Titel
German Federalism. Past, Present, Future


Herausgeber
Umbach, Maiken
Reihe
New Perspectives in German Studies
Erschienen
Basingstoke 2002: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
215 S.
Preis
$ 68.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. phil. Willi Oberkrome, Wissenschaftsgeschichte/Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Freiburg/Historisches Seminar

So viele Fragen der deutsche Föderalismus in Vergangenheit und Gegenwart auch aufwerfen mag, so sicher ist, dass er sich bestens zur konfrontativen Meinungsbildung eignet. Seit gut zweihundert Jahren schwankt seine Bewertung auf der breiten Skala zwischen strikter Ablehnung und eindeutiger Zustimmung.

Einerseits griffen ihn maßgebliche Nationalisten ebenso entschlossen an wie richtungsweisende Sozialisten. Das föderale Fundament des Deutschen Bundes und des Kaiserreiches erschien ihnen als Hinterlassenschaft einer prinzipiell entwicklungshemmenden Kleinstaaterei mitsamt ihrer antiquierten Duodezherrlichkeit. An solche Vorbehalte knüpfte ein wenigstens impliziter Partikularismusverdacht an. Die deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts teilten ihn mehr oder weniger. Sie bemühten sich unter Aufbietung ihrer repressiven Potentiale darum, die konstitutionelle und ideelle Prägekraft des Föderalismus zunichte zu machen. Seine von den Alliierten herbeigeführte Restitution blieb ebenfalls nicht unwidersprochen und noch heute dauert die Kritik an. Sie hält dem ungebrochenen Einfluss der Länder vor, für den lähmenden ‚Reformstau’ in der Bundesrepublik und die ungleichen Lebensqualitäten in West- und Ostdeutschland mitverantwortlich zu sein. Hinzu kommt, dass ‚das Ausland’, nicht zuletzt benachbarte EU-Partner, der deutschen Ländervielfalt häufig mit Unverständnis und gelegentlich sogar mit Misstrauen begegnen.

Andererseits hat der strukturell wandelbare, in nuce jedoch beständige Föderalismus immer wieder dezidierten Zuspruch – auch über den nicht geringen Kreis seiner unmittelbaren Nutznießer hinaus – gefunden. Regionalisten und Heimatschützer, Raum- und Volkstumstheoretiker haben ihn jahrzehntelang zum Unterpfand eines intakten, kulturell und ökonomisch prosperierenden deutschen ‚Volkskörpers’ erklärt. Liberale Staatsrechtler machten ihn als bewährten Widerpart gesamtstaatlicher Machtanmaßung aus. Verwaltungsexperten stellen bis zur Stunde auf den Zusammenhang von dezentralen Regierungsvollmachten und ‚bürgernahen’ Entscheidungsfindungen ab. Bisweilen wird deutsches Erfahrungswissen über föderale Verfassungsmodelle und -wirklichkeiten als Wegweiser der politisch-konstitutionellen Vereinigung Europas bezeichnet.

Es liegt gleichsam auf der Hand, dass ein kontrovers beurteiltes Langzeitphänomen wie der deutsche Föderalismus eine geschichts- und politikwissenschaftliche Herausforderung ersten Ranges bildet. Maiken Umbachs Sammelband nimmt sie - nach einem Vorwort Hagen Schulzes und einer in die Thesen der Einzelbeiträge einführenden Problemskizze der Herausgeberin - in vierfacher Hinsicht an.

