Titel
Geschichte des Irakkriegs. Der Sturz Saddams und Amerikas Albtraum im Mittleren Osten


Autor(en)
Bierling, Stephan
Erschienen
München 2010: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
253 S
Preis
€ 12,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Erik Fischer, Zivildienstschule Ith

„Niemand beginnt einen Krieg – oder vielmehr sollte vernünftigerweise einen Krieg beginnen –, ohne sich zunächst darüber klar zu werden, was er mit diesem Krieg erreichen will und wie er ihn führen will.“ (S. 7) Kaum ein Zitat scheint besser geeignet, das Dilemma des Irakkrieges auf den Punkt zu bringen, als diese Aussage von Carl von Clausewitz, die Stephan Bierling seinem Buch voranstellt.

Bierling hat eine dichte und hervorragend zu lesende Analyse des Irakkrieges vorgelegt. Über diesen erst jüngst zu Ende gegangen Krieg hat man viel gehört und als Zeitzeuge viel gemutmaßt. Am Ende der Lektüre von Bierlings Studie bleibt ein Gefühl zurück: Man ist schockiert, wie viel von dem sich bestätigt, was man immer schon befürchtet hat.

Dabei macht Stephan Bierling, der einen Lehrstuhl für Internationale und Transnationale Beziehungen an der Universität Regensburg innehat, gleich zu Beginn klar, dass dieses Buch keine Verschwörungsgeschichten erzählen will. In der Tat arbeitet er diese äußerst kritisch auf und zeigt, dass weder Öl, noch Israel, noch neokonservative Mächte oder der Besitz von Militärbasen im Mittleren Osten der ausschlaggebende Grund für den Krieg waren. Bierlings Buch ist stattdessen die schonungslose Abrechnung mit einer amerikanischen Politik, die es in knapp fünf Jahren schaffte, sich vollständig selbst zu desavouieren. Und es ist die Geschichte davon, wie der Kreis um Bush nach den Anschlägen vom 11. September in einen Strudel von „Alarmismus, Selbsttäuschung und Allmachtsphantasien“ (S. 7) abglitt.

Ausgangspunkt ist der 11. September 2001 mit seiner unheimlichen Schockwirkung. Vor dem Hintergrund dieses Ereignisses analysiert Bierling den Irakkrieg als einen „Akt imperialer Selbstbestätigung“ (S. 100). Nach der Demütigung durch die Anschläge wollte die Regierung unter George W. Bush ein Exempel statuieren, indem man der Welt und speziell der so genannten „Achse des Bösen“ zeigte, dass Amerika uneingeschränkt handlungsfähig und willens war, auf Angriffe mit aller Härte zu reagieren. Der 11. September erscheint dabei ohne Zweifel als eine Zäsur in Bushs Präsidentschaft. Dieser zog sich in seinen engsten Vertrautenkreis, bestehend aus dem Vizepräsidenten Richard Cheney, dem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, zurück und erarbeitete allein mit diesem eine neue Strategie: Weg von der Eindämmung feindlicher Kräfte, hin zur präventiven Bekämpfung des „Bösen“ in aller Welt – und der Irak sollte zum Testlauf der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“ werden.

Deren Kern war das Zusammenspiel von militärischer Übermacht, Präventivkrieg und Demokratieexport. Der Irak rückte als Ziel in den Fokus, weil er in der „Achse des Bösen“ das schwächste Glied war: Es lagen 16 Resolutionen der Vereinigten Nationen gegen ihn vor und ein militärischer Sieg war im Falle eines Krieg mehr als wahrscheinlich. Auch schien es der Bush-Regierung nicht sonderlich schwer die Stimmung gegen den Irak zu wenden. Der geeignete Aufhänger war es, Saddam Hussein den Besitz und potentiellen Einsatz von Massenvernichtungswaffen vorzuwerfen sowie eine Verbindung zu Al Qaida zu unterstellen. Stephan Bierling gewährt diesem intensiv diskutierten Vorwurf, der seinen Höhepunkt erreichte, als Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 dem UN-Sicherheitsrat die angeblichen Beweise für die Massenvernichtungswaffen im Irak präsentierte, breiten Raum. Fakt ist, und auch das zeigt Bierling eindrücklich, dass die Vorwürfe jeder Grundlage entbehrten. Erschreckend an dem Prozess war, dass in der amerikanischen Regierung ein Klima entstanden war, in welchem vom Kurs eines Krieges gegen den Irak abweichende Meinungen nicht mehr gehört, geschweige denn gewollt waren. Das Militär war in vielen Entscheidungen außen vor oder arbeitete dem Präsidenten und seinem Team bereitwillig zu, genauso wie die CIA, die Bush stets mit den Informationen versorgte, die er hören wollte.1 In frappierender Weise erinnerte die Stimmung in den USA am Vorabend des Krieges gegen den Irak an die Vorbereitung des Vietnamkrieges unter Präsident Lyndon B. Johnson.2

