J. Rößler: Poetik der Kunstgeschichte

Titel
Poetik der Kunstgeschichte. Anton Springer, Carl Justi und die ästhetische Konzeption der deutschen Kunstwissenschaft


Autor(en)
Rößler, Johannes
Erschienen
Berlin 2009: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 59,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Michel Espagne, l'UMR 8547 "Pays Germaniques", Centre National de la Recherche Scientifique, Paris

Die Geschichtsschreibung greift auf rhetorische oder allgemein literarische Darstellungsformen zurück, wenn es darum geht, die Abfolge von Ereignissen oder die Ausweglosigkeit der Historie und den Zweifel an der Teleologie auszudrücken. Neben der Rhetorik der Geschichtsschreibung gibt es eine Poetik der Kunstgeschichte, die die Konkurrenz zwischen dem Kunstwerk und der adäquaten Beschreibung seiner Schönheit reflektiert. Daß auch Germanisten sich mit der historischen Beschreibung auseinandersetzen müssen, versteht sich von selbst. Wenn sie sich auf die Kunstgeschichtsschreibung konzentrieren, haben sie mit hermeneutischen Modellen zu tun, die eine weitgehend nichtdeutsche Kunst in einer deutschen Kunstsprache beschreiben und in die literarische Bildungstradition deutscher Universitäten aufnehmen.

Johannes Rößler hat dieser ästhetischen Konzeption der Kunstwissenschaft ein Buch gewidmet, das sich von den immer wieder analysierten Gründerfiguren der Disziplin entfernt und Neuland betritt, indem es wohl zum ersten Mal das Werk von Anton Springer und von Carl Justi ausführlich behandelt. Der kaum noch bekannte Anton Springer, der die kunstwissenschaftlichen Institute in Bonn, Straßburg und Leipzig gegründet hat, gehörte zur Generation der Achtundvierziger. Sein umfangreiches Werk besteht zur Hälfte aus Beiträgen zur politischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, insbesondere im mitteleuropäischen Raum. Nach seiner noch hegelorientierten Promotion bei Friedrich Theodor Vischer hat er sich in verschiedenen Zeitungsorganen als Journalist betätigt. Die Kunstwissenschaft kam sozusagen hinzu. Sie ist aber nur vor dem Hintergrund des politischen Engagements zu verstehen. Anton Springer, der mit Gustav Freytag befreundet war, bekennt sich zu einem ästhetischen Realismus, der in der Perspektive des Verfassers zu einer geschichtswissenschaftlichen Kategorie erhoben wird. Anhand der drei Fassungen von Springers Analyse zu dem im 19. Jahrhundert meistinterpretierten Werk, Raffaels Schule von Athen, läßt sich die Entwicklung von Springers Methodik mikrologisch verfolgen. Der Verfasser, der über beeindruckende Kenntnisse des kunsthistorischen wie auch literarischen Kontextes verfügt, zeigt, wie eine akademische Disziplin neue Instrumente schmiedet. Vischers nachhegelsche Ästhetik ist mit dem idealrealistischen Denken, das Springers Spätwerk Raffael und Michelangelo kennzeichnet, durchaus kompatibel. Neu ist eigentlich an diesem Buch die Verflechtung zweier unabhängiger Biographien. Sehr zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang die Gegenüberstellung von Springers Ansatz und der Position seines alten Kontrahenten Herman Grimm.

Mit Carl Justi, der als Nachfolger von Springer einen Ruf nach Bonn bekommt aber genau solange wirkt wie Anton Springer, behauptet sich eine neue Form der Geschichtsschreibung, die Johannes Rößler anhand des kulturhistorisch orientierten „Diego Velázquez und sein Jahrhundert“ (1888) untersucht. Die Funktion der Biographie bei dem ersten Lehrer von Aby Warburg Justi läßt sich in der Nähe zum Neukantianismus verorten. Sehr bemerkenswert ist das autobiographische Moment in seiner Annäherung sowohl an Winckelmann, dem er sein Hauptwerk widmete, wie auch an Velázquez. Der Verfasser vergleicht gern Justis Ansatz mit den sehr unterschiedlichen Perspektiven von Grimm oder Morelli auf die Methodik der Kunstgeschichte. Diesmal wird allerdings der Akzent wieder auf das rhetorische Instrumentarium des Kunsthistorikers Justi gelegt, der mit seinem Winckelmann die Nachfolge Goethes antrat, durch die Anwendung erfundener Korrespondenz oder durch den Rückgriff auf die Gattung des Dialogs neue halb wissenschaftliche halb literarische Darstellungsformen erfand und sich von dem historischen Optimismus verabschiedete, indem er sich eher zum Platonismus oder zum schopenhauerschen Pessimismus bekannte. Die Deutung von Velázquez Meninas entspricht einer Aufwertung der Kontingenz, ja des Zufalls. Justi komme es vor allem auf die Anschaulichkeit in den Gemälden Velázquez an. Gleichzeitig sei er aber den hermeneutischen Modellen von Schleiermacher bis Dilthey verpflichtet, die er auf die Kunst zu übertragen versucht. Die Überlegungen Johannes Rößlers zeugen nicht nur von einem breiten Wissen über ein wenig erforschtes Moment in der Geschichte der Geisteswissenschaften und von einer genauen Kenntnis aller zugänglichen Quellen sondern auch von der Fruchtbarkeit dieses Moments für die Fachgeschichte der Geschichtswissenschaft und vor allem ihrer interkulturellen Dimension. Dass einzelne Ausschnitte im Werk der beiden Kunsthistoriker exemplarisch behandelt wurden, kommt dieser Untersuchung zugute, die unsere Wahrnehmung der Kunstwissenschaft als akademischer Disziplin gründlich differenziert und letztendlich weitgehend erneuert.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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