J. Enders; L. Bornmann: Karriere mit Doktortitel?

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Titel
Karriere mit Doktortitel?. Ausbildung, Berufsverlauf und Berufserfolg von Promovierten


Autor(en)
Enders, Jürgen; Bornmann, Lutz
Erschienen
Frankfurt am Main 2001: Campus Verlag
Anzahl Seiten
253 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anatol Schneider, Berlin

Karriere mit Doktortitel? Das mag wohl auch für Jürgen Enders und Lutz Bornmann, wissenschaftlicher Assistent der eine, wissenschaftlicher Angestellter der andere, die zweifelnde Frage gewesen sein. Zwar war ihr bisheriger Weg nicht erfolglos, vielleicht aber verspürten die beiden Sozialwissenschaftler in sich ein leichtes Zerren, schmerzlos, aber dennoch fühlbar, einen unbefriedigten Zug nach noch höheren beruflichen Weihen. Diesem Drang auf den Grund zu gehen und die Frage zu beantworten, ob der subjektiven Empfindung die objektiven Verhältnisse wohl auch entsprechen würden, lag wenig mehr näher, als eine empirische Untersuchung über den Berufsverlauf und den Berufserfolg von Promovierten seit den späten siebziger Jahren zu beginnen, die unter dem Titel Karriere mit Doktortitel? erschienen ist. Dass das verspürte innerliche Zerren sich nicht grundlos geäußert hat, sondern Symptom eines diagnostizierbaren Berufstrends ist, hat dabei sicherlich zur Erleichterung der beiden Sozialwissenschaftler beigetragen. Um so mehr, als auch festzustellen war, dass sich eine solide Universitätsanbindung auszahlt und in der Regel zum Aufstieg in leitende Positionen an der Hochschule führt, die unter allen anderen beruflichen Möglichkeiten diejenigen sind, bei denen Promovierte die höchsten Zufriedenheitswerte zeigen. Und selbst wenn die Hochschule durch allerhand geplante Veränderungen – von der Juniorprofessur über leistungsbezogene Besoldung für Universitätsprofessoren bis hin zu Studiengebühren – in letzter Zeit viel hat von sich reden gemacht, dürfte sich an diesem Urteil so bald kaum schwerwiegendes ändern.
So weit, so gut. Nur was wird aus dem Rest der hochausgebildeten Promovenden, welche die Hochschule seit Jahren in steigenden Zahlen in das Berufsleben entlässt? Schließlich bestehen begründete Zweifel daran, ob die durch die Bildungsexpansion ausgelöste ‚Promovendenschwemme‘ auf dem Arbeitsmarkt rückstandslos versickert oder ob sich nicht doch hier und dort Pfützen bilden, welche am Ende der Schwamm von Arbeits- oder Sozialamt in sich aufzunehmen hat. Gerade im Umfeld geisteswissenschaftlicher Disziplinen jedenfalls gehen diesbezüglich Befürchtungen um. Nicht selten wird hier ebenso wie in der breiten Öffentlichkeit die Vermutung laut, der “Taxifahrer Dr. phil.” stelle für Geisteswissenschaftler oftmals schon den Höhepunkt einer Berufsperformance dar. Obgleich auch weniger übertriebenen, ebenfalls in diese Richtung zielenden Mutmaßungen eine gewisse apriorische Evidenz zuzuschreiben ist, muss man nach der Lektüre von Enders und Bornmanns empirischer Studie – mit einer Mischung aus ungläubigem Erstaunen und erleichterter Genugtuung – feststellen, dass sich solche Urteile mehr einem von fehlgehenden Intuitionen geleiteten Studium des Kaffeesatzes oder ähnlich zweifelhaften Quellen verdanken. Mit der beruflichen Wirklichkeit von Promovierten haben sie nur wenig zu tun.

Enders und Bornmanns Absicht, die “Informationslücke” zu schließen, die unsere Kenntnis über den beruflichen Verbleib und den Berufserfolg von Promovierten betreffen, haben zum Gewinn einer breiten empirischen Basis unseres Wissen hierüber 2200 Promovierte der Fächer Biologie, Elektrotechnik, Germanistik, Mathematik, Sozialwissenschaften sowie Wirtschaftswissenschaften ausgewählt. Die Promovierten stammen aus den Abschlussjahrgängen 1979/80, 1984/85 sowie 1989/90, es handelt sich also um Abschlusskohorten, von deren Vertretern angenommen wird, dass sie die typischen Übergangsstadien und Postdoc-Phasen bereits hinter sich gelassen haben. Um die Auswirkung der Promotion auf den Übergang ins und die Situierung im Berufsleben besser abschätzen zu können, wurden zugleich Befragungen von nichtpromovierten Universitätsabgängern der Abschlusskohorten 1979/80 sowie 1984/85 durchgeführt. Es handelte sich in beiden Fällen um schriftliche Befragungen.

