G. Lukomski: Problem "korytarza" w stosunkach

Titel
Problem "korytarza" w stosunkach polsko-niemieckich i na arenie miedzynarodowej 1919-1939.


Autor(en)
Lukomski, Grzegorz
Erschienen
Warschau 2000: ADIUTOR
Anzahl Seiten
294 S
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Oliver Loew, Deutsches Polen-Institut Darmstadt

Die deutsch-polnischen Beziehungen zwischen den Kriegen waren bekanntermaßen nicht die besten. Deutschland trauerte den an Polen verlorenen preußischen Provinzen nach, Polen versuchte sich der deutschen Revisionsbestrebungen zu erwehren. Eines der Schlagworte im politischen Streit der beiden Nachbarn war jenes vom „Korridor“ – es handelte sich um einen Teil der einstigen Provinz Westpreußen, der durch den Versailler Vertrag an Polen gekommen war und einerseits Ostpreußen vom Rest Deutschlands teilte, andererseits Polen einen freien Zugang zum Meer verschaffte, wie ihn US-Präsident Wilson 1918 gefordert hatte. Für beide Länder von hohem Symbolcharakter, war das von einer polnisch-kaschubischen Mehrheit und einer deutschen Minderheit bevölkerte Gebiet als eine der „Sollbruchstellen“ der Nachkriegsordnung prädestiniert.

Grzegorz Lukomski, Direktor des Posener Universitätsarchivs, erhellt nun die politische Diskussion, insbesondere die Propaganda um den „Korridor“. Damit betritt er zwar kein Neuland der Historiographie, immerhin aber hat die Geschichte des „Korridors“ bislang noch keine befriedigende Darstellung erfahren. Lukomski beschränkt sich auf die diplomatiegeschichtliche Dimension, was schade ist: Erst eine Erhellung der Situation „im Lande“, also der Bevölkerungsverhältnisse vor und nach 1919/20 (es kam zu einer großen Abwanderung von Deutschen), aber auch der wirtschaftlichen und sozialen Lage, hätte manche Argumentationsstränge der Propaganda erst deutlich gemacht. Hier hätte der Autor auf zahlreiche Arbeiten der letzten Zeit zurückgreifen können. 1

Die „Korridor“-Politik erhellt Lukomski durch die Auswertung des sehr umfangreichen zeitgenössischen Schrifttums, der gedruckten Aktensammlungen zur auswärtigen Politik der europäischen Staaten sowie ausgewählter Aktenbestände polnischer und deutscher Archive. In einem ersten Kapitel beschreibt er den politischen Hintergrund der Entstehung des „Korridors“, also insbesondere die Folgekriege des Weltkriegs (Großpolnischer Aufstand, polnisch-sowjetischer Krieg) sowie die Pariser Friedensverhandlungen. Dabei werden einerseits manche Faktoren stark überbewertet, so die deutschen Oststaat-Pläne, andererseits schlägt sich auf die Darstellung negativ nieder, daß der Autor viele zentrale historiographische Arbeiten zum Thema nicht berücksichtigt. 2

Ein zweites Kapitel beschreibt die „Korridor-Propaganda in der Weimarer Republik“. Dargestellt werden Institutionen der Deutschen Ostforschung und -politik, das deutsche Argumentationsrepertoire und polnische Abwehrbemühungen von Politik und Wissenschaft, aber auch die Rolle der Freien Stadt Danzig für die deutschen Revisionsbestrebungen. Einen zentralen Platz nimmt hierbei die Diskussion der verschiedenen Thesen ein, warum der „Korridor“ deutsch zu werden bzw. polnisch zu bleiben habe. Vergebens sucht man hier eine theoretische Fundierung, sei es in Richtung Stereotypenforschung, oder aber kommunikationswissenschaftlicher Ansätze. Auch in diesem Kapitel bleiben wichtige historische Untersuchungen unberücksichtigt. 3

Ähnlich strukturiert ist das folgende Kapitel über die Jahre 1933 bis 1939, das die diplomatischen Verwicklungen, deutsche „Argumente“ und polnische „Gegenargumente“ nachzeichnet und wiederum zahlreiche Standardwerke der Historiographie vernachlässigt. 4 Über das vierte Kapitel „Internationale Voraussetzungen und Implikationen des Korridor-Problems“ ist nicht viel mehr zu sagen, als daß es aus spärlicher Literatur die in Frankreich, Großbritannien, den USA sowie in Italien bezogenen Standpunkte präsentiert.

Bedenklich ist der interpretatorische Kontext, in den Lukomski seine Untersuchung bettet. Im Vorwort, besonders nachdrücklich aber in seinem Nachwort stellt er die deutsch-polnischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit ganz im Sinne der wirkmächtigen nationalistischen Scheuklappen-Perspektive der untersuchten Zeit als „weitere Etappe der traditionellen und konsequenten Idee“ dar, die zusammenzufassen sei mit dem „lapidaren, doch überaus aussagekräftigen gedanklichen Kürzel und mit der düsteren politischen Praxis des ‚Drangs nach Osten‘.“ (S. 258). „Tausendjährige schlimme Nachbarschaft“ habe hier ihren Ausdruck gefunden, doch Polens Kampf war „würdig und oftmals erfolgreich“ (S. 261). Deutschen Autoren und Politikern der Zwischenkriegszeit wird immer wieder Hinterlist bzw. Niedertracht (przewrotnosc) oder Verlogenheit vorgeworfen (S. 60), während polnische Verfasser „tiefschürfende wissenschaftliche Studien“ vorlegt hätten (S. 98). Zudem werden zeitgenössische Argumentationen der polnischen Nationaldemokratie unreflektiert übernommen (bspw. S. 80).

Insgesamt ist das vorliegende Buch somit Ausdruck einer neuen rechtskonservativen Historiographie, die in Polen auf einer Welle des Euroskeptizismus (der dennoch nur eine Minderheit der Polen überzeugt) an Einfluß gewinnt und in der Tradition der Nationalmythologie steht – das gedemütigte, aber tapfere Polen wird als Opfer fremder, meist deutscher, aber auch jüdischer Machenschaften wahrgenommen (unterschwellig läßt auch Lukomski antisemitische Stereotypen anklingen, wenn er die jüdische Identität eines englischen Außenpolitikers „entlarvt“ – S. 30, dazu auch S. 35). Summa sumarum ist Lukomskis Arbeit deshalb sehr problematisch und bereichert das Wissen um den „Korridor“ und seine politischen Hintergründe nur marginal.

Anmerkungen:
1 Vgl. alleine zur Frage der deutschen Bevölkerung: Marek Stazewski: Exodus: migracja ludnosci niemieckiej z Pomorza do Rzeszy po I wojnie swiatowej [Exodus: Die Migration der deutschen Bevölkerung aus Pommerellen ins Reich nach dem Ersten Weltkrieg], Gdansk 1998; Richard Blanke: The Orphans of Versailles: The Germans in Western Poland 1918-1939, Lexington 1993.
2 Zu den Oststaat-Plänen: Hagen Schulze: Der Oststaat-Plan, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1970, H.2, S.123-163; zu den Pariser Verhandlungen: Anna M. Cienciala: The Battle of Danzig and the Polish Corridor at the Paris Peace Conference of 1919, in: The Reconstruction of Poland, 1914-1923, hg. v. Paul Latawski, New York 1992, S.71-94; Alan Sharp: The Versailles Settlement. Peacemaking in Paris 1919, London 1991 u.v.a.m.
3 Als Auswahl: Peter Fischer: Die deutsche Publizistik als Faktor der deutsch-polnischen Beziehungen 1919-1939, Wiesbaden 1991; Jörg Hackmann: „Der Kampf um die Weichsel“. Die deutsche Ostforschung in Danzig von 1919-1945, in: Zapiski Historyczne 58 (1993), H.1, S.37-58; Christoph M. Kimmich: The Free City. Danzig and German Foreign Policy 1919-1939, New Haven 1968; Norbert Krekeler: Revisionsanspruch und geheime Ostpolitik der Weimarer Republik: Die Subventionierung der deutschen Minderheit in Polen 1919-1933, Stuttgart 1973. – Auch wichtige zeitgenössische Literatur findet keine Beachtung, so insb. der aufschlußreiche Sammelband Dantzig et quelques aspects du problème germano-polonais, Paris 1932 [= Centre Européen de la dotation Carnegie, Bulletins 1-5/1932].
4 Vor allem Anna M. Cienciala: Poland and the Western Powers 1938-1939. A Study in the Interdependence of Eastern and Western Europe, London 1968.

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