Titel
God and the Founders. Madison, Washington, and Jefferson


Autor(en)
Phillip Muñoz, Vincent
Erschienen
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 65,43
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Altmann, Korb

Die transatlantischen Dissonanzen zu Beginn des neuen Jahrhunderts haben verschiedene Ursachen. Zum einen erschütterten die außenpolitischen Alleingänge der Bush-Administration die US-europäische Sicherheitsarchitektur, die sich im Kalten Krieg so bravourös bewährt hatte. Zum anderen konnten sich die Verantwortlichen dies- und jenseits des Atlantiks nicht auf eine gemeinsame Strategie bei zentralen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen einigen. Schließlich machte sich auch der Eindruck breit, den Gesellschaften der westlichen Welt komme zusehends das einigende Band abhanden, das sie – über alle politischen Scharmützel des Alltags hinweg – zu einer Wertegemeinschaft zusammengebunden hatte. In kaum einem Bereich wurde dies so augenfällig wie im religiösen Leben.

Wendet man sich indes von den soziologischen Befunden ab und den verfassungshistorischen Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Kirche in den USA zu, verschwimmen die Konturen ubiquitärer Religiosität rasch. Wenn – wie im Jahr 2004 geschehen – der Supreme Court der Vereinigten Staaten am selben Tag zwei Fälle über die Anbringung der Zehn Gebote im öffentlichen Raum entgegengesetzt entscheidet und dabei jeweils ausgiebig auf die Schriften der „Founders“ rekurriert, muss Vincent Phillip Muñoz zufolge die Frage nach dem konstitutionellen Ort der Religion in den Vereinigten Staaten erlaubt sein. Seine stringent konzipierte Studie nimmt daher zunächst die Äußerungen James Madisons, George Washingtons und Thomas Jeffersons zum Verhältnis von Staat und Kirche ins Visier. Im zweiten Teil vergleicht Muñoz die aus den Schriften der Gründungsväter herauspräparierten Rechtsdoktrinen mit Fällen, die der Supreme Court zu entscheiden hatte und die aus einem Disput über die Auslegung des „First Amendments“ resultierten. Dieser erste Zusatzartikel der Verfassung, der mit neun weiteren die Bill of Rights von 1789 bildet, enthält die „Establishment Clause“ und die „Free Exercise Clause“. Erstere verbietet die Einführung einer Staatsreligion, letztere gewährt Religionsfreiheit. Muñoz’ Untersuchung mündet in die Formulierung einer eigenen Doktrin, die gewissermaßen das Beste dreier Welten in einem verfassungspolitischen Axiom bündelt.

Konstitutionelle Fallstricke lauern, keineswegs nur in den Vereinigten Staaten, stets dort, wo rechtliche Normen nicht gegen politische Vereinnahmung gefeit sind. So charakterisieren progressive Verfassungsrechtler die Gründerväter gern als rationale Deisten, die den säkularen Staat strikt gegen religiöse Übergriffe abzuschirmen trachteten. Demgegenüber betonen konservative Juristen die Religiosität der Gründerväter, die den Geist des Christentums durchaus im öffentlichen Leben der Vereinigten Staaten wehen lassen wollten. Muñoz weist beide Lesarten in die Schranken, da die Gründerväter weder untereinander noch jeder für sich eine konsistente Haltung zum Verhältnis von Staat und Kirche an den Tag legten.

James Madison orientierte sich bei seinen verfassungsrechtlichen Überlegungen an John Lockes Philosophie des Gesellschaftsvertrags, modifizierte diese jedoch in einem entscheidenden Punkt. Madison folgte Locke zunächst in der Feststellung, dass religiöse Pflichten den Forderungen der bürgerlichen Gesellschaft übergeordnet seien. Daher dürfe sich der Staat unter keinen Umständen zum Richter in religiösen Angelegenheiten aufschwingen. Anders als Locke unterstrich der vierte Präsident der Vereinigten Staaten freilich die staatliche Verpflichtung, alle religiösen Bekenntnisse gleichermaßen zu respektieren bzw. zu ignorieren, denn in dieser „noncognizance“ des religiösen Lebens verdichten sich Madisons Einlassungen zum Verhältnis von Staat und Kirche. Nur die konsequente „Nichtwahrnehmung“ religiöser Belange erfülle die Intention des Ersten Verfassungszusatzes.

George Washingtons verfassungspolitische Betrachtungen sind geprägt von der pragmatischen Perspektive des Militärs und Staatsmanns. Der Gründungspräsident wollte nämlich dem religiösen Leben so viel Einfluss auf die nachkoloniale Zivilgesellschaft einräumen, wie dieser für ihre eigenen Belange zuträglich war. Damit lieferte er gewissermaßen die Blaupause für die Gedanken Alexis de Tocquevilles zu den sozialmoralischen Voraussetzungen der Demokratie in Amerika. Washington vermochte sich schlechterdings kein Szenario auszumalen, in dem eine wahrhaftige Religion der bürgerlichen Gesellschaft abträglich wäre. Allerdings sah sich Washington als General mit dem Problem konfrontiert, dass beispielsweise die Quäker mit ihrer Ablehnung des Militärdiensts die Autorität des Staates in Frage stellten. Auch wenn Washington diese Haltung als religiöser Mensch akzeptierte, so konnte er als Soldat und Staatsmann den Quäkern allenfalls eine Tolerierung ihres Gewissenskonflikts anbieten.

