M. Margue u.a. (Hrsg.): Der Romzug Heinrichs VII.

Cover
Titel
Der Weg zur Kaiserkrone. Der Romzug Heinrichs VII. in der Darstellung Erzbischof Balduins von Trier


Herausgeber
Margue, Michel; Pauly, Michel; Schmid, Wolfgang
Reihe
Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d'Etudes Médiévales 24
Erschienen
Trier 2009: Kliomedia
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Schwarz, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Es war im Oktober 1310. Mit einem Heer von 5.000 Mann überschritt Heinrich VII., der 1308 zum römisch-deutschen König gewählte Graf von Luxemburg, die Alpen. Über die Marschlinie Mont Cenis – Susa – Mailand sollte es nach Rom gehen, wo für den 2. Februar 1312 die Kaiserkrönung vorgesehen war. Der Romzug Heinrichs VII. – auch wenn er sich letztlich anders gestaltete, als seine Regisseure planten – war das erste Auftreten eines römisch-deutschen Königs in Italien seit dem Tod Konrads IV. 1254, also seit fast 60 Jahren. Doch nicht nur bei den italienischen Chronisten haben, je nach Parteinahme, die Ereignisse große Beachtung gefunden. Sie wurden vor allem in einem von Balduin von Luxemburg (um 1285–1354), dem jüngsten Bruder Heinrichs VII. und jahrzehntelangen Inhaber des erzbischöflichen Stuhles von Trier, in Auftrag gegebenen Bilderzyklus festgehalten. Diese insgesamt 37 Seiten und 73 Bilder umfassende Bilderchronik, die unter dem Titel „Heinrichs Romfahrt“ bekannt geworden ist und heute im Landeshauptarchiv in Koblenz aufbewahrt wird, hat seit dem 19. Jahrhundert bereits viele Historiker beschäftigt. Ihre Bilder haben buchstäblich in den Bildvorrat des Faches Eingang gefunden: Immer dann, wenn es einen Romzug eines römisch-deutschen Königs des Mittelalters plastisch darzustellen galt, griff man auf sie zurück. Das liegt nicht zuletzt an den insgesamt vier Editionen, welche das Werk seit dem 19. Jahrhundert erfahren hat. Diese stammen von Georg Irmer (1881), Franz-Josef Heyen (1965/1978), Mauro Tosti-Croce (1993) und Wolfgang Schmid (2000) und richteten sich an ein jeweils spezifisches Publikum.

Warum nun noch einmal eine Edition? Die Frage ist einfach zu beantworten. Keine der bisherigen Editionen hat die Bilder im Originalformat mit den Randtexten veröffentlicht. Auch mit der Kommentierung haben die Herausgeber den Versuch gewagt, Neuland zu beschreiten. Keine einfache Beschreibung der Bilder in allen Einzelheiten sowie ihre Einbettung in den historischen Kontext sei das Ziel gewesen, sondern der Versuch einer Deutung der Bilder als Repräsentation. Denn, so die Herausgeber weiter, die Bilder des anonymen Zeichners hätten genau so wenig eine unparteiische Darstellung der Ereignisse geboten wie ein historiografischer Bericht aus derselben Zeit, ein Pressefoto oder eine Fernsehreportage im 21. Jahrhundert. Ein ganz besonderes Anliegen der Kommentare in der Neuedition sei es daher, den Einfluss des Auftraggebers und die vielfältigen Funktionen der Bilderchronik herauszuarbeiten (S. 7).

Es versteht sich von selbst, dass jeder Benutzer dieses Werkes, skeptisch ob der nun bereits vierfachen Edition, sich zunächst vor allem dem Bildteil zuwenden und dessen Qualität begutachten wird. Das Urteil stellt sich schnell ein; allein schon unter diesem Gesichtspunkt möchte man die Neuausgabe für gerechtfertigt halten, denn man sieht die (zuweilen schon sattsam bekannten) Bilder hier so, wie man sie noch nie gesehen hat. Dazu mag vor allem das Originalformat, welches das Verhältnis von Bild und Bildrand in einem wirklichkeitsgetreuen Verhältnis zeigt, beitragen. Aber auch die Schärfe der Reproduktion, durch die viele Details nun erst genau hervortreten, lässt nichts zu wünschen übrig. Angenehm sind vor allem die authentisch wirkenden Farben, die sich von der übertrieben intensiven Kolorierung namentlich der weitverbreiteten Edition Franz-Josef Heyens wohltuend abheben.

