J. A. Shields: The Democratic Virtues of Christian Rights

Cover
Titel
Democratic Virtues of the Christian Right.


Autor(en)
Shields, Jon A.
Erschienen
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 25,26
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Krämer, Exzellenzcluster: Religion and Politics, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Mit der Bewegung der Christlichen Rechten in der jüngsten Geschichte der USA haben sich bislang vorwiegend Vertreter/innen aus Politikwissenschaft und Soziologie befasst.1 Mal in vorsichtiger Annäherung ans Problemfeld, mal deutlicher distanziert schrieben Autor/innen, die sich in der Regel in Vorworten zum liberalen Spektrum bekennen, über jene evangelikale Bewegung, die mit religiösen Argumenten ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre auch medial auf der gesellschaftspolitischen Ebene der Vereinigten Staaten aufgetaucht war. Über Wirkungskraft und Reichweite der „Lobbyisten Gottes“ im politischen System der 1980er-Jahre ist man sich in der Forschung jedenfalls uneins.2 Eine machtanalytische Einordnung des Phänomens aus kulturgeschichtlicher Perspektive fehlt bislang. Diese Lücke in der Betrachtung von Verschiebungen am Dreh- und Angelpunkt jener differenten Jahrzehnte ermöglicht es dem Politologen Jon A. Shields, in der zu besprechenden Studie die „demokratischen Tugenden der Christlichen Rechten“ zu entdecken.

Nicht in herkömmlicher politologischer Manier, in der die Fachkolleg/innen häufig nur mühsam zu normativen Aussagen gelangten, sei sein Buch angelegt, so Shields in den einleitenden Worten. Vielmehr werde seine Untersuchung von vornherein durch die normative Frage geleitet, ob und wie eine soziale Bewegung demokratische Werte befördern könne. Außerdem wisse man über das Innenleben der Christlichen Rechten bislang kläglich wenig (S. 16f). Der Gedanke, die christlichen Aktivisten seien möglicherweise formal auf den Spuren der New Left vom Ende der 1960er-Jahre bestimmten demokratischen Idealen gefolgt, scheint Shields durch seine Recherchen begleitet zu haben. Obwohl die christlichen Aktivisten deliberativen Normen gefolgt seien – also über Öffentlichkeit demokratische Aushandlungsprozesse vorangetrieben hätten – seien nicht alle Mitglieder dieser Gruppe gleichzeitig als überzeugte Demokraten zu betrachten, wie Shields einschränkt (S. 2).3 Dennoch hätten die christlich-konservativen Kräfte innerhalb des Systems der USA durch ihren politischen Aktionismus eine große Zahl von Anhängern in demokratischer Partizipation geschult. So lautet das Paradigma, womit Shields tatsächlich eine neue Interpretation in die Debatte um das Wirken der religiös-politischen Bewegung einstreut. In sechs Kapiteln agiert er den beschriebenen Leitfaden aus, der die Leserschaft durch verschiede Facetten der Christlichen Rechten und ihre Wirkungsformen während der vergangenen 30 Jahre führt.

Das erste Kapitel vertieft die Betrachtung des erzieherischen Aspekts innerhalb der Bewegung. Shields versucht hier auf Grundlage von Interviews, die er mit Angehörigen der Führungsebenen von 30 Organisationen geführt hat, darzulegen, wie die Leitfiguren ihre Massenbewegung in öffentlichem Auftreten zu schulen und zu lenken versuchten. Die christlichen Wortführer seien sich durchaus bewusst gewesen, dass die religiöse Argumentation nach unterschiedlichen Richtungen wohl abgewogen diskutabel werden musste, um mehr und mehr Bürger/innen überzeugen zu können, so sein Resümee (S. 39). Neben dieser Richtung innerhalb der Bewegung – mit Tendenz zum Mainstream – widmet Shields das darauf folgende Kapitel einem als randständig konzipierten Flügel.

