Titel
DDR ahoi!. Kleines Land auf großer Fahrt


Autor(en)
Biskupek, Andreas; Jacobs, Olaf
Erschienen
Halle an der Saale 2010: Mitteldeutscher Verlag
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Stirn, Berlin

Autobiografische Bücher zur Geschichte der DDR-Seefahrt liegen mittlerweile in größerer Zahl vor. Mit wachsendem zeitlichem Abstand zum Ende der DDR und der eigenen Karriere auf See spüren immer mehr Seeleute das Bedürfnis, ihre subjektiven Erinnerungen an einen der wichtigsten Abschnitte ihres (Berufs-)Lebens zwischen Buchdeckeln verewigen zu wollen.1 Auf eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung zur Geschichte der DDR-Seewirtschaft wartet die Fachwelt jedoch noch immer. Einstweilen muss sich der interessierte Leser an Publikationen wie den hier zu besprechenden Band „DDR ahoi! Kleines Land auf großer Fahrt“ halten.

Der Autor, Andreas Biskupek, im Vorwort als „Wirtschaftsjournalist“ vorgestellt, hat auf gerade einmal 160 reich bebilderten Seiten eine populäre Geschichte der DDR-Seefahrt und -Hochseefischerei unterzubringen versucht.2 Das Buch dockt an einen gleichnamigen Dokumentarfilm an, der unlängst mit einigem Erfolg im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief. Während die Dokumentation auf individuelle Geschichten setzte und so ein facettenreiches und vergleichsweise ausgewogenes Bild der DDR-Seefahrt entwarf, ohne dabei den Anspruch zu erheben, die eine endgültige Geschichte zu erzählen, will das vorliegende Buch, die „großen ökonomischen Zusammenhänge“ darstellen, die den Aufstieg und Niedergang der „DDR als Seefahrernation“ bedingten (S. 8).

Seine Geschichte ordnet der Verfasser in ein 17 Kapitel überspannendes Modell von Aufstieg und Niedergang ein. Er beginnt chronologisch mit dem parallel zur deutschen Teilung fortschreitenden Aufbau der ostdeutschen Häfen nach dem Zweiten Weltkrieg, der Werftindustrie, der Handels- und Fischereiflotte. Dabei konstatiert er eindrucksvolle Erfolge. Innerhalb weniger Jahre habe es die ostdeutsche Seewirtschaft von Beinahe-Null auf nahezu Weltspitze geschafft. Zeitweise sei die DDR-Handelsflotte eine der größten Europas, ja weltweit gewesen. In den 1980er-Jahren dann war der schleichende Niedergang der Flotte nicht mehr zu übersehen. Der „große politische und gesellschaftliche Umbruch des Jahres 1989“ (S. 153) spielt im Buch nur insofern eine Rolle, als er das Ende der DDR-Seefahrt und für viele Seeleute vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit bedeutete. Was Biskupek vergisst: Auch auf hoher See wurde das Ende der SED-Herrschaft vielfach als Befreiung von Gängelei, Bevormundung, Überwachung und Repression empfunden.

Trotz aller gebotenen Rücksicht auf den geringen Umfang und populären Anspruch des Buches erscheint das Modell von Aufstieg und Niedergang allzu schematisch. In weiten Teilen dürfte es zudem nicht einer kritischen Beschäftigung mit der Materie, sondern einer aus handwerklichen Gründen gewählten Erzählstruktur und Dramaturgie, wenn nicht gar einem historischen Vorurteil geschuldet sein. Dem dramaturgischen Bogen von Aufstieg und Niedergang folgt auch die bis heute verbreitete und bis heute nicht hinreichend verifizierte Erzählung von den „guten“ und vergleichsweise überwachungsfreien Anfangsjahren der DDR-Seefahrt. Erst in späteren Jahren sei die Kameradschaft an Bord durch gegenseitiges Misstrauen untergraben worden, schreibt Biskupek (S. 98f.). Fest steht jedoch, dass die Staatssicherheit schon in den 1950er-Jahren in der DDR-Handelsflotte ihre Zuträger untergebracht und in der Rostocker Bezirksverwaltung eine eigene Abteilung für die Überwachung der Handelsflotte eingerichtet hatte.3

