Cover
Titel
Spying on Ireland. British Intelligence and Irish Neutrality During the Second World War


Autor(en)
O'Halpin, Eunan
Erschienen
Anzahl Seiten
380 S.
Preis
€ 34,56
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Keisinger, Landtag Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Der Feind meines Feindes ist bekanntlich mein Freund. Diese Binsenweisheit trifft in der Realität zwar nicht immer zu, jedoch gibt es genügend Hinweise, dass sie nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist. Dies verdeutlicht unter anderem der Verlauf der irischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert.

In der festen Überzeugung, ein französischer Angriff auf England stehe unmittelbar bevor, wagten die United Irishmen 1798 den Aufstand gegen die Briten. Die erhoffte Invasion jedoch blieb aus; zur Strafe wurde Irland dem britischen Königreich einverleibt, ein Zustand, an dem sich bis zur Ausrufung des Irish Free State (1921) nichts ändern sollte.

Trotz dieses Rückschlages setzten irische Nationalisten auch in den Folgejahren darauf, sich der britischen Besatzung unter Zuhilfenahme einer äußeren Macht zu entledigen. Ihr Augenmerk richteten sie dabei zunehmend auf Deutschland, dessen Antagonismus zu England spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts offen zutage trat. Entsprechend wurde ein deutsch-englischer Konflikt in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts von der nationalistischen irischen Presse regelrecht heraufbeschworen, wenngleich die damit verbundenen Erwartungen zum Teil recht skurriler Natur waren. So hoffte die populäre Wochenzeitschrift Irish Freedom im Sommer 1913 darauf, dass Deutschland nach einem Sieg über England Irland vorübergehend als "German Reichsland" annektieren werde, um es anschließend, nicht zuletzt wegen der großen räumlichen Distanz, in die Freiheit zu entlassen. In der deutschen Presse war man von derlei Planspielen durchaus angetan; die National Zeitung versicherte, Deutschland werde den Leid gebeutelten Iren die Vorzüge einer deutschen Besatzung nicht vorenthalten.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass England den Iren sowohl während des Ersten als auch bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mit Misstrauen begegnete. Zumal dieses Misstrauen zumindest zeitweise durchaus angebracht war. In beiden Kriegen kam es zur Formierung irischer Brigaden, die die deutschen Truppen unterstützten, wenngleich natürlich nicht übersehen werden darf, dass die überragende Mehrheit der Iren in den Reihen der britischen Armee diente. Zudem gab es während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Verflechtungen zwischen irischen Nationalisten und den Machthabern des Dritten Reiches. Die I.R.A. war von der Schlagkraft der SS so beeindruckt, dass sie versuchte, deren Organisationsstruktur zu kopieren; irische Nationalisten versorgten nach Kriegsausbruch die deutsche Luftwaffe mit detailliertem Kartenmaterial von Belfast, auf dem, zur besseren Orientierung für die deutsche Luftwaffe, die katholischen Stadteile bereits markiert waren; und nicht zuletzt kursierten bereits vor dem englischen Kriegseintritt Pläne, die eine deutsch-irische Invasion Ulsters für das Jahr 1941, später dann 1942, vorsahen.

Über all diese Vorgänge war die britische Seite erstaunlich gut informiert. Dies war vor allem darauf zurückzuführen, dass Großbritannien unmittelbar mit Kriegsausbruch im September 1939 die geheimdienstlichen Maßnahmen im Allgemeinen sowie gegen Irland im Speziellen drastisch verschärfte. Maßgeblich dafür verantwortlich war niemand geringerer als Winston Churchill, für den, nachdem er von Neville Chamberlain 1939 zum Marineminister ernannt worden war, die lückenlose Überwachung der irischen Aktivitäten an Land und zu Wasser einen wichtigen Bestandteil der britischen Kriegsführung darstellte. Sein Misstrauen nährte sich aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, als deutsche U-Boote, unbehelligt von den britischen Seestreitkräften, vor der irischen Westküste Nahrungsmittel, Treibstoff und sogar Waffen fassen konnten. Ein solcher Fehler, notierte Churchill am 5. September 1939, zwei Tage nach seiner Amtseinführung, dürfe sich in einem neuerlichen Krieg unter keinen Umständen wiederholen.

Entlang der Chronologie des Zweiten Weltkrieges beschreibt Eunan O'Halpin, Historiker am Dubliner Trinity College, die Maßnahmen, die vom britischen Geheimdienst unternommen wurden, um dies zu verhindern. Er beginnt mit einem Überblick über die britisch-irischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, der den mit der Geschichte Irlands nur wenig vertrauten Lesern eine kompetente erste Orientierung bietet und das Sicherheitsproblem verdeutlicht, das Irland in den Augen der meisten englischen Politiker (auch nach seiner staatlichen Unabhängigkeit) für Großbritannien darstellte. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stand dann zunächst die Überwachung der weitläufigen irischen Küsten im Mittelpunkt der geheimdienstlichen Arbeit. Sie erfolgte sowohl durch die gezielte Platzierung von Spionen an Land als auch mit speziell ausgestatten Beobachtungsschiffen, deren Aufgabe es war, die irische Küste von deutschen Schiffen freizuhalten. Zu einer Verschärfung der Überwachungsmaßnahmen führte schließlich die Kapitulation Frankreichs, da durch sie eine deutsche Invasion Großbritanniens wahrscheinlicher geworden war. Erst als davon nicht mehr die Rede sein konnte, da Deutschland ab dem Sommer 1941 einen Zweifrontenkrieg führte und der Kriegseintritt der USA für zusätzliche Entlastung gesorgt hatte, veränderte sich der Charakter der britischen Geheimdienstarbeit in Irland. Nun war es nicht mehr die logistisch aufwendige Überwachung der irischen Küstenlinien, die im Mittelpunkt stand, sondern die Entschlüsselung von Geheimcodes, die sowohl von deutschen Gesandten in Dublin als auch den zahlreichen irischen Sympathisanten zur Unterstützung der deutschen Kriegsführung nach Berlin und anderenorts übermittelt wurden. Den entscheidenden Durchbruch erreichte der britische Geheimdienst schließlich im Frühjahr 1944, als es gelang, die irische Regierung davon zu überzeugen, der deutschen Seite die technischen Voraussetzungen zur Nachrichtenübermittlung zu entziehen. "For the rest of the war", so das Fazit O'Halpins, "the British had full control of Berlin-Dublin communications." (S. 215)

O'Halpin hat ein inhaltlich exzellentes und fundiert recherchiertes Buch geschrieben, das, basierend auf einer Vielzahl von bislang unbekannten Quellen, das spannende Thema der britischen Spionagetätigkeit in Irland unter enger Einbeziehung der deutsch-irischen Verstrickungen während des Zweiten Weltkriegs in bisher nicht gekannter Ausführlichkeit beleuchtet. Eine vergleichbare Arbeit gibt es nicht und wird es auf absehbare Zeit wohl auch nicht geben. Einziger Wehrmutstropfen ist die Lesbarkeit der Studie, die sich über weite Strecken als äußerst mühsam erweist. Zu häufig verliert sich O'Halpin, hervorgerufen wohl auch durch den schieren Umfang seiner Quellensammlung, in den Verästelungen einer allzu akribischen Detaildarstellung. Weniger Einzelbeispiele und etwas mehr Erzählfluss hätten der Arbeit an der einen oder anderen Stelle gut getan. Dies freilich schmälert nicht die herausragende wissenschaftliche Leistung, die O'Halpin mit Spying on Ireland vollbracht hat.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension