Titel
Eva Braun. Leben mit Hitler


Autor(en)
Görtemaker, Heike B.
Erschienen
München 2010: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
366 S., 39 Abbildungen
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Birthe Kundrus, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Was macht eine Historikerin, wenn sie eine Biographie über eine Frau schreiben will, die fast keine Ego-Dokumente hinterlassen hat, über deren Haltungen und Handlungen man wenig bis gar nichts weiß, um die sich aber umso mehr Mythen ranken, weil sie mit einem der monströsesten Männer des 20. Jahrhunderts liiert war? Sie hat drei Möglichkeiten: Sie verwirft die Biographie und widmet sich einem ergiebigeren Thema. Sie schreibt die Biographie – mit dünnem Ertrag. Oder sie justiert ihr Thema neu und erweitert die Perspektive auf das Umfeld der Macht, in dem sich ihre Akteurin bewegte. Für diesen dritten Weg hat sich mit guten Gründen Heike B. Görtemaker entschieden. Ihre Biographie über Eva Braun ist weniger eine Lebensbeschreibung in klassischem Sinn als vielmehr eine Studie zur politischen Entourage um Hitler im „Dritten Reich“. Und unter diesem Blickwinkel bietet der Band durchaus einige Einsichten. Wie in diesem Zirkel auf dem Obersalzberg private und politische Sphäre verschmolzen, das hat man woanders so noch nicht gelesen. Welche Wirkung allerdings diese Hof-Gemeinschaft auf Entscheidungen und Entschlüsse Hitlers ausübte, wird dann – mangels Quellen und weil das Ganze ja noch eine Biographie sein soll – nicht weiter ausgeführt.

Dennoch bleiben auch die Erkenntnisse zu Braun bemerkenswert. Weder war Eva Braun „Hitlers Dummchen“ noch eine „Mätresse des Bösen“. Diese banalisierenden Einschätzungen beherrschten ja lange Zeit die Szenerie – auch in der Historiographie. Görtemaker kann indessen ausführlich schildern, wie eine so blasse Persönlichkeit wie Eva Braun es schaffte, einen Platz an der Seite des „Führers“ zu erobern und sich 16 Jahre im Haifischbecken des NS-Systems zu behaupten. Dazu brauchte es eine gewisse Kompromisslosigkeit – Braun wusste durchaus ihre Interessen an Partys und einem unbeschwerten Leben mit viel Sport und Fotografieren durchzusetzen – und ein vielleicht nicht immer reflektiertes Spiel mit Weiblichkeitsklischees. Dieses Spiel beinhaltete auch, auf die Unterschätzung der eigenen Person zu kalkulieren. Die Bindung Hitlers an diese Frau wiederum beruhte auf deren Treuebeweisen. Brauns Loyalität wurde nicht zuletzt darin deutlich, dass sie zu einer Existenz im Verborgenen gezwungen war. Denn die Inszenierung des „Führers“ als charismatische Erscheinung, als neuer Messias, habe, so Görtemaker, keine Frauen vorgesehen. Erst mit der Heirat im April 1945 und dem anschließenden Selbstmord sei diese Täuschung der Öffentlichkeit, die vermutlich auch eine Selbsttäuschung Hitlers war, beendet worden.

