I. Meinen: Wehrmacht und Prostitution

Titel
Wehrmacht und Prostitution im besetzten Frankreich.


Autor(en)
Meinen, Insa
Erschienen
Bremen 2002: Edition Temmen
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 22.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Gunilla-Friederike Budde, FMI, FU Berlin

Ende 1918 zeigte sich Marianne Weber ebenso bestürzt über die schwindende "sexuelle Selbstdisziplin unter Soldaten im Feld" wie über die staatliche Politik, die die Prostitution für die Armee organisierte. "Die geschlechtliche Notdurft", schrieb sie, "hat vielfach auf völlig gemütlose, ja tierische Art gestillt werden müssen". Was die frauenbewegte Publizistin mit Blick auf den Ersten Weltkrieg konstatierte, hatte sich während des Zweiten Weltkriegs auf Initiative der Wehrmacht zu einem systematisch ausgebauten Bordellsystem entwickelt. Die Historikerin Insa Meinen hat diesen in der Forschung bislang kaum beleuchteten Aspekt des Krieges für das besetzte Frankreich zwischen 1940 und 1944 detailliert nachgezeichnet.

Vier Großkapitel gliedern ihre Studie: Zunächst zeichnet sie Grundzüge von Besatzung, Prostitution und Geschlechterpolitik nach, fragt nach Zielrichtung, Begründung und Hintergrund des deutschen Vorgehens sowie nach der Frauen- und Familienpolitik der Vichy-Regierung. Der Bedarf einer "sexuellen Versorgung" der Wehrmachtsangehörigen wurde nicht nur an den sich allabendlich stapelnden deutschen Uniformmützen "in den Garderoben der einschlägigen Etablissements" (S. 70) registriert, sondern auch in "Bordellstatistiken" bürokratisch genau festgehalten. "Die Bordelle wurden in 14 Tagen von 8984 Soldaten besucht, von denen 2467 den Geschlechtsverkehr ausübten", lautete etwa der Bericht des Kommandaturarztes aus Angers (S. 26f.). Diesen Bedarf galt es zu kontrollieren und zu kanalisieren. Zentralisierung und Standardisierung des Bordellsystems wurden bereits im Juli 1940 als Grundbedingungen formuliert, um einer "wilden, klandestinen Prostitution" ein Ende zu bereiten. Die damit in Gang gesetzte Überwachung der Prostitution firmierte unter dem Titel "Gesundheits- und Seuchenwesen".
Wehrmachtsbordelle wurden explizit als "Seuchenschutzeinrichtungen" bezeichnet und "freie" Prostituierte als potentielle "Ansteckungsquellen" diffamiert. Über militärärztliche Gesichtspunkte hinaus begriff das Wehrmachtssanitätswesen die so intendierte Prävention der Geschlechtskrankheiten auch als bevölkerungspolitische Aufgabe: die deutschen Soldaten sollten gesund und zeugungsfähig an die Heimatfront zurückkehren. In der Sprache der Verfügungen wiederholten sich, wie Insa Meinen plausibel analysiert, Klischees von Frankreich als Land der Liebe und der sexuellen Ausschweifungen, verknüpften sich Ansteckungsphobie, mit antifranzösischen Ressentiments und männerbündischer Frauenverachtung. Die von deutscher Seite erlassenen Anordnungen zur Überwachung von Prostitution fügten sich offenbar nahtlos in die Grundlinien der Politik des Vichy-Regimes. Indem es unter der Ägide der Besatzer dafür Sorge trug, den Kontakt der Wehrmachtssoldaten zur weiblichen Zivilbevölkerung auf registrierte Prostituierte und kontrollierte Bordelle zu begrenzen, hoffte es,"die eheliche Treue der Soldatenfrauen" zu stützen und zu schützen.

Nicht nur in der Grundintention, auch In der praktischen Kontrolle, Überwachung und Verfolgung von "freien" Prostituierten, der sich Insa Meinen in ihrem zweiten Kapitel zuwendet, erwies sich die deutsch-französische Zusammenarbeit als effektiv. Wehrmacht und französische Polizei arbeiteten zum Teil Hand in Hand, unterstützt von berichtspflichtigen und -bereiten deutschen Soldate und von französischen Bordellwirtinnen, die die Eindämmlung der illegalen Konkurrenz begrüßten. Da auf diese Weise jedoch Kontakte jenseits der Prostitution nicht eingeschränkt werden konnten, verfolgte der Wehrmachtssanitätsdienst deutsch-französische Liaisons generell. Vor allem bei der Wehrmacht als Bürokräfte, Putzfrauen und Küchenhilfen beschäftigte Französinnen gerieten unter Generalverdacht sexueller Freizügigkeit, vor allem dann, wenn ihre Ehemänner in deutscher Kriegsgefangenschaft saßen. Konflikte zwischen den französischen Behörden und den deutschen Militärs entstanden, wenn Freundinnen deutscher Soldaten von der französischen Polizei als Prostituierte geschmäht und verfolgt wurden. In solchen Fällen wandten sich Französinnen dann schon einmal an den Kreis- oder Standortkommandanten, um gegen die Verfolgung der französischen Sittenpolizei zu protestieren. Einmütigkeit herrschte zwischen französischen Behörden und Wehrmacht hingegen dann wieder, wenn es um die gesundheitspolizeiliche Kontrolle, die Einführung von regelmäßigen Zwangsuntersuchungen und die "Hospitalisierung" - gemeint war eine Klinikeinweisung – von vermeintlich oder wirklich geschlechtskranken Frauen ging. Dazu wurden zum Teil geschlossene Abteilungen in den bestehenden Krankenhäusern, stellenweise auch neue Hospitäler eingerichtet.

Die Internierung von Frauen unter Prostitutionsverdacht in spezielle Lager, die die Autorin in ihrem dritten Kapitel untersucht, stellte eine noch verschärftere Form des Einschlusses dar. Auch hier waren sich die deutschen und französischen Dienststellen weitgehend einig, daß solche "frei umherlaufenden professionellen Gelegenheitsprostituierten", die "filles soumises", als "Sicherheitsrisiko" einzustufen seien. Unter ihnen lag wiederum die Zahl der Frauen mit Männern in Kriegsgefangenschaft auffällig hoch. Offenbar, so vermutet Meinen, wollte man auf diese Weise ihre eheliche Treue erzwingen, schließlich wurde nicht selten ihre Inhaftierung mit Ehebruch begründet. Unter den Internierten fanden sich überdies ehemals geschlechtskranke Prostituierte, denen nach klinischer Behandlung eine mehrmonatige Karenzzeit auferlegt wurde. Während die deutschen Besatzer mit der Lagerinternierung ihre Verfügungsgewalt darüber zu behaupten suchten, welche Frauen privat oder beruflich mit deutschen Soldaten verkehren durften, verfolgten die französischen Behörden zusätzliche eigene Ziele, die in der moralischen Verurteilung des weiblichen Lebenswandels lagen und der Bewahrung der Geschlechterordnung während der Okkupation dienen sollten. Die Lebensbedingungen in den Lagern waren katastrophal, Unterernährung und Typhus an der Tagesordnung. Im Frühjahr 1942 wurde - pikanterweise auf Intervention einer französischen Sozialarbeiterin - zusätzlich Zwangsarbeit eingeführt.

Eine nächste Station vor allem für minderjährige Frauen konnte eines der Bon Pasteur-Häuser sein, die schon im 19. Jahrhundert als "Besserungsanstalten" ins Leben gerufen worden waren. Viele andere wurden jedoch anschließend in eines der eigens errichteten Wehrmachtsbordelle gebracht, wie Insa Meinen in ihrem letzten Kapitel zeigt. Bei deren Einrichtung konnten die Besatzungsbehörden teilweise auf vorhandene französische Bordelle oder Absteigequartiere zurückgreifen und diese beschlagnahmen. Darüber hinaus bauten sie das Bordellsystem noch beträchtlich aus. Diese "Etablissements" waren ausschließlich den deutschen Soldaten zugänglich, für Offiziere gab es zum Teil noch Varianten der "gehobenen Kategorie", wovon allein in Paris sechs bei einer Gesamtzahl von 40 existierten. Im Laufe der Besatzungszeit führte die Wehrmacht die Abstufung des Bordellsystems nach Nationalitäten und Hierarchiestufen noch weiter fort. Diese Wehrmachtsbordelle funktionierten in der Regel nach dem Muster des traditionellen "maison close", in denen hinter einer möglichst neutralen Fassade Frauen rund um die Uhr bereitzustehen hatten. Daß diese Bordelle einen regen Besucherstrom verzeichnen konnten, der sich offenbar von dem festgelegten Mindestpreis von 3 RM nicht aufhalten ließ, wurde in Berichten verzeichnet und mit Genugtuung registriert. Nach der Befreiung Frankreichs im August 1944 verbuchten maßgebliche Vertreter des OKH die Bordellorganisation und Prostituiertenverfolgung im besetzten Frankreich als Erfolg des Wehrmachtsanitätsdienstes. Mit der Einkreisung prostitutionsverdächtiger Französinnen und der Errichtung des Bordellsystems sahen die deutschen Behörden das Ziel erreicht, ihre Entscheidungsmacht, welche Frauen Kontakt zu ihren Soldaten aufnahmen und unter welchen Umständen dies geschah, zu sichern und die Geschlechterbeziehungen zwischen den Besatzungstruppen und der weiblichen Zivilbevölkerung zu reglementieren.

Bei Insa Meinens Studie handelt es sich um eine beeindruckende Untersuchung, die die deutsch-französische Kollaboration aus einem neuen, vor allem männergeschichtlichen Blickwinkel analysiert. Dafür zieht sie reichhaltiges, unveröffentlichtes Aktenmaterial als Quellenbasis heran, das sie gut strukturiert und analysiert präsentiert. In dieser Beziehungsgeschichte besonderer Art kommen jedoch fast ausschließlich Besatzungsmacht und Vichy-Behörde zu Wort. Es handelt sich vor allem um "Männerblicke" von oben, die (Erfahrungs-)Seite der Frauen bleibt dagegen eher blaß, der "Alltag" der Beziehungen bleibt vage Ahnung. Die Prostituierten und die als solche Verdächtigten erscheinen vornehmlich als "Objekte" männlicher Bürokratie und Begierden, als Akteurinnen tauchen sie nur selten auf. Daß mag einerseits der Quellenlage geschuldet sein. Andererseits verweist die Autorin selbst wiederholt auf weibliche Proteste, Fluchten und Widerstände, ohne diesen ähnlich viel Aufmerksamkeit und Raum zu widmen wie den zum Teil redundant vorgeführten Kontrollmaßnahmen und Strafaktionen von Besatzern und Vichy-Behörden. Dennoch: Mit ihrer gut lesbaren Monographie geht Insa Meinen einen weiteren wichtigen Schritt zur deutsch-französischen "histoire croisée" und zur Entzauberung der deutschen Wehrmacht.

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