Cover
Titel
Radio - Reminiszenzen. Erinnerungen an RIAS Berlin


Herausgeber
Rexin, Manfred
Reihe
Schriftenreihe der Medienanstalt Berlin-Brandenburg 13
Erschienen
Berlin 2002: Vistas Verlag
Anzahl Seiten
474 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Stöver

Der RIAS war ein Mythos des Kalten Krieges. 1946 gegründet, 1993 aufgelöst bzw. im neuen DeutschlandRadio aufgegangen, hatte die Station die Geschichte des Kalten Krieges in Deutschland mitgeschrieben. Der von Rexin herausgegebene Sammelband wartet mit 38 Beiträgen von ehemaligen RIAS-Mitarbeitern auf.

In der Frage des RIAS teilten sich jeher die Meinungen. Dies kann man für die fünfziger Jahre besonderes genau nachzeichnen. Im Westen war er die Stimme der Freiheit, bei den DDR-Offiziellen war er der Inbegriff eines "Spionagesenders". Der RIAS war ein amerikanisches Produkt, hatte einen amerikanischen Programmdirektor und wurde infolgedessen allgemein als US-Station betrachtet. Unterstrichen wurde dies durch die Tatsache, daß der RIAS in der ARD, dem 1950 gegründeten Zusammenschluss der westdeutschen Landesrundfunkanstalten, nur eine beratende Stimme hatte. Transmitter in Bayern (Hof, München) ermöglichten es, dass RIAS-Sendungen fast in der gesamten SBZ/DDR und darüber hinaus zu hören waren. Der ab dem 7.2.1946 unter Besatzungsrecht gegründete und betriebene RIAS wurde mit dieser technischen Unterstützung, aber insbesondere auch durch die Qualität seiner Programme wahrscheinlich zum erfolgreichsten Sender des Westens in der DDR.

Wirklich bekannt wurde die Station in der 1. Berlin-Krise 1948/49. Kurz vor dem Beginn der Blockade wurde am 6.7.1948 das neue Funkhaus an der Kufsteiner Straße in Schöneberg neu bezogen, das mit seinem markanten Schriftzug auf dem Dach tatsächlich zu einer Art Logo für das "Westradio" wurde.

Der RIAS betrieb eine "Strategy of Constructive Subversion", wie es im offiziellen amerikanischen Handbuch der Psychologischen Kriegsführung aus dem Jahr 1958 hieß. Auch die Aufgabenstellung des RIAS lag ganz offiziell auf der offensiven Linie. "A main objective of RIAS", so fasste ein 1960 vorgelegter Untersuchungsbericht des zur Überwachung der US-Informationspolitik im Ausland zuständigen "Sprague Committees" zusammen, "is to maintain the morale of the East Germans, oppressed by the communist regime under which they live, and remind them that they have not been forgotten by the United States and the Free World". Dass dabei der RIAS auch im Westen rasch in den Ruf eines Spionagesenders kam, lag nicht zuletzt daran, dass er beispielsweise in den fünfziger Jahren von den "Ostbüros" der westdeutschen Parteien ebenso wie von der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) zur Informationsweitergabe genutzt wurde. Die Sprechzeiten der 1949 eingerichteten Berliner "Flüchtlingsbetreuungsstelle" des SPD-Ostbüros wurden hier eine Zeitlang regelmäßig bekanntgegeben.

Parallel dazu erhielt das SPD-Ostbüro vom RIAS die Berichte aus der DDR, die Besucher beim Sender ablieferten. Im Gegenzug überließ das Ostbüro seine Erkenntnisse über operative Aktionen des sowjetischen Geheimdienstes der Station. Auch die Presse- und Funkauswertung des RIAS wurde vom SPD-Ostbüro gezielt eingesetzt. Ebenso intensiv hat das "Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen", das zunächst ohnehin einen Teil der Finanzierung trug, den Sender als Stimme genutzt. Dessen Staatssekretär Franz Thedieck sprach regelmäßig über den RIAS zur DDR-Bevölkerung. Auch der "Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen" (UFJ) hatte hier eine eigene Sendezeit.

Alle Beiträge des Bandes bieten aufschlussreiche Einblicke in die Praxis des Senders, die sich natürlich in den über vierzig Jahren des RIAS veränderte. Der RIAS in den sechziger Jahren war natürlich nicht mehr der gleiche wie in den fünfziger Jahren, nicht nur, weil sich die Politik von Eisenhower zu Kennedy veränderte, sondern weil auch in Deutschland andere Themen in den Vordergrund rückten und die Konfrontation der fünfziger Jahre zugunsten der Entspannungspolitik abgelöst wurde. Entsprechendes galt natürlich auch für die folgenden Jahrzehnte.

Die Beiträge sind, wie fast immer in Sammelbänden, höchst unterschiedlich in der Qualität und im Ansatz. Den Band hält zusammen, dass es um persönliche Erinnerungen geht. Ansonsten gliedert er relativ unverbindlich die "frühen Jahre", die "Mauer-Zeiten", die "Funk-Kulturen", die "Funk-Gestalten" und die "späten Jahre". Das Buch wird zudem durch drei Dokumentationen abgeschlossen: Die Sendungen für die SBZ aus dem Jahr 1949, die Position des RIAS während des Juni-Aufstandes 1953 sowie zu den Strafurteilen gegen "RIAS-Agenten" in der DDR.

