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Titel
Rasse und Raum. Agrarpolitik, Sozial- und Raumplanung im NS-Staat


Autor(en)
Mai, Uwe
Erschienen
Paderborn 2002: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
€ 64,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabel Heinemann, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Die nationalsozialistische „Umvolkungspolitik“ während des Zweiten Weltkrieges zielte auf eine Umgestaltung Kontinentaleuropas: Von Elsaß-Lothringen bis zum Ural, von Skandinavien bis zur Krim sollte "deutscher Lebensraum" entstehen, sollten deutsche Siedler "germanische Kultur" verbreiten und sollte die "rassisch minderwertige" Bevölkerung – allen voran die Juden – vertrieben, versklavt oder vernichtet werden. Es ging um nicht weniger als die Errichtung eines "Großgermanischen Reiches", wobei mit der deutschen Besiedlung Osteuropas auch zugleich eine Bereinigung der Agrarstruktur im Altreich selbst durchgeführt werden sollte: „Überflüssige“ Bauernsöhne aus Baden-Württemberg und dem Rheinland sollten als deutsche Siedler die Ukraine kolonisieren. An den Vorarbeiten zu diesem gigantischen Unternehmen waren bereits in der Vorkriegszeit zahlreiche Instanzen beteiligt, darunter die nationalsozialistische Bauernorganisation – der sogenannte Reichsnährstand – unter Richard Walther Darré, dem Reichsbauernführer und langjährigen Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft.

In seiner Studie "Rasse und Raum" untersucht der Berliner Historiker Uwe Mai die Bedeutung der Raumplanungen des Darré'schen Apparats für die angestrebte siedlungspolitische und landwirtschaftliche Neuordnung Europas wie des Deutschen Reiches. Er formuliert zwei Leitfragen. Erstens: Wie funktionierte der Vermittlungsprozess zwischen wissenschaftlicher Planung und politischem Handeln? Zweitens: Welchen Stellenwert nahm der für das NS-Regime konstitutive Rassismus in den konkreten politischen Entscheidungsprozessen ein?

Die Studie gliedert sich in drei Teile: Teil I verfolgt die politische Indienstnahme des deutschen Bauerntums bis 1939. Teil II untersucht die unterschiedlichen Bestrebungen, ab 1939 die ländlichen Gebiete des Altreiches durch entsprechende Umsiedlungsmaßnahmen und Agrarstrukturreformen zu verbessern. Teil III schließlich widmet sich dem Plan von der Schaffung eines "Germanischen Reiches" und der Rolle, den die ländliche Neuordnung in diesem Panorama einnahm.

Damit beschreibt dieses Buch vor allem die Planung, ansatzweise Umsetzung und das grandiose Scheitern der ländlichen Neuordnung in Deutschland – wie sie der Reichsnährstand anstrebte – im Kontext der nationalsozialistischen Eroberungspolitik. Besonders plastisch gerät die Schilderung bis 1939, danach verliert die Analyse ihren präzisen Fokus. Dies liegt jedoch im Untersuchungsgegenstand begründet, denn ab Herbst 1939 übernahm die SS erst in den besetzten Gebieten und ab 1942 auch im Deutschen Reich alle siedlungspolitischen Kompetenzen. Damit waren die Expertisen des Reichsnährstands politisch nicht mehr handlungsleitend. Mai reagiert darauf, indem er im letzten Abschnitt der Studie vor allem die Initiativen der SS und die Rolle Heinrich Himmlers bei der Neuordnung Europas referiert. Doch die Stärken der Arbeit liegen vor allem in ihren Vorkriegspassagen und in den Teilen, die sich auf die geplante Agrarstrukturreform im Altreich beziehen.

