M. Terhalle: Deutschnational in Weimar

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Titel
Deutschnational in Weimar. Die politische Biographie des Reichstagsabgeordneten Otto Schmidt (-Hannover) 1888-1971


Autor(en)
Terhalle, Maximilian
Erschienen
Köln u.a. 2009: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
449 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Max Bloch, Berlin

Die Geschichte der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und ihrer Akteure ist noch weithin unterbelichtet. Während sich das Interesse der Forschung vor allem auf Kuno Graf Westarp als den „letzten Preußen“ richtet1, liegen über andere führende deutschnationale Politiker wie Alfred Hugenberg, Axel Freiherr von Freytag-Loringhoven, Gottfried Reinhold Treviranus und Oskar Hergt bis heute keinerlei biographische Untersuchungen vor. Auch der Name Otto Schmidts, dem Maximilian Terhalle eine klassische politische Biographie gewidmet hat, dürfte weiten Teilen der historisch interessierten Öffentlichkeit nicht geläufig sein. Terhalle leistet somit, indem er sich auf ein über weite Strecken noch unbeackertes Forschungsfeld begibt, Pionierarbeit und möchte seine Biographie über Otto Schmidt auch als Ermunterung zu anschließenden Arbeiten verstanden wissen.

Nach einer profunden Einführung in die Theorie der Biographie werden Kindheit, Jugend und militärische Laufbahn Otto Schmidts knapp nachgezeichnet: 1888 in ein ostelbisches Pfarrhaus geboren, schlug er nach dem Abitur 1906 die Offizierslaufbahn ein, durchlief die Generalstabsausbildung in Berlin und diente im Ersten Weltkrieg – seit 1915 im Rang eines Hauptmanns – als Generalstabsoffizier an West- und Ostfront. Seit Dezember 1917 im Großen Generalstab des Oberbefehlshabers Ost, nahm er an den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk teil und erlebte während einer militärischen Mission in Moskau im Juli 1918 die Ermordung des deutschen Botschafters Wilhelm von Mirbach-Harff hautnah mit. Sein einwöchiger Aufenthalt im revolutionären Russland mag den tiefsitzenden Antibolschewismus, der sicher ein Movens seines Wegs in die Politik war, präfiguriert haben. Das Ende des Krieges erlebte Schmidt hochdekoriert und – verzweifelt. Bereits im Januar 1919 schied er aus dem Heeresdienst aus und engagierte sich in dem, was er „nationale Bewegung“ nannte. Mittlerweile in Hannover ansässig, machte er sich in der örtlichen Politik rasch einen Namen als effektvoller Vortragsredner, der „mit dem, was er sagte, nicht nur anzusprechen, sondern auch für sich einzunehmen“ verstand (S. 119), wobei er antiparlamentarische, antisemitische, antisozialistische und antifranzösische Grundmelodien variierte. Terhalle nennt ihn denn auch einen „völkischen Politiker im Sinne seiner Zeit“ (S. 84).

1924 für die DNVP in den Reichstag gewählt, setzte sich Schmidt gemeinsam mit dem Grafen Westarp, als dessen „rechte Hand“ er in der Fraktion fungierte (S. 153), für den Eintritt in das Kabinett Luther I ein und gegen die obstruktive Fraktionsminderheit durch. Seine große Stunde schlug jedoch – so Terhalle – mit der Kandidatur Paul von Hindenburgs zu den Reichspräsidentenwahlen 1925. Für ihn ist es Schmidt gewesen, der, indem er Hindenburg am soldatischen Portepee fasste, den Ausschlag für die Kandidatur gegeben und die entscheidende Überzeugungsarbeit geleistet hatte. Aber ihn aufgrund seiner – weder persönlich gefärbten noch dauerhaften – Nähe zu Hindenburg als „stillen Hoffnungsträger der politischen Rechten in Deutschland“ zu bezeichnen (S. 147), hieße den Einfluss Schmidts doch erheblich überzeichnen, der sicher ein fähiger Organisator und Hintergrundgesprächspartner, aber eher ausführendes Organ als Initiator war. Das ihm von Julius Leber angehängte Etikett eines bloßen „Sprachrohrs“ der Parteiführung erscheint auch nach der Lektüre von Terhalles Biographie nicht ganz unberechtigt.

Es ist jedoch zu konzedieren, dass Schmidt, wenn es um Fragen des Machtgewinns ging, eine teilweise erstaunliche, gleichwohl „begrenzte Beweglichkeit“ (S. 185) an den Tag legte. Er selbst sprach in diesem Zusammenhang von einer „Synthese zwischen national-revolutionärem Angriffsgeist und staatspolitischer Beherrschtheit“ (S. 233), die Strategie und Taktik der DNVP bestimmen müsste. Terhalle bringt diese programmatische Schizophrenie, die für Schmidt wie für die DNVP insgesamt galt, auf den Begriff eines „Kurses der ablehnenden Annäherung“ (S. 169), der erst 1928 – mit dem Bruch der Fraktion und dem Austritt des staatspolitischen Flügels um Westarp und Treviranus – wieder einer unkaschiert radikaleren Gangart wich. Der sich bislang mühsam zügelnde Schmidt machte auch diesen Wechsel mit und aus seiner fundamentalen Ablehnung des Weimarer „Systems“ kein Hehl. Den anschließenden Wahlkampf bestritt er mit Sinnsprüchen von derart bestechender Simplizität, dass sie den Vergleich mit Hindenburgs Notaten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs nicht zu scheuen brauchen: „Ist ein Volk in höchster Not, bringt der Mittelweg den Tod“ (S. 254). Nicht die „Mittelparteien“ DDP, Zentrum und DVP – womöglich noch unter Zuziehung der verhassten Sozialdemokratie – wiesen den Weg zu gesunden innerpolitischen Zuständen und der ersehnten machtpolitischen Erneuerung nach außen, sondern dies war – so Schmidt – nur möglich durch eine rechte Sammlungspolitik, wie sie sein neuer Mentor Hugenberg forcierte und die – das war Schmidt und Hugenberg klar – ohne die Nationalsozialisten nicht funktionieren konnte.