Mit der Überschrift „Christian Radicalism“ ist das zweite Kapitel versehen. Darin wird festgestellt, dass die radikalen Fundamentalisten wie Jerry Falwell und Randall Terry erst relativ spät auf der Bildfläche erschienen seien (S. 50). Shields greift seine einleitend vorgestellte theoretische Auseinandersetzung auf, nämlich welches Motiv gesellschaftliche Gruppen für politische Aktivität haben könnten. Im Gegensatz zu rational-choice Ansätzen ist der Aktivismus in seiner Konzeption an sich die erstrebenswerte Entlohnung für diejenigen Menschen, welche sich in Interessengruppen zusammenfinden (S. 10). Um Bürger/innen dazu zu bringen, Zeit, Energie und Geld in etwas zu investieren, von dem sie keine materiellen Vorteile hätten, müssten sie für eine Sache regelrecht begeistert werden. Eine militante Rhetorik, rigide Freund/Feind Antagonismen stellten die ambivalente Vorgehensweise der erwähnten Prediger Falwell und Terry dar, welche zu mobilisieren vermochten. Hierbei beschreibt Shields, wie in der Frage nach Abtreibung die Verschiebung der Agenda zu beobachten gewesen sei. Von der populistischen Agitation gegen legislative Instanzen über die Intervention auf gerichtlicher Ebene bis zu militanten „Wellen der Gewalt“ gegen Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche geleistet wurden, reichte das Spektrum des religiös-politischen Aktionismus in dieser Frage. War die Bewegung der Abtreibungsgegner/innen im Verlauf der 1970er-Jahre noch vom Katholizismus geprägt, übernahmen eben die Evangelikalen Thema und Leitlinie in den 1980er-Jahren. Weitaus gewalttätiger kam dieser Aktionismus daher. Um ein Bild von der Dimension des militanten Widerstands gegen den Topos ‚Abtreibung’ zu vermitteln, führt Shields die Erhebung der National Abortion Federation an, in der von 600 Blockaden und 33.000 Verhaftungen zwischen 1977 und 1993 berichtet wird (S. 54).

Generell behilft Shields sich in diesem Kapitel häufig mit Statistiken, wohingegen qualitative Aussagen und Zusammenhänge eher in den Hintergrund treten. Andererseits führt er auch beispielsweise die alttestamentarischen Herleitung einer Legitimation für den Mord an den Angestellten von so genannten ‚Abtreibungskliniken’ in seine Diskussion ein („Wer Menschenblut vergießt, dessen eigenes Blut wird durch Menschen vergossen werden“, Genesis 9-6) (S. 59). Im letzten Abschnitt seines zweiten Kapitels setzt sich Shields kritisch mit der medialen Repräsentation der Christlichen Rechten auseinander, um schließlich zu konstatieren, dass die beiden ersten Kapitel per se relativ wenig über das ‚tatsächliche’ Verhalten der Aktivisten in der Bewegung aussagten. Um dieses Defizit zu beheben, kündigt er für die folgenden Kapitel an, der Sache mittels der Methode der „teilnehmenden Beobachtung“ auf den Grund gehen zu wollen (S. 67).

Das dritte Kapitel widmet sich nun exklusiv dem so genannten „pro-life activism“. Die Organisation „National Right to Life Committee“ war, im Gegensatz zu anderen Organisationen z.B. der „Christian Coalition“ oder den „Concerned Women of America“, die sich mit einer Bandbreite verschiedener Themen beschäftigten, über die Zeit stabil und in jedem Bundesstaat vertreten. Auf empirischer Basis versucht Shields die Vielfalt der unterschiedlichen Bewegungsformen des christlichen Aktivismus’ in der „Lebensrechtsbewegung“ zu belegen. In sechs verschiedenen US-Städten hat er auf diese Weise die breitere Basis der Christlichen Rechten nach ihren Zielen und Wünschen per Interviews und über die Auswertung von Selbstzeugnissen beforscht. Videoaufnahmen gaben ihm Material über das Verhalten der Aktivist/innen im öffentlichen Raum. Das demonstriert Shields anhand einer Fallstudie zur „Justice for All“-Bewegung. Es handelt sich um einen moderaten Zweig der Christlichen Rechten, deren Mitglieder in der Öffentlichkeit Dialogfähigkeit mit dem Gegner, den „pro-choice“ Initiativen, demonstrieren sollten (S. 71ff.). Shields führt Beispiele für Dialoge an, die aus Sicht der christlichen Aktivist/innen erfolgreich verliefen. Diese stammen vornehmlich aus dem Umfeld von Universitäten, und Shields gesteht ein, dass diese Erfolge letztlich eher eine Ausnahme darstellten (S. 80). Neben der Beschreibung von Gedächtnismärschen am Jahrestag der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten (Roe v. Wade, 22. Januar 1973), geht Shields am Ende des Kapitels noch recht knapp auf seine Forschungen zu gewaltsamen Offensivstrategien („direct action“) in der Bewegung ein, um nach knapp drei Seiten überraschend zu behaupten, dass sich sein nächstes Kapitel einer „viel wichtigeren Frage“ zuwende (S. 96-99).

