J. J. Berns: Himmelsmaschinen, Höllenmaschinen

Cover
Titel
Himmelsmaschinen, Höllenmaschinen. Zur Technologie der Ewigkeit


Autor(en)
Berns, Jörg J.
Erschienen
Berlin 2007: Semele Verlag
Anzahl Seiten
313 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Bauer, Berlin

Der Frühneuzeit-Spezialist Jörg Jochen Berns hat in diesem Buch ein in den historischen Wissenschaften eher vernachlässigtes Thema zum Gegenstand gewählt: Es analysiert den Diskurs der „Ewigkeitsorte“ Himmel und Hölle im Zusammenhang mit der vor allem in Bildern erkennbaren Tendenz, Himmel und Hölle als Maschinenlaboratorien darzustellen. Zugleich bietet das Buch einen Gang durch die frühe Maschinengeschichte als einer auch religiös aufgeladenen Ansammlung von Imaginationen, die für eine historische Bewertung der Maschinisierung von Bedeutung ist. Damit rücken Überschneidungen von Literaturwissenschaft, Theologie, Kunst- und Technikgeschichte ins Blickfeld, die in den einzelnen Disziplinen bisher kaum diskutiert worden sind.

Ausgehend von der sakralen antiken Betrachtung der Maschine als einer „archeiropoetischen“ – nicht von Menschenhand hergestellten – stellt Berns die vielfach in dem Buch widerklingende These auf, dass die Maschine ihren Ursprung in der Betrachtung des Sternenhimmels als Götterwohnsitz habe. Bereits die Nachbildung des Himmels in der Sphäre des Archimedes situiere Maschinen und ihre Erfinder im sonst nur theologisch diskutierten Kontext der Selbsterhebung des Menschen zu einem den Göttern ähnlichen „Macher“. Unter Hinweis auf Augustinus' Diskussion der Salomonischen Behauptung von der Welt als „nach Maß, Zahl und Gewicht“ hergestellter entwickelte sich daraus die Behauptung von der religiös motivierten Sinnhaftigkeit menschlicher Maschinenproduktion: So wird das Göttliche in den Bereich der Berechenbarkeit und Nachahmung durch „techne“ gerückt und etwa die Räderuhr als „menschheitsgeschichtlich wichtigste Himmelsmaschine“ (S. 26) ermöglicht vielfach sich wandelnde sichtbare Imitationen der „machina mundi“.

Sind bis ins Frühmittelalter noch Hölle und Himmel kaum unterschiedene Orte im „universum“, so taucht in Motiven der Waage als Maschine der Trennung bereits früh in christlicher Zeit die Scheidung der beiden diametral entgegengesetzten Orte des Jenseits auf. Entscheidend für das Entstehen der Höllenvisionen hingegen war die Indienstnahme von Kelter und Mühle zur bildlichen Darstellung christlichen Leidens im Dienste der Erlösung. Denn die Pein, die in diesen zugefügt wird, taucht später – wider ihren Ursprung gewendet – als Exemplifizierung der höllischen Torturen auf. Hier zeigt sich die relative Freiheit des Bilddiskurses, der in vielfachen Metamorphosen kanonische Texte im eigenen historischen Kontext interpretiert.

Christliche und antike Auffassungen von der Komplementarität der Maschinenleistungen und der seelischen, das heißt religiös-geistigen, Aktivität kamen den über die Jahrhunderte nicht nachlassenden „Abzähl-, Addier- und Quantifizierfreuden“ (S. 80) entgegen: Die Metapher von der Maschine als geistige Aktivitäten imitierende Apparatur wurde von Intellektuellen und Konstrukteuren immer wieder aufgegriffen, die Gedächtnis und Einbildungskraft durch maschinelle Beispiele zu erläutern suchten und Maschinen zur Imitation und Stimulierung geistiger Vorgänge ersannen. Daran hat sich bis zur heutigen Digitalisierung und Computerbenutzung im Prinzip wenig geändert. Berns, Spezialist für die Geschichte der Mnemotechnik1, stellt in seinem Buch einige bildliche und religiös-philosophische Beispiele dieser Entsprechung vor. Sein besonderes Interesse finden dabei die Prozeduren, in denen Frömmigkeit als das schlichtweg Innerliche in Zähl- und Mechanisierbarkeit umschlägt. Rosenkranztheologie, Exerzitien- und Mnemotechniken sind Beispiele hierfür.

