Titel
Stipendienstiftungen und der Zugang zu höherer Bildung in Deutschland von 1800 bis 1960.


Autor(en)
Adam, Thomas
Reihe
Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 28
Erschienen
Stuttgart 2008: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
263 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Auge, Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Die in Deutschland immer noch aktuellen und teils sehr heftig geführten Diskussionen über den Sinn und Zweck der Erhebung von Studiengebühren waren dem an der University of Texas at Arlington tätigen Thomas Adam Anlass, im Rahmen eines Freisemesters und unterstützt von der Fritz Thyssen Stiftung jüngst zu erforschen, wie es sich mit der Studienfinanzierung im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland verhalten hat. Adam tat dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Befürworter einer Einführung solcher Gebühren immer wieder auf die heutigen amerikanischen Verhältnisse verweisen. Sie scheinen aber schlecht über die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort informiert zu sein, denn die finanzielle Unterstützung von Studierenden über Stipendien hat in den USA doch einen erheblich größeren Umfang als hierzulande.

Nach einem Vorwort (S. 7f.), worin Adam den Werdegang des vorliegenden Werkes darlegt, nähert sich der Verfasser in dem Kapitel „Das Wissen um Stipendienstiftungen“ dem Quellen- und Forschungsstand zum Thema an, wobei er Max Baumgart und dessen erster nationaler Übersicht über Stipendienstiftungen ein eigenes von vier Unterkapiteln widmet (S. 9-27). Sinnigerweise schließt sich daran das Kapitel „Stifter und Stipendienstiftungen“ als Ausgangspunkt jedweder privaten Studienförderung an (S. 28-65), wobei sich Adam in einem Abschnitt dem „Stiften im 19. Jahrhundert“ und in einem weiteren dem „Stiften während des Ersten Weltkrieges“ widmet. Kapitel drei behandelt, durch die archivalische Überlieferung bedingt besonders umfänglich, „die Verwaltung der Stipendienstiftungen“ (S. 66-119), worauf im Anschluss, im vierten Kapitel mit der Überschrift „Studieren und Stipendium“, der Blick schwerpunktmäßig auf die studentische Seite gerichtet wird (S. 120-168). Das folgende Kapitel fünf beschäftigt sich mit „Stipendienstiftungen als Wille und Macht der Gesellschaftsgestaltung“ (S. 169-209). Im Vergleich zur bisherigen, ganz klassisch-systematischen Kapitelabfolge nimmt dieses Kapitel, wie schon seine zur These zugespitzte Überschrift besagt, eine programmatische Sonderrolle ein. Sie stellte Adam sichtlich vor die Schwierigkeit einer überhaupt überzeugenden Platzierung des Kapitels. Das zeigt das hier zu findende Unterkapitel „5.1 Stiften“ (S. 169f.), das im Prinzip mehr im ersten Kapitel „Stifter und Stipendienstiftungen“ Sinn machen würde, wie auch der ganze sich als sechstes Kapitel anschließende Teil „Frauenstudium und Stipendien für Studentinnen“ (S. 209-228), der inhaltlich eng mit Kapitel vier „Studieren und Stipendium“ zusammenhängt, durch seine nunmehrige Platzierung am Schluss der Abhandlung automatisch einen eher exkursartigen Charakter gewinnt. Eine wechselseitige Vertauschung gerade der Kapitel fünf und sechs hätte sich in den Augen des Rezensenten angeboten und wäre durchaus mit Adams Intention konform gewesen, ohne Gefahr zu laufen, die bekannte Sonderrolle der Stipendienstiftungen für Frauen in Abrede zu stellen. Die Abhandlung wird durch knapp gehaltene „Schlußbetrachtungen“ abgeschlossen, die weniger den Inhalt der Untersuchung zusammenfassen, als sich vielmehr nochmals mit dem heute gängigen Referenzmodell USA auseinandersetzen (S. 229-231). An den Darstellungsteil schließen sich ein „Verzeichnis der Tabellen und Übersichten“ (S. 233-235), ein übersichtlich gestaltetes Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 237-252) sowie ein in sich stimmiges Register für Orte, Personen und Sachen (S. 253-263) an.

Der auf umfangreichen Archivrecherchen und der Sichtung auch bislang mehr oder minder unbeachteter Archivüberlieferungen fußende, gründlich redigierte und von Tippfehlern (z.B. S. 234: Hau[!]haltsplan) nahezu freie Band ist als die erste umfassende, modernen Ansprüchen und Fragestellungen gerecht werdende Untersuchung zum Thema zu bezeichnen. Er geht damit weit über die bisher für Stipendienstiftungen und Studienförderung im 19. und 20. Jahrhundert üblichen lokal- oder allenfalls regionalgeschichtlichen Darstellungen nach dem Muster Stiftung A des Herrn B für die Leute C an der Universität D hinaus. Teilweise kann sich Adam aber nicht deutlich genug von diesem traditionellen Ansatz, den die bisherige Forschung und vor allem die archivalische Überlieferung in je einzelnen Universitätsarchiven vorgeben, lösen. So erscheint auch seine Untersuchung in Teilen wie eine Aneinanderreihung von Einzelbefunden. Vielleicht ist eine über die bloße Zusammenführung von Einzelbefunden hinausgehende, wirklich resümierende Betrachtung zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch zu viel verlangt.

Adam gelingt in jedem Falle ein organischer Anschluss an Untersuchungen zum Stipendienwesen in Deutschland vor 1800. An die Stelle der Familienstiftungen traten im 19. Jahrhundert zunehmend Stiftungen zugunsten von Angehörigen einer bestimmten Region bzw. Stadt, Nationalität, Religion oder sozialen Gruppe. Adam belegt eindrücklich die Bedeutung des von ihm als „eigentliche Blütezeit des Stipendienstiftungswesens“ (S. 11) bezeichneten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts für die Studienfinanzierung durch Stipendien und korrigiert das Bild einer vermeintlichen Konkurrenz zwischen staatlicher und privater Förderung. Er relativiert zudem die gängige Sicht, dass die Inflation im 20. Jahrhundert zu einem Bruch in der Geschichte des Stiftungswesens führte, und erinnert nicht zuletzt an die gemeinhin verkannte Funktion des Stiftungsvermögens als Reservekapital zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs. Adam ruft durch sein flüssig zu lesendes Buch die Erinnerung an das in Deutschland fast ganz in Vergessenheit geratene System der privaten Studienförderung wieder wach und belehrt einerseits all diejenigen eines Besseren, die meinen, in Deutschland gebe es eigentlich keine Tradition des Stiftens für Bildung und Wissenschaft. Andererseits mahnt er zur berechtigten Vorsicht, die USA als stets gültiges Modell für gesellschaftliche Veränderungen, auch im Bildungssektor, anzupreisen. „Wenn man etwas von den USA lernen möchte, dann ist es wohl dies, dass ein Hochschulsystem, das auf Studiengebühren basiert ist, nur dann funktionieren kann, wenn es durch ein System der privaten und staatlichen Stipendien komplettiert wird“. (S. 231)

Nicht zuletzt dieser enge Bezug zu den aktuellen Debatten, den das letzte Zitat exemplarisch zum Ausdruck bringt, macht das neue, leider nicht sehr preisgünstige Buch von Thomas Adam zu einer lesenswerten und empfehlenswerten Lektüre, vor allem für diejenigen, die sich lautstark an den Diskussionen beteiligen.

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