Titel
Ethnicity, Inc..


Autor(en)
Comaroff, John L.; Jean Comaroff
Reihe
Chicago Studies in Practices of Meaning
Erschienen
Anzahl Seiten
236 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Regina Bendix, Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität, Göttingen

Vielleicht begann dieses Buch im Umschlagen einer wachsenden Irritation mit der Inwertsetzung von Kultur all überall in die Gewissheit, dass dieses Phänomen sowohl der empirischen wie der theoretischen Zuwendung bedarf. Zumindest lesen sich manche ironisch bis scharf gehaltenen Beobachtungen, als ob es dieses weltweit zu den renommiertesten Fachvertretern gehörende Paar streckenweise Überwindung gekostet hat, diesen Komplex wissenschaftlich zu konfrontieren, obwohl diverse frühere Publikationen bereits eine Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Transformation kultureller Systeme aufweisen. Dass John L. und Jean Comaroff sich dieser Aufgabe dann mit einer kompromisslosen Vehemenz stellen, macht das Buch zu einer Muss-Lektüre für alle, die sich mit Fragen der Verwirtschaftlichung und Verrechtlichung kultureller Identitäten, kulturellen Erbes und damit letztlich kulturellen Eigentums befassen.

Die Comaroffs promovierten an der London School of Economics und haben seit den späten 1970er-Jahren eine jeweils eigene Professur in Anthropology and Social Sciences an der University of Chicago inne. John Comaroff ist zusätzlich Forschungsprofessor an der American Bar Association. Ihre Arbeiten haben sich sowohl aus ethnographischer wie historischer und vergleichender Perspektive mit Kolonialismus und Postkolonialität, Neoliberalismus, Politik und Recht sowie sozialwissenschaftlicher Theorie auseinandergesetzt. Sie bezeichnen Ethnicity, Inc. ( „Ethnizität AG“) als einen Essay, intendiert als „Provokation, als ein Stück ungewöhnlicher Sozialanthropologie" (S. 151). Wie die Autoren selbst konstatieren, wartet dieses Buch mit Erkenntnissen auf, die gerade für Sozialanthropolog/innen unbequem bleiben: vielleicht ist die Vermarktung ethnischer Identität seitens der „Teilhaber“ selbst eine logische, keine verwerfliche Konsequenz spätmoderner Selbstbehauptung des „globalen Südens“ vis-à-vis des „globalen Nordens“ (S. 139ff.).

„Fragen der Theorie“ heißt das dritte Kapitel, das neben dem Schlusskapitel am schwersten wiegt und in die Aspekte geleitet, die die Comaroffs als wesentlichste theoretische Anliegen betrachten, unter welchen diese Phänomene betrachtet werden sollten. Dieses Kapitel endet wie folgt: „Project the cultural subject onto the terrains of the market and the law, add the reduction of culture to (‘naturally copyrighted’) intellectual property, mix it with the displacement of the politics of difference into the domain of jurisprudence, and what is the result? It is, to close the circle that we opened at the beginning, Ethnicity,Inc.” (S. 59). Um zu dieser pointierten Aussage zu gelangen, bewegen sich die Autoren schrittweise vorwärts, beginnend mit einer kritischen Reflexion zur Kommodifikation von Kultur von der Frankfurter Schule bis zu Fragen des intangible cultural property regimes. Die Veräußerbarkeit von Kultur verbindet sich mit der Möglichkeit des ethno-preneurship, in welchem der Körper zugleich Produzent und Arbeitskraft ist und somit auch ein Maß an Befreiung konstatiert werden könnte (S. 51f.). Angesichts der Position vieler indigener Gruppen – ohne eigenes Territorium, ohne eigene Staatshoheit, ohne wirtschaftliches Kapital – bedarf das Erreichen ethnowirtschaftlicher Ziele der juristischen Kundigkeit. Hier lassen sich die Autoren hinreißen zu fast scharf formuliertem Erstaunen über den Anstieg gesellschaftsregulierender Prozesse über das Gesetz. Homo juralis wird als allgegenwärtige Spezies heraufbeschworen, die mittels lawfare zu erreichen versucht, was außergerichtlich, gesellschaftspolitisch nicht denkbar wäre. Diese Dynamik, hier kann man nur übereinstimmen, ist sozialtheoretisch zu durchdenken und mit spätmodernen und postkolonialen Gesellschaftsmodellen in Verbindung zu bringen; Ethno-Unternehmen bieten hierfür einen geeigneten Ausgangspunkt.