Thomas Jeffersons Gedanken waren „both explosive and elusive“ (S. 71), das eine bedingte möglicherweise das andere. Dies hat den Supreme Court jedoch nicht davon abgehalten, wegweisende Urteile zum Verhältnis von Staat und Kirche wie „Reynolds v. United States“ (1878) und „Everson v. Board of Education“ (1947) explizit auf die Äußerungen Jeffersons zu stützen. Der dritte Präsident der Vereinigten Staaten stand den hergebrachten Konfessionen denkbar skeptisch gegenüber. Die Befürworter einer strikten Trennung von Staat und Kirche berufen sich deshalb regelmäßig auf Jefferson, dessen „wall of separation“ als Beschreibung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu einem geflügelten Wort des Verfassungsrechts avanciert ist. Jefferson folgte einerseits der Konzeption Lockes, aus der sich zwingend die Gedankenfreiheit als unveräußerliches Naturrecht ableiten lässt. Andererseits misstraute der Aufklärer Jefferson den Machenschaften der Priester und versuchte daher, den Einfluss konventioneller, tendenziell konflikthaltiger Religion einzudämmen und die Gedankenfreiheit mithin in gewisse Schranken zu weisen. Jefferson schwebte ein „more generic nondenominationlism” (S. 110) vor, der mit Hilfe staatlicher Bildungsbemühungen einer Art Vernunftreligion zum Durchbruch verhelfen sollte. Wie Muñoz anschaulich belegen kann, schwankte Jefferson in der politischen Praxis merklich zwischen seinen beiden Extrempositionen, die sich nicht ohne weiteres zu einer verfassungspolitischen Doktrin verschmelzen lassen.

In der Rechtsprechung des Supreme Courts zu Fragen des Verhältnisses von Staat und Kirche finden sich die Äußerungen der „Founders“ in den verschiedensten Allianzen wieder. Muñoz bildet nun Fallgruppen zur „Establishment Clause“ und zur „Free Exercise Clause“, um zu prüfen, wie der Supreme Court entschieden hätten, wenn er lediglich einem der Gründerväter gefolgt wäre. Dabei geht es etwa um die Frage, ob Konfessionsschulen staatliche Zuschüsse erhalten oder staatliche Schulen bei Abschlusszeremonien ein Gebet vorsehen dürfen. Des Weiteren mussten die obersten Verfassungsrichter darüber entscheiden, ob der Staat religiöse Praktiken verbieten oder religiöse Gemeinschaften von Steuerzahlungen befreien darf. Dabei erreichte der „strict separationism“ im Jahr 1971 seinen Zenit. In „Lemon v. Kurtzman“ befand eine Mehrheit der Richter, dass der Staat jede unnötige Verbindung mit Religionsgemeinschaften zu vermeiden habe. Spätestens seit der Ernennung von William Rehnquist zum „Chief Justice“ im Jahr 1986 wurde der so genannte „Lemon Test“ sukzessive aufgeweicht. Rehnquist neigte wie andere konservative Richter stärker Washington zu und betonte die Möglichkeit, dass religiöse Gemeinschaften die bürgerliche Gesellschaft bereichern und daher auch staatliche Unterstützung genießen könnten.

Angesichts der inkonsistenten Rechtsprechung des Supreme Courts und der Diskrepanz zwischen den verfassungspolitischen Ideen der Gründer erscheint es Muñoz plausibel, diese nicht als „judicial trump cards“ (S. 207) auszuspielen, sondern deren Gedanken jenseits einer starren Suche nach einer vermeintlich authentischen Lesart zur Befruchtung des je aktuellen rechtlichen Diskurses heranzuziehen. Muñoz votiert abschließend für eine modifizierte Form des „Madisonianism“ als Doktrin zur Bewertung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Während Jeffersons Methode, situativ zwischen Glaubensfreiheit und dem Kampf gegen die Irrationalismen seiner Zeit zu optieren, „shallowly cavalier“ (S. 210) sei, laufe Washington Gefahr, durch die Hintertür eines utilitaristischen Religionsverständnisses konfessionelles Sektierertum in die politische Arena einzuladen, ohne je hinreichend klären zu können, wann Religionsgemeinschaften ökumenisch genug agieren, um die Zivilgesellschaft zu bereichern. Unter der Parole „no legal privileges, no legal penalties“ gibt Muñoz hingegen Madisons Ansatz den Vorzug, möchte ihn jedoch dahingehend abmildern, dass der Staat durchaus „cognizant of religion in symbolic ways“ (S. 218) sein dürfe. Ansonsten bleibe der öffentliche Raum bisweilen unnötig kahl, während sich etwa der „Black History Month“ und die „Gay Pride Week“ staatlichen Wohlwollens erfreuten. Muñoz möchte diese und religiöse Veranstaltungen mit derselben verfassungsrechtlichen Würde ausstatten, da er ihnen dieselbe Bedeutung für die legitime Interessenvertretung in einer pluralistischen Gesellschaft beimisst.

Muñoz gelingt eine luzide Darstellung komplexer verfassungsrechtlicher Entwicklungen. Seine Studie erhellt das vielgestaltige Erbe der Gründungsväter und mahnt eine Lesart an, die diesem religionspolitischen Pluralismus Rechnung trägt und ihn für gegenwärtige Streitfragen fruchtbar zu machen versteht. Damit wird die amerikanische Debatte im Übrigen auch anschlussfähig für Kontroversen diesseits des Atlantiks, wo das Verhältnis von Staat und Kirche immer wieder von neuem auszutarieren ist, wie das Kruzifixurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jüngst vor Augen geführt hat.

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