Titel
Frauen arbeiten. Weibliche Erwerbstätigkeit in Ost- und Westdeutschland nach 1945


Herausgeber
Budde, Gunilla-Friederike
Erschienen
Göttingen 1997: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
301 S.
Preis
€ 20,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Schumann

Spätestens seit sich die Frauengeschichte in den achtziger Jahren zur Geschlechtergeschichte ausgeweitet hat, beschäftigen sich Forschungen zur Erwerbsarbeit von Frauen mit der Frage, welche unterschiedlichen Auswirkungen gesellschaftliche Vorstellungen über die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auf das Leben von Männern und Frauen haben. Auch bei der vorliegenden Publikation, die die Frauenerwerbsarbeit in beiden deutschen Staaten betrachtet, stehen solche Fragen im Mittelpunkt. Eine wichtige theoretische Klammer für die Beiträge dieses Bandes bietet daher Karin Hausens Analyse desjenigen Modells der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, demzufolge der Mann als Ernährer der Familie gilt, der Frau dagegen die alleinige Zuständigkeit für Haushalt und Familie zugewiesen und der Ertrag ihrer Berufsarbeit lediglich als Zuverdienst angesehen wird. Im 19. Jahrhundert festgeschrieben, blieb dieses Modell in der Bundesrepublik Deutschland bis weit in die sechziger Jahre verbindliche gesellschaftspolitische Zielvorstellung. Erst allmählich begann es zu erodieren, erweist aber nach Hausen bis in die Gegenwart hinein seine Zählebigkeit, wenn beispielsweise Hilfen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch noch heute mit dem Etikett "Frauenförderung" versehen werden.

Die DDR dagegen versuchte seit den fünfziger Jahren, alle Frauen in vollem Umfang ins Erwerbsleben einzubeziehen. Auf Grund der hohen weiblichen Erwerbsquote galt die DDR bei der Gleichstellung der Geschlechter jahrzehntelang als fortschrittlicher, war doch die Ausübung eines eigenen Berufs und die damit einhergehende finanzielle Unabhängigkeit vom Ehemann von jeher ein wichtiges Element weiblicher Emanzipation.

Das soeben skizzierte Szenario versucht der Band genauer auszuleuchten: Zwar ist die Publikation aufgeteilt in drei Abschnitte, die die Bundesrepublik, die DDR und den Vergleich beider Staaten behandeln; der Schwerpunkt liegt dennoch stärker auf der Analyse des sozialistischen Teil Deutschlands: Die Beiträge beschäftigen sich mit der weiblichen Berufsorientierung in der Bundesrepublik (Claudia Born) und den Vorstellungen von Marie-Elisabeth Lüders, einer Vertreterin der "alten" Frauenbewegung, über die Organisation der Erwerbsarbeit westdeutscher Frauen im Kriegsfalle (Irene Stöhr). Sie gehen für die DDR der Frauenarbeit in der Textil- und auch der Maschinenbauindustrie nach (Leonore Ansorg, Annegret Schüle) sowie dem weiblichen Hochschulstudium und den Berufschancen der Absolventinnen (Karin Zachmann, Gunilla-Friederike Budde). Schließlich werden die landwirtschaftliche Frauenarbeit (Helene Albers, Christel Panzig) sowie Phänomene wie Teilzeitarbeit (Christine von Oertzen, Almut Rietzschel) und der "Hausarbeitstag" für erwerbstätige Frauen (Carola Sachse) in beiden deutschen Staaten vergleichend betrachtet.

Claudia Born faßt die Ergebnisse eines von ihr zusammen mit Helga Krüger und Dagmar Lorenz-Mayer bis 1993 verfolgten Forschungsprojektes zusammen, das für die Bundesrepublik den Zusammenhang zwischen Familienorientierung und Berufstätigkeit im weiblichen Lebenslauf untersucht hat. Die Forscherinnen befragten 220 um 1930 geborene Frauen mit einer Ausbildung in einem Handwerks- (etwa Schneiderin oder Friseuse) oder einfachen Angestelltenberuf (kaufmännische Angestellte oder Verkäuferin). Dabei konnten sie feststellen, daß der Verlauf des Erwerbslebens dieser Frauen in der Regel nicht dem landläufig als Regel angenommenen Dreiphasenmodell entsprach, das eine erste Berufsphase, eine Familienphase ohne Berufstätigkeit und den erneuten Wiedereinstieg in den Beruf vorsieht. Vielmehr waren Erwerbsbiographien der Befragten vielfältig zersplittert und deutlich stärker vom ersten erlernten Beruf und dessen Chancen auf dem Arbeitsmarkt als von den einzelnen Familienphasen abhängig. Das Projekt verdeutlicht, wie fruchtbar eine Überprüfung scheinbar festgefügter gesellschaftlicher Normvorstellungen daraufhin ist, ob diese auch tatsächlich gelebt werden.

