P. Bren: The Greengrocer and his TV

Cover
Titel
The Greengrocer and his TV. The Culture of Communism After the 1968 Prague Spring


Autor(en)
Bren, Paulina
Erschienen
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 19,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Boyer, Fachbereich Geschichte, Universität Salzburg

Die Studie ist ein Beitrag zur Geschichte der “Normalisierung” aus kulturhistorischer Perspektive. Die Signatur der Spätphase des tschechoslowakischen Kommunismus in den 1970er- und 1980er-Jahren ist nicht einfach zu bestimmen. Mit der Auffassung, „normalizace“ sei nach dem “Tumult” von 1968 von der Führung und den Bürgern gleichermaßen herbeigesehnt worden, übernimmt Bren jedoch eine Propagandaphrase des Regimes. Recht hat Bren mit ihrer Einschätzung, die Forschung habe sich bis heute über den späten Kommunismus und dessen, gemessen an den Hoch-Zeiten des Stalinismus, „Ereignislosigkeit“ weitgehend ausgeschwiegen. Richtig ist sicherlich auch, dass die Lektüre der „top secret files“ für eine Studie über die “Normalisierung” jenseits der parteioffiziellen Phrasen kaum etwas hergibt. Man könnte aber doch sehr viel ausführlicher das umfangreiche Material berücksichtigen, das die Apparate auf allen Ebenen über praktisch sämtliche Aspekte des – wahren oder falschen oder wie auch immer – Lebens in der “Normalisierung” produziert haben. Man muss diese Unterlagen quellenkritisch lesen und (viel) Spreu von (sehr wenig) Weizen scheiden; „automatically“ (S. 6) liefern die Archive eine Geschichte des späten Kommunismus natürlich nicht.

Der von Bren gewählte Zugang zur “Normalisierung” hat dann allerdings durchaus innovative und instruktive Seiten: Die Studie stützt sich auf ausgewählte Produktionen des Tschechischen Fernsehens. In der Konsumgesellschaft des späten Sozialismus ist dieses bereits ein Massenphänomen, das eine bedeutende Rolle in der Medienlandschaft spielt. Brens Geschichte beginnt mit dem Prager Frühling. Die Interpretation der Reformbewegung ist allerdings, um es freundlich zu sagen, unterkomplex: “1968” erscheint als eine intellektuelle Übung, als ein irgendwie schief gelaufenes Universitätsseminar zum Thema “Dritter Weg”. Im Kampf um die Sprache, überhaupt um die Ideologie, wie er im Theater und in der Belletristik und – natürlich – auf der Kafka-Konferenz stattfindet, kommen neben der literarischen Intelligenz vornehmlich die Studenten vor. Die Auseinandersetzungen drehen sich, so hat es den Anschein, im Wesentlichen um Fragen des jugendlichen life style und um “Identitätssuche” im Generationenkonflikt. Nun war der Prager Frühling tatsächlich nicht oder nur am Rande eine Bewegung der Arbeiter; diese treten, wenn überhaupt, erst nach der Invasion kurzzeitig auf die Bühne. Allerdings: Es gibt eine lange Liste gravierender systembedingter wirtschaftlicher, sozialer und politischer Gravamina; in erster Linie diese werden – wenn auch nicht im einfachen Reiz-Reaktions-Modus – zu Impulsen der Reform. Auch eine kulturwissenschaftlich orientierte Diskursanalyse kann die knallharte Politik und die schnöde Ökonomie nicht so weitgehend ausblenden. Dies ist schon deshalb nicht angängig, weil die Reformdiskurse sich zentral um solche Fragen drehen und das Gesamtbild der Reform ohne diese Dimension verzerrt und vereinseitigt wird.

Die Darstellung schreitet weiter zum Übergang von Dubček zu Husák und zu den – bald antisemitisch gefärbten – Polemiken gegen die “Rechtsopportunisten” und tutti quanti. Neues erfährt man über die Säuberungen unter den Reformern und die Installierung neuer Eliten: der interne Dissens über die Wiederaufnahme früherer Reformer in den Stand der Gnade verweist auf polykratische Strukturen hinter der Fassade der “normalisierten” KPTsch. Aufs Ganze gesehen werden in diesen Abschnitten allerdings zu wenig die dicken Bretter der politisch-administrativen Strukturen und Entscheidungsprozesse gebohrt. Geboten wird ein bisserl Jan Palach-Verbrennung und „Plastic People of the Universe“, Charta 77, Havel und “Leben in der Wahrheit”, die “Zweitausend Worte”, Patočka, Benda, Mandler etcetc. Über dünne Aufgüsse dessen, was man im Wesentlichen weiß, über die nochmalige Nacherzählung der Diskursoberflächen im dissidentischen Intellektuellenmilieu gelangt Bren kaum hinaus.