Als enger Mitarbeiter Hugenbergs, eine Art „politischer Stabschef“ (Treviranus), gehörte Schmidt neben Wilhelm Frick und Rudolf Heß zu den Organisatoren der Harzburger Tagung vom 11. Oktober 1931, die mit einer Demonstration nationalsozialistischer Stärke, der Düpierung der konservativen Tagungsteilnehmer und somit einer Konterkarierung des Konzepts einer gleichberechtigten Partnerschaft von rechtskonservativen und nationalsozialistischen Republikfeinden endete. Dass ein handfester Eklat durch die Verhinderung von Adolf Hitlers vorzeitiger Abreise gerade noch vermieden werden konnte, rechnet Terhalle wiederum Schmidt und dessen Überredungskünsten an. Unter dem Eindruck der erdrutschartigen Wahlerfolge der NSDAP hatten sich, wie Terhalle zeigt, die Gewichte verschoben: Die Rolle des Juniorpartners innerhalb der „nationalen Opposition“ war von der NSDAP auf die DNVP übergegangen, und Hitler selbst ließ keine Gelegenheit aus, die von ihm verachteten konservativen Honoratioren seine Macht, die auf einem Millionenanhang gründete, spüren zu lassen. Wenn ihm von Schmidt darob der Vorwurf gemacht wurde, durch derartige wahlarithmetische Überlegungen ein „Bekenntnis zum Parlamentarismus“ abgelegt zu haben, und ihn somit der „antidemokratischen Unzuverlässigkeit“ zieh (S. 325), so sagt das über das deutschnationale Demokratieverständnis ebenso viel aus wie über die Einschätzung der NSDAP als eine im Kern eben doch sozialistische Massenpartei, die der Anleitung und Zähmung durch die DNVP, also eines preußischen Korrektivs, bedürfe.

Hitler wollte – wie es Schmidt allmählich zu ahnen begann – kein Bündnis mit, sondern eine Unterwerfung der DNVP unter seinen Willen. Schmidt, der hier wohl klarer sah als Hugenberg, war sich der Gefahren wohl bewusst und ventilierte noch im Januar 1933 ein autoritäres Kabinett unter Einbeziehung, aber nicht unter der Führung der NS-Bewegung. Solche Planspiele wurden mit dem 30. Januar obsolet. Dass er weder als Minister noch als Staatssekretär in die neue Regierung berufen wurde, war für den nationalistischen Eiferer gleichwohl ein schwerer Schlag, sollte sich nach 1945, als er seine politische Karriere in verschiedenen Splitterparteien der politischen Rechten wieder ankurbelte, jedoch als Glücksfall erweisen. Auch an seine Äußerungen vom März 1933, dass dies „hoffentlich für lange Zeit die letzten Wahlen“ gewesen seien und ihm eine „Schonung für das bolschewistische Untermenschentum“ nicht angebracht erscheine (S. 369f.), wollte er sich später nicht mehr erinnern. Die außenpolitischen, diplomatischen wie militärischen Erfolge Hitlers fanden in Schmidt jedenfalls einen aufrechten Bewunderer. Bedauerlicherweise werden die Jahre 1934 bis 1945 mangels aussagekräftiger Quellen von Terhalle auf nur acht Seiten abgehandelt, wobei die verwandten Begriffe „Verfolgung“ und „innere Emigration“ der tatsächlichen Gefährdungslage Schmidts und seinem Rückzug ins Private nicht ganz angemessen sind.

Maximilian Terhalle hat eine auf solider Quellenbasis aufbauende, Schmidts Einfluss manchmal überbetonende, aber im Ganzen gründliche und abgewogene politische Biographie geschrieben und damit einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des politischen Konservativismus in der Weimarer Republik vorgelegt. Die Entwicklung der DNVP von einer monarchistisch-völkischen Oppositionspartei über eine Phase pragmatischer Mitarbeit an einem abstrakt verstandenen „Staat“ bei gleichzeitig festgehaltenem Fernziel der Systemüberwindung bis hin zur politisch zusehends marginalisierten Kraft von Hitlers Gnaden lässt sich so im politischen Lebensweg Otto Schmidts, den Terhalle überzeugend nachzeichnet, verfolgen und nachvollziehen.

Anmerkung:
1 Larry Eugene Jones / Wolfram Pyta (Hrsg.), „Ich bin der letzte Preuße“. Der politische Lebensweg des konservativen Politikers Kuno Graf Westarp (1864-1945), Köln 2006.

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