Titel
Mexico and the Foreign Policy of Napoleon III..


Autor(en)
Cunningham, Michele
Erschienen
Basingstoke u.a. 2001: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
251 S.
Preis
$ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Wunsch, Köln/Bonn

Als im Dezember des Revolutionsjahres 1848 mit Louis Napoléon Bonaparte eine vermeintliche Inkarnation des Umsturzes in Frankreich an die Macht gelangte, waren die Sorge und das Mißtrauen in der Staatenwelt groß. Würde der Neffe des großen Napoleon eine aggressive, expansive Außenpolitik verfolgen? Würde er vielleicht, zumal als Kaiser ab 1852, ganz nach dem Vorbild seines Onkels, danach streben, eine neue, d.h. französisch bestimmte internationale Ordnung zu errichten? Oder würde er die in seinen Schriften dargelegten »napoleonischen Ideen« umzusetzen streben? Die breit erforschte und kontrovers diskutierte Intervention Frankreichs im instabilen, von Anarchie und Bürgerkrieg geplagten Mexiko von 1861 bis 1867 wird gerne als das »mexikanische Abenteuer« apostrophiert (Daniel Dawson, 1935). Dieses merkwürdige Ereignis gilt allgemein als ein erster fataler Schritt der Außenpolitik Napoleons III., der sein Ansehen beschädigt, die politische Position Frankreichs unterminiert und, da das Ganze in einem Fiasko und der Hinrichtung Kaiser Maximilians endete, langfristig zum Untergang seines Regimes beigetragen habe. Als gängige Erklärungsmuster für die französische Entscheidung zur Intervention werden in der Literatur zumeist Frankreichs Bedarf an bestimmten Ressourcen (Silber, Baumwolle), das Streben nach einem Kolonialreich, der Versuch zur Lösung der italienischen Frage – indem Venetien an Italien kommen sollte und ein österreichischer Erzherzog dafür auf den zu schaffenden Thron in Mexiko – sowie die Intention Napoleons III. angeführt, die US-amerikanische Expansion nach Zentral- und Südamerika durch einen lateinischen, katholisch-monarchischen Block einzudämmen. Eugène Rouher, langjähriger Minister des Second Empire, hat die gesamte Aktion denn auch mit oft zitierten Worten als »la plus grande pensée du règne« bezeichnet.

Die unter der Anleitung von William E. Echard und William H.C. Smith verfaßte klassische diplomatiegeschichtliche Arbeit von Michele Cunningham unternimmt den Versuch, die mexikanische Intervention in den Gesamtkontext der außenpolitischen Konzeptionen Napoleons III. einzuordnen. Die interessante Studie beruht auf Quellen aus französischen und englischen Archiven, ist chronologisch aufgebaut und in neun Kapitel gegliedert. Cunningham stellt die politische Vorgeschichte der Intervention, die Interessen der involvierten Mächte und die Entwicklung in Mexiko dar, bevor sie sich dem Abschluß der Konvention vom Oktober 1861 zwischen Frankreich, Großbritannien und dem vorpreschenden Spanien zuwendet, die schließlich zur Aufstellung eines gemeinsamen Expeditionskorps führte. Anlaß der im Windschatten des amerikanischen Bürgerkriegs stattfindenden Intervention waren die Suspendierung der Rückzahlung europäischer Anleihen durch die mexikanische Regierung sowie das Bestreben, das Leben der dortigen Europäer vor Ausschreitungen zu schützen. Die drei Staaten konnten sich lediglich darauf einigen, daß ein stabiles Regierungssystem, das auch dem Schuldendienst nachkam, etabliert werden sollte; in die inneren Angelegenheiten wollte man sich laut Konvention nicht einmischen. Cunningham behandelt im weiteren die politischen Verhandlungen über die Schuldenfrage sowie insbesondere die Frage, wer letztlich die Errichtung einer Monarchie betrieb. Sie betont – nicht nur angesichts langer Kommunikationswege – die Verantwortung der Gesandten und Kommandanten vor Ort, v.a. der französischen, und schildert detailliert ihre diplomatischen Aktionen, Machenschaften, Querelen und spezifischen Ambitionen. Allesamt hätten sie eigenmächtig gegen den Willen ihrer Regierungen gehandelt, so daß die Intervention »a Life of its own« erhalten habe und der Kontrolle Napoleons III. entglitten sei. Nach dem Bruch der Konvention durch die Franzosen zogen sich Großbritannien und Spanien zurück, die Intervention wurde nun zu einer rein französischen Angelegenheit, Maximilian zu einem Kaiser, der auf französische Bajonette angewiesen war.

