U. Reutter: Damasus, Bischof von Rom

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Titel
Damasus, Bischof von Rom (366-384). Leben und Werk


Autor(en)
Reutter, Ursula
Reihe
Studien und Texte zu Antike und Christentum 55
Erschienen
Tübingen 2009: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XI, 567 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alina Soroceanu, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Damasus, ein „wahrhaft königlicher Geist“ und „Träger eines bedeutenden Lebenswerk[es]“1, gleichzeitig aber von einer „Energie, die das Ziel fest im Auge Kampf und Blut nicht scheut es zu erreichen,“ und von „Heftigkeit und Starrheit“2 gekennzeichnet, dieser Mann steht im Zentrum der Monographie von Ursula Reutter. Wenn über ein und dieselbe Person solch verschiedene Meinungen (S. 1f.) ausgesprochen werden, dann bleibt dem Wissenschaftler nur ein Mittelweg übrig – und gerade für diesen Weg hat sich Reutter in ihrem 2009 erschienenen Buch – ursprünglich als kirchengeschichtliche Dissertation in Jena eingereicht – entschieden.

Um 305 als Sohn eines Priesters an der Laurentiuskirche in Rom geboren und vermutlich natione Hispanus, war Damasus von 366 bis zu seinem Tod 384 Bischof von Rom. Trotz seiner besonderen Rolle in der Kirchengeschichte3 ist die Zahl der monographischen Darstellungen zu seiner Person eher gering; aus diesem Grund verzichtet Reutter auch auf eine ausführliche Forschungsgeschichte. Die Altphilologin verwendet nicht den leicht pathetischen Ton von Caspar, auch nicht die elegante Redewendung eines wissenschaftlichen Causeurs wie Pietri4 und nicht Diefenbachs „zeitgeistlichen Wissenschaftsjargon“5, sie lässt vor allem Damasus selbst sprechen und legt in einer nüchternen und von Fleiß gekennzeichneten Art seine Schriften aus. Auf diese Weise entsteht eine theologisch-literarische Studiensammlung: etwa 130 Seiten enthalten Originaltext samt Übersetzung von 40 ausgewählten damasianischen Epigrammen6, Synodalschreiben und Briefen. Die Quellen, welche Reutter als Basis des wissenschaftlichen Diskurses nutzt, werden zudem von einem historisch-theologischen Kommentar begleitet. Aus den „einzelnen Mosaiksteinen“ soll ein „aufschlussreiches Bild von Person und Werk des römischen Bischofs Damasus“ gewonnen werden (S. 3 u. 514).

Anhand seines Schrifttums stellt Reutter folgende fünf Schwerpunkte seiner Tätigkeit fest (S. 8–11): in Rom bemüht sich Damasus um die Institutionalisierung römischer Märtyrer durch Pflege und Einrichtung von Gräbern und Förderung ihrer Verehrung sowie um Christianisierung der Stadt durch Kirchenbauten; scharf geht er gegen homöische Bischöfe und deren Lehre vor; außerdem nimmt er Stellung zum antiochenischen Schisma und arbeitet eine westliche römische Trinitätstheologie aus (ab ca. 371); er stärkt die Stellung des römischen Bischofs im Westen durch staatliche Hilfe (besonders ab 378) und betont schließlich den Führungsanspruch Roms auch für den Osten. Aus diesen Schwerpunkten ergibt sich auch der Aufbau des Buches, jedem Schwerpunkt entspricht ein Kapitel.

Aus Damasus’ „biographischen Fragmenten“ werden im ersten Kapitel (S. 5–56) Grundzüge seines Lebens zusammengestellt (S. 5f.). Der größte Teil dieses Kapitels ist jedoch den Mithelfern (S. 12–30) und Gegnern (S. 31–56) gewidmet. Stets unterstützt wurde Damasus etwa von Hieronymus (S. 21–27). Obwohl die Quellenlage spärlich ist, stellt die Autorin fest, dass Hieronymus eine rege Korrespondenz mit Damasus geführt habe (S. 27). Diese enthält nicht nur wichtige exegetische Fragen, sondern widmet sich etwa auch der Problematik der Bibelrevision bzw. -übersetzung – hatte Damasus doch Hieronymus dazu angeregt (S. 24f.). Die ausführlich geschilderte Kontroverse mit Ursinus, Damasus’ „Gegenspieler“, spricht für die facettenreiche Untersuchung; ihre Darstellung bildet eine sehr geglückte Ergänzung des Bildes des Bischofs. Anhand der Erörterung der Parteien – der Anhänger des Ursinus, der Parteigänger des Damasus Rufinus und Hieronymus sowie des Außenseiters Ammianus Marcellinus – werden dem Leser die komplizierten Zusammenhänge der von gewalttätigen Ausschreitungen begleiteten Wahl des Damasus nahegebracht. Reutter stellt fest, dass Damasus mit seiner Wahl im Recht gewesen ist, fraglich bleibt jedoch die Korrektheit der dazu verwendeten Mittel (S. 45). In diesem vielschichtigen Verfahren sieht Reutter jedoch die Anfänge eines „regulären Vorgangs für die Einsetzung eines neuen Bischofs“ (S. 44). Eine tabellarisch-chronologische Schilderung der Auseinandersetzungen zwischen Damasus und Ursinus findet sich am Ende des ersten Kapitels (S. 55f.).

