M. Ormos: Hungary in the Age of the Two World Wars 1914-1945

Cover
Titel
Hungary in the Age of the Two World Wars 1914-1945.


Autor(en)
Ormos, Mária
Reihe
Atlantic Studies on Society in Change 133
Erschienen
Anzahl Seiten
450 S.
Preis
$ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nils Müller, Freie Universität Berlin / Institut für Europäische Geschichte Mainz

Mária Ormos’ ausführliche, flüssig geschriebene Darstellung konzentriert sich auf die Geschichte Ungarns zwischen den beiden Weltkriegen, konzentriert auf die Zeit von der traumatischen Niederlage im Ersten bis zum scheinbar unvermeidlichen Eintritt in den Zweiten. Als dichte Folge von krisenhaften Entwicklungen ist die Zwischenkriegszeit eine Herausforderung für die Historiografie und Ursprung bis heute bestehender Kontroversen zugleich. Der militärischen Niederlage und dem staatlichen Zerfall Österreich-Ungarns folgten in kürzesten Abständen die bürgerliche „Asternrevolution“, die Räterepublik unter Bela Kun, die „Konterrevolution“ der konservativen Gegenregierung in Szeged und die Vergeltungsmaßnahmen an (mutmaßlichen) Kommunisten – der „weiße Terror“. Der Vertrag von Trianon hatte 1920 die Bevölkerungszahl und das Territorium des ungarischen Staates beträchtlich reduziert. Mit der Installation Miklós Horthys als Reichsverweser und der langen Ministerpräsidentschaft István Bethlens (1921-1931) gelang bis in die zweite Hälfte der 1920er-Jahre eine relative Stabilisierung der inneren wie äußeren Verhältnisse. Doch die kurze Phase der Stabilität wurde Anfang der 1930er-Jahre durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise beendet. In den Jahren danach versuchten verschiedene Regierungen, die Krisenfolgen einzudämmen, wobei das Land in eine immer engere wirtschaftliche Abhängigkeit vom nationalsozialistischen Deutschland geriet. Da man sich von diesem zugleich aber Hilfe bei der Wiedergewinnung durch „Trianon“ verlorener Gebiete mit ungarischer Bevölkerungsmehrheit versprach, manövrierte sich die ungarische Außenpolitik in eine Lage, die keine Alternative zum Kriegseintritt 1941 mehr möglich scheinen ließ.

Dieser Epoche nähert sich Ormos von der Warte einer ausgewiesenen Expertin der Geschichte der internationalen Beziehungen, der politischen Ideologien und der Ideengeschichte. Ihre Darstellung zeigt die Kontinuitäten und Brüche in einem relativ geschlossenen Kreis konservativer politischer Eliten, die bis in den Zweiten Weltkrieg hinein an der Macht bleiben konnten. Die verschiedenen Schattierungen des rechts-konservativen ideologischen Spektrums verknüpft sie dabei präzise mit den konkreten Machtinteressen der handelnden Personen. Ihre Darstellung ist streng chronologisch und nach den Amtszeiten der Ministerpräsidenten geordnet. Kapitel 4 ist Bethlen gewidmet, das folgende Kapitel umfasst unter dem Titel „Perilous Experiments“ die politische Entwicklung der 1930er-Jahre, wiederum nach den jeweiligen Ministerpräsidenten untergliedert. Nur an drei Stellen bricht die Darstellung aus diesem Schema aus: Kapitel 4 umfasst die Themen „The Economy in the 1920s“ (S. 143-174), „Society“ (S. 175-193) und „Welfare and Education Policy“ (S. 194-209), Kapitel 5 die kurz gehaltenen Darstellungen von „The Economy and Society in the 1930s“ (S. 306-318) und „The Economy and Society in the Period of Peaceful Revision and Subsequent Death“ (S. 371-380).

Im Vierteljahrhundert nach dem Ersten Weltkrieg war das gesellschaftliche Leben in Ungarn in allen seinen Aspekten von der Aufgabe geprägt, die Konsequenzen „Trianons“ zu überwinden. Die Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sozialwesen sind ohne diesen gemeinsamen Bezugspunkt nicht einzuordnen. Zu den dringendsten Problemen zählten die Überwindung der außenpolitischen Ohnmacht gegenüber den in der Kleinen Entente zusammengeschlossenen Nachbarstaaten, die große ungarische Minderheiten umfassten. Ökonomisch war die Kompensation des verlorenen österreichisch-ungarischen Wirtschaftsgebietes nicht leicht. Die wichtigste soziale Frage betraf die immer diskutierte, doch nie konsequent durchgeführte Landreform, und das intellektuelle Leben war geprägt von der Suche nach nationaler Identität, was besonders in den 1930er-Jahren großen Einfluss auf die Auseinandersetzung mit rechten politischen Ideologien hatte. Hier zeigt sich die größte Schwäche von Ormos’ Darstellung: Wirtschafts-, Sozial-, und in Ansätzen auch die Kulturgeschichte behandelt sie nur als Abschweifung von der politikzentrierten Erzählung, ohne diese für die Analyse wirklich ernst zu nehmen.