Cunninghams Verständnis der Außenpolitik Napoleons III. geht sehr viel stärker von seinen frühen politischen Schriften und Ideen, denen er stets treu geblieben sei, seinen Reden, öffentlichen Verlautbarungen und seiner Korrespondenz (auch wenn sie in bestimmten Fällen für ein Farbbuch geschrieben wurde) als von der operativen Politik aus. So gelangt sie zu der Ansicht, daß er insgesamt einer spezifischen Weltsicht (»world view«) folgte, in deren Kern es ihm darum gegangen sei, die Grundlage für Frieden zu schaffen. Mexiko, so die Verfasserin, habe ihm die Möglichkeit geboten, »to extend his vision for maintaining peace beyond Europe to embrace the world« (1) – und davon habe er auch London und Madrid überzeugen wollen (53). Wie ein roter Faden zieht sich die Argumentation durch die Studie, daß es dem Kaiser keineswegs darum gegangen sei, die republikanische Regierung zu stürzen und Mexiko eine Monarchie aufzudrücken, um etwa seine europäischen Pläne – die Annexion Venetiens durch Italien – voranzutreiben. Vielmehr habe er den freien Willen des mexikanischen Volkes beachten wollen, das sich ja vielleicht von selbst für die Monarchie entschieden hätte, wenn auch mit freundlicher, beratender Nachhilfe. Zudem habe er auch keineswegs einen Vorwand gesucht, die französischen Truppen aus dem Land abzuziehen, als sich das Debakel abzeichnete. Eine insgesamt sehr zugespitzte Argumentation, die man der Verfasserin so wohl kaum in Gänze abnehmen wird. Weil sie sich strikt auf Mexiko konzentriert, unterschätzt sie zudem die Bedeutung des Faktors Venetien. Napoleon III. erscheint hier sozusagen als Opfer der Aktionen der französischen Vertreter vor Ort, während seine eigenen Ambitionen – nicht zuletzt, weil sie sich nicht in französischen Akten niedergeschlagen hätten (quod non est in actis…) – zurücktreten. Wer jedoch mit den z.T. abenteuerlichen außenpolitischen Projekten Napoleons III. vertraut ist, erkennt hier eher Methode1. Cunningham verwirft auch die bisherigen Erklärungsansätze zur mexikanischen Politik des Zweiten Kaiserreichs und deutet diese eher als Funktion seiner Bündnispolitik: Kurz nach dem Cobden-Chevalier Vertrag mit England habe die zunächst gemeinsame mexikanische Intervention in einer Phase spannungsreicher bilateraler Beziehungen zusammen mit dem Freihandel die Allianz zwischen Paris und London und zudem die Beziehungen zu Madrid sichern sollen. Die Avancen ab 1861 gegenüber der Habsburgermonarchie, ein Bündnis zu schließen, entgehen ihr jedoch.

