Ch. Brooks: Law, Politics and Society in Early Modern England

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Titel
Law, Politics and Society in Early Modern England.


Autor(en)
Brooks, Christopher W.
Erschienen
Cambridge (UK) 2009: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
Preis
ca. € 82,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antoinette Saxer, Department of History, University of London

Hinter dem geradezu unscheinbaren Titel von Christopher Brooks’ Monographie entfaltet sich eine dichte Analyse englischen Rechts als zivilgesellschaftliche und politische Institution. Diskret doch kritisch schält Brooks sein Rechtsverständnis aus modernen Ideologien heraus. Weder Epiphänomen der Produktionsmittel, noch Anhängsel kühler Machtstrukturen und neo-liberaler policy, versteht sich die Brooks’sche Konzeption von “Recht“ in erster Linie als ein allgemeines Set diskursgeleiteter Aussagemöglichkeiten über das Gemeinwesen und über die Gesellschaft, deren sprachlich geschaffene Sinnhaftigkeit es damit mitträgt. Darüber hinaus, so Brooks, prägt der Rechtsdiskurs die Denk- und Entscheidungsprozesse in der Rechtsprechung, in konkreten Fällen also. Um es mit seinen eigenen Worten zusammenzufassen: “[...] the book is not so much a study of court usage, or indeed the development of legal doctrine, as it is an investigation of the terms on which legal arguments were made and the ways in which legal ideas mapped political and social relationships“ (S. 7).

Mit seinem innovationsreichen Beitrag zum Verhältnis von Rechtssprache, Rechtspraxis und lebensweltlicher Sinnproduktion zwischen 1485 und 1642 erweitert Christopher Brooks die jüngere britische Tradition rechts- und verfassungshistorischer Studien, welche die Bedeutung des common law für das frühneuzeitliche englische und dann britische politische Denken untersucht haben.1 Zum Teil bedient sich Brooks dieser Tradition – insbesondere der vielfältigen Konzeptionen der ancient constitution. Seine Ausführungen zur Herrschaft James’ VI./I. im Kontext der Union der Königreiche Schottland und England und seine Analyse des spannungsgeladenen Gleichgewichts zwischen der potestas absoluta des Königs und den Freiheitsrechten seiner Subjekte fassen die bisherige Forschung zum Verhältnis zwischen Recht(en), Souveränität und königlicher Autorität präzise zusammen (Kapitel 6 und 7).

In zweierlei Hinsicht geht Brooks jedoch maßgeblich über die bisherige Forschung hinaus. Erstens lässt er in seiner Analyse die komplexe Religions- und Kirchenpolitik der Tudor- und Stuart-Monarchen mit dem politischen Denken im engeren Sinn interagieren. Religion wird hier nicht einfach als weite kontextuelle Hintergrundfolie für die Entfaltung oder Problematisierung politischer Realitäten verwendet. Vielmehr skizziert Brooks elegante Konversationen zwischen den Diskursen “Recht“, “Religion“ und “Politik“ – so beispielsweise auf dem Gebiet der individuellen, korporativ-städtischen und korporativ-ekklesiastischen Freiheiten und Privilegien (Kapitel 3, 5 und 7). Zweitens – und hier liegt die spannende Novität dieser Studie, – untersucht Brooks auf der Basis reicher Manuskriptquellen die mannigfaltigen Interaktionen zwischen Rechtsnormen und gesellschaftlichem Leben im England des 15. und 16. Jahrhunderts (Kapitel 8 bis 13). Schrittweise verlässt man das polierte Rechtsfranzösisch, die hohe Politik und Gerichtsbarkeit von Westminster und findet sich im ereignisreichen Alltag englischer Provinzen, Kleinstädte und Dörfer wieder. Brooks’ historischer Blick ist scharf und differenziert. Anders als vielleicht erwartet gilt er nicht den peripheren Rezeptionen und Adaptionen einer distinguierten Rechtssprache der Juristen – des common law als geschulte und geschärfte künstliche Vernunft, der artificial reason der Rechtsgelehrten im Parlament oder am King’s Bench. In der zweiten Hälfte seines Buches untersucht Brooks Menschen und deren multiple soziale und ökonomische Rollen in der frühneuzeitlichen englischen Gesellschaft. Er tut dies, um diese Menschen dann als handelnde Rechtssubjekte, als Trägerinnen und Träger von Rechten und Pflichten, in einer politisierten, sich an Max Weber und Émile Durkheim orientierenden Sozialgeschichte des Rechts analytisch zu verorten. Die sozialen Gruppen, deren Gewohnheitsrecht (custom) ihn hier am meisten interessieren, sind der Hochadel, der niedere Adel sowie die Haushalte, in einem abstrakteren Sinne ferner die “Person“, die “Gemeinschaft” und der “Staat”.

Vor dem Hintergrund der sorgfältigen Ausdifferenzierung der englischen Rechtssprache zwischen Haushalt und Handel, Middlemarch und London, Aristokratinnen, Patriarchen und Bäuerinnen, Heiratsfreuden, Erbstreitigkeiten und so vielem mehr, erstaunt Brooks’ Fazit. Als den roten Faden des frühneuzeitlichen Rechtsdiskurses Englands identifiziert er letztlich die „Sprache der Freiheit“.

Fast glaubt man, Montesquieus De la Constitution d’Angleterre in den Händen zu halten, wo Freiheit als Rechtssicherheit definiert, und letztere mit der englischen Verfassung assoziiert wird.2 Wie in den bewegten Jahren zwischen 1629 und 1642 prallen an diesem Punkt Diskurs und Rhetorik aufeinander. Die Gleichsetzung von common law und Freiheit ist – Autoren von Coke bis Montesquieu wussten es schon – rhetorisch geschickt und wirksam. Damit erklingt mitten im ideologiekritischen Rechtsdiskurs jedoch auch eine implizit kulturpolitische Note. Wie dem auch sei, das bereichernde Lesevergnügen bleibt.

Anmerkungen:
1 Zum Beispiel: John G.A. Pocock, The Ancient Constitution and the Feudal Law. A Study of English Historical Thought in the Seventeenth Century. 2. überarb. Aufl., Cambridge 1987 (1. Aufl. 1957); Glenn Burgess, The Politics of the Ancient Constitution. An Introduction to English Political Thought, 1603-1642, Houndmills und London 1992; Johann P. Sommerville, Royalists and Patriots. Politics and Ideology in England 1603-1640. 2. Aufl., London und New York 1999 (1. Aufl. 1986); Alan Cromartie, The Constitutionalist Revolution. An Essay on the History of England, 1450-1642, Cambridge 2006.
2 Buch XI, Kapitel 6 des Esprit des Lois.

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