Anhand der Epigramme, die wichtige Angaben zur Märtyrerverehrung und damit auch zur Bautätigkeit des Bischofs aufweisen, führt Reutter im zweiten Kapitel (S. 57–153) Damasus’ stadtrömisches Wirken aus. Mit seinen Werken steht Damasus in der Tradition der antiken Epigrammdichtung; er übernimmt aus den paganen Vorbildern Form und inhaltliche Motive und kreiert somit die ersten christlichen Epigramme, welche auch spätere christliche Inschriften beeinflussen (S. 58f.). Zudem wird das Programm der Epigramme erörtert; Texte und Übersetzungen werden nach Epigrammen auf Personen, Bauinschriften, Grabinschriften und Märtyrerinschriften geordnet (S. 68–98). Hervorzuheben ist insbesondere die Bautätigkeit des Bischofs sowie sein Profil als „Promotor der Märtyrer- und Heiligenverehrung“ (S. 111). Mit Damasus ist diese Form der christlichen Frömmigkeit „institutionalisiert“ worden. Dabei erwies er sich als „Auffinder“ neuer Märtyrer7 sowie als wahrer Verehrer dieser „neuen Helden“ Roms (S. 113–117).8

Untersucht werden in diesem Kapitel auch theologische Aussagen in den Epigrammen sowie die pagane Sprache und Motive „römische Tradition“. Auf diese Tradition habe sich ein Großteil des „vehementen Machtanspruches“ des Damasus gestützt, er vergleiche sich mit Aeneas und Ascanius, fernerhin sehe er sein Amt direkt von Christus autorisiert (S. 148). Damasus’ Bautätigkeit, welche mit dem Verfassen der Epigramme in enger Verbindung steht, erstrebt einen klareren Prozess der Christianisierung Roms. Umgekehrt kann man auch von einer „Romanisierung des Christentums“ sprechen, so Reutter, indem Rom durch seine Märtyrer zum Zentrum der christlichen Welt gestaltet wird (S. 153).

In einem weiteren Kapitel (S. 154–247) untersucht Reutter Damasus’ Stellung als Bischof der Metropole Rom. Anhand des römischen Synodalschreibens aus dem Jahr 378, welches Reutter Damasus und nicht Ambrosius zuschreibt (S. 162), und der Dekretale Ad Gallos wird Damasus’ Anspruch betont, „oberster Richter in kirchlichen Fragen vor allem im Westen zu sein“ (S. 181 u. 189). Im Unklaren bleiben jedoch die Umstände des komplizierten Prozesses gegen Damasus, der zwischen 370/71 und Anfang 373 stattgefunden habe (S. 170).9 Die Tatsache, dass er diesen Prozess unbeschadet überstand, und die damit verbundenen kaiserlichen Reskripte nutzte Damasus zur Stärkung seiner kirchlichen Gerichtsbarkeit; auch habe er versucht, „auf diese Weise Rom als Zentrum der Kirche zu etablieren“ (S. 181).

Damasus’ Einfluss beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Kirchen im Westen, gemeinsam mit anderen westlichen Bischöfen versucht er auch, die Lage im Osten zu kontrollieren, indem er sich im antiochenischen Schisma einmischt und Stellung gegenüber den Homöern bezieht. Diese Aspekte sowie die daraus entstehende Trinitätstheologie werden im vierten Kapitel erläutert (S. 248–428). In ihrer ausführlichen und sehr genauen inhaltlichen sowie auch sprachlichen Untersuchung des Textes Confidimus quidem mit einer synoptischen Vorstellung der lateinischen und der beiden griechischen Varianten (aus Theodoret und Sozomenos) stellt Reutter unter anderem fest, dass Adressat des Briefes nicht die Orientalen, sondern die illyrischen Bischöfe sind (S. 299–307). Erörtert werden auch die Kontakte zwischen Damasus und Basilius von Caesarea. Der Text des auch an die Orientalen gesandten Confidimus quidem wird Basilius nicht befriedigt haben: Als Anhänger des nicaenischen Glaubens war er nicht bereit, den theologischen Forderungen aus dem Westen nachzugeben. Darüber hinaus war der aus Rom kommende Befehlston für ihn unannehmbar (S. 308–316). Der Tomus Damasi (S. 381–426), von Reutter als „eine Medizin gegen die Häresien nach Nicaea“ (S. 515) charakterisiert, stellte in seiner Urfassung eine Erweiterung zum Nicaenum dar. Anscheinend hatte Damasus mit diesem Werk mehr Erfolg im Osten als mit Confidimus quidem, was von Reutter in Anlehnung an Pietri10 hervorgehoben wird. Tomus Damasi und Ea gratia spielten als Synodaldokumente eine wichtige Rolle in der unter Damasus eingeführten neuen theologischen Orientierung, die „eine Abkehr von der serdicensischen Interpretation des Nicaenums“ darstellte (S. 427).