Die Studie präsentiert ihre Ergebnisse in vier Einzelschritten, innerhalb derer wiederum eine Reihe zentraler Perspektiven leitend sind. Sie betreffen das Verhältnis zwischen Universität und Beruf, die Bedeutung fachdisziplinärer Differenzierungen und geschlechtsspezifischer Unterschiede sowie schließlich die Entwicklungen in den verschiedenen Arbeitsmarktsektoren. Enders und Bornmann wenden sich zunächst dem Bildungs- und Berufsweg bis zur Promotion zu, um zunächst die sozialen und bildungsmäßigen Voraussetzungen der Promovierten zu erkunden. Ein diesbezüglich besonders in der öffentlichen Wahrnehmung der promovierten Hochschulabsolventen wichtiger Punkt ist beispielsweise die häufig diskutierte Frage nach ihrem Alter. Schließlich gehört die Befürchtung der “Vergreisung” des wissenschaftlichen Nachwuchses seit den achtziger Jahren zum festen Bestandteil der Universitätskritik. Enders und Bornmann werten diese Diskussion, als Symptom dafür, dass die “Nachwuchsförderung nicht mehr allein als innerwissenschaftliche Angelegenheit der Hochschulen und ihrer Disziplinen betrachtet wird” und bemerken mit einem Zug von Bedauern, dass “die Zeiten, in denen die zeitliche Offenheit und Unbeschränktheit der Forschungsqualifizierung gerade ihr besonderes Prestige markierten, unwiederbringlich vorbei” (65) scheinen.

Ausschlaggebend für das Promotionsalter sind zufolge der Sozialwissenschaftler jedoch “kumulative Effekte des Hürdenlaufs über den Qualifikationsparcours” (67), wobei sich beachtliche Altersunterschiede zudem auch bereits zu Beginn des Studiums verzeichnen lassen. Sozialwissenschaftler etwa sind bereits zu diesem Zeitpunkt in der Regel zwei bis drei Jahre älter als ihre Kommilitonen aus der Mathematik. Und während die gesamte Promotionszeit – die reine Bearbeitungszeit für die Dissertation liegt jeweils um 1,5 Jahre niedriger – der Mathematiker durchschnittlich nur 4,3 Jahren beträgt, benötigen Sozialwissenschaftler hierfür immerhin 7,3 Jahre, gefolgt von Elektrowissenschaftlern (6,9 Jahre) und Germanisten (6 Jahre). Trotz dieser zeitaufwendigen Qualifikationsphase ist bei allen Promovierten die Zufriedenheit mit der Art und Weise der Nachwuchsförderung “hoch”, von der die Autoren meinen, in ihr würden “Elemente der klassischen Idee universitärer Ausbildung wieder zu sich selbst gelangen, die durch die zunehmende Verschulung und Verberuflichung des Studiums in der Massenuniversität in Frage gestellt scheinen: der Selbstbezug der Qualifikanten und die Reflexivität des Lernens; die Verbindung von Freiheit und Individualität als besonderer Entwicklungschance aber auch das Risiko des Scheiterns” (83).

Enders und Bornmann untersuchen anschließend, wie sich die Veränderungen in Hochschule und Beruf auf die Beschäftigungschancen und den Berufserfolg von Promovierten auswirken. Die Autoren kommen hier zu dem insgesamt erstaunlichen Ergebnis, es ließen sich im Kohortenvergleich “kaum Hinweise darauf finden, daß sich die Promovierten mit wachsenden Problemen des Übergangs konfrontiert sähen” (96). Indikatoren, die hier auf einen schwierigeren Übergang schließen ließen, sind über sämtliche Fächer weitgehend stabil, während allein bei den Germanisten und Sozialwissenschaftlern, die Phase der Teilzeitbeschäftigung etwas länger ist und bei den letzteren sogar zunimmt, was auf steigende Schwierigkeiten hinweist, eine dauerhafte Beschäftigung zu gewinnen. Wie überhaupt für Germanisten der Berufsweg sich insgesamt schwieriger gestaltet als für die Promovierten anderer Fächer. Insofern die Germanisten in der getroffenen Fachauswahl neben den Sozialwissenschaftlern das für die übrigen Geisteswissenschaftler am meisten typische Fach sind, trifft diese Aussage daher womöglich auch für die Geisteswissenschaftler anderer Disziplinen zu, dieser Schluss wird von den Autoren jedoch nicht gezogen. Für weibliche Promovierte gilt, dass sie über alle drei Kohorten generell länger befristet beschäftigt sind. Was den Verbleib an der Hochschule angeht, so gilt hier wie überall, dass frühe Entscheidungen “die Stoßrichtung der zukünftigen Tätigkeit entscheidend mitprägen” (101).