Zum einen geht er dem multilateralen und mehr noch dem normativen Erbe des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen nach. Joachim Whaley, der das vorrevolutionäre Staatensystem in der Mitte des Kontinents nochmals vor seinen Verächtern in Schutz nimmt, ohne es über Gebühr schön zu schreiben, macht zweierlei deutlich. Er widerspricht der Annahme, das semiföderale Gepräge des Reiches zum Vorbild der europäischen Vereinigung nehmen zu können. Gleichzeitig veranschaulicht er, in welchem Maße die „rechtsstaatliche“ Politik und Jurisdiktion vor allem der süddeutschen Mittelstaaten des frühen 19. Jahrhunderts auf Traditionen des ‚Alten Reiches’ bzw. ihrer aufklärerischen Auslegung fußten. Maiken Umbach greift diese Argumentation auf, indem sie die vom 18. Jahrhundert ausgehenden Kontinuitätslinien rechtsstaatlicher Prinzipien und Imaginationen bis in die Endphase des Kaiserreiches verlängert. Zwar habe die reale Struktur des Föderalismus einem unausgesetzten Wandel unterlegen, der die Konstruktion einer kausalen Verbindung zwischen dem Aufbau des Alten und des Wilhelminischen Reiches unmöglich mache, dennoch sei die ‚lange Dauer’ der deutschen föderalen Konzeptionen augenfällig. „There was a longue durée in German federal discourse, in that certain federal stereotypes, images and tropes, once invented, formed a kind of cultural repository which fuelled political debates on the subject over a long period. Elements of this repository … remained surprisingly constant between the late eighteens and early twentieth centuries” (S. 63).

Zum zweiten werden ausgewählte kulturelle Aspekte des Themas zur Sprache gebracht. Alon Confino, ein Kenner des württembergischen Heimatschutzes im kaiserlichen Deutschland, erläutert, wie der um lokale Geschichtsbilder, Lebensarten und naturale Embleme zentrierte Heimatgedanke den Reichsnationalismus geistig und emotional grundierte. Als legitimes „Kind der Moderne“ habe die Heimatidee für einen Ausgleich zwischen überlieferter Tradition und sozioökonomischen Veränderungstendenzen gesorgt. Die flächendeckende Präsenz eigenständiger, aber eng assoziierter Heimatwelten sei zum identitätsstiftenden Symbol des vereinten Deutschlands und seines föderalen Systems geworden. Martin Durell reflektiert den Entwicklungsprozess der deutschen Hochsprache vor dem Hintergrund zählebiger regionaler Dialekte. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, dass die Behauptung eines seit Jahrhunderten gleichermaßen verbindlichen wie verbindenden Gebrauchs einer homogenen deutschen Sprache nichts weiter als eine Geschichtslegende aus der Feder nationalistischer Philologen sei.

Zum dritten untersuchen Jeremy Noakes und Mary Fulbrook das Schicksal des Föderalismus unter diktatorischen Bedingungen. Noakes schildert die Entmachtung der Länder nach 1933 und liefert luzide Analysen der durch Personalunionen komplizierten Kompetenzrivalitäten zwischen Reichsstatthaltern, Oberpräsidenten und Gauleitern. Die These, dass sich im ‚Dritten Reich’ ein teilweise auf überlieferte regionalistische ‚Vergemeinschaftungsstrategien‘ zurückgreifender Gaupartikularismus entfaltete, der sich allerdings des wachsenden Einflusses ‚führerunmittelbarer’ Sonderbehörden und nach 1943 unifizierender ‚Neuordnungsmodelle’ des Himmlerschen Innenministeriums zu erwehren hatte, unterstützt der Autor nachdrücklich. Mary Fulbrooks Abhandlung über den Niedergang von Föderalismus und Regionalismus in der DDR verblüfft durch ihre Eindeutigkeit. Die renommierte Historikerin des sozialistischen Deutschlands hebt mit Recht hervor, dass beide Phänomene nicht ‚naturgegeben’, sondern in ihrer Reichweite und Gestalt politisch, gesellschaftlich und ökonomisch determiniert seien. Dadurch würden sie permanent verformt, transformiert, aktuellen Erfordernissen angepasst und – im ostdeutschen Fall – zum Verschwinden gebracht. Fulbrook attestiert der antiföderalen, zentralistischen Herrschaftspraxis der SED insofern einen anhaltenden ‚Erfolg’, als eine einheitliche, vergleichsweise prävalente ‚Ostidentität’ noch heute bestehe. Das unübersehbare Regionalkolorit der neuen Bundesländer erweise sich demgegenüber als eine eher artifizielle, cum grano salis zu vernachlässigende Erscheinung.

Zum vierten diskutieren Charlie Jeffery und Wolfgang Renzsch Veränderungen und Positionsverschiebungen des bundesdeutschen Föderalismus von 1970 bis zur Gegenwart. Ihre Argumentationsführung rankt sich um die Frage, ob das zunächst kooperative Miteinander der Länder im Zeichen eines inzwischen mehr und mehr umstrittenen Finanzausgleichs, wachsender Brüsseler Entscheidungsvollmachten und notorischer parteipolitischer Egoismen durch ein scharfes Konkurrenzverhältnis abgelöst worden sei. Während Jeffery mit der vor allem in Bayern und Baden-Württemberg vertretenen „Sinatra-Doktrin“ (I do it My Way) die Hoffnung auf innovative Impulse auf den zeitgenössischen Föderalismus verbindet, bleibt Renzsch skeptischer.

Ein kenntnisreicher und erfreulich kritischer Kommentar von Anthony J. Nicholls schließt einen Sammelband ab, dem – trotz einiger Defizite - das Verdienst zukommt, den deutschen Föderalismus aus unkonventionellen Perspektiven beleuchtet zu haben. Vor allem die Beiträge über den Stellenwert föderaler Imaginationen im ‚kollektiven Gedächtnis’ der Deutschen, die Hinweise auf die Abhängigkeit einzelstaatlicher Strukturbildungen von den vorherrschenden historischen Bedingungskonstellationen und die Darstellung der gegenwärtigen einschlägigen Konfliktlagen sollten einem breiteren Publikum zur Kenntnis gebracht werden. Deshalb ist eine baldige Übersetzung des Buches wünschenswert. Dieser Wunsch wird durch den Fingerzeig auf einige offene Probleme und Desiderata, die im folgenden lediglich stichwortartig genannt werden können, nicht gemindert. Zu ihnen zählen:

1. Der Verzicht auf eine angemessene Berücksichtigung des preußischen ‚Binnenföderalismus’, der im 19. und 20. Jahrhundert zur Popularisierung regionalistischer Vorstellungen erheblich beigetragen hat. „Zentralistisch“ regierte die preußische Monarchie im Hinblick auf die ‚harten’ Sachfragen – Steuern, Militär, Minderheitenpolitik usw. -; die Verantwortung für weite Bereiche der Kultur, der Sozialhilfe, der Landschaftsgestaltung usw. trugen hingegen die Provinzialverbände als explizite Sachwalter regionaler Spezifika. Ohne ihr in der bürgerlichen Öffentlichkeit honoriertes Zutun wäre der Zusammenhalt der alltagskulturell und konfessionell diversifizierten preußischen Landesteile schwerlich zu gewährleisten gewesen.

2. Die Ausblendung der Weimarer Republik und des frühen westdeutschen Teilstaats. Sowohl nach 1918 als auch nach 1945 erlebte der Föderalismus bzw. Regionalismus einen ungeahnten Auftrieb. Stichworte wie Reichsreformdebatte, Kulturraumforschung, Lutherkommission und ‚Renaissance des Heimatgedankens’ – für die sich übrigens mühelos Bearbeiter/innen hätten finden lassen - illustrieren diesen Befund. Im Kontext der Nachkriegszeiten gelangte eine volkstumsideologische Umdeutung der räumlich-föderalen Planungen und Theoreme zum Durchbruch, die sich seit den 1880er Jahren angekündigt hatte. Sie kam erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zum Erliegen.

3. Ein Ausweichen vor der nur scheinbar banalen Frage, wieso die – mit wenigen Ausnahmen - von den Alliierten am grünen Tisch konturierten Bundesländer weithin Akzeptanz finden, d. h. auch, wieso innerdeutsche Grenzkorrekturen in aller Regel zum Scheitern verurteilt sind. Offenbar haben viele Menschen ein Bedürfnis, sich mit ihren Herkunfts- oder Wohngebieten, mit vermeintlich ‚beständigen’ kleineren und mittelgroßen Regionen sowie den kulturellen Attributen ihrer Einwohnerschaft zu identifizieren. Über die Antriebskräfte, Funktionen, Mechanismen und historischen Varianten dieser – wie Anthony Nicholls zutreffend gegen Mary Fulbrook einwendet – auch in der DDR kaum zu leugnenden Identifikationsbegehren sind wir noch völlig unzureichend unterrichtet.

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