In Teil I kann Mai zeigen, dass bis Kriegsende die NS-Bauernpolitik von einer rassenpolitischen Zielsetzung dominiert wurde: Trotz Siedlermangel wurden die Kriterien der rassischen Auslese gestützt auf das Reichserbhofgesetz von 1933 sukzessive verschärft. So wurden von 1934 bis 1939 rund 30.000 Neubauernscheine – das offizielle Zertifikat, das dem Bauernbewerber anhand rassischer, wirtschaftlicher und politischer Kriterien seine "Bauernfähigkeit" bescheinigte – ausgegeben, wofür mehr als 2,5 Millionen Menschen durch Fachleute des Reichsnährstandes rassisch überprüft wurden. Mindestens ein Fünftel aller Neubauernbewerber wurde aus rassischen Gründen abgelehnt. Mai zieht eine direkte Linie von der Selektionswirkung der rassischen Erfassung zum Rückgang in der bäuerlichen Siedlung allgemein und stellt klar, dass die bäuerliche Siedlung nicht nur Teil einer simplen Reagrarisierungspraxis war, sondern vielmehr zentraler Bestandteil einer neuartigen Rassen- und Bevölkerungspolitik des NS-Staates. Hierin bestand ein zentraler Unterschied zur Grenzsiedlungs- und Bauernpolitik des Kaiserreichs. Daneben wurden ab 1933 der Bauer und der ländliche Raum zum Objekt ausgreifender agrarischer Planung, wobei die Theorie wenig Rücksicht auf den Willen der Planungsbetroffenen nahm. Im Reichsernährungsministerium begann sich der Typ des intellektuellen Planers durchzusetzen. Dieser projektierte massive Eingriffe in die gewachsene Agrarstruktur der einzelnen Gaue – etwa die Umsiedlung von 110.000 Bauernfamilien aus Baden-Württemberg in das neue Protektorat Böhmen und Mähren. Uwe Mais These, dass "Planung als Instrument der politischen Führung" so Teil des politischen Vollzuges wurde (S. 111), wäre jedoch entgegenzuhalten, dass solche Umsiedlungen auf Reichsebene trotz aller Vorbereitungen nie realisiert wurden.

In Teil II wird deutlich, dass der Führungsanspruch Darrés in der Siedlungspolitik bereits mit der territorialen Expansion des Deutschen Reiches ab 1938 von Heinrich Himmler grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Hitler entschied den Konflikt, indem er den Reichsführer SS schon am 7.10.1939 mit der "Germanisierung" der eroberten westpolnischen Gebiete betraute. Himmler wählte daraufhin den Titel "Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums" (RKF) und machte die RKF-Zentrale zur Schaltstelle der gesamten Umsiedlungspolitik. Darré und seinen Mitarbeitern blieben in der Folge tatsächlich nur noch die Umsiedlungsplanungen für das Altreich. Diese Aufgabenteilung in einerseits langfristige Neuordnungsplanungen für das Altreich, erstellt vom Reichsnährstand, und andererseits kurzfristige Umvolkungsmaßnahmen in den besetzten Gebieten, durchgeführt von der SS, blieb während des gesamten Krieges bestimmend. Daraus leitet Mai die Erkenntnis ab, dass die Umgestaltungspläne für das Altreich gerade nicht der Kriegsvorbereitung dienten oder gar als Vorüberlegungen zum "Generalplan Ost" zu werten seien, da sie ja mit der Besatzungspolitik nichts zu tun hatten (S. 154). So ganz scharf kann die Trennung jedoch nicht gewesen sein, da auch die SS sich brennend für die ländliche Bevölkerung interessierte, diese wurde als "Siedlerreserve" zur "Germanisierung" des Ostens dringend benötigt. Zwar wurden auch die sogenannten Volksdeutschen alsbald als wichtige menschliche Ressource entdeckt, doch kam den Altreichsdeutschen gerade ob ihres vermeintlich höheren "Blutswertes" in den Augen der SS eine zentrale Bedeutung für die Ostsiedlung zu.

Die Pläne zum Umbau des Altreiches schildert Mai vor allem am Beispiel des deutschen Südwestens1. Gerade das Beispiel Saarpfalz/Lothringen (Kapitel II, 4) zeigt, wie der dortige Zivilverwaltungschef Joseph Bürckel es verstand, sich über Darrés Umgestaltungsvorgaben hinwegzusetzen und das Gebiet nach seinem eigenen Gutdünken umzugestalten. Dies bedeutet, nicht nur im deutsch besetzte Osten, sondern auch im Westen respektive in Teilen des Altreiches (Saarpfalz) geriet der Reichsnährstand mit seinen Neuordnungsplänen in die Defensive.