So lässt sich vielleicht auch ihre Argumentation zu zwei der wichtigsten Streitfragen in der ungarischen Geschichtsschreibung zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einordnen. Die eine betrifft die Frage nach der Unvermeidbarkeit des Zerfalls der Donaumonarchie und die Rolle Ungarns im Krieg. Ormos’ Fokussierung auf politische und militärische Ereignisse verleitet sie dabei zu einer verengten Perspektive, in der die nicht-ungarischen militärischen Entscheidungsträger („It also says much that the Common Army General Staff contained not one Hungarian officer, and very few Hungarians of German extraction or ‚aulic‘ Austrianized Hungarians held high military posts […].“; S. 6) sehr schematisch der unter den Entscheidungen leidenden (ungarischen) Bevölkerung in einem Täter-Opfer-Verhältnis gegenüber gestellt werden: „The soldery did their duty, fighting the enemy without loathing them. […] Yet despite its full commitment of its human resources, this was not Hungary’s war.“ (S. 11) Die soziokulturellen Konfliktlinien der Vorkriegs- und Kriegszeit werden ausgeblendet. Auch ihre Feststellung, die Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn über die Bildung eines gemeinsamen „mitteleuropäischen“ Wirtschaftsraums während des Krieges „took place over the heads of the Hungarian Government“ (S. 14), ist problematisch. Mindestens das ungarische Handelsministerium war direkt an den Zollunions-Verhandlungen beteiligt, die 1918 zu den für die deutsche Delegation eher enttäuschenden „Salzburger Vereinbarungen“ führten.1

Die zweite Frage berührt den Charakter des politischen Systems Ungarns in der Zwischenkriegszeit. In der marxistischen Geschichtsschreibung galt es als „faschistisch“, in jüngerer Zeit ist im Verbund mit den Systemen der Nachbarstaaten – besonders für die 1930er-Jahre – der Begriff „autoritär“ in den Vordergrund gerückt.2 Ormos bedient sich keines dieser Begriffe und räumt stattdessen formalen Kriterien wie dem durchgängig arbeitenden Parlament und das regelmäßige Abhaltens von Wahlen (die freilich keineswegs frei, gleich und geheim waren) viel Raum ein. Wo sie Gyula Gömbös’ ständestaatliche Experimente der 1930er-Jahre bespricht, hebt sie die modernisierende Wirkung von Diktaturen – „fascism, Nazism, Stalinism, or any kind of dictatorship“ (S. 244) – hervor. Leider äußert sich Ormos zu diesen Debatten nur en passant, anstatt ihre Position zu diskutieren, wofür sowohl ihr Material als auch die Perspektive ihrer Darstellung Gelegenheit gegeben hätten.

In der ungarischen Originalausgabe war das Buch als Lehrwerk konzipiert.3 Die Darstellung beruht auf einer Auswertung der verfügbaren Forschungsliteratur, es finden sich wenige Quellen- oder Literaturnachweise im Text, dafür gibt es aber einen Anhang mit einer Chronologie, Kurzbiografien wichtiger Akteure und einigen zentralen politischen Dokumenten der Epoche. Als Einführung für Leser, denen die ungarischsprachige Literatur nicht zu Verfügung steht, ist der Band aber zu unausgewogen. Wer eine detaillierte Darstellung der politischen Geschichte im engeren Sinne sucht, wird Ormos’ materialreiche Studie zu schätzen wissen. Für einen vollständigeren Überblick in englischer Sprache sei aber z.B. auf die entsprechenden Kapitel in Ignác Romsics’ Standardwerk verwiesen.4

Anmerkungen:
1 Elemér Hantos, Die Handelspolitik in Mitteleuropa, Jena 1925, S. 96f.
2 Vgl. besonders den Sammelband: Erwin Oberländer (Hrsg.), Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1944, Paderborn 2001.
3 Mária Ormos, Magyarország a két világháború korában, 1914-1945, Debrecen 1998.
4 Ignác Romsics, Hungary in the Twentieth Century, Budapest 1999, S. 101-270.

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