H. Münkler u.a. (Hrsg.): Strategien der Visualisierung

Cover
Titel
Strategien der Visualisierung. Verbildlichung als Mittel politischer Kommunikation


Herausgeber
Münkler, Herfried; Hacke, Jens
Reihe
Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnungen im Vergleich 14
Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Campus Verlag
Anzahl Seiten
255 S., 48 Abb.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norbert Grube, Forschungsgruppe BildMedienBildung / Institut für Historische Bildungsforschung, Pädagogische Hochschule Zürich

Der Visual Turn in der Geschichtswissenschaft und ihren Nachbarfächern ist längst noch nicht abgeschlossen. Einen Beitrag hierzu leistet das von Herfried Münkler und Jens Hacke herausgegebene Buch „Strategien der Visualisierung“. Es umfasst zwölf im Wintersemester 2006/07 in der Ringvorlesung „Visualisierung/Visibilität“ an der Berliner Humboldt-Universität gehaltene Vorträge. Die Beiträger stammen aus verschiedenen akademischen Disziplinen: Geschichts- und Politikwissenschaft, Soziologie, Kunstgeschichte, Philosophie und Medienwissenschaft. Gemeinsam ist den Aufsätzen eine Dominanz ideengeschichtlich kontextualisierter Bildanalyse. Historische Untersuchungen zum Produktionskontext, zum spannungsreichen Aushandlungsprozess zwischen Politikern und Bildproduzenten (wie Fotografen, Werbern, Künstlern oder Regisseuren) kommen kaum vor. Nur in wenigen Beiträgen wird eher anmahnend als analytisch die Rezeptionsperspektive eingeflochten.

Dass die Akteure der politischen Visualisierung überwiegend ausgespart bleiben, erstaunt angesichts von Münklers schmaler Einleitung zur konzeptionellen Verortung von Visibilität und Visualisierung als akteursbezogenem Arrangement von Macht (S. 8f.): „Macht hat, wer entscheidet, was bekannt werden darf und was geheim bleiben soll.“ Wer an diesen Entscheidungen beteiligt ist, wird jedoch nur im Rahmen der Bildanalyse erwähnt, nicht in ihren Entstehungsprozessen analysiert.

Den begrifflichen und konzeptionellen Rahmen entfaltet Münkler in seinem Beitrag weiter. Visualisierung ziele auf die Stabilisierung und Steigerung von politischer Macht durch inszenierte und selektive Sichtbarmachung von bislang Unsichtbarem, was wiederum andere Machtbereiche verberge und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von anderen politischen Geheimnissen ablenke, ja diese erst schaffe (S. 8, S. 28). Der von Münkler idealtypisch präsentierte Gegensatz dazu ist Transparenz, die durch Beobachtung, Öffentlichkeit, Machtkontrolle und den Gegensatz von öffentlich und privat gekennzeichnet ist. Münkler konstatiert beim Übergang vom Personenverbandsstaat zum institutionellen Territorialstaat seit dem 15. Jahrhundert zugleich einen Wandel der politischen Visualisierungsstrategien. Diesen weist er durch einen Vergleich der Fresken Giottos in der Arena-Kapelle zu Padua und Ambrigio Lorenzettis Darstellung der Buongoverno und Malgoverno im Palazzo Pubblico von Siena mit Machiavellis politischer Theorie nach. Im Gegensatz zu den in der Tradition der Fürstenspiegel stehenden Fresken, die den Gleichklang von tugendhafter Einstellung und Handlung der Herrschenden ermahnend visibilisieren, empfiehlt Machiavelli den Herrschenden, bloße Visibilität von Tugend und Macht zu ergänzen durch politische Visualisierungen, die täuschenden Schein und Geheimnisse schaffen, um sich Handlungsoptionen zu erobern. Indem der Herrscher nicht nur als Stärke demonstrierender Löwe, sondern als die tatsächlichen Machtverhältnisse verbergender Fuchs agieren solle, entstehe nun – so Münkler – die Figur des ideologischen Kritikers und moralisierenden Aufklärers, der die geheimen Verwaltungs- und Politikbereiche aufdecken wolle. Demnach stehen aber, so ist vielleicht zu ergänzen, Visualisierung und Transparenz weniger in einem Oppositions- als in einem Wechselverhältnis und bringen einander ständig in neuen Formen hervor.

