C. Hämmerle u.a. (Hrsg.): Krise(n) der Männlichkeit

Titel
Krise (n) der Männlichkeit.


Herausgeber
Hämmerle, Christa; Opitz-Belakhal, Claudia
Reihe
L'Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geisteswissenschaft, Heft 2 2008
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
€ 21,80
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Edgar Forster, FB Erziehungswissenschaft, Universität Salzburg

In populären Medien ist die Krise der Männlichkeit ein schillernder, aber wirkmächtiger Topos, um auf die Notlage von Männern und Männlichkeit in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen; und sie ist eine rhetorische Waffe gegen die angebliche Dominanz feministischer Definitionsmacht des Geschlechterverhältnisses. Critical Men’s Studies und Gender Studies nehmen auf das Konzept der „Krise von Männlichkeit“ in dreifacher Weise Bezug: Erstens ist das Konzept der hegemonialen Männlichkeit eng mit dem Begriff der Krise verknüpft. Hegemoniale Männlichkeit ist als instabiles, krisenanfälliges Identitätskonstrukt konzipiert, das seinen Herrschaftsanspruch in alltäglichen Praktiken sichern muss.1 Zweitens gilt das Konzept der „Krise(n) von Männlichkeit“ als historisch relevanter Indikator für Veränderungen des Geschlechterverhältnisses. Drittens wird die Diagnose einer Krise der Männlichkeit kritisch als eine bestimmte Form der „Resouveränisierung des Mannes“ entziffert. Die Krisenrhetorik sei als Strategie der Herrschaftssicherung zu deuten.2 Allen drei Positionen ist gemeinsamen, dass sie Annahmen über den Wandel oder aber das Beharrungsvermögen des Geschlechterverhältnisses in der Geschichte transportieren.

In diese politisch brisante und theoretisch kontrovers geführte Debatte greift die Zeitschrift „L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft“ mit ihrem aktuellen Heftschwerpunkt „Krise(n) der Männlichkeit“ ein und unterzieht das Krisenkonzept einer kritischen Prüfung. Die Erwartungen an die Beiträge sind hoch gesteckt, denn die Analysen sollen Aufschluss über die Tragfähigkeit des Konzepts, über das Ausmaß und die Qualität des historischen Wandels des Geschlechterverhältnisses und eine kritische Einschätzung der Krisendiskurse geben und damit Critical Men’s Studies neue Impulse verleihen. Sechs thematisch breit gestreute Beiträge zu verschiedenen historischen Epochen bilden den Korpus des Themenschwerpunktes. Untersucht werden soll wie Männlichkeitsnormen und -bilder durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Umbrüche erschüttert wurden und wie solche Erschütterungen sich ihrerseits im historischen Prozess niederschlagen konnten.

In die konzeptuelle Grundlage des Konzepts „Krise(n) der Männlichkeit“ führt der Beitrag „‘Krise der Männlichkeit‘ – ein nützliches Konzept der Geschlechtergeschichte?“ von Claudia Opitz-Belakhal ein. Die in den Titel aufgenommene Frage nach dem Nutzen des Krisenkonzepts wird differenziert, aber insgesamt positiv beantwortet. Gegenüber gesellschaftlichen „Umbrüchen“ sei der im Anschluss an Koselleck benützte Begriff Krise „tendenziell offener und vielschichtiger“ und gut geeignet, Dynamiken von symbolischen Geschlechterordnungen und sozialen Beziehungen von Geschlechtern zu fassen. Die Krisenwahrnehmung dürfe aber nicht unkritisch übernommen werden, sondern müsse selbst zum Ausgangspunkt einer (strukturgeschichtlichen) Analyse gemacht werden, um „Geschlechterbeziehungen und -ordnungen als grundlegende, aber dynamische Faktoren von sozialem Wandel ernst zu nehmen und sichtbar zu machen“ (S. 41). Zu fragen sei dann auch, wer in einem gegebenen Zeitraum Krisenängste äußert, mit welchen Entwicklungen sie verbunden werden und in welchem diskursiven Kontext und institutionellen Rahmen dies geschieht. Damit werde das Konzept von der „Krise der Männlichkeit“ für eine historiographische (Neu-)Orientierung der Geschlechterforschung genützt und könne ältere epochen-, zeit- und raumübergreifende historische Narrative wie das „Patriarchat“ ablösen, die wenig geeignet seien, um komplexe historische Wandlungsprozesse von Geschlechterverhältnissen zu erfassen. Opitz-Belakhal verdeutlicht die Produktivität dieser Verschiebung am Beispiel der französischen Staatskrise im 16. Jahrhundert. Jean Bodin schlug vor, dass diese am besten durch die Konsolidierung des französischen Königtums, also einer Art Patriarchalisierung zu lösen sei. Wenn man das Konzept der Männlichkeitskrise auf Bodin anwende, dann lassen sich komplexe historische Zusammenhänge sowohl in symbolischer wie auch in ‚materieller‘ (das heißt wirtschaftlicher, geographischer usw.), in institutioneller wie in handlungsorientierter Hinsicht verknüpfen. Auf diese Weise sei das Einschreiben von Geschlechtergeschichte in allgemeine Narrative möglich, ohne sich diesen vollständig unterzuordnen, sondern sie signifikant zu erweitern und weiter zu entwickeln.