Mit dem Angriff auf die Sowjetunion, so wird in Teil III der Studie ausgeführt, löste endgültig Himmlers Utopie eines "Germanischen Reiches" alle anderen Konzepte ab. Dem wurde auch "die bäuerliche Elitenbildung durch "Aufnordnung" der deutschen Bauern" (S. 357) nachgeordnet, nicht aber die Rassenauslese als solche. Wie aus den verschiedenen Umsiedlungsplänen der SS – dem "Generalplan Ost" von Mai 1942 und den Fragmenten des "Generalsiedlungsplanes" von Ende 1942 – hervorgeht, sollte nun ein Gemisch aus "rassisch hochwertigen" Reichsdeutschen, Volksdeutschen, Angehörigen der sogenannten germanischen Völker sowie polnischen, tschechischen und russischen "Wiedereindeutschungsfähigen" den eroberten Osten besiedeln. Wichtig ist Uwe Mais Hinweis auf den "mangelnden Siedlungswillen" sowohl der Bauern aus dem Altreich als auch der Volksdeutschen, die eben nicht von einem Anwesen im Schwarzerdegebiet oder auf der Krim träumten. Von 113 freiwilligen Siedlern, die sich von 1941 bis Mai 1942 in der Rheinprovinz für eine Umsiedlung meldeten, wollten nur 15% in den Osten, 42% dagegen in den Westen, 2% strebten einen Verbleib im Rheinland an und den restlichen 41% war ihr Ansiedlungsgebiet gleichgültig (S. 321). Um dem mangelnden Interesse an der Ostsiedlung entgegenzutreten, intensivierte Himmler seinen Einfluss nun auch im Altreich, durch eine gezielte Macht- und Personalpolitik unterstellte er auch die ländliche Restrukturierungsplanung der SS. Damit verlor Reichsbauernführer Darré endgültig seinen Einfluss auf die Siedlungspolitik. Durch eine Neuordnung des Altreichs nach den Vorstellungen der SS sollte nun der Osten für potentielle Siedler an Attraktivität gewinnen. Ein solches vermitteltes Vorgehen war wichtig, denn insbesondere bei der Altreichsbevölkerung verbot sich sogar für die SS die Anwendung von Zwang, wie es gegenüber den Bewohnern der besetzten Gebiete und partiell auch gegenüber Volksdeutschen üblich war. Hier zeigt sich deutlich die Schwäche des gesamten Europa-übergreifenden Umsiedlungsprogramms: In den besetzten Gebieten, wo die SS über einen rücksichtslosen und gewaltsamen Zugriff auf die Ursprungsbevölkerung verfügte, wurde die angestrebte Bevölkerungsverschiebung zumindest partiell realisiert – mit schrecklichen menschlichen Kosten. Im Altreich, wo sie während des Krieges auf Einverständnis und Zustimmung der Menschen angewiesen war, stieß die anvisierte Homogenisierung schnell an Grenzen.

Das wichtigste Ergebnis der Studie besteht im dezidierten Nachweis, dass sowohl die ländliche Neuordnung wie auch die Förderung des Bauerntums von 1933 an strikt rassenpolitischen Prinzipien unterlag – lange bevor sich Himmler die Zuständigkeit für die "Germanisierung" Europas sichern konnte: Die Biologisierung des Gesellschaftlichen begann eben nicht erst 1939 mit der nationalsozialistischen Eroberungspolitik und sie wurde auch nicht allein von der SS getragen. Vielmehr trugen der Reichsnährstand als ganzes, beflissene Universitätswissenschaftler aber auch die einzelnen Neubauernbewerber fundamental zur Popularisierung und Durchsetzung rassenanthropologischer Sortierungsmuster in der Agrarpolitik bei. Auch als "Raum" noch nicht in der Ukraine sondern nur in Ostelbien zur Verfügung stand, war "Rasse" bereits eine fixe Kategorie in der Stilisierung des nationalsozialistischen Bauerntums zum "Lebensquell der nordischen Rasse".2 Dies durch eine sorgfältige Analyse der Neuordnungsplanungen für das Altreich nachgewiesen zu haben ist das große Verdienst der Studie von Uwe Mai.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch Mai, Uwe, Ländlicher Wiederaufbau in der "Westmark" im Zweiten Weltkrieg, Kaiserslautern 1993.
2 Darré, Richard Walther, Das Blut als Lebensquell der nordischen Rasse, München 1933.

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