R.-P. Fuchs: Die Normaljahrsregel

Cover
Titel
Ein ‚Medium zum Frieden‘. Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges


Autor(en)
Fuchs, Ralf-Peter
Reihe
Bibliothek Altes Reich 4
Erschienen
München 2010: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
X, 427 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele Haug-Moritz, Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

Vorzustellen gilt es eine 2008 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichte Habilitationsschrift, die im Rahmen des dortigen Sonderforschungsbereichs „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit, 15.-17. Jahrhundert“ erarbeitet wurde. Fuchs behandelt mit der kirchlichen Normaljahrsregelung des Westfälischen Friedens die „Seele des Westphälischen Friedens in Religions-Sachen“, so die von ihm zitierte Einschätzung des protestantischen Reichsstaatsrechtlers Johann Jacob Moser von 1773 (S. 3). Dennoch wurden weder deren Genese noch deren Folgen, wie von Fuchs zu Recht herausgestrichen, bislang systematischer analysiert. Unter Normaljahr, ein Begriff der erst mit der fortschreitenden Juridifizierung der politischen Sprache seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geläufiger wurde, versteht Fuchs „ein Stichdatum […], das auf der Verhandlungskommunikation zwischen den Mitgliedern der beiden Religionsparteien im Reich beruht“ (S. 4) und nicht einseitig verordnet ist. Die Entscheidung, sich ausschließlich auf die Genese und Folgen des kirchlichen Normaljahrs (1624) zu konzentrieren und das Amnestiejahr (Instrumentum Pacis Osnabrugense Art. III) nicht zu berücksichtigen, lässt sich zwar, wie der Autor dies tut, begründen, widerspricht aber der auch von ihm konstatierten (S. 307) unauflöslichen Verwobenheit beider Stichjahrsregelungen in der zeitgenössischen Wahrnehmung und Verhandlungspraxis.

Die Quellengrundlage seiner Untersuchung bilden, neben einigen zentralen Werken der zeitgenössischen politischen Publizistik (Meiern, Schauroth und andere), „in der Hauptsache Verhandlungsakten und Instruktionen für die auf den Konferenzen operierenden Gesandten“ (S. 4), die im Rahmen der Acta Pacis Westphalicae zu größten Teilen ediert vorliegen. Für die Zeit nach 1648 wird, neben den im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrten, in ihrem Quellenwert nicht unproblematischen Resolutionsprotokollen des Reichshofrats, vor allem die archivalische Überlieferung zum Fürstbistum Osnabrück und zum Herzogtum Jülich-Berg, Kleve-Mark herangezogen. Dergestalt möchte er einerseits „Bedeutung und Funktion dieser Diskussion [über das kirchliche Normaljahr, GHM] innerhalb der Kommunikation politischer Entscheidungsträger verschiedener Glaubensgemeinschaften“ (S. 3) klären, andererseits einen „Überblick über die „unmittelbaren Folgen der Normaljahrsregel“ (S. 4) geben. Letzteres wird bewerkstelligt, indem der Umgang des Reichshofrates mit der Restitutionsproblematik knapp (S. 236-254), die von Schweden wie katholischer Seite auf dem Nürnberger Exekutionstag vorgelegten, auf schwedisch-protestantischer Seite 119 Fälle umfassenden „Listen“ an anstehenden Restitutionen (S. 255-316) ausführlicher gewürdigt werden. Das Geschehen ‚vor Ort‘ wird am Beispiel des bikonfessionellen Fürstbistums Osnabrück, der paritätischen Reichsstadt Augsburg (S. 213-225) und des kurbrandenburgisch-pfalz-neuburgischen, 1651 militärisch eskalierenden Konflikts („Düsseldorfer Kuhkrieg“) um die Restitutionen im Herzogtum Jülich-Berg, Kleve-Mark (S. 317-332) thematisiert.