So weit, so gut. Doch ist der Fokus auf Hitlers Hofstaat in Berlin, München und auf dem Obersalzberg mit nur gelegentlichen Verweisen auf Braun auch ein Segeln unter falscher Flagge. Leserinnen und Leser, die eine Biographie über Hitlers Geliebte erwarten, werden vermutlich enttäuscht, geht es doch in weiten Teilen eben nicht um Braun. Und auch die angeblich zentralen Fragen werden nicht wirklich beantwortet, können dies vielleicht auch gar nicht, wie etwa im Falle von: Was hieß es, mit Hitler zu leben? Bei manchen dieser Fragen bleibt die Autorin auch eindeutige Antworten schuldig, zum Beispiel zu: Welche Rolle spielte die Geliebte in Hitlers privatem Kreis? Offenbar eine kleine. Über wie viel Einfluss verfügte sie? Offenbar über wenig. Und was wussten sie und die anderen Frauen der NS-Führer über die Verbrechen ihrer Männer? Offenbar mehr, als sie nach dem Krieg gewusst haben wollten. Über das Paar Braun/Hitler erfahren wir also vergleichsweise wenig Neues, stattdessen bekommen wir in der Tat ein umfassendes Porträt der „Berghof“-Gesellschaft. Der Titel des Bandes „Eva Braun. Leben mit Hitler“ ist somit trügerisch. Er deutet erst im Untertitel und dort auf den zweiten Blick an, worum es in dem Buch eigentlich geht: um Hitlers ausgeprägtes, aber hochpolitisiertes Privatleben, gruppiert um die Person Eva Braun. Dass der Verlag und die Autorin diese Doppeldeutigkeiten nicht vermieden haben, kann ich mir nur mit der Hoffnung auf Publicity erklären. Insofern erstaunt die angebliche Überraschung seitens Görtemakers und des Beck-Verlages über die große öffentliche Aufmerksamkeit, die der Band hervorgerufen hat. Mittlerweile soll ja sogar eine Verfilmung geplant sein. Meine Studierenden, mit denen ich Ausschnitte des Buches las, hatten jedenfalls offenbar etwas Anderes erwartet. Trotz des streng akademischen Ansatzes fanden sie das Buch zu populär und fühlten sich als Leserinnen und Leser nicht ausreichend ernst genommen. Ihre Enttäuschung gründe, so der Tenor dieser Kritik, auch im journalistischen Stil der Autorin. Dieser schien ihnen oberflächlich und nur scheinbar nüchtern.

Wahrscheinlich äußert sich hier die Strenge der jüngeren Generation. Aber Aufbau und Schreibstil von Görtemaker sind zumindest gewöhnungsbedürftig. Immer wieder werden große Themen angesprochen, werden Erwartungen geweckt, die weder die begrenzte Quellenlage noch die somit begrenzten Aussagen noch die gegenüber begrifflicher Tiefenschärfe kühle Autorin erfüllen können oder wollen. Einleitung und Schluss zum Beispiel umfassen je vier Seiten, die das Thema in Umrissen, aber in „großen“ Dimensionen skizzieren. So soll ausweislich der Einleitung der Band eine neue Perspektive auf Hitler bringen und zu dessen Entdämonisierung beitragen. Aber auch das „Gewöhnliche, Durchschnittliche“ von Eva Braun, deren „‚Normalität‘ in der sie umgebenden Atmosphäre des ‚Bösen‘ wie ein Anachronismus wirke“, werde das Böse in einem „anderen Licht erscheinen“ (S. 11-12) lassen. Das scheint etwas viel Geraune um das „Böse“, ohne dies wirklich zu fassen.

Auch „nerven“ die ewigen Fragesätze, in denen mögliche Interpretationen der zumeist ja dürftigen Informationen gekleidet werden, wie etwa in folgender Passage: „Hitler entschied einfach nicht oder vertagte Beschlüsse, woraus jedoch keinesfalls abgleitet werden kann, er sei in seiner Herrschaftsausübung schwach, ja ineffizient gewesen. Denn dies war nicht der Fall. Doch warum verschanzte er sich? Bediente er sich etwa dieses psychologischen Mittels, um die Aura des unnahbaren, absoluten Herrschers zu verstärken? Oder scheute er nur zeitweilig die Konfrontation mit der Welt außerhalb seinen ‚Grand Hotels‘, wie Eva Braun den Berghof nannte?“ (S. 156). So wie diese Passage funktioniert, so funktioniert dieser Band. Vielleicht aber wären ein klarerer Zuschnitt und eine klarere Entscheidung ertragreicher gewesen: für eine Geschichte der Hitlerschen Entourage, für eine Studie zur Verquickung von Privatheit und Politik im Machtzentrum des Nationalsozialismus.

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