Cover
Titel
Albert Südekum 1871-1944. Ein deutscher Sozialdemokrat zwischen Kaiserreich und Diktatur


Autor(en)
Bloch, Max
Reihe
Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 254
Erschienen
Düsseldorf 2009: Droste Verlag
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Berger, School of Languages, Linguistics and Cultures, University of Manchester

Albert Südekum war ein herausragender Vertreter des rechten Flügels der deutschen Sozialdemokratie, der in Max Bloch einen mit Südekums Haltungen und Idealen durchaus sympathisierenden Biographen findet. Biographen nehmen sich wohl meistens entweder ihre Helden oder ihre Hassobjekte zum Gegenstand ihrer Forschungen, und ein dezidierter Standpunkt muss den Gehalt einer solchen Forschungsarbeit nicht schmälern. Dies ist auch bei dem hier vorliegenden Buch der Fall, dessen Autor Südekum zu einem tragischen und letztendlich scheiternden Helden macht, aber doch die Fakten sauber aus den zahlreich besuchten Archiven, den üppigen gedruckten Quellen und der auch nicht gerade kleinen Sekundärliteratur zur Sozialdemokratie zwischen Kaiserreich und Drittem Reich zusammenträgt.

Die Arbeit, die ihren Ursprung in einer 2006 an der FU Berlin angenommenen Dissertation hat, ist in drei Abschnitte eingeteilt: der erste Teil beschäftigt sich mit Südekums Sozialisation zum Sozialdemokraten und seinem Aufstieg zu einem führenden Vertreter des rechten Flügels der SPD bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Als Akademiker, der keine Scheu hatte, seine Bürgerlichkeit explizit zur Schau zu stellen, war er in der Partei durchaus Anfeindungen von Seiten der Parteilinken ausgesetzt, nutzte andererseits seine Verhaftung im bürgerlichen Milieu, um Brücken ins Lager der Liberalen und des Zentrums zu schlagen. So war er in zahlreichen überparteilichen sozialpolitischen Vereinigungen tätig und arbeitete dort gut mit Vertretern des liberalen Bürgertums zusammen. Südekum absolvierte eine steile Parteikarriere, erst als Journalist für „Vorwärts“, „Leipziger Volkszeitung“ und „Sächsischer Arbeiter-Zeitung“, dann als Chefredakteur bei der „Fränkischen Tagespost“ und seit 1900 als Reichstagsabgeordneter für Nürnberg. Als ethischer Sozialist stand er dem Marxismus ablehnend gegenüber und suchte, ganz im Sinne seines Lehrers Ferdinand Tönnies, die Arbeiter zur Nation zu führen und die Sozialdemokratie langsam, aber sicher an die Macht und an den Staat heranzuführen. Der Staatssozialismus Adolf Wagners übte auf Südekum eine ebensolche Faszination aus wie der englische Munizipalsozialismus, mit dem er sich vor 1914 intensiv auseinandersetzte. Die Sozialdemokratie sollte zur Veredelung der Arbeiter beitragen, und in diesem Sinne vertrat die Partei, laut Südekum, auch durchaus traditionelle Werte, wie Sittlichkeit, Familie und nationales Empfinden.1

In einem zweiten Teil geht der Autor ausführlich auf die Rolle seines Protagonisten im ersten Weltkrieg ein. Südekum war nicht nur maßgeblich am Zustandekommen der Burgfriedenspolitik beteiligt, er stellt sich auch der Reichsregierung für diverse Missionen im Ausland zur Verfügung, bei denen er versuchte, neutrale Länder auf die Seite Deutschlands zu ziehen. Allerdings war er dabei in Schweden, Italien und Rumänien wenig erfolgreich. Auch als Vermittler in der ukrainischen Frage hatte er 1917/18 keine glückliche Hand. Was die Heimatfront anbetraf, so hoffte Südekum, dass die nationale Integration der Sozialdemokratie durch ihre Unterstützung des kaiserlichen Krieges endlich Realität würde. Allerdings war seine Befürwortung des Krieges mitnichten rein zweckgebunden. Seine nationale Ausrichtung machte ihn blind für die Einsicht, dass es die kaiserlichen deutschen Eliten waren, die diesen Krieg willentlich vom Zaun brachen, um endlich Deutschland den ihm angeblich gebührenden Platz in der Welt zu erobern. Die Parteilinke bekämpfte er nach Kräften, und die Spaltung der Sozialdemokratie schien ihm die logische Folge aus der Aufkündigung der Burgfriedenspolitik durch die Linke zu sein. In vielen der von Bloch zitierten Aussagen Südekums wird deutlich, welch nationaler Verblendung der sozialdemokratische Politiker in der Kriegszeit unterlag. Es verwundert nicht, dass er zunehmend in bürgerlichen Zeitungen veröffentlichte, und auch die weitgesteckten deutschen Annexionspläne stießen bei ihm auf wohlwollendes Verständnis. Zusammen mit bürgerlichen Politikern, konservativen Beamten und Militärs gründete er 1915 die ‘Deutsche Gesellschaft 1914’, die für seine Idee einer ‘demokratischen Volksgemeinschaft’ in Deutschland werben sollte. Gegen Ende des Krieges war Südekum maßgeblich an einer interfraktionellen Einigung im Reichstag beteiligt und trat, in der Einsicht um die Aussichtslosigkeit der Kriegsanstrengungen, für einen Verständigungsfrieden mit den Alliierten ein.