Im fünften Kapitel (S. 429–513) präsentiert Reutter eine Synthese der Programme und Ziele des Damasus. Er betrachtete sich in seinen letzten Amtsjahren als ein Bischof ersten Ranges. Dabei werden ein Brief an den Osten bezüglich der falschen Lehre des Apolinarius sowie zwei Briefe an Acholius, Bischof von Thessalonike, im Kontext der Wahl des Maximus zum Bischof von Konstantinopel ausführlich diskutiert. Die letzten zwei Briefe stammen aus der sogenannten Collectio Thessalonicensis; sie stehen gleich am Anfang dieser Collectio, was Reutter zu der Überzeugung führt, dass gerade während der damasianischen Zeit die Verbindungen zwischen Rom und den Bischöfen in Illyricum verstärkt wurden (S. 449). Die komplizierten Umstände der konstantinopolitanischen Bischofswahl und die heftige Reaktion des Damasus auf die Erhebung des Kynikers Maximus werden von Reutter ausführlich geschildert (S. 450–454); damit unterstreicht sie Damasus’ Ambitionen, auch kirchliche Probleme im Osten lösen zu wollen. Als letztes Dokument wird das Decretum Damasi bzw. Decretum Gelasianum aufgeführt (S. 468–513), das wahrscheinlich auf der römischen Synode von 382 (S. 511) verfasst wurde. In ihm sieht Reutter eine Verbindung der beiden von Damasus genutzten Gattungen, Epigramm und Synodaldokument bzw. Brief; er habe so den „Führungsanspruch Roms innerhalb der ganzen katholischen Kirche betont“ – und zwar vor allem durch Verweis auf den „Märtyrerreichtum Roms“ (S. 11). Mit „der Berufung auf die römischen Märtyrer Petrus und Paulus, die Rom zum Zentrum des Christentums gemacht haben,“ sei hier „die Vorrangstellung des römischen Bischofs gegenüber den anderen Metropoliten“ begründet worden (S. 515).

Die wichtigsten Ergebnisse ihrer detaillierten und materialreichen Recherche stellt die Autorin noch einmal – allerdings sehr knapp – im sechsten Kapitel vor (S. 514–516). Reutter hätte hier vielleicht stärker Damasus’ so bemerkenswerte Rolle bei der Entstehung und Entwicklung des Papsttums als Institution betonen können. Eine chronologische Tabelle und eine fast komplette Literaturliste (S. 519–548) sowie ein Personen- und Sachregister ergänzen das Werk. Der Historiker vermisst jedoch einige Karten, etwa zu Rom im 4. Jahrhundert mit der Topographie der in den Epigrammen erwähnten Orte. Reutters Buch stellt aber zweifellos für die weitere Erforschung des Papsttums und der Kirchengeschichte des 4. Jahrhunderts ein unentbehrliches Bezugswerk dar.

Anmerkungen:
1 Erich Caspar, Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft, Bd. 1, Tübingen 1930, S. 251 u. 256.
2 Martin Rade, Damasus, Bischof von Rom, Freiburg u.a. 1882, S. 159f.
3 Vgl. Charles Pietri, Art. Damasus, in: Encyclopedia of the early church 1, 1992, hier S. 218.
4 Charles Pietri, Roma Christiana, Bd. 1, Rom 1976, S. 729–881; ders., La conversion de Rome et la primauté du pape (IVe–VIe siècle), in: Michele Maccarrone (Hrsg.), Il primato di vescovo di Roma nel primo millennio, Città del Vaticano 1991, S. 219–243.
5 Steffen Diefenbach, Römische Erinnerungsräume, Berlin u.a. 2007. Vgl. Monika Schuol: Rezension zu: Diefenbach, Steffen: Römische Erinnerungsräume. Heiligenmemoria und kollektive Identitäten im Rom des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr.. Berlin u.a. 2007, in: H-Soz-u-Kult, 11.09.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-154>.
6 Bei Antonio Ferrua (Epigrammata Damasiana, Città del Vaticano 1942) werden 59 Epigramme ediert.
7 Vgl. Dam. epigr. 21 (Eutychius), 28 (Marcellinus und Petrus), 42 und 43 (unbekannte Heilige).
8 Nicht uninteressant wäre hier eine Erörterung zu Diefenbachs Ansicht hinsichtlich der sog. „Einbürgerung“ der Heiligen, „Die ‚Einbürgerung‘ der Heiligen, die Damasus durch ihre Bezeichnung als cives bewerkstelligte, diente nicht einer christlichen Transformation der Stadt, sondern umgekehrt einer symbolischen Ausdehnung der städtischen Grenzen bis in das Suburbium hinein“ (Diefenbach, Erinnerungsräume, S. 488).
9 Klaus M. Girardet, Gericht über den Bischof von Rom. Ein Problem der kirchlichen und der staatlichen Justiz in der Spätantike (4.-6. Jahrhundert), in: Historische Zeitschrift 259 (1994), S. 1–38, hier S. 16 entscheidet sich dagegen für das Jahr 374.
10 Pietri, Roma Christiana, S. 839f.

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