P. Yearwood: Guarantee of Peace: League of Nations

Cover
Titel
Guarantee of Peace. The League of Nations in British Policy 1914-1925


Autor(en)
Yearwood, Peter J.
Erschienen
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 76,78
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Michael Jonas, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg

Angesichts zahlreicher, in der Regel theoretisch sehr gesättigter Forschungsansätze in der Geschichte internationaler Beziehungen mag der Eindruck nicht unbegründet erscheinen, die traditionelle politikgeschichtliche Annäherung an die Thematik habe ausgedient. Peter J. Yearwood ist – aus guten Gründen, wie im folgenden zu zeigen sein wird – anderer Meinung und hat mit seiner 2009 veröffentlichten Studie einen gewichtigen Beitrag zur britischen Politik vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zum Locarno-Prozess Mitte der 1920er Jahre vorgelegt.

Auf Grundlage erschöpfend ausgewerteter Aktenbestände des Cabinet und des Foreign Office sowie einer enormen Breite an Nachlässen veranschaulicht Yearwoods Arbeit bis ins ab und an ein wenig schmerzhafte Detail, wie zentral der Völkerbundgedanke in der britischen Politik des Ersten Weltkriegs und der frühen 1920er Jahre verankert war. Britische Völkerbundkonzeptionen waren dabei, so Yearwood, in erster Linie pragmatisch auf Friedenssicherung abgestellt und in diesem Sinne konstitutiver Bestandteil des politischen Diskurses. Yearwood setzt sich damit dezidiert von der älteren Forschung ab, die die einschlägige Völkerbunddiskussion als idealistisch-utopischen Fremdkörper an den Rändern des ansonsten überwiegend realistisch geprägten politischen Binnenklimas im Großbritannien der Zwischenkriegszeit begriffen hat. Londons Politik im internationalen Kontext des Ersten Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit war dabei programmatisch auf das britisch-amerikanische Verhältnis ausgerichtet und an der Absicht orientiert, die Vereinigten Staaten über den projektierten Völkerbund zur verbindlichen Integration in eine vornehmlich europäische, in letzter Konsequenz freilich globale Stabilitätsordnung zu veranlassen. Nach dem Wegbrechen der Vereinigten Staaten als potentieller Garantiemacht einer europäischen Friedensordnung sah London sich zunehmend auf Frankreich zurückgeworfen, dessen kontinentale Hegemonialpolitik man über die Schaffung multilateraler Verbindlichkeiten und die ins Auge gefasste Versöhnung mit Deutschland einzuhegen bemüht war.

Yearwoods Darstellung folgt der britischen Politik chronologisch und bettet diese übersichtlich in den Kontext der institutionellen Genese und Entwicklung des Völkerbundes ein. Die eigentliche Leistung liegt dabei in der Synthese: minutiös rekonstruiert der Verfasser die politischen Krisen, mit denen sich der frühe Völkerbund konfrontiert sah und verortet diese überzeugend in einem übergreifenden narrativen Zusammenhang. Angesichts des unbefriedigenden Befunds, dass die zentralen Nationalitäten-Konflikte der unmittelbaren Nachkriegszeit bislang von der Forschung nur in Einzel- oder Fallstudien behandelt worden sind, erscheint Yearwoods übergreifender Ansatz von beträchtlichem Wert. Relatives Neuland betritt er überdies mit der Ausweitung der Perspektive auf den Ersten Weltkrieg. Über die peinlich genaue Nachzeichnung britischer Debatten von 1914 bis in die Schlussphase des Kriegs hinein gelingt ihm der Nachweis, daß es sich bei der intellektuellen und programmatischen Entwicklung des Völkerbundgedankens in Großbritannien weit weniger um einen US-amerikanischen Import der späten Weltkriegsphase als um ein eigenständiges Konstituens britischer Politik handelte. In den Fokus der Betrachtung rückt dabei der langjährige Advokat der Idee eines Völkerbundes, der konservative Politiker, passionierte Esperantist und spätere Nobelpreisträger Robert Cecil. In Absetzung vom Bilde eines exzentrischen Idealisten, als der Cecil gemeinhin porträtiert wird, hebt Yearwood dessen pragmatische Seite und nicht zuletzt jenen Machtwillen hervor, mit dem Cecil sich über seine Identifikation mit dem Völkerbund auch und gerade innerhalb der britischen Politik zu profilieren suchte.

Die streng politikgeschichtliche Annäherung Yearwoods, deren Praxis stark an Maurice Cowling und das High Politics-Paradigma der Historiker von Peterhouse erinnert, wirkt sich freilich auch zum Nachteil der Studie aus.1 Aspekte, die sich durchaus für eine transnationale Erweiterung des Themas angeboten hätten, so u.a. der virulente populäre Aktivismus zugunsten des Völkerbundes, werden nur sporadisch berücksichtigt und dann in der Regel aus der Sicht der einschlägigen politischen Verantwortungsträger wiedergegeben.2

Gravierend erscheint zudem die Weigerung des Verfassers, sich mit dem Stand der Forschung auseinanderzusetzen. Dies ist wohl in erster Linie dem Umstand geschuldet, daß es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine erweiterte und nur bedingt aktualisierte Dissertationsschrift handelt, die bereits 1981 an der University of Sussex eingereicht wurde. Auch wenn sich das politikgeschichtlich an den Quellen gesättigte Narrativ auch in dieser Form als tragfähig erweist, wäre eine Verortung im einschlägigen Forschungskontext insbesondere angesichts einer Vielzahl neuerer Veröffentlichungen zum Thema sicherlich förderlich gewesen. Während die Abwesenheit der einschlägigen nicht-englischsprachigen Forschungsarbeiten zum Thema (u.a. Eckhard Most, Joachim Wintzer, Maurice Vaïsse) noch zu verschmerzen sein dürfte, hinterlässt die Nicht-Einbeziehung der jüngeren englischsprachigen Forschung zum Völkerbund, insbesondere der Arbeiten von Andrew Webster und Patrick Cohrs, Yearwoods Studie in einem diskurs- und kontextarmen Zustand – dies umso mehr, als Yearwoods Plädoyer für eine Neubewertung des Völkerbunds in der britischen wie internationalen Politik der frühen Zwischenkriegszeit vom Gros der neueren Arbeiten mit Nachdruck gestützt wird.3

Ungeachtet dieser Vorbehalte handelt es sich bei Peter J. Yearwoods Studie gleichwohl um einen ungemein dichten, kohärent argumentierten und gleich in mehrfacher Hinsicht gewichtigen Beitrag zur Analyse der britischen Völkerbundpolitik des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit.

Anmerkungen:
1 Zum Cowling’schen High-Politics-Ansatz vgl. kürzlich David M. Craig, ’High Politics’ and the ’New Political History’, in: Historical Journal 53/2010, S. 453-475.
2 Die Möglichkeiten einer solchen Erweiterung sind erst kürzlich erneut durch einen Themenband der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft aufgezeigt worden: ”Globalisierung und transnationale Zivilgesellschaft in der Ära des Völkerbundes”, hg. v. Eckhardt Fuchs und Matthias Schulz (ZfG 54 [2006] 10); ähnlich auch Patricia Clavin/Jens-Wilhelm Wessels: Transnationalism and the League of Nations: Understanding the Work of its Economic and Financial Organisation, in: Contemporary European History, 14/2005, S. 465–92.
3 Vgl. Andrew Webster, The Transnational Dream. Politicians, Diplomats and Soldiers in the Pursuit of International Disarmament, 1920-1938, in: Contemporary European History 14/2005, S. 493-518; ders.: Making Disarmament Work. The Implementation of the International Disarmament Provisions in the League of Nations Covenant, 1920-25, in: Diplomacy & Statecraft 16/2005, S. 551-569; Patrick Cohrs, The Unfinished Peace after World War I: America, Britain and the Stabilisation of Europe, 1919-1932, Cambridge 2006.

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