Schließlich zeichnet Bloch in einem dritten und letzten Teil das Wirken Südekums vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zu seinem Tod im Jahre 1944 nach. Als entschiedener Gegner einer Räterepublik setzte sich Südekum für die möglichst schnelle Realisierung der parlamentarischen Demokratie ein. Seinen Höhepunkt erreichte Südekums Karriere wohl als preußischer Finanzminister in den Jahren 1918 bis 1920, wo er vor allem durch seine finanzielle Orthodoxie sowie sein Pochen auf eine Reduktion der Staatsausgaben und auf einen ausgeglichenen Haushalt auffiel. Auch an der Festlegung der ‘Fürstenabfindung’ war er maßgeblich beteiligt. Nachdem er im Zuge des gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsches zurücktreten musste (obwohl er eine wichtige Rolle beim Scheitern des Putsches inne hatte), stand er vor dem politischen Aus. Auch in der eigenen Partei hatte er inzwischen viele einflussreiche Feinde, und er fühlte sich wohl auch in der Weimarer Sozialdemokratie, zumal nach deren Vereinigung mit der USPD, nicht mehr ganz zu Hause. Nach einem Zwischenspiel als preußischer Staatskommissar für die Gross-Hamburg-Frage, wo er mehrfach mit dem sozialdemokratischen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun scharf aufeinanderprallte, verdiente er sich sein Brot als Berufsredner, Journalist und schließlich als Mitglied in mehreren Aufsichtsräten deutscher und internationaler Firmen. In der Weltwirtschaftskrise und erst recht nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten hielt sich ‘Genosse Aufsichtsrat’ allerdings mehr schlecht als recht über Wasser, zumal die Nazis einen Anbiederungsversuch seinerseits mit wenig Gegenliebe erwiderten. Seine letzten Jahre lebte er zurückgezogen in Berlin; schon im März 1933 war er aus der SPD ausgetreten. Allerdings hielt er durchaus Verbindung zu Kreisen des Widerstandes und fungierte hier als Kontaktmann zwischen Gewerkschaftern, rechten Sozialdemokraten und bürgerlich-konservativen Widerstandsgruppen.

Insgesamt war eine Biographie dieses wichtigen Sozialdemokraten bislang sicherlich ein Desiderat der Forschung, und jeder Interessierte wird aus Blochs Buch viel Neues zu Südekum und seiner Arbeit in und für die SPD lernen. Als typischer Vertreter der ‘Generation Ebert’ ist Südekum mit dieser Arbeit der relativen Vergessenheit entrissen worden.2 Die Biographie ist gut geschrieben und liest sich dementsprechend spannend.

Wenn der Rezensent dennoch nach der Lektüre des Buches nicht ganz zufrieden war, so hängt das sicherlich vor allem mit seinem anderen ‘Sehepunckt’ zusammen. So ganz vermag ich Bloch in seiner Bewunderung für Südekums nationalen Sozialismus nicht zu folgen. Wenn Bloch, für meine Begriffe, ganz richtig schreibt, dass Südekums Bemühen, Nation und Sozialismus zusammen zu denken, folgerichtig in seiner Unterstützung für die deutschen Kriegsanstrengungen des Jahres 1914 mündete, dann muss man sich doch fragen, ob der Nationalismus nicht doch vielleicht auch ansonsten sehr pragmatisch und vernünftig denkende Menschen wie Südekum mit Blindheit geschlagen hat. Und nach allem, was Bloch über Südekums Haltung im Ersten Weltkrieg zusammengetragen hat, kann man wohl auch nicht umhin, dem schwedischen Vorsitzenden der Sozialdemokratie, Hjalmar Branting, zuzustimmen, dass sich Südekum im Krieg zu einem „Fürsprecher des deutschen Imperialismus“ gemacht habe. Ein sozialdemokratisches Vorbild für die Gegenwart ist Südekum damit mit Sicherheit nicht, auch wenn es heute in der Sozialdemokratie viele national denkende Politiker gibt, die für einen neuen Nationalismus durchaus anfällig wären. Denn der Weg vom national denkenden zum nationalistischen Politiker ist, wie wiederum Südekums Werdegang deutlich unterstreicht, eine ‘slippery slope’. Auch scheint mir das Urteil Blochs, dass Südekums Entlassung als preußischer Finanzminister 1920 bereits das Scheitern des sozialdemokratischen Reformismus bedeutete, überzogen. Vielmehr würde ich dagegenhalten, dass die Partei lange nach 1920 und bis in die Endphase der Weimarer Republik immer wieder zum Reformismus fähig gewesen wäre, hätte es auf bürgerlicher Seite mehr Willen zum Kompromiss gegeben und hätte es für eine Politik des Reformismus eine tragfähige parlamentarische Mehrheit gegeben. Schließlich ist mir auch nicht ganz einsichtig, dass die ‘Generation Ebert’ in der Sozialdemokratie nach 1945 angeblich ‘personae non grata’ gewesen wären. In vielerlei Hinsicht könnte man genau das Gegenteil behaupten, dass nämlich die Nachkriegssozialdemokratie spätestens seit den 1950er-Jahren an den aktivistischen Pragmatismus der Generation Ebert anknüpfte. Es kommt ja vielleicht auch nicht ganz von ungefähr, dass die Parteistiftung der SPD den Namen Friedrich Eberts trägt. Aber ein interpretatorischer ‘gap’ zwischen Autor und Rezensent in diesen Fragen schmälert doch in keiner Weise die große Leistung, die die Vorlage dieser Biographie darstellt. Dem Buch seien viele weitere aufmerksame Leser gewünscht.

Anmerkungen:
1 Brigitte Emig, Die Veredelung des Arbeiters. Sozialdemokratie als Kulturbewegung, Frankfurt am Main 1980.
2 Bernd Braun, ‘Die Generation Ebert’, in: ders. / Klaus Schönhoven (Hrsg.), Generationen in der Arbeiterbewegung, München 2005, S. 69-86.

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