Cover
Titel
Bandits and Partisans. The Antonov Movement in the Russian Civil War


Autor(en)
Landis, Erik C.
Reihe
Pitt Series in Russian and East European Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
xx, 381 S.
Preis
$ 50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Schnell, Institut für Geschichtswissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Bauernaufstand im Gouvernement Tambow in den Jahren 1920/21 war eine der größten Herausforderungen des bolschewistischen Staates während des Russischen Bürgerkrieges. In der nach ihrem Anführer Alexander Antonow „Antonowschtschina“ genannten Aufstandsbewegung kämpften zeitweilig bis zu 30.000 Mann gegen die sowjetische Regierung und kontrollierten große Teile der südwestlich von Moskau gelegenen Region. Sie war neben der „Machnowschtschina“ in der Ukraine eine der Kulminationspunkte des Krieges der Bolschewiki gegen die Bauern. Trotz seiner Bedeutung stellte der Aufstand in Tambow aber lange Zeit eher ein unterbelichtetes Kapitel des Russischen Bürgerkrieges dar. Erik C. Landis hat einen Großteil seines Forscherlebens mit einem Thema zugebracht, das aufgrund von Quellenknappheit, Marginalisierung durch die sowjetische Historiographie sowie fehlenden Archivzugang für westliche Historikerinnen und Historiker vor den 1990er-Jahren in gewisser Weise eine „terra incognita“ war. Das Ergebnis ist ein bemerkenswertes Buch, an dem es wenig auszusetzen gibt und das zugleich mehr leistet, als sein Autor beansprucht.

Vor der „Archivrevolution“ hatte Oliver H. Radkey den einzigen ernst zu nehmenden Versuch einer Darstellung vorgelegt, der angesichts eingeschränkter Quellengrundlage bemerkenswerte Einsichten in die Aufstandsbewegung gab.1 Allen Schwächen dieses Buches zum Trotz könnte man Landis den kleinen Vorwurf machen, dass er der Leistung Radkeys, die seine eigene in keiner Weise schmälert, nicht genügend Referenz erweist. Erwähnt werden sollte noch, dass die Antonowschtschina in Russland zwar auf ein teilweise lebhaftes Interesse bei der Regionalforschung (krajewedenije) traf, sich die akademische Historiographie aber weiterhin auffällig zurückhielt, obwohl einige Dokumente über den Aufstand veröffentlicht wurden.2

Erik C. Landis tritt für heutige Verhältnisse sehr unprätentiös auf: Sein Buch soll vor allem eine Erzählung der Ereignisse sein, die neben der sowjetischen Staatsbildung die Politik der Bolschewiki, respektive der Bauern in den Blick nimmt. Es soll kein einfaches Bild des Kampfes der Guten gegen die Bösen gezeichnet werden (S. xi) – das ist offenbar ein Seitenhieb auf Radkey und seine noch im Klima des Kalten Krieges entstandene Studie. Der Mehrwert, den Landis gegenüber Radkey leistet, besteht eher in seinen danach formulierten Zielen: Er will Dynamik und Kontingenz der Bewegung fassen, Mobilisierung der Bevölkerung und Entwicklung der Gegenbewegung analysieren. Was Landis umtreibt und Radkeys Buch offen ließ, ist die vermeintlich einfache, tatsächlich aber sehr schwierige Frage, wie aus Bauern Aufständische und wie aus Banditen Partisanen und dann wieder Banditen werden konnten (S. xii). Damit ist das Problem angesprochen, dass viele Darstellungen (nicht nur) des Bürgerkriegs Politik und Ideologie eine zu große Bedeutung und den beteiligten Akteuren allzu eindeutige und statische Rollen zuweisen. Obwohl zwischen hartem Kern der Aufständischen und Mitläufern recht gut unterschieden werden kann, zeigt Landis sehr instruktiv, wie hier situationsbedingt die Grenzen zwischen den Gruppen verwischten. Er macht auch deutlich, dass Entwicklung und Verlauf der Aufstandsbewegung mit den Ausgangsbedingungen nicht einfach festgelegt waren. Die Partisanenbewegung entwickelte sich aus bereits laufenden Gewaltprozessen heraus und umgekehrt erstand auch der sowjetische Staat in Tambow erst aus der dialektischen Logik dieses Konflikts (S. 59, 67f.). Dies luzide zu machen, ist das größte, aber nicht das einzige Verdienst des Autors.

In neun Kapiteln lässt Erik Landis die Geschichte des Aufstandes chronologisch abrollen. Er macht deutlich, dass die Bevölkerung keineswegs grundsätzlich antisowjetisch eingestellt war und banditischen Gruppierungen nur bedingt Sympathien entgegenbrachte (S. 41). Dass beide Elemente im Laufe des Jahres 1920 schließlich in einer machtvollen Aufstandsbewegung zusammenfanden, war ein längerer Prozess, in dem der Kriegskommunismus der Bolschewiki genauso eine Rolle spielte wie die Schwäche ihrer staatlichen Institutionen auf dem Lande (S. 53f.). Während es Antonow gelang, ein erstaunliches Maß an Organisation und interner Disziplin herzustellen, herrschten auf der sowjetischen Seite Inkompetenz und institutionelle Konflikte, zu denen noch Mangel an militärischen Ressourcen dazukam (S. 66f., 102, 162). Entsprechend hatte die Regierung erst Erfolg, als sie die Antonowschtschina nicht als Banditenbekämpfung, sondern unter den Bürgerkriegsfeldherren Antonow-Owsejenko und Tuchatschewski als Krieg anging (S. 118, 211ff.). Dabei hatte der Einsatz von Giftgas eher experimentellen Charakter (S. 265). Wichtigere Instrumente waren massenhafte Lagerinhaftierung (S. 242ff.), Geiselnahme und -erschießungen (233ff.).