Der Untersuchung der “objektiven” Verhältnisse der Berufsverläufe, wird die Untersuchung der “subjektiven” Sicht zu Seite gestellt. Auch hier gelingt es den Autoren aufgrund der von ihnen erhobenen Daten, den Eindruck weitgehend frustrierender beruflicher Erfahrungen zu zerstreuen. Vielmehr erscheint die Berufs- und Arbeitszufriedenheit durchweg hoch zu sein, ebenso wie jeder zweite Befragte die Promotion als das “berufsadäquate Abschlußniveau” (175) bezeichnet. Naturgemäß ist dieser Anteil unter den an der Universität verbleibenden Promovenden so hoch, dass die Autoren auch im Blick auf die Zufriedenheit dieser Gruppe wenig erstaunlich festhalten können: “Die Führungskräfte an den Hochschulen sehen sich selbst offenbar als Gewinner eines Wettbewerbs um promovierte Karrieren” (177). Abzüglich einiger Unterschiede gilt gleichwohl auch für die aus der Universität Ausgescherten, dass der Doktortitel ihnen hilfreich war beim Erlangen von beruflichen Aufstiegspositionen.

Dieser Eindruck wird gestützt durch den letzten Untersuchungsschritt, der nach den Determinanten des Berufserfolgs fragt und so die Situation während der Promotionsphase und die Situation nach der Promotion in einen Zusammenhang bringen möchte. In diesem Abschnitt werden zudem einige überraschende Einzelergebnisse präsentiert. So zeigt sich beispielsweise hinsichtlich des Zusammenhangs von Promotionsalter und erzieltem Einkommen: während im öffentlichen Sektor das Promotionsalter ohne Wirkung auf das Einkommen bleibt, gibt es im privaten Sektor durchaus einen negativen Alterseffekt, der gilt allerdings nicht für Germanisten und Sozialwissenschaftler, die ohnehin ein recht hohes Abschlussalter erreichen. So wird das Abschlussalter auch objektiv zu einem Faktor unter anderen, während ein hohes Abschlussalter bei den Promovierten selbst oft den “Eindruck einer biographischen Verspätung oder Verzögerung” (198) aufkommen lassen mag.

Bei der zuletzt gestellten Frage, ob es sich überhaupt lohnt zu promovieren, sind die Autoren eher dazu geneigt; “allzu eindeutige Thesen über den Nutzen der Doktortitel zu relativieren” (230), wozu die Autoren bedauerlicherweise auch bei anderen Gelegenheiten neigen. Bei etwas mehr Eindeutigkeit hätte zumindest der oft vorherrschende Eindruck zerstreut werden können, der Vorteil einer Promotion liege schon darin, dass sie eine Karriere nicht gänzlich verhindert. So ist jedenfalls eine “Umwegrentabilität” der Promotion, die sich in eindeutigen Einkommensvorteilen nach Euro und Cent errechnen ließe, zumindest nicht schon mit dem Berufsstart auszumachen, sondern höchstens langfristig, wobei hier wieder unter den Fächern zu differenzieren ist. Beispielsweise fällt der außerhochschulische Einkommensvorteil am deutlichsten aus bei den promovierten Sozialwissenschaftlern im Vergleich zu den nichtpromovierten sozialwissenschaftlichen Absolventen, während zwischen promovierten und nichtpromovierten Germanisten kaum Unterschiede zu verzeichnen sind. Es bleibt ein Verdienst der Studie von Enders und Bornmann, deren Graphiken und Darstellungen etwas mehr Übersichtlichkeit zum Teil gut vertragen hätten, die Urteile über das Schicksal von Promovierten auf solidere Fundamente gestellt zu haben. Wenn die Promotion die außerhochschulische Karriere schon nicht in einem exorbitanten Maße fördert, so dürften sich gerade Geisteswissenschaftler darüber freuen, daß die Promotion eine Karriere auch nicht verhindert. Gerade die von Selbstzweifeln geplagten Archäologen, Germanisten, Historiker, Kunsthistoriker, Philosophen ebenso wie die Sozialwissenschaftler sollten sich den Band daher als Palliativ für schlimme Nächte griffbereit ins Regal stellen.

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