Zu Recht konstatiert Biskupek, dass die Seeleute eine „von der Staatssicherheit besonders überwachte Berufsgruppe“ darstellten und die Spitzeltätigkeit das Klima an Bord vergiftet habe. Beim „leisesten Zweifel“ hätten Seeleute ihren privilegierten Arbeitsplatz verloren (S. 99). Dass diese Tatsachen hier Erwähnung finden, ist begrüßenswert. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, dass der Autor die wenigen Seiten zur engmaschigen Überwachung der Seewirtschaft – es sind gerade einmal drei von knapp 160 Seiten – in einem Kapitel versteckt, in dem er auch Havarien und Unglücksfälle verhandelt. Die Kontrolle und Disziplinierung von Seeleuten war mehr als ein bedauerlicher Unglücksfall. Sie war immanenter Bestandteil der Parteiherrschaft, die sich auch vor Neufundland oder im Golf von Mexiko ihres Bestandes zu versichern suchte.

Befremdlich mutet es zudem an, wenn Biskupek in dunklen Worten suggeriert, dass die Erinnerung an die auf See erfahrene Kameradschaft selbst durch die tausendfach in den Akten des MfS belegten Vertrauensbrüche nicht zu zerstören sei: „...letztlich soll nicht unterschätzt werden, dass gemeinsame, harte Arbeit noch immer mehr miteinander verbindet als das Lesen von Aktennotizen, deren Wahrheitsgehalt auch dadurch nicht größer wird, dass sie von einer staatlichen Behörde gesammelt wurden“ (S. 100). Mit derlei Suggestionen strickt der Autor an neuen Legenden – nicht zuletzt an der von Inoffiziellen Mitarbeitern immer wieder vorgebrachten Behauptung, ihre Akten seien Fantasieprodukte übereifriger MfSler.

Der Versuch Biskupeks, die Geschichte der DDR-Seewirtschaft als weitgehend entpolitisierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu schreiben, überzeugt nicht. Weder findet der Leser Halt bei handelnden Subjekten, die der Metaebene von Tonnageentwicklung und Fangquoten etwas Spannung verleihen würden, noch geleitet ihn eine originelle These oder eine Fülle von neuen Erkenntnissen von Seite zu Seite. Biskupek bietet keine These, aber ebenso wenig eine gelungene Synthese des Altbekannten, das er aus der vorhandenen Literatur durchweg ohne Quellenangabe zusammengetragen hat.4

Stattdessen finden sich in den unzureichend aufeinander abgestimmten und keiner klaren Systematik folgenden Kapiteln zahlreiche Redundanzen sowie nebulöse Andeutungen und Polemiken, etwa gegen die „sehr freie Marktwirtschaft“ (S. 41), die entweder der Überzeugung des Autors geschuldet sind oder/und mit Blick auf die große Zahl der nach 1990 im Zuge eines harschen Strukturwandels in die Arbeitslosigkeit entlassenen ostdeutschen Seeleute und -Hochseefischer, die der Verlag offenbar als Käuferschicht anvisiert hat, ins Buch genommen wurden.

Die Zahl der sachlichen Fehler ist erheblich. Irreführend ist es etwa, wenn ausgerechnet die Containerschifffahrt als Beleg dafür angeführt wird, dass die staatliche Seereederei in diesem Fall den Anschluss an die Entwicklung der Schifffahrts- und Umschlagtechnologie nicht verpasst hätte (S. 127). Vielmehr begann die DDR ihre Schiffe erst mit deutlicher Verspätung und unter großen Schwierigkeiten auf den Containerverkehr umzustellen.5 Manche Fehler sind geradezu sinnentstellend, etwa wenn der Autor behauptet, die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes „Völkerfreundschaft“ seien nach einer Rundreise im Schwarzen Meer mit dem Flugzeug zurück in die DDR transportiert worden, um ihnen die „lange Rückfahrt übers Mittelmeer ohne Landgang zu ersparen“ (S. 65). Richtig ist vielmehr, dass die SED-Spitze die Bosporus-Passage Mitte der 1960er-Jahre untersagt hatte, da allzu viele Passagiere öffentlichkeitswirksam vor der Kulisse Istanbuls über Bord gesprungen waren, um auf diesem Wege in die Bundesrepublik zu gelangen.6