Das vierte Kapitel stellt sieben Prinzipien der „Kommodifikation von Abstammung“ vor. In dem Bemühen, Prinzipienhaftigkeit innerhalb in vieler Hinsicht scheinbar unmöglicher Entwicklungen herauszuarbeiten, erinnert der Aufbau an Barbara Kirshenblatt Gimbletts fünf Thesen zu Heritage von 1993. Sie ist, trotz der Fülle an theoretisch verwandten Arbeiten aus diesem Bereich, eine der ganz wenigen Heritage-Theoretiker/innen, die, wenn auch nur marginal, herangezogen werden. Was die Comaroffs unterscheidet von den hauptsächlichen Argumentationslinien in der Kulturerbe Diskussion ist die Schwerpunktsetzung auf die juristischen Weichenstellungen, die die kommerziellen Phänomene überhaupt erst legitimieren. Das Kapitel nutzt Fallbeispiele von Native North American Gruppen: Etwa deren Weg als Gruppen Landrechte geltend zu machen, die gewonnene territoriale Souveränität beispielsweise zur Errichtung von Casinos zu nutzen, um dann bisweilen parallel zum ökonomischen Aufschwung auch eine kulturelle Revitalisierung anzustreben. Das Kapitel ist vielschichtig recherchiert aus Gerichtsakten, stammeseigenen und Mainstream Medien sowie Sekundärliteratur. Während die ersten sechs Prinzipien die Wieder-Entdeckung von Abstammung im Sinne beweisbarer Blutlinien beschreiben, die Möglichkeiten für eine Ökonomisierung auf der Basis von erkämpften Rechten und die Formation ethnisch basierter Kooperationen öffnen, steht das siebte Prinzip diametral dazu: hier beginnt der wirtschaftlich grundierte Gruppenfindungsprozess mit dem „geistigen Eigentum“. Zitiert wird hier der Fall des Zia Pueblos, bereits von Michael Brown in seinem Who owns native culture (Cambridge, 2003) exemplarisch vorgestellt: Die Zia erhoben erfolgreich Klage gegen den Bundesstaat New Mexico, weil dieser ihr Sonnendesign auf der Flagge nutzte, und bauten von hier aus weitere monetäre Ansprüche auf die Fremdnutzung ihres cultural property aus. Das fünfte Kapitel nutzt sodann diese Unterscheidung – Inkorporierung über biologisch legitimierte Gruppenzugehörigkeit oder Inkorporierung über die Vermarktung ausgewählter kultureller Elemente der eigenen Kultur als cultural property – um weitere Beispiele zu deuten. Hier wird etwa die erfolgreiche Rückgewinnung von Pharmapatenten seitens der südafrikanischen San für die Nutzung ihres Wissens um die hoodia Pflanze geschildert. Bei ihnen erwuchsen über dieses Stück geistigen Eigentums Bestrebungen der kulturellen Rückbesinnung wodurch ein Weg in Richtung einer im Tourismus darstellbaren Ethnicity, Inc. beschreitbar wurde.

Das Buch ist außergewöhnlich und ausgezeichnet, nicht zuletzt weil es auch Irritationen zurücklässt. Kultur- und Sozialwissenschaftler/innen, die außerhalb der USA tätig sind, dürften bei manchen Passagen dieses Essays denken, dass man noch weit weg ist von einer internationalisierten scientific community. Beim Vorwurf der mangelnden Internationalisierung kann man sich zwar in Europa oft selbst an die Nase fassen, doch gerade Fragestellungen zur Kommodifizierung und Instrumentalisierung von Kultur werden meist unter Einbezug von Fachdiskursen über den eigenen Sprachraum hinaus behandelt – sei dies im Heritage Bereich oder auch etwa in der älteren Forschung zu Kulturnationalismen, die wenn einmal erfolgreich oder gesättigt sehr gern in Kommerz umschlagen. Selbst das von den Comaroffs eingangs genutzte „Scotland, the Brand“ deutet darauf hin. Wenn etwa moniert wird, dass es trotz einiger weniger Stimmen bis in die Gegenwart gedauert habe, bis die Vermarktung von kultureller Identität kulturwissenschaftlich ernst genommen worden sei (S. 22f.), so würde man sich wünschen, dass die immerhin in Exzerpten auch ins Englische übersetzten deutschen Arbeiten zur Instrumentalisierung von Kultur rezipiert worden wären.