Die übrigen Beiträge gehen auf diesen konzeptionellen Rahmen von Transparenz, Visibilität und Visualisierung wenig oder nur indirekt ein – so etwa Enno Rudolphs mit Bezug auf Ernst Cassirer und Hans Blumenberg geschriebener Aufsatz über Symbol, Metapher und Mythos. Rudolph erkennt dem Symbol zeitraubende aufwändige rationale Deutung zu, während die Metapher sich rasch selbst interpretiert und der Mythos „infantilisiert“ (S. 22), indem er die komplexe Welt zu einem Bilderbuch macht. Machiavellistische Visualisierungsstrategien durch Erzeugung von täuschendem Schein thematisieren implizit die Beiträge von Karl-Siegbert Rehberg und Horst Bredekamp. Rehberg verdeutlicht mit Bezug auf Arnold Gehlen anhand des Wandgemäldes „Arbeiterklasse und Intelligenz“, das der DDR-Künstler Werner Tübke 1973 für das Foyer des Seminar- und Rektoratsgebäudes der Karl-Marx-Universität Jena schuf, wie auf dem Bild sozialistische Herrschaftsansprüche und -eingriffe zum Ausdruck kommen. Die Brutalität sozialistischer Okkupation des Universitätswesens wird durch wirklichkeitsenthobene Traumwelten mit parlierenden und tänzelnden Figuren überblendet, die wiederum die Statik und Steifheit der Funktionäre und Bildungsbürokraten konterkarieren. Hier zeigt sich das „Paradox einer realen Irrealität“1, die Mehrdeutigkeit der Bilder und damit die Grenze der Visualisierungsstrategie. Bredekamp wiederum verschenkt in seiner kenntnisreichen Interpretation von Immendorffs Staatsporträt Gerhard Schröders ein wenig das Potenzial des Visualisierungskonzepts. Zwar interpretiert er das spätantik anmutende, goldene, mit vielerlei Symbolen umgebene Frontalporträt anregend als Inszenierung des Ex-Kanzlers als augusteischer Wahrer des Friedens, als Förderer der Künste und des Wohlstands. Doch blendet diese Analyse aus, was nicht gezeigt wird – etwa Spuren kraftzehrender Niederlagen und Konflikte Schröders mit der verprellten Wählerschaft.

Die Dichotomie von Transparenz und Visualisierung wertet Thomas Meyer in seinem etwas redundanten Beitrag über „Visuelle Kommunikation und Politische Öffentlichkeit“ kulturpessimistisch als einen Verfall des rationalen, kritischen Sprach- zugunsten des ästhetisierenden, unterhaltenden Bilddiskurses, der die kritische Wahrnehmungsfähigkeit der Rezipienten unterlaufe (S. 67). Dem müsse durch die Vermittlung von Bild- und Wahrnehmungskompetenz entgegengewirkt werden. Mit dem Begriff der „Theatralisierung des politischen Diskurses“ (S. 62) überschätzt Meyer jedoch die Aufmerksamkeitslenkung des als zu passiv und verführbar gezeichneten Publikums durch Meinungsforscher, Medienschaffende und Politiker; die Probleme der Aushandlungen zwischen diesen Akteuren bleiben außen vor. Mit einem systemtheoretischen Analyseansatz über die Integrationsmöglichkeiten von realistischen Bildern und fiktionalen visuellen Realitätskonstruktionen in komplexen Gesellschaften (S. 114f.) konstatiert auch Willi Hofmann in Anlehnung an Baudrillard den Wandel des Rezipienten vom moral-politischen Wesen zum bloßen Zuseher, der mit zunehmender Anpassung der politischen Akteure an mediale Logiken von Politik enttäuscht werden könne (S. 121).