Statt schlüssiger Interpretationen finden sich immer wieder Allgemeinplätze: Dass es Seeleute gab, die einen Landgang im Westen zur Flucht nutzten, und noch viel mehr Seeleute diesen Schritt unterließen, kommentiert Biskupek mit den Worten: „der Mensch ist eben sehr verschieden“ (S. 34). Die Gründe für den Untergang der DDR bleiben nicht weniger undeutlich: „Es waren ein paar ökonomische Gründe und sehr viele menschliche“ (S. 79).

Hinzu kommen ärgerliche Relativierungen: Zwar ist es wahrscheinlich richtig, wenn der Autor schreibt, dass Anweisungen von „Oben“ auf den unteren Hierarchieebenen an Bord nicht immer 1:1 umgesetzt wurden. Doch der kommentierende Zusatz „Wie überall in der Welt.“ suggeriert, die Seefahrt der DDR habe sich letztlich nicht allzu sehr von der Seefahrt im Westen unterschieden (S.108). Fernweh lautet denn auch die nicht allzu überraschende Erklärung für die Berufswahl ostdeutscher Seeleute und Hochseefischer. Dass das Fernweh in einem Land, das die meisten seiner Bewohner erst im Rentenalter gen Westen ziehen ließ, von anderer Qualität gewesen sein könnte als in der alten Bundesrepublik, deutet Biskupek lediglich sehr verhalten an (S. 102).

Es bleibt der Eindruck eines allzu hastig und uninspiriert verfassten Werkes, dessen Lektüre vor allem deutlich macht, dass belastbare und auf akribischer Quellenarbeit beruhende wissenschaftliche oder auch nur populärwissenschaftliche Gesamtgeschichten zur ostdeutschen Handels- bzw. Fischereiflotte noch geschrieben werden müssen. Als Einführung in die Geschichte der DDR-Seewirtschaft ist der schmale Band allzu unzuverlässig, zur unterhaltsamen Bettlektüre fehlt ihm das offene Bekenntnis zum Seemannsgarn.

Anmerkungen:
1 Lesenswert z.B. Friedrich Seibicke, Der DSR-Report. Babbeljahn un daddeldu. QSD – ein Sau-Drücker räsoniert, Leipzig 2008; Karl-Heinz Flegel, Ich sprenge einen Hai. Unter der Flagge der Deutschen Seereederei, Rostock 2004, im Netz verfügbar unter: <http://funkerfelix.de/buch/> (24.11.2010). Für die Hochseefischerei immer noch aufschlussreich: Landolf Scherzer, Fänger und Gefangene. 2386 Stunden vor Labrador und anderswo, Rudolstadt 1983.
2 Der Einband nennt zwei Autoren, doch verfasst hat das Buch wohl Andreas Biskupek allein, wie dem Vorwort zu entnehmen ist.
3 Vgl. Andreas Stirn, Traumschiffe des Sozialismus. Die Geschichte der DDR-Urlauberschiffe 1953-1990, Berlin 2010, S. 225 ff. u. S. 280.
4 Der Verfasser dieser Rezension fand im Buch seitenweise Passagen zur Geschichte der ostdeutschen Urlauberschiffe, die ihm sehr nah an seine eigenen Veröffentlichungen angelehnt schienen.
5 Vgl. Brigitte Götz / Harry Wenzel, DSR. Deutsche Seereederei Rostock, Hamburg 2004, S. 26. Mit Abstrichen kann diese Publikation durchaus Ansätze für eine Gesamtgeschichte der DSR bieten.
6 Stirn 2010, S. 302.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension