalien zurückgreifenden Texte konzentrieren sich auf den Zeitraum zwischen den ersten Streiks an der polnischen Ostseeküste im August 1980 und den durch die Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 hervorgerufenen internationalen Spannungen, die in der Mitte des Jahres 1982 langsam abklangen.

Die Beiträge bilden dabei ein breites Spektrum an Reaktionen auf die Vorgänge in Polen ab; es reicht von breiter Sympathie seitens etwa der Confédération française démocratique du travail (CFDT), der belgischen Confédération des syndicats chrétiens (ACW/CSC) oder der Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL) bis zur Befürwortung des Kriegsrechts durch die eng mit den französischen Kommunisten verflochtene Confédération Générale du Travail (CGT). Die Haltung der CGT stellte dabei aber eine extreme Einstellung dar; fast alle übrigen Gewerkschaften tendierten deutlich in Richtung der Position von CFDT, CISL und ACW/CSC, auch wenn die Akzente bei der geleisteten Hilfe unterschiedlich gesetzt wurden. Der DGB oder die schwedische Gewerkschaft Landsorganisationen i Sverige (LO) etwa leisteten der Solidarność sehr substantielle Unterstützung beim Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen und im humanitären Bereich; sie hielten sich jedoch mit explizit politischer Unterstützung zurück.

Ein vielleicht etwas überraschender Befund des Sammelbandes ist die Tatsache, dass einem der hervorstechendsten Merkmale der Solidarność – ihrem expliziten Bezug auf christliche Symbole und die katholische Soziallehre – in der Wahrnehmung westlicher Gewerkschafter eine eher untergeordnete Bedeutung zukam. Für christliche Gewerkschaften aus Belgien und Italien bildete der gemeinsame Bezug auf eine katholische Identität zwar ein verbindendes Element; für die Italiener scheint aber der Charakter der Solidarność als einer politisch unabhängigen Gewerkschaft und deren Bezugnahme auf die Würde menschlicher Arbeit eher noch wichtiger gewesen zu sein. Auf internationaler Ebene nahm der christdemokratische WVA sogar anfangs eine reserviertere Haltung gegenüber den Entwicklungen in Polen ein als der sozialdemokratische IBFG. Auch war die religiöse Dimension der Solidarność für sozialistische Gewerkschafter der Unione Italiana del Lavoro (UIL) oder der CFDT kein Hinderungsgrund, sich für ihre polnischen Kollegen zu engagieren.

Der mit dem Band verbundene Erkenntnisgewinn beschränkt sich nicht nur auf eine vergleichende Geschichte der Beziehungen zwischen Solidarność und westlichen Gewerkschaften. Vielmehr warf die Diskussion, wie man sich gegenüber der Polenkrise verhalten sollte, auch eine Reihe grundlegender Fragen auf. Dies betraf natürlich zuvorderst die Außen- und insbesondere die Entspannungspolitik. Der DGB oder die schwedische LO exponierten sich wohl auch deshalb weniger stark als ihre französischen oder italienischen Kollegen als Sympathisanten der Solidarność, weil sie ein militärischen Eingreifen der anderen Warschauer-Pakt-Staaten in Polen und die entsprechenden Folgen sowohl für die polnische Gesellschaft als auch die ohnehin angespannte internationale Situation fürchteten. Wie Friedhelm Boll und Małgorzata Świder sowie Klaus Misgeld in ihren Beiträgen zu DGB bzw. LO zeigen, ging diese Haltung dennoch mit einer weitreichenden Polensolidarität einher.

Die Entstehung der Solidarność berührte jedoch nicht nur außenpolitische Fragen. Wie Goddeeris in seiner Einleitung darlegt, war ein wesentliches Moment westlicher Solidarität mit Solidarność die Frage, inwieweit dieses politische Engagement anschlussfähig an Debatten in den Ländern Westeuropas selbst war. Die Geschichte westlicher Unterstützung für die polnische Opposition bündelt daher eine Reihe von den Diskursfäden der politischen und intellektuellen Debatten einer durch die „Erschöpfung utopischer Energien“ und damit eine „neue Unübersichtlichkeit“ geprägten Zeit.1

Deutlich wird dies an den Beispielen Frankreichs und Großbritanniens. Wie Andrzej Chwalba und Frank Georgi zeigen, war die breite Solidarität für Solidarność unter den sozialistischen Gewerkschaften der CFDT auch Teil der Suche nach einer dezidiert linken Antwort auf die Krise des marxistischen Projekts, an der sich neben Gewerkschaftern auch Intellektuelle wie Pierre Bourdieu oder Michel Foucault beteiligten. Die Situation in Polen wurde dabei zur Projektionsfläche französischer Hoffnungen auf einen dritten Weg in Form eines auf Arbeiterselbstverwaltung basierendem „socialisme autogestionnaire“.

