Cover
Titel
After the 'Socialist Spring'. Collectivisation and Economic Transformation in the GDR


Autor(en)
Last, George
Reihe
Monographs in German History Volume 26
Erschienen
New York 2009: Berghahn Books
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
£ 58.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Roesler, Leibniz-Sozietät Berlin

Darüber, wie es zur Kollektivierung in der Landwirtschaft der DDR kam, sind bereits viele Bücher und Aufsätze mit wissenschaftlichem Anspruch geschrieben worden. Was danach kam, ist in der DDR-Historiographie, von einigen kleinteiligen Untersuchungen1 abgesehen, bestenfalls in Überblicksdarstellungen mit abgehandelt worden.2 Das ist insofern verwunderlich, als nach dem „sozialistischen Frühling“ von 1960 in der Landwirtschaft keineswegs alles seinen vorgeschriebenen „sozialistischen Gang“ ging. Es gab zunächst viele Unklarheiten nicht nur über den nach der Kollektivierung einzuschlagenden Weg, sondern auch über das Ziel: Sollte die Modernisierung der Landwirtschaft, die man sich nach dem damaligen Denken nur als Übernahme industrieller Produktionsmethoden vorstellen konnte, zur Groß-LPG führen, die nach deutscher Tradition Pflanzenanbau und Tierzucht miteinander vereinte, oder sollten getrennte Großeinheiten von Tierproduktion bzw. Pflanzenproduktion entstehen? In beiden Fällen war es unvermeidlich, dass die zunächst den Landwirtschaftsbetrieb dominierende LPG Typ I, die in ihrer Wirtschaftsweise noch stark an die privaten Bauernhöfe erinnerte, „höheren Formen der Vergenossenschaftlichung“ weichen müsste. Die Auseinandersetzungen über die zukünftige Gestaltung des „sozialistischen Landwirtschaftsbetriebes“ in der DDR haben sich über mehr als ein Jahrzehnt – von der Mitte der 1960er- bis zur Mitte der 1970er-Jahre – hingezogen. Kaum aber hatten sich die schließlich entstandenen Strukturen – nach Tier- und Pflanzenproduktion getrennte Großbetriebe – gefestigt, mussten sie Anfang der 1980er-Jahre teilweise wieder rückgängig gemacht werden.

Es handelt sich bei der DDR-Landwirtschaftsentwicklung nach 1960 also um eine bewegte Geschichte, die zu verfolgen Last sich zur Aufgabe gemacht hat. Er fand in der deutschen Geschichtsschreibung nach der Wende dafür zwei Methoden der Analyse vor. Die eine ist die Totalitarismusdoktrin, mit der eine Geschichte der „Durchherrschung“ der Gesellschaft nachgezeichnet werden kann: Die „oben“ setzen sich gegen die „unten“ Schritt für Schritt und unter Anwendung aller Machtmittel durch. Die andere Methode geht von der Idee der „Herrschaft als sozialer Praxis“ aus und sieht die konkreten Formen der Herrschaft mehr als Ergebnis von Interessen getriebenen Auseinandersetzungen zwischen „oben“ und „unten“, wobei der „Eigensinn“ derjenigen „unten“ dem Herrschaftswillen derer, die sich „oben“ befinden, manchen Kompromiss abgerungen hat. Last benutzt beide Methoden, wobei ihm seiner Meinung nach vor allem die Zweite eine realistischere Aufarbeitung dessen, was in der Landwirtschaft der 1960er- bis 1980er-Jahre vor sich ging, erlaubt.

Die zweite Methode verlangt, sich nicht nur mit der Untersuchung der Beziehungen zwischen zwei Ebenen – zentrale Landwirtschaftsleitung und LPG-Genossenschafter – zu begnügen, sondern auch die „Zwischenleitungen“ ins Blickfeld zu rücken: Der LPG-Vorstand, die staatliche und die Parteileitung auf Kreis- und Bezirksebene und auch das Nebeneinander der beiden offiziell für die „Bauernklasse“ zuständigen Parteien – SED und Bauernpartei (DBD) – war zu berücksichtigen.

Last wusste, dass er den Interessenkonflikten und ihrer Austragung nicht ohne Archivstudien auf die Spur kommen wird und dass er sie so konkret nicht für die gesamte DDR untersuchen kann. Er hat sich in seiner Pionierarbeit deshalb auf einen der 14 Bezirke der DDR, den Bezirk Erfurt, konzentriert. Last stützt sich hauptsächlich auf die Akten des Thüringer Hauptstaatsarchivs in Weimar, des Bezirksparteiarchivs Erfurt und des Kreisarchivs Sömmerda. Ergänzend werden Aktenbestände des Bundesarchivs Berlin und Archivmaterialien, die beim Bezirksbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in der Außenstelle Erfurt lagern, von ihm herangezogen.