Niveau gewinnt die Studie in ihrem Kernbereich: Nachdem bereits der Prager Frühling den Kommunismus ins Medienzeitalter katapultiert hat, wird im Übergang zur „Normalisierung“ das Fernsehen der Hand der Feinde entwunden und umfunktioniert. Die Kulturkader inklusive Entertainer, Schauspieler und Musiker werden durchleuchtet; allzu rigoroses Insistieren auf politische Zuverlässigkeit stößt, wie häufig bei solchen Säuberungsaktionen, an die Grenzen, die der Mangel an qualifiziertem Personal und die Funktionsfähigkeit der Institutionen ziehen. Inhaltlich setzt das Normalisierungsfernsehen auf soap. Ist die böhmische telenovela auch nicht so feucht und feurig wie die brasilianische, so präsentiert sie doch, immer zu familienfreundlichen Sendezeiten (und entsprechend breit und lebhaft nachgefragt) den Švejk (und seine Švejková) in Arbeit, Familie und Freizeit unterhaltsam und keineswegs penetrant propagandistisch – und gerade deswegen gekonnt glaubwürdig.

Vor allem die von Jaroslav Dietl produzierten Serien sind einer der wenigen Lichtblicke in der ansonsten tödlich langweiligen Landschaft des Partei-Fernsehens. Hier sind Brens exemplarische Analysen so fein gesponnen wie lehrreich: In der Welt der Fürsorgediktatur – die, jedenfalls auf dem Bildschirm, das Diktieren über dem Sich-Sorgen fast vergisst – begegnen wir dem volks- und lebensnahen Funktionär an der Alltagsfront; wir erhalten Einblick ins Hospital („Das Krankenhaus am Rande der Stadt“), in die Kaufhalle („Die Frau hinter dem Ladentisch“) und andere “kleine Räume” unter der milden Kuratel der Partei. Unverkennbar ist, in Zeiten der pronatalistischen Sozialpolitik und in Frontstellung gegen westlich-feministische Bilder von Selbstverwirklichung, die Restauration traditioneller Geschlechterrollen. “Normalisierung” nimmt die Bürger als Privatleute in ihren kleinen Familien ernst; hinter diesen zeichnet sich, als große Familie, die sozialistische Gesellschaft ab. Überhaupt ist die Welt der Serie nur prima vista unpolitisch, zart scheint im Hintergrund die Politik immer durch. Dietls Serien schildern nicht das reale Leben. Dietl lügt. Aber auch die falsche Aufbereitung des Lebens im Sozialismus ist Teil von dessen Wahrheit; Luhmann’sch gesprochen gehören eben auch das Beobachten von, das Reden über und das Zeigen von Gesellschaft zur Gesellschaft.

“Normalisierung” vermittelt, im Fernsehen wie überhaupt, ihre eigenen, von der egoistisch-materialistischen “westlichen” Selbstverwirklichung abgesetzten Vorstellungen von „sebeaktualizace“. Ruhigstellung der Bevölkerung durch Konsum allein hätte, wie Bren plausibel argumentiert, das Regime nach dem Prager Frühling kaum wieder ins Lot bringen können. Dazu bedarf es umfassender sozialer Sicherheit, vor allem aber der beträchtlichen Duldsamkeit vis-à-vis Minderleistung und Schlendrian am Arbeitsplatz, wie sie im Syndrom der „sociální pohodlí“, der “Kuscheligkeit”, als Hauptbelang und -attraktion des Normalisierungsregimes zusammenfließen. An dieser Stelle hätte man sich vielleicht noch tieferschürfende Erwägungen darüber gewünscht, warum die “Normalisierung” mit diesem augenscheinlich nicht unattraktiven Angebot eine gewisse Zeit lang reüssiert – und dann nicht mehr.

Insgesamt hinterlässt das Buch einen uneinheitlichen Eindruck. Dienstfertige Lobredner haben auf dem Rückumschlag des Bandes eine brillante, innovative, faszinierende Durchleuchtung breiter Graubereiche des “normalisierten” Lebens angekündigt – hier lässt der Verlag die Reklametrommeln zu laut rühren. Zwar hat Bren im Kern ihrer Studie einen schmalen Sektor der “Normalisierung” kundig, scharfsinnig und mit beträchtlichem Erkenntnisgewinn untersucht. Aber außerhalb dieses thematischen Zentrums hat sie eher lasch recherchiert. Die Präsentation ist zu eklektisch, die Analyse ist zu wenig analytisch. Als “Rampe” sind diese Passagen zu ausführlich; als Teile von Eigenwert aufgefasst, sind sie zu wenig innovativ und nicht ausreichend professionell gearbeitet.

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