Einen verwandten Krisenbegriff entwickelt Bea Lundt im Beitrag „Mönch, Kleriker, Gelehrter, Intellektueller: Zu Wandel und Krise der Männlichkeiten im 12. Jahrhundert“. Darin untersucht sie den Wandel von Geschlechterwelten im 12. Jahrhundert, das als „offene Phase“ bezeichnet werden kann, weil „gelungene“ Männlichkeit in ganz unterschiedlicher Weise dargestellt wird. Monmouths Vita Merlini ist eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion der Lebensgeschichte eines männlichen Helden, der eine mentale Krise durchlebt. Bea Lundt sieht darin eine Männlichkeitskrise, die sich aber nicht als bedrohlicher Bruch und Untergang alter Ordnungen zeigt, sondern als einen besonders vielfältig repräsentierten Wandel, der im Bewusstsein der Menschen manifest wurde. Der Begriff Krise akzentuiert Kontroversen, die sich durch Wendepunkte, Verdichtungen und Knoten charakterisieren lassen und die Gültigkeit bestimmter Geschlechterbilder innerhalb einer gesellschaftlichen Formation relativieren oder begrenzen.

Bei Carol E. Harrison verlagert sich die Krise auf das Feld der Anthropologie. In ihrem Beitrag „Krise des weißen Mannes“ zeigt sie, wie Beobachtungen französischer Gelehrter in Australien mit der Gewissheit der natürlichen Unterscheidung von Frauen und Männern brechen und damit an der Wende zum 19. Jahrhundert einen grundlegenden Wandel einleiteten. Die großen anthropologischen Fragen drehten sich in der Folge nur noch um die Beziehungen zwischen Männern. Während die Unveränderlichkeit der Frauen zu einem der Prinzipien der anthropologischen Beobachtung wurde, erschien die männliche Sexualität nicht mehr als das stabile und natürliche Fundament männlicher Identität, sondern als ein fragiler Ausdruck der Zivilisation. Die klare Übereinstimmung zwischen biologischem Geschlecht und sexueller Praxis ging in den Revolutionsjahren verloren.

Nach dem Ersten Weltkrieg verbinden Medien und populäre Bücher die gesellschaftliche Entwicklung mit einer Krise der Männlichkeit. Damit ändert sich auch der Blick auf das Konzept, wie Christa Hämmerles Beitrag „‘Vor vierzig Monaten waren wir Soldaten, vor einem halben Jahr noch Männer …‘ – Zum historischen Kontext einer ‚Krise der Männlichkeit‘ in Österreich“ zeigt. Gegen Maureen Healys These von der kriegsbedingten „Entmännlichung“ der heimkehrenden Soldaten kommt sie zum Schluss, dass man zwar nicht einfach Krisenerfahrungen von heimkehrenden Soldaten in Abrede stellen könne, dass aber eine Konzept der „Krise der Männlichkeit“ relativiert und kontextualisiert werden müsse, wenn man eine längerfristige Untersuchungsperspektive wählt: Die Gruppe der Offiziere generierte in der öffentlichen Erinnerungskultur der Nachkriegszeit das Bild von der Krise, die auch als Krise der Männlichkeit artikuliert wurde. Allerdings widerspiegelte sich diese Krisenrhetorik nicht in der Thematisierung homosozialer Netzwerke und Nachkriegsbeziehungen zu Frauen, so dass man davon ausgehen kann, dass die Rede von einer „Krise der Männlichkeit“ stets auch gesellschaftliche Funktionen hatte.

Wenn man den Krisendiskurs mit längerfristigen Entwicklungen verknüpft, ist die Männlichkeitskrise nicht einfach ein Indikator für den Wandel des Geschlechterverhältnisses, sondern eine Waffe im Kampf gegen Frauenemanzipation. Eine solche Sichtweise wird durch Martin Lengwilers Untersuchung des Wandels von Männlichkeiten im 20. Jahrhundert gestützt. Der vielschichtige gesellschaftliche Wandel in Geschlechtermodellen homosexueller Männer und bei Männlichkeitsvorstellungen in alternativen Jugendkulturen könne nicht auf große Zäsuren reduziert werden. Diese wirken Lengwiler zufolge eher „indirekt“ auf die Entwicklung von Männlichkeitsvorstellungen, indem sie zu veränderten Wahrnehmungsweisen führen und kollektive Generationenerfahrungen konstituieren können. Zudem besitzen Populär- und Wissenschaftsdiskurse, soziale und materielle Lebenswelten jeweils eigene historische Dynamiken und Chronologien, so dass ein Krisenmodell als zentraler Motor des geschlechterhistorischen Wandels wenig Sinn mache.