Die Kommentierung des Bildprogramms der Chronik darf ebenfalls als gelungen bezeichnet werden. Aufbau der Bilder, Kompositionstechnik, Bauprinzipien, Farbgebung, wechselseitige Bezüge, alle nur wünschbaren Einzelheiten (Wappen, Rüstungen, Kriegsgerät), durch welche die Bilderchronik nicht umsonst berühmt geworden ist, werden im Kommentar angesprochen und soweit irgend möglich erklärt. Selbst Kenner der Chronik werden hier auf Dinge stoßen, die sie bisher nicht beachtet haben: Die angeregte Unterhaltung der Personen, die in den Zelten des kaiserlichen Lagers vor dem eingeschlossenen Brescia sitzen; die an ihrem Dachreiter erkennbare Bettelordenskirche im Mauerring der dichtbebauten oberitalienischen Stadt; das weit ausschwingende Lederband der Verteidigungsblide der Brescianer, das hoch über den Dächern der Häuser zu fliegen scheint – wer hätte diese Dinge je so deutlich gesehen, wer darauf geachtet (S. 58)? 1

Neben der Wiedergabe der Bilder und ihrer Kommentierung enthält der Band zahlreiche Beiträge, die sich vor allem mit der Person des Auftraggebers und seinem verwandtschaftlichen Umfeld (Johannes Mötsch, Die Balduineen und die Bilderchronik, S. 19–22), dem historischen Hintergrund der Romfahrt (Michel Pauly, Der historische Hintergrund von Romfahrt und Bilderchronik, S. 9–17), der kunstgeschichtlichen Einordnung der Chronik (Christoph Winterer, Die kunstgeschichtliche Einordnung der Bilderchronik, S. 23–32), mit ihren Abbildungen des Krieges und der höfischen Welt beschäftigen (Michel Margue, Krieg und höfische Welt in Balduins Bilderchronik, S. 123–137). Besonders wichtig und erhellend erscheinen mir jene Beiträge, die sich mit dem inszenatorischen bzw. propagandistischen Charakter des Werkes auseinandersetzen (Wolfgang Schmid, Zur Inszenierung von Politik in der Bilderhandschrift, S. 139–151; Michel Pauly, Heinrich VII. in Cremona und Brescia – oder wie biegt man die Wahrheit zurecht?, S. 153–154).

Als zentraler Beitrag des Textteils darf aber vor allem die Beschäftigung Wolfgang Schmids mit dem Verhältnis von Erzbischof Balduin und Kaiser Heinrich in der Chronik gelten (Wolfgang Schmid, unter Mitarbeit von Michel Margue: Der Bischof und sein Kaiser. Zum Verhältnis von Erzbischof Balduin und Kaiser Heinrich in der Romfahrt, S. 109–121).

Noch einmal werden von Schmid die Grundkoordinaten des Werkes herausgearbeitet. Dabei legt Schmid vor allem Gewicht auf die Tatsache, dass sich auf dem ersten Bild der Chronik – Balduins Bischofsweihe durch Papst Clemens V. vom 10. März 1308 – eine zentrale Szene eben nicht des Lebens Heinrichs VII., sondern der Vita eines geistlichen Reichsfürsten, der vom Papst seine kirchliche Legitimation erhält, dargestellt findet (S. 110). Und es ist richtig, diesen Umstand so zu betonen: Durch kein Quellenwerk des Mittelalters erfahren wir so viel über den berühmten „Zug über Berg“ wie durch die Bilderchronik Balduins von Luxemburg. Der "Zug über Berg" zur Erlangung der Kaiserkrone war keine Petitesse, sondern bis zum Ende des Spätmittelalters das Gesetz, unter dem die römisch-deutschen Könige angetreten waren. Und so schildert konsequenterweise die Chronik die Romfahrt König Heinrichs VII. und eben nicht diejenige Erzbischof Balduins von Trier. Und doch werde – so Schmid – in der Chronik fast vom Anfang bis zum Ende unmissverständlich deutlich gemacht, dass der jüngere Bruder und Trierer Erzbischof, der „Sachwalter der luxemburgischen Memoria in Trier und Drehbuchautor von Heinrichs Nachruhm“, einen maßgeblichen Anteil an dieser Fahrt hatte (S. 120f.). 2

Eine ausführliche Bibliografie rundet den attraktiven Band ab, mit dessen Hilfe eine bekannte Quelle neu entdeckt werden kann.

Anmerkungen:
1 Kommentar zu fol. 12: „Brescia wird im Jahre des Herrn 1311 an der Vigil von Himmelfahrt, das heißt am 19. Mai, vollständig eingeschlossen“.
2 Zum Aspekt der Verwaltung des Nachruhms und der Memoria in diesem Band: Wolfgang Schmid, Die Stellung der Bilderhandschrift in der Memorialpolitik der Luxemburger, S. 161–178; Michel Margue, Der Kaiser und der Königsmacher. Trierer Bausteine einer Luxemburger memoria, S. 179–184.

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