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Titel
Literatur des Mittelalters.


Autor(en)
Sieburg, Heinz
Reihe
Akademie Studienbücher Literaturwissenschaft
Erschienen
Berlin 2009: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Bein, Institut für Germanistische und Allgemeine Literaturwissenschaft, RWTH Aachen

Heinz Sieburg legt eine neue Einführung in die Germanistische Mediävistik vor, die man als durchweg gelungen bezeichnen darf. Weniger gelungen ist der Titel ‚Literatur des Mittelalters‘, der viel mehr verspricht, als gehalten werden kann. Es geht um deutschsprachige Literatur des Mittelalters – und diese ist überdies streng fokussiert auf einen klassischen Kanon höfischer Dichtung; daneben aber findet sich wiederum im Buch auch manches, das der Titel nicht vermuten lässt: Sprachgeschichte, Mediengeschichte und Methodologisches.

Seit der Einführung der Bachelor-Studiengänge hat sich vielerorts gezeigt, dass es neuer Lehr- und Lernmedien bedarf, um unter den veränderten Bedingungen noch eine sachlich fundierte und verantwortungsvolle Wissensvermittlung sicher zu stellen. Hatte man in den 1970er- bis 1990er-Jahren noch mehrere Semester Zeit, die Grundlagen für ein Studium der Älteren Germanistik zu vermitteln, so ist derzeit die Situation an den meisten Hochschulen so, dass kaum mehr als ein einsemestriger Crash-Kurs zur Verfügung steht, um sowohl in die alt- und mittelhochdeutsche Sprache als auch in die Kultur- und Literaturgeschichte des Mittelalters einzuführen – und dies in einer Weise, die die Studierenden nicht ab- oder verschreckt. Denn wir wollen, ja müssen bemüht sein, dass ein Germanistikstudium nach wie vor das ganze Fach umfasst, denn sonst verfügen die Absolventen nicht mehr über eine wirkliche literaturgeschichtliche Kompetenz. Die Entwicklung neuer Lehr- und Lernmedien war und ist also nötig, um auf diese Herausforderungen adäquat reagieren zu können.

In den letzten 20 bis 25 Jahren sind mehrere Einführungen in die Germanistische Mediävistik erschienen. Nach der leider wenig rezipierten Einführung von Meissburger/Ehlert1 legte Hilkert Weddige 1987 ein neues und stabiles Fundament für die Textsorte (mittlerweile ist seine Einführung in der 7. Auflage erschienen).2 Weddiges Buch ist allerdings in einer Zeit entstanden, als die Bedingungen für die Ältere Germanistik noch deutlich besser waren als heutzutage. Seine Darstellung ist gut, aber komplex und teilweise theorielastig. Heutzutage dürfte sie eher dem Examenskandidaten helfen als dem Anfänger. Zwei neue Anläufe stammten 1998 und 1999 von Rüdiger Brandt und Thomas Bein.3 Brandt geht einen deutlich anderen Weg als Weddige – er reagiert auf die stark veränderte studentische Klientel und wählt einen bewusst anderen Darstellungsstil. Als Rezensent von Sieburgs Arbeit versage ich mir, über meine eigene Einführung hier Worte zu verlieren.

Sieburg reiht sich also in eine Tradition ein, die willkommen zu heißen ist, denn einerseits belebt Konkurrenz das Geschäft, andererseits kann es nur gut für die Studierenden sein, wenn unterschiedliche Medien zur Verfügung stehen, die einen je eigenen Stil und eigenen Anspruch haben. Sieburgs Studienbuch weist 14 Hauptkapitel auf, in denen er einen Adepten der Mediävistik Stück für Stück in die Materie einführt. Die ersten vier Kapitel haben systematischen Charakter: Hier beginnt Sieburg mit begrifflichen Erläuterungen (Mittelalter, Literatur), gibt einen soziokulturellen Abriss rund um die Voraussetzungen für eine volkssprachige Kultur- und Literaturgeschichte, skizziert die Andersartigkeit der medialen Situation und führt in die Problematik der Textkritik ein (mit Ausblicken auf die aktuellen Tendenzen, Stichwort ‚New Philology‘).