Letztlich ist keine endgültige Entscheidung darüber zu treffen, ob die Regierung Bush Beweise für den Irakkrieg bewusst manipulierte. Alle in diese Richtung gehenden Aussagen gehören in das Gebiet von Verschwörungstheorien. Auch wenn Stephan Bierling mit der Regierung Bush hart ins Gericht geht, analysiert er diese doch immer im Rahmen ihrer eigenen Interpretation der Welt und Politik. Bewundernswert ist dabei sein Versuch, die Persönlichkeit George W. Bushs immer wieder auch psychologisch zu erschließen. Die Analyse von Bierling lässt den Schluss zu, dass sowohl die CIA, als auch die neokonservativen Vertrauten und Bush selbst jedem noch so kleinen Indiz für Massenvernichtungswaffen oder Verbindungen des Irak zu Al Qaida Glauben schenkten und solche Indizien unter dem Eindruck des 11. Septembers und einer fast schon wahnhaften Angst vor dem Niedergang der USA übertrieben. Der ehemalige Direktor der CIA, George Tenet, brachte dies in seinen Memoiren passend zum Ausdruck: „Im Rückblick lagen wir teilweise deshalb falsch, weil die Wahrheit so unplausibel war. … Vor dem Krieg verstanden wir nicht, dass er [Saddam] bluffte, und er verstand nicht, dass wir es nicht taten.“ (S. 96)

Denn Saddam tat selbst nichts gegen den Vorwurf, dass er Massenvernichtungswaffen besäße, in dem irrigen Glauben, damit eine Vormachtstellung im Mittleren Osten – vor allem gegen den Iran – behaupten zu können und vor dem Hintergrund, dass er einen amerikanischen Angriff auf den Irak bis zuletzt für unwahrscheinlich hielt.

Irritierend ist im Nachhinein, dass Bush und sein Team den Irakkrieg zwar als Demonstration der transformativen als auch politischen und militärischen Macht der USA zu betrachten schienen, ihn dafür aber mehr als stümperhaft planten und letztlich bis zu einem gewissen Grade auch durchführten. Die Regierung der USA ging von einem schnellen Sieg über Saddam aus – was sich auch bewahrheiten sollte. Weiterhin waren sie der Ansicht, dass sich mit dem Sturz des Diktators der Neubeginn im Irak von selbst regeln würde. Dabei machten sie ein ums andere mal deutlich, dass sie kaum Kenntnisse von den Vorgängen und Zuständen im Irak hatten – noch zwei Monate vor der Invasion stellten drei amerikanische Exiliraker beim Gespräch mit George W. Bush voller Entsetzten fest, dass dieser mit den Begriffen „Schiit“ und „Sunnit“ nichts anzufangen wusste (S. 128). Der für die Nachkriegsplanung zuständige Staatssekretär Douglas Feith sah den Irakkrieg ganz im Sinne von Bush und Rumsfeld als „Befreiungskrieg“ und ging demgemäß davon aus, dass das Land nach dem Ende der Kämpfe nur geringe auswärtige Hilfe benötigen würde. Donald Rumsfeld verweigerte sich einer soliden Nachkriegsplanung völlig und verfolgte stattdessen den Plan, die Truppen so schnell wie möglich wieder abzuziehen. Auch die nach dem Ende des Krieges eilig ins Leben gerufene Besatzungsbehörde arbeitete völlig an den Realitäten vorbei und als man sowohl die vormals herrschende Baath-Partei als auch die irakische Armee auflöste und die Menschen in die Arbeits- und damit Hoffnungslosigkeit entließ, schuf man sich erst einen Großteil der Probleme. George W. Bush verweigerte sich diesen jedoch weiterhin konsequent. Der Grund war, dass er selbst Nation-Building entschieden ablehnte – ein merkwürdiger Widerspruch zu seinem transformativen Anspruch des demokratischen Umbaus im Mittleren Osten. Der Irak versank unterdessen im Chaos.