Mochten viele Bauern den Aufständischen auch mehr Sympathie entgegenbringen als den Sowjets: Es war von großer Bedeutung, dass die Bauern der Gewalt der Aufständischen weitgehend ausgeliefert waren und Letztere nicht nur Unterstützung des sowjetischen Staates, sondern auch schon Indifferenz gegenüber der Aufstandsbewegung bestraften. Macht und Gewalt waren wichtigere Kohäsionsmittel des Aufstandes als antisowjetische Haltung – hier wird der zwischen Banditen und Partisanen changierende Charakter des harten Kerns der Aufständischen sehr deutlich. Denn auch sie requirierten bei den Bauern, raubten, was sie brauchten, aber ihnen nicht freiwillig gegeben wurde (S. 93ff., 141f.). Alexander Antonow war kein Robin Hood und sein krimineller und gewalttätiger Hintergrund als „Expropriateur“ im Dienste der Sozialrevolutionäre vor 1917 wird klar herausgestellt. Schließlich scheint es nicht so sehr Überzeugung gewesen zu sein, die Antonow zuerst in Opposition und dann Feindschaft zu den Bolschewiki brachte, sondern vielmehr der Umstand, dass es ihm im Gegensatz zu anderen nicht gelang, sich in der sich neu formierenden Ordnung zu etablieren (S. 50ff.). Man kann vermuten, dass Antonow unter etwas anderen Umständen auch Karriere in der Tscheka hätte machen können.

Erik Landis gelingt es, die Geschichte der Antonowschtschina ebenso informativ wie anregend und elegant zu erzählen. Das ist eine Leistung, die jeder, der einen Eindruck von der disparaten Quellenlage zum Russischen Bürgerkrieg hat, umso höher zu schätzen weiß. Sie verdeckt freilich auf den ersten Blick auch die großen Wissenslücken über die Partisanenarmee. Dem aufmerksamen Leser entgeht nicht, dass der größte Teil des Buches eigentlich keine Geschichte der Antonowschtschina, sondern eine Geschichte ihrer Bekämpfung aus sowjetischer Perspektive ist. Wir lernen durch Landis’ Buch zwar viel über die Partisanenbewegung in Tambow und auch „wie Ängste und Erweiterungen des Möglichkeitshorizontes Bürgerkriege zu chaotischen und faszinierenden Ereignissen machen“ (S. 285). Viel mehr noch aber gibt es Aufschluss über sowjetische Staatsbildung weit über den Bürgerkrieg hinaus.

So zeigen Landis’ Forschungsergebnisse erstens, dass nicht so sehr militärische Auseinandersetzungen zwischen den Bürgerkriegsparteien für den Ausgang des Konflikts verantwortlich waren, sondern das Maß, in dem die jeweiligen Seiten die Bevölkerung durch Terror zur Unterstützung zu zwingen vermochten. Gewalt gegen die den Gegner unterstützende Bevölkerung erwies sich als entscheidende Waffe. Das entspricht neueren Erkenntnissen über den Verlauf von Bürgerkriegsprozessen.3

Zweitens machte die sowjetische Seite hier weitreichende passive und aktive Erfahrungen mit Gewalt. Die passiven Gewalterfahrungen betrafen vor allem die Funktionäre, die der Partisanengewalt zeitweise schutzlos ausgeliefert waren und diese Lektion bis zur Kollektivierung nicht vergessen sollten. Der Furor, mit dem viele Parteimitglieder sich Ende der 1920er-Jahre erneut auf das Dorf stürzten, hatte hier zumindest auch seine Wurzeln. Die aktiven Gewalterfahrungen betrafen vor allem Tschekisten und Rote Armee. Die Taktik der Geiselnahme und Geiselerschießungen führten in den meisten Fällen fast unmittelbar zum Erfolg. War eine Gruppe von Geiseln hingerichtet worden, kam es sogar vor, dass Bauern die eigenen Söhne auslieferten (S. 234). In Tambow lernten die Bolschewiki einmal mehr, dass Gewalt, Schrecken und Terror hoch effektive Waffen waren. Die Tatsache, dass dort massenhaft Offiziersanwärter eingesetzt wurden, verweist auf Lernprozesse, die vor allem für die stalinistische Phase wirksam wurden (S. 263).

Kurz: Erik C. Landis hat nicht nur ein sehr gutes Buch über ein zentrales Kapitel des Russischen Bürgerkrieges geschrieben, sondern auch über einen exemplarischen Gewaltprozess. Auch wer wissen will, wie der Bürgerkrieg für die Bolschewiki zur Schule der Gewalt wurde, kann hier fündig werden.

Anmerkungen:
1 Oliver H. Radkey, The Unknown Civil War in Soviet Russia. A Study of the Green Movement in the Tambov Region 1920-1921, Stanford, Cal. 1976.
2 Viktor P. Danilow (Hrsg.), Krestjanskoe Wosstanie v tambowskoi gubernii w 1919–1921 gg.: dokumenty, materialy, Tambow 1994; ders. (Hrsg.), Antonowschtschina: krestjanskoe wosstanie v tambowskoi gubernii 1920–1921 gg.: dokumenty, materialy, wospominanija, Moskau 2007.
3 Stathis N. Kalyvas, The Logic of Violence in Civil Wars, Cambridge 2006, S. 12, S.87ff.

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