Die Kapitel 5 und 6 sind den sprachhistorischen Gegebenheiten gewidmet (der alt- und mittelhochdeutschen Periode). Kapitel 7 stellt mit Erläuterungen zur Form der mittelalterlichen Dichtkunst (Reim, Metrum, Strophenform) einen Übergang dar zum sich anschließenden historischen Aufriss. Dieser beginnt mit der arturischen Dichtung (Hartmann von Aue) und wird fortgeführt über die Heldendichtung und den Gral- und Minneroman. Kapitell 11 widmet sich dem Minnesang, dessen Thematik im folgenden Abschnitt über ‚Geschlecht und Gender‘ systematisch vertieft wird.

In zwei kürzeren Ausblicken werden die Epoche der Frühen Neuzeit sowie das Phänomen moderner Mittelalterrezeption thematisiert. Im etwas merkwürdig als „Serviceteil“ bezeichneten 15. Kapitel finden sich Literatur- und andere Hinweise, die dem vertiefenden Studium der Materie dienlich sein können.

Es gelingt Sieburg durchweg, die genannten Themenbereiche ansprechend aufzubereiten. Seine Darstellungen setzen wenig voraus (ein Glossar ganz am Ende des Buches hilft überdies, bestimmte Fachbegriffe schnell verstehen zu können), sind verständlich formuliert und immer wieder mit Abbildungen aufgelockert. Randglossen helfen, sich rasch in einzelnen Kapiteln zurecht zu finden. Mit Hilfe von Verständnisfragen und kleinen Arbeitsaufträgen am Ende der einzelnen Kapitel (für die es allerdings keine ‚Lösungen‘ gibt) kann der Leser/die Leserin sich selbst testen.

Manche Kolleginnen und Kollegen meinen, solche modernen Layouts simplifizierten das, was gesagt werden soll bzw. wären ein etwas anbiedernder Transfer von Webseiten-Layouts in das Fachbuchmedium. Ich sehe das anders: Die aktuellen und künftigen Studierendengenerationen werden deutlich anders enkulturiert als noch vor 15 oder 20 Jahren. Der Schulunterricht, insbesondere auch der Deutschunterricht, hat viele Wandlungen erfahren, das Internet ist mehr und mehr (freilich häufig noch chaotischer) Wissensspeicher und Wissensvermittler; die neuen Medien verändern das kognitive Verarbeiten von Informationen zwangsläufig. Dem muss auch didaktische Fachliteratur Rechnung tragen. Insofern finde ich das Erscheinungsbild von Sieburgs Einführung gelungen und der Zeit angemessen.

Wer das Buch aufmerksam von vorne bis hinten gelesen hat, verfügt über ein sehr gutes Rüstzeug, um in Seminaren aktiv mitzuarbeiten. Die Textsorte Einführung bringt es freilich immer mit sich, dass man dieses und jenes vermisst oder als unterrepräsentiert empfindet. Ich hätte es immerhin für sinnvoll erachtet, die Sangspruchdichtung als eigene große lyrische Subgattung neben den Minnesang zu stellen – sie geht bei Sieburg nahezu unter und wird nur kurz gestreift. Ebenso vermisst man Beispiele für die reiche religiöse Literatur – und für die Fachliteratur; mit Blick auf Kapitel 1.3, wo ein erweiterter Literaturbegriff als für die mittelalterliche Epoche angemessen dargestellt wird, ergibt sich ein gewisser Widerspruch bzw. ein Defizit.

Als Autor einer eigenen Einführung weiß ich aber selbst um vielfältige Zwänge, in denen man steckt und die immer wieder zu Kompromissen nötigen. Vielleicht hätte es gutgetan, wenn in einer Art Vorwort (das die Reihe aber wohl nicht vorsieht) offensiv auf die Beschränkungen respektive den primären Fokus hingewiesen worden wäre.

Anmerkungen:
1 Gerhard Meissburger, Einführung in die mediävistische Germanistik. Aus den nachgelassenen Fragmenten und Entwürfen zusammengestellt, erweitert und herausgegeben von Trude Ehlert, Göppingen 1983.
2 Hilkert Weddige, Einführung in die germanistische Mediävistik, 7., durchges. Aufl., München 2008.
3 Rüdiger Brandt, Grundkurs germanistische Mediävistik/Literaturwissenschaft. Eine Einführung, Stuttgart 1999; Thomas Bein, Germanistische Mediävistik. Eine Einführung, 2., überarb. und erw. Aufl. Berlin 2005 (1. Aufl. 1998).

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