Last beschreibt im ersten Teil seines Buches die Situation der DDR-Landwirtschaft während und unmittelbar nach der Kollektivierung. Ein zweiter Teil ist der Entwicklung der Landwirtschaft unter Ulbrichts Wirtschaftsreform gewidmet, ein dritter der Honeckerzeit. Last schließt mit der Schilderung der – 1989 nicht in offenen Protesten zum Ausdruck kommenden – Unzufriedenheit der Bauern mit den Ergebnissen der SED-Landwirtschaftspolitik ab. Am Abschluss eines jeden Kapitels wird zusammenfassend eingeschätzt, inwieweit es der SED gelungen war, ihre Autorität auf allen Ebenen der Landwirtschaftslenkung und bis in die Belegschaft der LPG hinein zu festigen. Der Prozess zunehmender Durchherrschung gestaltete sich langwierig und war für die SED-Führung auch mit Rückschlägen verbunden – mit notwendigen Kompromissen gegenüber den Bauern, die Bauern bleiben wollten und nicht von ihrer Scholle, ihrem Dorf getrennt wirkende Arbeiter in der Landwirtschaftsindustrie werden wollten. Last zeigt auch, wie mit zunehmender Ausbildung und angesichts offensichtlicher Produktionserfolge der industrialisierten Landwirtschaft die Anhänger der neuen Produktionsmethoden in den LPG an Einfluss gewannen. Die Unzufriedenheit der Bauernschaft mit der SED-Führung resultierte 1989 nicht mehr aus ihnen aufgezwungen Formen der Großkooperation, sondern aus den Unzulänglichkeiten ihrer Verwirklichung, hervorgerufen durch unzureichende Lieferungen von modernem Gerät, Einschränkungen beim Kraftstoffverbrauch und der Düngemittelversorgung – Ausflüssen des generellen Niedergangs der DDR-Wirtschaft in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre.

Nicht genügend deutlich wird bei Last die Rolle, die für beide Seiten in der Auseinandersetzung um die Art und Weise der Modernisierung der Landwirtschaft die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion selbst spielte. Die SED-Führung reformierte die Landwirtschaftsstrukturen nicht nur, weil sie die Bauern in den neuen Strukturen besser zu beherrschen glaubte, sondern auch, und, zumindest über große Zeiträume, vor allem deshalb, weil die DDR-Wirtschaft steigender landwirtschaftlicher Produktion bedurfte. Andererseits maßen die Bauern die Strukturexperimente letztlich an den auf ihrer Grundlage erreichten Produktionsergebnissen. Man hätte sich also gewünscht, dass sich Last stärker mit den Produktionsergebnissen auseinandersetzt. Das entsprechende Zahlenmaterial ist vorhanden: Die staatliche Zentralverwaltung für Statistik der DDR hat es – über zwei Jahrzehnte sogar auch als Jahrbuch für den Bezirk Erfurt – herausgegeben. Last zögerte jedoch, diese Statistiken zu benutzen: „Es gab gute Gründe zur Fälschung, von der Ebene der LPG bis hin zur Staatlichen Plankommission“, begründete er seine Zurückhaltung. Er ist aber auch tief genug in den Leitungsprozess der Landwirtschaft eingedrungen, um zu bedenken: „Nichtsdestotrotz kann die Leitung nur funktioniert haben, wenn die Berichterstattung einigermaßen akkurat war“ (S. XXXI). Zwischen beiden Einschätzungen hin und her gerissen, entschied sich Last dafür, hinsichtlich der Erfolge und Misserfolge der SED-Landwirtschaftspolitik „alternative Quellen“ zu benutzten – „etwa die Klagen der Bauern oder Dorfbewohner in Eingaben oder die Stimmungsberichte der Polizei, der Stasi und der SED-und DBD-Parteiorganisationen“ (S. XXXI).

Dadurch, dass er die exakten Statistiken nicht nutzt, hat sich Last einige interessante Zusammenhänge, Ursachen für das Verhalten der SED-Führung bzw. der LPG-Vorstände zu anstehenden Problemen der Modernisierung, entgehen lassen. Bedauern kann man das, aber kritisieren kaum. Denn das nach einjähriger Prüfungsdauer der DDR-Statistiken im produzierenden Gewerbe, Einzelhandel und der Landwirtschaft vom Statistischen Bundesamtes 1991 verkündete Ergebnis der Untersuchung ist von den mit der „Aufarbeitung der DDR-Geschichte“ befassten Institutionen nicht aufgegriffen worden und so Last offensichtlich unbekannt geblieben. Das Urteil lautete: „Die DDR-Statistik zeichnete im Wesentlichen die Realität nach, der Plan folgte der Wirklichkeit.“3

Insgesamt entsteht bei Last ein äußerst lebendiges Bild der Entwicklung der DDR-Landwirtschaft über drei Jahrzehnte, das unter anderem auch erklärt, warum nach 1989 die Mehrzahl der Bauern in der DDR für den genossenschaftlichen Großbetrieb und nicht für die Rückkehr zu „vor 1960“ optierte. Lasts Publikation wird durch eine umfangreiche Bibliographie und ein erfreulich tief gestaffeltes Sachwortverzeichnis vervollkommnet. Man kann nur hoffen, dass sich Lasts Wunsch erfüllt, dass seiner, wie er bescheiden vermerkt, „begrenzten Regionalstudie“ weitere folgen werden, bis schließlich die gesamte Geschichte der DDR-Landwirtschaft während der zweiten Hälfte der Existenz der DDR erschlossen ist.

Anmerkungen:
1 Z.B. Patrice Poutrus, Die Erfindung des Goldbroilers. Über den Zusammenhang zwischen Herrschaftssicherung und Konsumentwicklung in der DDR, Köln 2002.
2 Vgl. Hans Luft, Von der LPG zur Agrargenossenschaft Eine positive Entwicklung? in: Stefan Bollinger / Fritz Vilmer (Hrsg.), Die DDR war anders, Berlin 2002, S. 206-225.
3 Statement des Präsidenten des Statistischen Bundesamtes Egon Hölder: DDR-Statistik: Schein und Wirklichkeit, Wiesbaden 1991, S. 1, zitiert in: Jörg Roesler, Ostdeutsche Wirtschaft im Umbruch 1970-2000, (Zeitbilder: Bundeszentrale für politische Bildung), Bonn 2003, S. 9.

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