Schließlich wählt auch Martin Dinges in „Veränderungen der Männergesundheit als Krisenindikator? Deutschland 1850-2006“ ein Untersuchungsdesign, das die Rhetorik der Männlichkeitskrise mit längerfristigen krisenhaften Entwicklungen (nämlich den unterschiedlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen) verbindet. Während Männlichkeitskrisen meistens als kurzfristige Umbruchsituationen diagnostiziert werden, was dem „dramatisierenden Gehalt“ des Krisenbegriffs entspreche, seien die symbolische und soziale Reichweite des Wandels und deren Relevanz für den Alltag von Männern oft schwer zu bestimmen, denn tatsächliche Veränderungen von Geschlechterarrangements haben viel umfassendere Voraussetzungen. Dinges‘ Befunde zeigen, dass männlichkeitsspezifische Gesundheitsprobleme unerkannt bleiben können, solange Existenzweisen nicht als geschlechtsspezifisch geprägt wahrgenommen werden. Erklärungsbedürftig ist, warum Männergesundheit zu einem Zeitpunkt thematisiert wurde, als sich das Problem objektiv zu entschärfen begann. Damit verstellt Krise aber langfristig wirkende problematische Entwicklungen bei Männern, anstatt sie zu benennen.

Wenn man die Erträge aus den Analysen systematisch betrachtet, dann lassen sich „Krise(n) der Männlichkeit“ auf vier verschiedenen Ebenen thematisieren:

- Der Begriff Krise verweist auf eine Anthropologie, in der die Natur nicht mehr als Referenz für die Natürlichkeit der Geschlechterdifferenz dienen kann. Was Geschlecht ist, wird durch die Geschichte immer wieder neu hervorgebracht. Krise ist das Kennzeichen für die Unmöglichkeit, Geschlechtsidentität endgültig zu fixieren.

- Das Konzept „Krise der Männlichkeit“ wird analytisch eingesetzt, um eine Theorie der Transformation zu bezeichnen. Ihr Kernelement ist die Verknüpfung unterschiedlicher Entwicklungen, ohne dass sie aufeinander reduziert werden; Geschlechtergeschichte behält gegenüber sozialen oder ökonomischen Wandlungsprozessen ihre Eigenständigkeit.

- Kritisch wird die Trope „Krise der Männlichkeit“ beurteilt, wenn es um die Einschätzung geht, wie nachhaltig Transformationsprozesses sind. Der Krisenbegriff suggeriere einen gesellschaftlichen Wandel, der nicht nachgewiesen werden könne, wenn man längere Untersuchungszeiträume in Betracht zieht.

- Das Konzept „Krise der Männlichkeit“ ist schließlich selbst Gegenstand historischer Analysen. Untersucht wird die Funktion der Krisenrhetorik im Kampf um die Veränderung des Geschlechterverhältnisses.

Dem informativen Heft ist politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu wünschen. Gegen eine Geschlechterpolitik, die die Männlichkeitskrise naturalisiert und zur Resouveränisierung des Mannes nützt, zeigen die Beiträge komplexe und oft auch widersprüchliche Transformationen von männlichen Geschlechtsidentitäten. Für Critical Men’s Studies ergeben sich aus den Erträgen der Untersuchungen eine Reihe von Fragen, die für ihre Weiterentwicklung nützlich sind: Wie lassen sich langfristige mit kurz- und mittelfristigen Transformationsprozessen so verknüpfen, dass sowohl Wandel als auch Beharrung thematisiert werden können? Wie verhalten sich materielle Prozesse, Diskurse und alltägliche Praktiken zueinander? Wie müssten diese unterschiedlichen Ebenen in einem Modell theoretisiert werden, um die Geschichte gesellschaftlichen Wandels angemessener zu verstehen? Zwei Aspekte wären dabei noch stärker als in den vorliegenden Beiträgen ins Zentrum der Analyse rücken: erstens die Vielfalt von männlichen Identitäten und ihr Bezug auf hegemoniale Männlichkeit (einschließlich einer Kritik dieses Konzepts) und zweitens die Verschränkung von Geschlechtsidentitäten mit anderen Achsen der Differenz und Ungleichheit.

Anmerkungen:
1 Vgl. Georg Tillner / Siegfried Kaltenecker, Offensichtlich männlich. Zur aktuellen Kritik der heterosexuellen Männlichkeit, in: Texte zur Kunst 5 (1995), Nr. 17, S. 37-47.
2 Diese Position findet sich exemplarisch im Schwerpunktheft „Wie Phönix aus der Asche: Die Wiedergeburt des Mannes“, Feministische Studien – Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, 2/2006 (Hrsg. von Rita Casale/Edgar Forster/Sabina Larcher/Anna Maria Stuby).

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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