Die Zielsetzungen geben in nuce bereits den Aufbau der Untersuchung zu erkennen. Im Zentrum der Habilitationsschrift stehen die Genese der kirchlichen Normaljahrsbestimmung auf dem Westfälischen Friedenskongress in den Jahren 1630 bis 1648 (S. 77-212) und deren Umsetzung in den Jahren bis 1653/54 (S. 213-332). Zwei einleitende Kapitel (S. 11-76) sind der Vorgeschichte der Idee eines Normaljahrs gewidmet. Sie reicht, wie auch von Axel Gotthard jüngst kenntnisreich ausgeführt1, bis in die Reformationszeit zurück. Schon damals verfolgte man von kaiserlich-katholischer Seite eine dem „Konzept des ‚freezing‘“ (S. 21) verpflichteten Lösungsansatz, wenn es darum ging, Mittel und Wege – in Fuchsscher Diktion: ‚Medien‘ – zu finden, um die religiöse Pluralisierung politisch handelnd zu bewältigen. Das von protestantischer Seite im unmittelbaren Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges verfochtene Prinzip des uti possidetis, ita possideatis („wie ihr besitzt, so sollt ihr besitzen“) stellt eine weitere, gänzlich anders geartete Wurzel des ‚Mediums‘ Normaljahr dar. Ein „kursorischer Überblick […] zeigt in Umrissen“ (S. 366) abschließend den Umgang mit der Restitutionsproblematik nach 1654 auf (S. 366-381). Ein knappes Resümee (S. 382-389) beschließt die Untersuchung.

Attestieren darf man der dergestalt konzipierten Studie, dass es ihr gelungen ist, den langen Weg zum Normaljahr 1624, der mit dem Regensburger Kurfürstentag des Jahres 1630 begann, detailliert nachzuzeichnen. Das Regensburger Geschehen, das den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet, stellt einen „Markstein“ in der Geschichte des Normaljahrs dar, weil „zum ersten Mal von protestantischer Seite ein konkretes, für beide Religionsparteien verbindliches Restitutionsdatum vorgeschlagen wurde“ (S. 8). Insbesondere die Ausführungen des Autors zu den Verhandlungen zum Prager Frieden von 1635 (S. 119-143), deren Ergebnis, wie Fuchs überzeugend herausarbeitet, „eindeutig mehr den Zielen des Kaisers als denen der Protestanten“ (S. 141) entsprach, verdienen Aufmerksamkeit. Vermag der Autor doch aufzuzeigen, wie der kaiserliche Gesandte Maximilian Graf von Trauttmannsdorff, der auch bei den Verhandlungen in Westfalen für die kaiserliche Seite die Federführung übernahm, mit der Festschreibung des Stichdatums 12. November 1627 das „konsequent und unnachgiebig verfolgte Ziel Ferdinands II., seine Jurisdiktionskompetenz in der Kirchengüterfrage über eine Bezugnahme auf den Mühlhausener Konvent zu bekräftigen“ (S. 138), erreichte. Die hier wie generell bei der Beschreibung des Verhandlungsgeschehens der Jahre 1630 bis 1648 zu beobachtende Konzentration auf die inhaltliche Seite der Verhandlungen hat jedoch ihren Preis. Ihrem Anspruch, die „Logik der Verhandlungen auf der Ebene von Ehrvorstellungen und der Notwendigkeit der Vertrauensbildung genauer zu entschlüsseln“ (S. 7f.), wird die Untersuchung nur bedingt gerecht. So stellt Fuchs beispielsweise fest, dass es bei den von kaiserlicher und kursächsischer Seite in Prag geführten Verhandlungen „um die Rückkehr zum ‚alten Vertrauen‘“ gegangen sei, um dieses, so der sächsische Kurfürst Johann Georg, „der ‚Posterität‘ wieder einzupflanzen“ (S. 134). Diese Erkenntnis erlaubt es zwar zu konstatieren, dass der „Logik“ des politischen Kommunikationsprozesses „ein Kommunizieren über Werte und Normen“ (S. 5) inhärent ist, erhellt diese aber nicht. In welchem Verhältnis etwa stehen die sehr differenten Ehrsemantiken, die in ihrer Verschiedenartigkeit schon in dem kursorischen Überblick zu dem für die Arbeit zentralen Begriff der „Ehre“ entgegentreten (S. 35-49), zum „moralischen Diskurs“, in den das Verhandlungsgeschehen eingebettet ist, und „in dem das Reich als gemeinsames Fundament beschworen wurde“ (S. 383)? Welcher Stellenwert kommt diesem auf das Reich bezogenen moralischen Diskurs zu, wenn es Schweden trotz kaiserlich-katholischen Widerstands auf dem Nürnberger Exekutionstag der Jahre 1649 bis 1651 gelingt, die Restitutionsfrage auf die Tagesordnung zu setzen (S. 255-257)? Welche Konsequenzen zeitigen die Semantiken für den „Handlungsraum“ (Luttenberger)2 der Akteure? Die Nachfragen ließen sich mehren.