Laut Cunningham, ging es Napoleon III. zwar auch darum, die Expansion der USA einzudämmen, wobei sie jedoch bemerkt: »his reasons were less self-seeking than his contemporaries believed« (6). Sie meint vielmehr, daß Napoleons mexikanische Politik oft mißverstanden worden sei, weil man seine gesamte Außenpolitik zu oft mißverstanden habe: Cunningham folgt Echards2 These eines »grand design« Napoleons III., das in Friedenssicherung und einer Wiederbelebung des Europäischen Konzerts bestanden haben soll, sich in der Forschung jedoch nicht in derartiger Absolutheit durchsetzen konnte, da es die Instrumentalisierung der Kongreßpläne3 weitgehend übersieht. So weist die Autorin etwa die Auffassung, über die in der Forschung ein breiter Konsens besteht, daß es Napoleon III. v.a. um eine Neugestaltung der politischen Landkarte Europas gegangen sei, explizit zurück. Vielmehr sei es ihm, so die Verfasserin, um eine Einigung Europas gegangen, die, wenn sie nur hätte verwirklicht werden können, »would have resulted in a European code and court of appeals, uniform coins, weights and measures, and eventually national interests would have given way to European interests…« (7). Auf diese Weise wird Napoleon III., der sicher auch nicht der Realpolitiker im Stile eines Bismarcks war, jedoch undifferenziert zum idealistischen »Gutmenschen«, zum »visionary who foresaw the establishment of the United Nations and related organisations, and a European Parliament« (212). Seine Politik sei überdies den »principles of the 1848 Revolution« (8) gefolgt – welche waren dies denn konkret, nicht nur in Bezug auf die Außenpolitik, bei einem opportunistischen Politiker, der durch einen blutigen Staatstreich an die Macht gelangte und die republikanische Opposition mundtot machte, möchte man die Autorin fragen? Kern der Politik Napoleons III., seine »große Idee« also, sei – nicht nur in Bezug auf Mexiko und Zentralamerika – die Zivilisierung der Welt gewesen, und zwar nicht durch Krieg, sondern durch Handel. Seine Europapolitik und die Politik der »natürlichen Grenzen« Frankreichs unterstreiche dies, so die Autorin, denn mit derartigen Grenzen hätte Frankreich weniger Ressourcen für Rüstung ausgeben müssen und mehr Ressourcen in den Wohlstand und die Wirtschaft des Landes stecken können. Wohl war, obwohl der Rezensent schwerlich nachvollziehen kann, wieso das Schlagwort der »natürlichen Grenzen«4 in der Retrospektive für uns heute als ein legitimes Argument erscheinen sollte: Es war nicht zuletzt ein Konstrukt, das politisch instrumentalisiert wurde, die territoriale Expansion Frankreichs zu rechtfertigen. Natürlich wurden Nizza und Savoyen 1860 von Frankreich mit – mehr oder weniger, sollte man einfügen – »peaceful means« (10) annektiert. Von der Tatsache, daß diese Annexion nur durch einen kaltblütig herbeigeführten, blutigen Krieg, zu dem auch das Gemetzel von Solferino zählte, möglich wurde, findet sich bei Cunningham kein Wort. Von den Auswirkungen derartiger Maßnahmen auf die anderen Großmächte, von den Kleinstaaten einmal abgesehen, und auf die internationale Ordnung auch nicht. Und wenn Napoleon III. die Verträge von 1814/15 umstürzen wollte5, dann, so Cunningham, nicht, um für Frankreich eine hegemoniale Position in Europa zu erreichen, sondern um zu einem anderen Europa zu gelangen: »a Europe united to improve social, industrial and commercial conditions for everyone, rather than divided over territorial squabbles and rivalries« (11). Aber schloß das eine denn das andere aus? Krieg, bilaterale Verhandlungen, Handelspolitik, Kongreßpläne, Geheimdiplomatie usw. – Napoleon III. setzte situationsbedingt auf ein breites Spektrum unterschiedlicher Instrumente, um seine Ziele zu erreichen.

Festzuhalten bleibt, daß Cunninghams detaillierter Blick auf das politische Wirken der Diplomaten und Militärs vor Ort aufschlußreich und verdienstvoll ist. Ihre weitergehenden Aussagen über die Außenpolitik Napoleons III. an sich sind hingegen nicht nachzuvollziehen: Das Widersprüchliche in seinen politischen Ambitionen und in seiner operativen Politik wird so weit zugunsten eines harmonischen Bildes glattgebügelt, daß die Studie insgesamt kaum überzeugen kann: »The Empire does mean Peace« (155), meint die Verfasserin denn auch. Die aggressiven Züge seiner Außenpolitik – als Stichwort soll Plombières 1858 genügen, wo Napoleon III. und Cavour de facto einen Angriffskrieg gegen Österreich beschlossen6– werden ähnlich wie bereits bei Echard unterschätzt, wenn nicht ignoriert. Die unbestreitbar bei ihm vorhandenen Ideen, die man als progressiv, bisweilen auch als utopisch kennzeichnen mag, werden hingegen derart überbetont, daß ein verzerrtes Bild entsteht, das der komplexen Politik Napoleons III. nicht gerecht wird.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa beispielhaft Martin Senner: Die Donaufürstentümer als Tauschobjekt für die österreichischen Besitzungen in Italien (1853–1866), Stuttgart 1988.
2 William E. Echard: Napoleon III and the Concert of Europe, Baton Rouge/London 1983; dazu die Rezension von Jost Dülffer in: HZ 238 (1984), S. 181f.
3 Der Verfasser arbeitet an einer Dissertation über die Kongreßpläne in der internationalen Politik von 1856–1870/71, die kurz vor dem Abschluß steht.
4 Vgl. u.a. Daniel Nordman: Des limites d’Etat aux frontières nationales, in: Les lieux de mémoire. II: La Nation, Bd. 2, hg. v. Pierre Nora, Paris 1986, S. 11–61.
5 Die – englischsprachigen – Forschungen Paul W. Schroeders und andere neuere, z.T. deutschsprachige Arbeiten zum internationalen System von 1814/15, zur Wiener Ordnung und zum Europäischen Konzert werden von Cunningham leider ignoriert. Zudem ist Spezialliteratur nachzutragen, etwa die Arbeit von Arnold Blumberg: The Diplomacy of the Mexican Empire, 1863–1867, Malabar 1971; ND 1987 oder Nancy Nichols Barker: The French Experience in Mexico 1821–1861: A History of Constant Misunderstanding, Chapel Hill 1979.
6 Siehe Winfried Baumgart: Europäisches Konzert und nationale Bewegung 1830–1878, Paderborn u.a. 1999, S. 354ff.

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