Aus der Sicht der Historiker sind natürlich insbesondere jene Beiträge von Interesse, die möglicherweise helfen können, das Verhalten des Senders oder auch die Mentalität der RIAS-Mitarbeiter besser einordnen zu können. Umstritten war der Sender im Westen vor allem nach dem Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953, als der Vorwurf nicht nur aus dem Osten kam, er habe die Unruhen angeheizt, gar als Verstärker gewirkt. Doch wies namentlich der damalige RIAS-Chef Gordon Ewing in seinen früheren Interviews immer darauf hin, dass der Sender sich sehr zurückgehalten habe. Tatsächlich war der RIAS am Vormittag des 16. Juni über die Streiks in der Stalinallee informiert, aber hatte darauf nicht reagiert. Erst am Spätnachmittag des Tages, um 16.30 Uhr, entschloss sich die Sendeleitung, die erste Nachricht über die Situation im Osten auszustrahlen. Zeitzeugen aus dem Osten, wie Victor Klemperer, der am 17. Juni die Ereignisse in Berlin erlebte und die Sendungen verfolgte, hörten einen "triumphierenden RIAS". 1

Ewing hatte nach eigener Aussage über drei Tage keine offiziellen Handlungsanweisungen aus Washington erhalten, auch die amerikanische High Commission war nicht in der Lage, Auskünfte zu geben, da der Hohe Kommissar selbst, James Conant, sich in den USA aufhielt. Der RIAS entschied also während dieser drei Tage aus eigener Verantwortung, allerdings, wie Ewing später betonte, in dem Bewusstsein, dass der Sender damit ständig in Gefahr war, mit seinen Programmen möglicherweise den Dritten Weltkrieg auszulösen.2

Eine dieser Entscheidungen war, den bisherigen Programmablauf zugunsten einer kontinuierlichen Berichterstattung über die Ereignisse zu unterbrechen. Dazu gehörte auch, in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni, dem Westberliner Gewerkschaftler Ernst Scharnowski einen Aufruf über den RIAS zu gestatten. Er enthielt allerdings dann nicht den ursprünglich von Scharnowski geplanten Appell zum Generalstreik. Eine ebenso wichtige eigene Entscheidung der RIAS-Sendeleitung war, nach der offiziellen Verhängung des Ausnahmezustandes durch die Sowjets gegen Mittag des 17. Juni, einen Aufruf zur Deeskalation zu verbreiten, der riet, "nicht gegen die Russen mit nackten Fäusten zu kämpfen oder irgendetwas in dieser Richtung" zu unternehmen sowie nicht die russischen Truppen zu provozieren, da es zu diesem Zeitpunkt bereits absehbar war, dass es keinerlei westalliierte Gegenaktion geben würde. 3

Zur weiteren Aufklärung dieses Sachverhalts ist zum Beispiel der Sammelbandbeitrag von Peter Schultze, einem frühen RIAS-Mitarbeiter, durchaus hilfreich. Auch er bestätigt, dass der RIAS tatsächlich offensiver agierte als man zunächst zugab, weil einzelne Kommentatoren über das hinausgingen, was Ewing für angemessen hielt. Schultze zitiert dazu einen Kommentar von Eberhard Schütz vom 16. Juni. Der ehemalige Mitarbeiter des Deutschen Dienstes im BBC während des Zweiten Weltkrieges äußerte über das RIAS-Mikrofon: "Macht euch die Unsicherheit der Funktionäre zunutze, verlangt das Mögliche, aber jeder einzelne muß wissen, wie weit er gehen kann." Praktisch verhielt sich der RIAS damit genauso wie beispielsweise Radio Freies Europa während des Ungarn-Aufstandes. Die offizielle Linie war gemäßigt, die individuelle eher radikaler. Trotzdem kommt Schultze zum Fazit, der RIAS habe "nicht 'gezündelt', sondern flexibel und verantwortungsbewußt seinen Hörern gegenüber reagiert". (S. 59) Ein Beispiel für die individuellen Möglichkeiten liefert der Autor dann noch selbst, als er berichtet, dass er sich während des Ungarn-Aufstandes 1956 ohne Einwilligung des RIAS als Korrespondent in Budapest aufhielt.

Insgesamt gesehen ein partiell hochinteressanter Band, aus dem man einiges, vor allem über die Mentalität der RIAS-Mitarbeiter während des Kalten Krieges, lernen kann.

Anmerkungen:
1 Klemperer, V., So sitze ich zwischen allen Stühlen, Tagebücher 1945-1959, Bd. II, Berlin 1999, S. 387.
2 Vgl. Interview mit RIAS-Direktor Gordon Ewing, in: Spittmann, I. (Hrsg.), 17. Juni 1953, Arbeiteraufstand in der DDR, Köln 1982, S. 212-215; hier: S. 214.
3 Ebd.

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