Aus dem Beitrag Stefan Bergers und Norman LaPortes zu Großbritannien geht hervor, dass die eher moderate Haltung des britischen Trade Union Congress (TUC) wesentlich aus der etwa von Tony Benn geäußerte Angst zu erklären ist, dass man es bei der Solidarność mit einem „Polish Thatcherism“ zu tun habe (S. 138). Hier wurde Polen also nicht zur Projektionsfläche von Hoffnungen auf einen Ausweg aus der durch die 1970er-Jahre induzierten Krise, sondern von Ängsten vor der neoliberalen Antwort auf sie.

Die Artikel zu Schweden, Italien, Großbritannien oder Frankreich zeigen, dass eine Antwort auf das zuletzt genannte Problem darin bestand, eine Parallele zwischen dem Kampf um Gewerkschaftsrechte in Polen und Chile herzustellen; damit wurde die Solidarność aus dem Kontext des Kalten Kriegs herausgelöst und als Teil eines den Systemkonflikt übergreifenden Kampfes um Menschen- und Gewerkschaftsrechte interpretiert.

„Solidarity with Solidarity“ stellt also eine Pionierleistung dar, die über die polnische Zeitgeschichte und die Gewerkschaftsgeschichte hinaus anschlussfähig für eine Reihe zeithistorischer Forschungskontexte ist. Ein erster Kritikpunkt betrifft die Tatsache, dass dieser Erkenntnisgewinn insgesamt implizit bleibt. Zwar spannt Goddeeris in seiner Einleitung einen vergleichenden Kontext auf; es stellt sich aber die Frage, ob eine andere Strukturierung der Beiträge zum Beispiel entlang einer Typologie von Verhaltensweisen oder auch ideologischer Orientierungen der Gewerkschaften den analytischen Mehrwert der Beiträge jenseits einer bloßen Bestandsaufnahme von Hilfsaktionen hinaus noch stärker akzentuiert hätte. Die bloße Auflistung der untersuchten Länder in umgekehrt alphabetischer Reihenfolge macht die Lektüre bisweilen etwas ermüdend.

Weiter ist es bedauerlich, dass sich die Beiträge auf Westeuropa konzentrieren und damit die American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations (AFL-CIO) ausgespart bleibt, die neben der CFDT der aktivste westliche Unterstützer der Solidarność war. Damit bleibt die wichtige transatlantische Dimension der Solidarität für Solidarność unberücksichtigt. Auch hätte das Engagement der AFL-CIO angesichts der Übereinstimmung der ordnungspolitischen Vorstellungen von Reagan und Thatcher interessante Vergleichsmöglichkeiten zur TUC geboten.

Am schwersten wiegt jedoch ein letzter Kritikpunkt, nämlich die Tatsache, dass der Band kaum Antworten auf die Frage gibt, wie die Solidarność selbst die westliche Hilfe eingeschätzt hat und welche Bedeutung diese Unterstützung für die Ereignisse von 1989 hatte. Gerade vor dem Hintergrund der zeithistorischen Kontroverse zu den Gründen für das annus mirabilis hätte der Band hier einen interessanten Beitrag leisten können.

Trotz dieser Kritikpunkte ist „Solidarity with Solidarity“ ein exzellenter Sammelband, der einen wichtigen Beitrag sowohl zur Internationalisierung der polnischen Zeitgeschichte als auch zur Weiterentwicklung der Geschichte des Ost-West-Konflikts leistet. Indem er die gewerkschaftliche Dimension von Polens Oppositionsbewegung und der westlichen Unterstützung für sie herausarbeitet, wirft er auch das Paradox auf, dass Gewerkschaften in den 1980er-Jahren eine bedeutende internationale Rolle gespielt zu haben scheinen, dass sie aber gleichzeitig in diesem Zeitraum einen weitgehenden Bedeutungsverlust hinnehmen mussten. Damit kann der anzuzeigende Sammelband auch dazu beitragen, eine zu stark auf den Fluchtpunkt von 1989 ausgerichtete Sichtweise der 1980er-Jahre zu problematisieren und die Unwägbarkeiten und Kontingenzen der Geschichte dieses Jahrzehnts in grenzübergreifender Perspektive in den Blick zu nehmen.

Anmerkung:
1 Jürgen Habermas, Die Krise des Wohlfahrtsstaats und die Erschöpfung utopischer Energien [erstm. 1985], in: ders., Die Moderne. Ein unvollendetes Projekt, Frankfurt am Main 1994, S. 105-129; zu den 1970er- und 1980er-Jahren als Umbruchszeit siehe auch Andreas Wirsching (Hrsg.), The 1970s and 1980s as a Turning Point in European History? in: Journal of Modern European History 9 (2011) 1, S. 7-26.

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