Das vierte Kapitel ist, gemäß der leitenden These der Studie, mit der Frage befasst, warum die christlichen pro-life Aktivisten anscheinend interessierter an öffentlichem Dialog waren, als ihre Opponenten aus der pro-choice Bewegung. Eine höhere Investition in deliberative Demokratie erkennt Shields in der Öffentlichkeitsarbeit von christlichen pro-life Gruppen im Vergleich mit Frauenrechtler/innen und pro-choice Aktivist/innen. Das recht kurze Kapitel schließt mit der Einschätzung, dass die pro-choice Gruppen eine defensive und letztlich keine produktive Haltung eingenommen hätten. Shields vergleicht die Haltung dieser liberalen Kräfte sogar mit den Gegnern der Schwulen- und Lesben-Ehe innerhalb der Reihen der Christlichen Rechten. Letztere hätten unbeweglich und defensiv einen status quo zu bewahren versucht, worin die pro-choice Bewegung ihnen ähnlich sei – ganz im Gegensatz zu den um die gesellschaftliche Wertediskussion verdienten pro-life Aktivisten (S. 114).

Das vorletzte Kapitel ist entlang der Opposition zwischen evangelikal-religiösen Gruppen und säkularen Kreisen in der politischen Geschichte der USA strukturiert. Shields vertritt die Ansicht, dass die Gruppe der „Evangelicals“ im Verlauf des 20. Jahrhunderts politisch marginalisiert wurde. Einerseits waren die konservativen Evangelikalen politisch passiv, weil sie glaubten, dass die politische Sphäre ihre Religion verunreinige. Andererseits lehnten die Säkularisten eine Vermischung von religiösen Inhalten und Politik ab. Jedoch wurden die Evangelikalen im Verlaufe nur einiger weniger Wahlperioden von einer apolitischen zu einer höchst aktiven und bestens informierten Wählergruppe, was Shields an einer Vielfalt von Indikatoren festmacht. Dieser ‚political turn’ der Evangelikalen in den vergangenen etwa 30 Jahren ist nach Shields Verdienst der rechtschristlichen Organisationen, die über die Mobilisierungsweisen der New Left und der Moral Majority hinaus auf eine weit ältere Traditionen von Praktiken zurückgriffen, wie sie schon religiöse Bewegungen z.B. aus dem Bereich des Abolitionismus verwendet hatten: Nämlich die Menschen über die Kirchen zu mobilisieren.4 Dabei sei politische Partizipation in der evangelikalen Bewegung seit ihrer verstärkten Beteiligung am politischen System nicht als Recht gefasst, sondern als „moralische Obligation“ (S. 140). Eine Fülle von Charts und Statistiken lösen das Versprechen des Autors ein, möglichst eine bis dato nicht ausgeführte Indikatorendifferenzierung für seine Aussage darzulegen: Die Christliche Rechte habe sich und das US-System in der jüngsten Geschichte nachhaltig demokratisiert (vgl. S. 119-142).

Das abschließende sechste Kapitel ist eine Art überdehntes Fazit. En gros argumentiert Shields hierin gegen die Ansicht, moralische Konflikte seien aus der politischen Sphäre fern zu halten. Shields meint, es sei gar nicht ausgemacht, dass die „culture wars“ der politischen Partizipation geschadet hätten; und er fügt an, moralische Konflikte würden die öffentliche Auseinandersetzung in den USA beleben (S. 153). Einige finale Seiten setzen sich mit der „Unausweichlichkeit moralischer Konflikte“, speziell mit der Frage nach Schwangerschaftsabbruch und mit den sozialwissenschaftlichen Kritikern der Christlichen Rechten auseinander (155ff.). Am Ende schließt Shields mit der Feststellung, dass eine Demokratie moralische Verhandlungen nicht ausblenden könne, wenn sie deliberativ sein wolle. Andernfalls müsse man ein elitäres Format favorisieren (S. 159).