Für die DDR seien hier die dichten und aufschlußreichen Aufsätze von Karin Zachmann und Gunilla-Friederike Budde zur akademischen Qualifizierung von Frauen in der DDR herausgegriffen: Ausbildungs- und Aufstiegschancen von Frauen sind neben der reinen Erwerbstätigkeit wichtig für die Beurteilung der Frage, inwieweit die Geschlechter in einer Gesellschaft gleichberechtigt sind. Zachmann behandelt die Entwicklung des Frauenanteils unter den Studenten technischer Fächer in der DDR. Sie arbeitet zunächst die Hindernisse heraus, die sich unmittelbar nach dem Krieg einer Zunahme der Studentinnenanzahl entgegenstellten, so etwa die Weitergeltung althergebrachter männlich geprägter Technikkonzepte in Verbindung mit deutschen Ausbildungstraditionen. Zudem verlangte die "gegenprivilegierende", auf die Förderung von Arbeiterkindern zielende Bildungspolitik der SED von den Studentinnen einen "doppelten Bruch", sowohl mit der sozialen Herkunft als auch mit kulturellen geschlechtsspezifischen Traditionen. Erst die sechziger Jahre, so Zachmann, brachten die Trendwende: Der verstärkte Bedarf an Ingenieuren im Rahmen der Systemauseinandersetzung und der Abfluß von akademischen Arbeitskräften vor dem Mauerbau ließen der SED eine gezielte Frauenförderung angeraten scheinen. Entscheidend für deren Durchsetzung waren laut Zachmann die staatlichen Eingriffe ins Hochschulwesen im Gefolge der IV. Hochschulkonferenz 1967.

Gunilla-Friederike Budde kommt für die Hochschulabsolventinnen im Ganzen zu ähnlichen Ergebnissen wie Zachmann. Auch sie hebt die Bedeutung der späten sechziger und frühen siebziger Jahre als Beschleunigungsphase für das Einrücken von Frauen in die bisher männerdominierte Akademikersphäre hervor. Gleichzeitig stellt sie die gängige Periodisierung der DDR-Elitenforschung in Frage, die für diese Zeit das Ende der bis dahin hohen Aufstiegsmobilität und den Beginn des späteren Karrierestaus ausmacht. Konsequent setzt Budde die Forderung der Geschlechtergeschichte um, Frauengeschichte nicht als "Bindestrich-Geschichte" zu betreiben, sondern die Geschlechtsbezogenheit von Konzepten, Begriffen und Periodisierungen der "allgemeinen" Geschichte zu verdeutlichen und sie, wo nötig, auch zu revidieren.

Budde und Zachmann weisen überdies darauf hin, daß sich mit der Vermehrung der Hochschulabsolventinnen in der DDR die beruflichen Trennlinien zwischen den Geschlechtern nicht etwa auflösten. Vielmehr bildeten sie sich neu: Innerhalb der Ingenieurwissenschaften beschränkte sich die Feminisierung auf bestimmte Studiengänge; im Wissenschaftsbereich entstand eine neue Schicht akademischer Hilfsberufe. Das Einströmen von Frauen in einen akademischen Beruf fiel häufig mit Prestigeverlusten und Deprofessionalisierungstendenzen zusammen, so daß sich auf diese Weise die überkommene Geschlechterhierarchie entlang einer neuen Segregationslinie wiederherstellte.

Bei nahezu allen Autorinnen, die sich mit der DDR auseinandersetzen, wird deutlich, daß der von oben verordneten umfassenden Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben in der DDR keine grundsätzliche geschlechterbezogene Umverteilung der häuslichen Pflichten folgte. Bei allen Unterschieden blieb die Hauptverantwortlichkeit von Frauen für Haushalt und Kindererziehung ein gemeinsamer Nenner weiblicher Erwerbstätigkeit in Ost und West. Dies führte dazu, daß berufstätige Frauen in beiden deutschen Staaten gleichermaßen Einrichtungen wie den arbeitsfreien sogenannten "Hausarbeitstag" für erwerbstätige Frauen sowie die Teilzeitarbeit favorisierten, um Familien- und Erwerbsarbeit zu vereinbaren.