Die Ununterscheidbarkeit von Maschinen- und Seelendiskurs findet ihr Analogon in der bildlichen Darstellung von Höllen, wo die Todsünden maschinell ihre exakte Bestrafung finden. Schon früh übersteigt das Interesse an der Hölle dasjenige am Himmel, und dementsprechend fokussiert auch der zweite Teil des Bandes auf Maschinen in der Hölle findet. „Die Maschinisierung der Hölle konnte erst dann einsetzen, als die infernalische Potenz von Maschinen sichtbar wurde. Da Maschinen bis dahin wenn nicht als heilig, so doch als hilfreich und gut gegolten hatten, wurde Maschinenkritik, als Kritik an ihrer sozialen, kommunikationsverändernden Kraft, in die Höllentopographie abgedrängt. Dort konnte sie phantasmagorisch ausagiert und fortentwickelt werden, während es auf Erden, realiter, noch keine Maschinenkritik gab [...].“ (S. 123) Die einschlägigen Höllendarstellungen Hieronymus Boschs, Bruegels und anderer frühneuzeitlicher Maler benutzten den ausgeprägten Maschinenpark ihrer Zeit, um trotz biblischer Vorgabe ganz unreligiös die Unterwelt als innovativen Ort der Grausamkeiten zu zeigen. Sie entwickelten außerordentliche Phantasie im Entwurf aller möglichen und (noch) unmöglichen Formen maschineller Quälereien. Über die avancierte Technik der Explosivwaffen hinaus sind es bei Bosch die biomorphen Visionen, die seine Grausamkeiten bis heute ihre schockierende Wirkung nicht verfehlen lassen. Durch eingestreute Bezüge zur modernen und aktuellen Maschinenperzeption bei Karl Marx etwa oder in Chaplins Film „Modern Times“ illustriert Berns den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Diskurs der Maschinenhölle auf erhellende Weise. Dem Reichtum seiner Bild- und Textbelege verdankt seine Argumentation ihre zahlreichen überraschenden und anregenden Impulse. Auf diese Weise werden die mindestens doppelten Überschreibungen beim Transport der Metaphern zwischen Technik und Religion/Geist deutlich. Damit leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zu einer integrativen Technologiegeschichte.

Zum Abschluss dieses aus vielen Perspektiven lesbaren Bandes widmet sich Berns einem Spezialproblem des Maschinendiskurses: Elektronischer Bildtransport steht am vorläufigen Ende eines Maschinentraums, den die Mystiker in Mittelalter und Früher Neuzeit als Vision, das heißt als Sichtbarmachung der „anderen“ Welt (der Heiligen oder des Teufels) begriffen. Neben Automatentechniken zur Meditationslenkung und Projektionstechniken zum Herbeizitieren des Numinosen2 wurde die „Erscheinung“ als „Tele-Vision“ ureigenstes Feld der visuellen Manipulation, als deren letzte Hervorbringung der elektronische Bildschirm unserer Tage seine spirituelle Valenz zu kaschieren sucht: Die Darstellung der Madonna müsste als das älteste TV lesbar werden, „weil ihre Apparition das archetypische Programm von Fernsehen schlechthin darstellt“ – diese Sicht auf die Ur-Matrix der Television wird aber durch das Überangebot an Kanälen eher verhindert (S. 250). Die scheinbar neuartige Technologie erweist sich so als Realisierung längst angelegter Möglichkeiten, deren Virtualität in den alten Imaginationen bereits vorgedacht war.

Die vielfach unterbelichtete religiös-ästhetische Rückseite des Technologiediskurses neben die dominante Fortschrittsthematik und Maschinenperfektionierung in den Blick gerückt zu haben ist das Verdienst dieser auf vielfältige Weise anregenden und innovativen Studie.

Anmerkungen:
1 Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber (Hrsg.), Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistungen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne, Wien, Köln, Weimar 2000; Jörg Jochen Berns (Hrsg.), Gedächtnislehren und Gedächtniskünste in Antike und Frühmittelalter [5. Jahrhundert v.Chr. bis 9. Jahrhundert n.Chr.]. Dokumentsammlung mit Übersetzung und Kommentar (= Documenta mnemonica. Text- und Bildzeugnisse zu Gedächtnislehren und Gedächtniskünsten von der Antike bis zum Ende der Frühen Neuzeit. Bd.I.1), Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit 79); Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber (Hrsg.), Das enzyklopädische Gedächtnis der Frühen Neuzeit. Enzyklopädie und Lexikonartikel zur Mnemonik. (= Documenta Mnemonica, Bd. II), Tübingen 1998 (Frühe Neuzeit 43).
2 Jörg Jochen Berns, Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Marburg 2000.

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