Was bei aller theoretischen Brillanz nur ganz am Rande notiert wird, ist die Rolle sozialanthropologischen Forschens und dem daraus gesellschaftlich wiederum inkorporierten Wissenstransfer von Begrifflichkeiten und Abstraktionen, die der Inwertsetzung von kulturellen Exzerpten oder auch ganzer kultureller Identitäten Vorschub leisten (S. 61). Um diese Dynamik deutlich zu benennen und selbst in Grundlagenwerke empirischer Kulturwissenschaft einzubeziehen, wie dies etwa Hermann Bausinger seit 1965 tut, bedarf es vielleicht einer seit gut vierzig Jahren mit Vergangenheitsbewältigung befassten wissenschaftshistorischen Aufarbeitung und wissenschaftlichen Selbstreflexion, die anders als die anglo-amerikanische Writing Culture Bewegung über Fragen der Legitimation ethnographischer Repräsentation hinausgehend stets die Folgen solcher Repräsentation im gesellschaftspolitischen Konnex im Blick behalten muss.

Comaroff und Comaroff wenden sich primär an eine sozialanthropologische Leserschaft und das Provozierende des Werkes stammt auch daher, dass die juristisch-ökonomische Versatilität indigener Gruppierungen einen Affront darstellt angesichts einer Fachidentität, die sich zwar Globalisierung- und Transkulturalitätsdynamiken längst gestellt hat, die aber, im Sinne des auch mehrmals zitierten Cultural Survival Quarterly sich latent immer noch als ein Schutzwall oder ein Sprachrohr für Indigenität und deren Rechte versteht. Eine Disziplin, die genau wie andere empirisch angelegte Kulturwissenschaften seit Jahrzehnten das identitätsstiftende Element von Kultur belegt und von politischer ebenso wie wirtschaftlicher Vereinnahmung zu schützen sucht, wird hier mit dem Entgleiten dieser Fürsprecherrolle konfrontiert. Nur, und hierfür legen die in Ethnicity, Inc. verarbeiteten Daten in einschneidender Weise Zeugnis ab: das ethnographische ebenso wie das kulturtheoretische Geschäft bleibt auch in einer zunehmend der lawfare statt der warfare zugewandten Welt erhalten, und wenn die erstere die Reduktion der letzteren bedeutet, so ist dem auch Positives abzugewinnen.

Eine letzte Frage richtet sich an den Titel des Werks: Warum wird als vereinendes Dach der Begriff Ethnizität verwendet und nicht die im innersten Kern berührte Frage der „Identity, cultural or otherwise, Inc.“ mitthematisiert? Die vorgelegte Definition von Ethnitizität (S. 38-9) überzeugt zwar in ihrer Prozesshaftigkeit, liegt dennoch nahe an „kultureller Identität“ und wird von letzterer eigentlich nur durch die beobachteten Praxen innerhalb des untersuchten Phänomens, welches dann zu der statischeren Ethnicity, Inc. führt, differenziert: eine sich als AG neukonzipierende kulturelle Gruppe kann „Blut“, heißt genetischer Daten, nutzen, um den Ein- bzw. Ausschluss aus einer die eigene ethnische Identität bewirtschaftenden Gruppe zu bestimmen. Nicht alle verarbeiteten Beispiele sind jedoch ethnisch konnotiert, und angesichts der Fülle von semantisch mit ethnisch nicht deckungsgleichen Adjektiven, die von tribal über indigen bis aboriginal reichen, und unter welchen ethnisch entsprechend nur eine von vielen Möglichkeiten der emisch-relevanten Identifizierung darstellt, ließe sich sehr wohl argumentieren, dass Comaroff und Comaroff eine von verschiedenen Modalitäten der Inwertsetzung von Identität durchleuchten. Das Faszinosum der corporate ethnicity besteht vielleicht gerade darin, dass den spätmodernen, hyperindividualisierten Abkömmlingen einstiger Kolonialmächte markttüchtige kollektive Identitäten entgegenstehen, die alle rechtlichen Wege erkunden, um sich, wenn nicht Souveränität, so zumindest „Futures“ im doppelten Sinne des Wortes zu erkaufen. Zumindest aus einer Vogelperspektive zeichnet sich hier, bei aller Ambiguität und Ungewissheit (vgl. S. 52), eine gewisse Hoffnung auf Ausgleich ab.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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