Dass die Umsetzung der kirchlichen Normaljahrsregel schon zu Beginn der 1650er-Jahre Bestandteil der „Diskussion über eine durchgreifende Veränderung der Verfassungsstrukturen [des Reiches, GHM]“ (S. 360) wurde, kann Fuchs nachweisen. Er bestätigt mit seiner Analyse der Arbeit des Reichshofrates die Bedeutung der bereits von Volker Press beschriebenen Mechanismen, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts den Wiederaufstieg kaiserlicher Macht im Reich ermöglichen sollten: Der Kaiser stellte sich konsequent auf den Boden der Bestimmungen des Westfälischen Friedens, die zugleich so widersprüchlich und offen waren, dass „das Prinzip der Wahrung spezifischer kaiserlicher Interessen“ (S. 245) auch weiterhin verfolgt werden konnte. Die Aufrechterhaltung der kaiserlichen Jurisdiktionskompetenz auch und gerade in Religionssachen gehörte zum Kern kaiserlicher Interessen. Gerade dieser Kern jedoch wurde, wovon das Geschehen des Nürnberger Exekutionstages und der Streit um die Restitutionsdeputation kündet, schon seit 1650 zur Disposition gestellt, wie Fuchs nunmehr für die Inanspruchnahme des Reichshofrates durch die Protestanten (S. 338) präzise nachweisen kann. Von protestantischer Seite zunehmend systematischer begründet, blieb dies auch in der weiteren Reichsgeschichte weiterhin zur Disposition gestellt. Wie sich diese Beobachtung mit der Aussage, dass die „lange von den Protestanten bestrittene Zuständigkeit des Reichshofrates in Religionssachen [16​48] anerkannt“ (S. 228) worden sei, vereinbaren lässt, bleibt das Geheimnis des Autors. Erstaunt nimmt man auch zur Kenntnis, dass die Nürnberger Verhandlungen unter der Fragestellung „Erfolg oder Misserfolg“ abgehandelt werden, was sich auf der Grundlage der vom Autor herangezogenen Quellen nicht beantworten lässt. Beruht doch seine ganze Arbeit auf der Prämisse, dass die Tatsache, dass man „ins Gespräch kam“ und nach 1648 eben „im Gespräch blieb“, den eigentlichen „Erfolg“ ausmacht.

Fazit: Wer sich über die Genese des Normaljahrs 1624, die durch die Arbeit Fritz Dickmanns3 bislang nur in Umrissen bekannt war, detaillierter informieren möchte, der greife zur Arbeit von Fuchs. Die Frage nach den Restitutionen aber gehört auch weiterhin zu den großen Desideraten der reichsgeschichtlichen Forschung.

Anmerkungen:
1 Axel Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden, Münster 2004, S. 171-239.
2 Albrecht P. Luttenberger, Reichspolitik und Reichstag unter Karl V. Formen zentralen politischen Handelns, in: Heinrich Lutz / Alfred Kohler Alfred (Hrsg.), Aus der Arbeit an den Reichstagen unter Karl V., Göttingen 1986, S. 18-68.
3 Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, 7. Aufl., Münster 1998 (1. Aufl. 1959).

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