Zum einen ist es notwendige Wissenschaftspraxis, herkömmliche Erklärungsmuster in Frage zu stellen, wie sie in den Schemata links/rechts, säkular/religiös usw. geronnen sind. Dass auch Jon Shields leitende Hypothese nicht den bislang ausgetretenen Pfaden folgt, scheint demnach auf den ersten Blick begrüßenswert. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die evangelikale Bewegung bei Shields lediglich eine normative Neubewertung erfährt und im Bezug auf zugeschriebene demokratische Errungenschaften aufgewertet wird. Wenn man davon abzusehen bereit ist, dass Shields die äußerst wirkungsmächtigen Fragen um Rassismus, Heterosexismus und Klassismus innerhalb der Betrachtung der Bewegung nahezu vollständig ausblendet, so bleibt immer noch das Unbehagen, dass er wie selbstverständlich davon ausgeht, bei der körperpolitischen Frage nach dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch handele es sich um einen mit moralischen Argumenten zu führenden und gleichzeitig demokratisch auszuhandelnden Konflikt. Damit blendet er Machtverhältnisse aus, was neben den genannten Unzulänglichkeiten ein dickes geschlechtertheoretisches Fragezeichen hinterlässt. Zudem erklärt Shields mit dem Verweis auf seine neuen Erkenntnisse bezüglich der Absichten und dem ‚wirklichen’ Innenleben der Christian Right den radikal-fundamentalistischen Flügel für relativ irrelevant, weil ihm dessen Darstellung über die Medien als verklärt bis hysterisch gilt. Diese Sichtweise von medialen Prozessen folgt gleich der zweiten überkommenen Deutungsformel, in der Medien als Wahrheit verzerrende Kräfte verstanden werden und somit angeblich der wissenschaftlichen Erkenntnis im Wege stehen. Eine solche Lesart übersieht den produktiven Charakter der Medien als Wirklichkeit konstituierende Größe. Das ist im Falle des Untersuchungsgegenstandes besonders irritierend, da sich die New Christian Right ja gerade selbst mit und in den Medien konstituiert hat. Eine solche politische Bewegung nun ohne die Wahrnehmung dieses Ortes erklären zu wollen, ist nicht zeitgemäß. Shields hat zwar ausgiebig recherchiert und teilnehmend beobachtet, macht aber seine Position im hochpolitischen Feld nicht kenntlich bzw. reflektiert diese nicht und so bleiben seine Folgerungen zu eng an der gesellschaftspolitischen Position der Bewegung, was zudem im Widerspruch zu seinem eingangs formulierten Anliegen steht. Durch die normative Ausrichtung seines Projektes ist er darüber hinaus nicht in der Lage, Machtbewegungen zu fassen. Aus diesen Gründen scheinen seine Ergebnisse keine Alternative zu bisherigen Deutungen der Christlichen Rechten zu liefern.

Anmerkungen:
1 Viele der immer noch maßgeblichen Arbeiten stammen aus den 1990er-Jahren. Erst allmählich behandeln Studien – wie die vorliegende – das Thema Christliche Rechte wieder und stellen neue Fragen an den Komplex. Einen gelungenen Überblick zu US-amerikanischer Religionsgeschichte bietet in diesem Zusammenhang: Michael Hochgeschwender, Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt am Main u.a. 2007.
2 Martin Sterr argumentiert in seiner Studie ähnlich wie der Soziologe William Martin, die Christliche Rechte habe bereits im Verlauf der 1980er-Jahre schon wieder an Einfluss verloren – vgl. bspw. Martin Sterr, Lobbyisten Gottes. Die Christian Right in den USA von 1980 bis 1996, Berlin 1999; William Martin, With God on our Side. The Rise of the Religious Right, New York 1997; Sara Diamond geht dagegen von einer weit tiefer gehenden politischen und bis in die 1990er-Jahre reichenden Verschiebung aus, die sich in der Politisierung der religiösen Agenda vollzogen habe – vgl. Sara Diamond, Not by Politics Alone: The Enduring Influence of the Christian Right, New York 1998.
3 Das Konzept der deliberativen Demokratie ist von einem Habermasschen Öffentlichkeitsbegriff inspiriert. Der Begriff “Deliberative Democracy” wurde von Joseph M. Bessette 1980 geprägt. Vgl. zur Debatte um deliberative Demokratie in den USA: Amy Gutman, Dennis Tomson: Why Deliberative Democracy? Princeton 2004.
4 Die Organisation “Moral Majority“ wurde vom Fernsehprediger Jerry Falwell 1979 gegründete. Sie verfolgte das Ziel, religiöse US-Amerikaner/innen für die gesellschaftspolitische Arbeit an einer evangelikal-konservativen Agenda zu mobilisieren.

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