Die ganze performative Vielfalt der „Theatralisierung der Politik [und] des Krieges“ (S. 73, S. 78) im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts präsentiert Wolfgang Hardtwig in einem lesenswerten Beitrag – von neuen Formen monarchischer Selbstinszenierung bis zum körperbetonten, anarchischen und unkalkulierbaren Kommunikationsraum der Straße (S. 84, S. 91), der gerade deswegen zwischen den politischen Kontrahenten besonders umkämpft war. Einen speziellen Ort der „Theatralisierung“ analysiert Udo Bermbach in seinem originellen Aufsatz über die Vermischung von privaten, öffentlichen und politischen Konflikten in der Oper. Ein Requisit dieser Theatralisierung untersucht Paula Diehl in ihrem leider schlecht lektorierten und leicht redundanten Beitrag über die vielfältigen Formen der den Körper verkleidenden, inszenierenden und homogenisierenden SS-Uniform, die besonders in ihrer schwarzen Form von körperlichen Makeln ablenken und den Körper im Sinne nationalsozialistischer Rassentheorie ästhetisieren sollte. Die Uniform setzte sich auch in Spielfilmen nach 1945 als emblematische Visualisierung von SS-Männern durch.

Die Grenzen politischer Visualisierungen, die bereits Hardtwig (S. 88, S. 91) und auch Diehl (S. 138) ansprechen, verdeutlichen drei weitere Beiträge. Michael Strübel weist auf misslungene Überinszenierungen in der US-Kriegsberichterstattung aus dem Irak hin (S. 101f.) und zeigt zudem, dass sich der Film häufig der politischen Instrumentalisierung und auch der Etikettierung als Kriegs- oder Antikriegsfilm entziehe. In den abschließenden Aufsätzen weiten Ronald Hitzler und Andreas Dörner den Blick auf die Spielmöglichkeiten der Rezipienten „im elektronischen Panoptikum“ (Hitzler), das nicht nur eine Totalerfassung durch eine Flut von Datenströmen und eine Dauerbeobachtung von vielen durch viele bedeute, sondern auch im Vertrauen auf gewährleistete Datensicherheit ein Forum zur medialen Teilhabe sein könne, etwa zur aufmerksamkeitserheischenden Selbstdarstellung in demokratische Wahlgerechtigkeit inszenierenden Castingshows. In Abgrenzung zum Kulturpessimismus und zur Romantisierung eigensinniger Aneignung der Medien durch Rezipienten spricht Dörner hier von partizipatorischen und meritokratischen TV-Formaten. Sie greifen Visualisierungsstrategien auf und zeigen bislang im Fernsehen Unsichtbares, etwa in „Big Brother“ oder der „Dschungelshow“. Dieser so genannte Trash wirke unter den jungen Mediennutzern jedoch solidarisierend gegen das Etablierte und animiere in Internetforen zu Debatten über Werte wie Respekt und Anerkennung.

So lesenswert trotz des mitunter nachlässigen Lektorats die Beiträge sind, so bedauerlich ist es, dass die von Michael Strübel angemahnte Interdisziplinarität bei der Analyse politischer Visualisierungen (S. 94) kaum erreicht wird. Zu sehr argumentieren die Autoren von ihren je eigenen Perspektiven aus. Darunter leidet etwas die Stringenz und Strukturierung des Bandes, so dass nicht nur die Rolle der Akteure bei der politischen Visualisierung, sondern auch der Bezug dieses anregenden Konzepts zu dem von einigen Autoren verwendeten Ansatz der Theatralisierung von Politik ein wenig unsichtbar bleibt.

Anmerkung:
1 Gottfried Boehm, Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin 2007, S. 37.

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