Bierling zeichnet den Verfall des Irak in all seinen schrecklichen Facetten nach: von den Attentaten und Anschlägen im ganzen Land über den beginnenden und sich weiter verschärfenden Guerillakrieg hin zu Abu Ghraib und dem Vertrauensverlust in die USA. Dabei macht Bierling auch die zunehmende Entfremdung der Regierung Bush von der eigenen Bevölkerung und den eigenen Soldaten deutlich. Auf deren Frage an ihren Verteidigungsminister, warum ihre Fahrzeuge nicht endlich besser gegen Sprengfallen gepanzert würden, antwortete dieser lediglich: „Man zieht in den Krieg mit der Armee, die man hat, nicht mit der, die man haben möchte oder sich für spätere Zeit wünscht.“ (S. 165) Die Eskalation der Gewalt konnte erst mit dem unter General David Petraeus initiierten „Surge“, einer gewaltigen Truppenaufstockung, und der flächendeckenden Einführung von Aufstandsbekämpfungsmethoden gestoppt werden. Auch dies hatte nicht die Stabilisierung des Iraks zur Folge, weil es die USA zu lange versäumt hatten, politisch auf den Irak einzuwirken, und die Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten tief verwurzelt waren.

Was bleibt am Ende? Dass George W. Bush einen Krieg mit einer Lüge begonnen hat3, der schlecht geplant und noch schlechter durchgeführt wurde und der nur mit Mühe und Anstrengung zu einem für die USA erträglichen Ende gebracht werden konnte. Ein Krieg, der das Ansehen der USA schwer beschädigt hat und dem neuen Präsidenten Barack Obama, der sich nebenbei – wie Bierling immer wieder einstreut – von Anfang an gegen diesen Krieg ausgesprochen hat, ein schweres Erbe auferlegt hat. Ein Krieg, der die Militärmacht der USA stärken sollte, sie aber in Wahrheit desavouiert hat. Ein Krieg, der den Mittleren Osten stabilisieren und demokratisieren sollte, stattdessen aber einen Beitrag zu Radikalisierung verschiedenster Kräfte in dieser Region geleistet hat.

Ferner bleibt eine hervorragend geschriebene Geschichte des Irakkrieges zurück. Stephan Bierling hat die verdienstvolle Aufgabe übernommen, eine solche in deutscher Sprache zugänglich zu machen. Wenig lässt sich hier kritisieren. Die Geschichte liest sich bei ihm überaus spannend und man ist erfreut darüber, dass er immer wieder sachlich Stellung bezieht, aber niemals in krude Verurteilungen abgleitet. Die Verquickung von zeitgeschichtlicher und politikwissenschaftlicher Untersuchung des Gegenstandes, verbunden mit einer immer wieder eingehenden Analyse der Reden von George W. Bush und psychologischen Exkursen zum Zustand seiner Person, seiner Vertrauten und der Regierung überhaupt, macht die Studie so gewinnbringend und lesenswert.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Tim Weiner, CIA. Die ganze Geschichte, Frankfurt am Main 2008, bes. S. 630-642.
2 Vgl. dazu Herbert Raymond McMaster, Dereliction of Duty. Lyndon Johnson, Robert McNamara, the Joint Chiefs of Staff, and the Lies that led to Vietnam, New York 1997. H.R. McMaster diente als Colonel im Irakkrieg und wendete erfolgreich die Konzepte der Counterinsurgency in seinem Zuständigkeitsbereich an – eine Ausnahmeerscheinung.
3 Vgl. Bernd Greiner, Aus gegebenem Anlass. Ein Krieg, der mit einer Lüge begann und im Desaster enden musste, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 16,5 (2007), S. 4-16.

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