Carola Sachse verfolgt die Debatte um den "Hausarbeitstag" in beiden deutschen Staaten. In der Bundesrepublik gewährten nur vier Bundesländer erwerbstätigen Frauen einen bezahlten arbeitsfreien Tag pro Monat, an dem sie ihren Haushaltspflichten nachgehen konnten; in der DDR galten seit 1952 einheitliche gesetzliche Regelungen für alle Frauen mit Kindern. Sachse betont die Komplexität der Diskussion und ihre vielfältig gebrochenen Fronten, hebt aber auch hervor, daß die Befürworterinnen des Hausarbeitstages in Ost und West vor allem mit ihren unmittelbaren täglichen Belastungen argumentierten, seine Gegnerinnen und Gegner eher politisch-gesellschaftliche Argumente wie beispielsweise die Wurzeln des Hausarbeitstages im nationalsozialistischen Krieg anführten oder ihn benutzten, um im Kalten Krieg das jeweils andere politische System zu brandmarken.

Als "Störenfried" (Sachse) galt in beiden deutschen Staaten anfangs neben dem Hausarbeitstag auch die Teilzeitarbeit: Wie Christine von Oertzen und Almuth Rietzschel in ihrer Untersuchung über die Haltung von FDGB und DGB zur Teilzeitarbeit feststellen, war für die DDR die Vollzeiterwerbstätigkeit für alle Frauen das Ziel; die Vergesellschaftung der Familienarbeit zum Beispiel durch Kinderkrippen und -horte sollte sie ermöglichen. In der Bundesrepublik schien Teilzeitarbeit die nach dem Krieg gerade wieder durchgesetzte Rückkehr der Frauen zu Haushalt und Kindererziehung zu gefährden. Die Anerkennung der Teilzeitarbeit erfolgte in beiden deutschen Staaten in den sechziger Jahren; allerdings, so von Oertzen/Rietzschel, versuchten SED und FDGB sie weiterhin in engen Grenzen zu halten, während die westdeutschen Gewerkschaften das Zuverdienen verheirateter Frauen akzeptierten und in das traditionelle Modell der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung integrierten.

Die Behandlung von Hausarbeitstag und Teilzeitarbeit innerhalb eines Bandes ist deshalb besonders anregend, weil beide Einrichtungen verschiedene Lösungsversuche desselben Problems darstellen, nämlich der Vereinbarkeit von Berufs- und Familienarbeit. Um so erstaunlicher erscheint es zumindest auf den ersten Blick, daß ihre Entwicklung in beiden deutschen Staaten geradezu umgekehrt verlief: Während in der DDR der Hausarbeitstag, nicht aber die Teilzeitarbeit zur Regel wurde, verbreitete sich umgekehrt in der Bundesrepublik die Teilzeitarbeit, während der Hausarbeitstag ein Randphänomen blieb. Sinnvoll scheint es der Rezensentin, in künftigen Forschungen beide Phänomene nicht, wie hier geschehen, isoliert zu betrachten, sondern stärker aufeinander zu beziehen: Möglicherweise hat mit der zunehmenden Ausbreitung der Teilzeitarbeit für verheiratete Frauen die Frage des Haushaltstages in der Bundesrepublik einfach an Brisanz verloren.

Nicht systematisch behandelt, wenngleich mitunter gestreift, wird die Frage, inwieweit unterschiedliche politische Systeme, auf der einen Seite die Diktatur in der DDR und auf der anderen Seite die Demokratie in der Bundesrepublik, Ausgangsbedingungen, Verlauf und Chancen weiblicher Emanzipationsprozesse in der Arbeitswelt prägten. Doch sind Bundesrepublik und DDR diesbezüglich möglicherweise auch besonders schwierige Vergleichseinheiten, weil sie sich in zwei Faktoren unterscheiden, die für den Verlauf von Emanzipationsprozessen wichtig und zudem aufeinander bezogen sind: zum einen im politischen System, zum anderen in den darin vertretenen Vorstellungen über geschlechtsspezifische gesellschaftliche Arbeitsteilung. Eine isolierte Betrachtung nur von einem der beiden Faktoren ist deshalb in der hier gewählten "Versuchsanordnung" nicht möglich. Es wäre vermutlich interessant, den deutsch-deutschen Vergleich durch andere zu flankieren, etwa zwischen der DDR und den skandinavischen Staaten, um so bei ähnlich gelagerten gesellschaftlichen Vorstellungen die Bedeutung des Einflußfaktors "politisches System" für die Frauenemanziption genauer zu bestimmen.

Insgesamt ist eine interessante Publikation entstanden, die vielfältige Aspekte der Geschlechtergeschichte bündelt. Nicht zuletzt wegen ihres handlichen Umfangs eignet sie sich auch gut als Einstiegslektüre für entsprechende Fragestellungen.

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