H. Zaunstöck (Hrsg.): Das Leben des Fürsten

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Titel
Das Leben des Fürsten. Studien zur Biografie von Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817)


Herausgeber
Zaunstöck, Holger
Erschienen
Halle (Saale) 2008: Mitteldeutscher Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
15,00 Eur.
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Rohrschneider, Universität zu Köln

Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau zählt zweifellos zu den faszinierendsten Herrscherpersönlichkeiten der frühneuzeitlichen Geschichte Anhalts. Das maßgeblich von ihm geschaffene und seit dem Jahr 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Dessau-Wörlitzer Gartenreich ist als noch heute erlebbarer Ausdruck praktizierter Aufklärung das wohl bekannteste Beispiel seines vielgestaltigen Wirkens. Umso bedauerlicher ist es, dass bislang keine wissenschaftliche Biografie des Fürsten (seit 1807 Herzog) vorliegt, die den Ansprüchen der heutigen Forschung genügt.

Genau dieses Forschungsdesiderat ist der Ausgangspunkt des vorliegenden Sammelbandes, der auf die in Verbindung mit der Kulturstiftung DessauWörlitz im September 2006 veranstaltete Jahrestagung der Dessau-Wörlitz-Kommission im Dessauer Luisium zurückgeht. Wie Holger Zaunstöck einleitend hervorhebt, muss es das Ziel künftiger Forschungen sein, eine Biografie des „Vaters Franz“, wie der Fürst noch heute in seiner Heimat genannt wird, zu erarbeiten. Die Beiträge des Sammelbandes sollen vor diesem Hintergrund vorbereitenden Charakter haben und Grundlagen liefern, um zukünftig eine moderne Fürst-Franz-Biografie zu ermöglichen, die nicht nur die Persönlichkeit und die Lebenswelten des Herrschers selbst ins Zentrum rückt, sondern die darüber hinaus auch zu einem komplexeren Verständnis des von ihm kreierten Gartenreichs und der anhalt-dessauischen Geschichte um 1800 insgesamt beitragen soll. Bis dahin ist allerdings noch eine lange Wegstrecke zurückzulegen, da in vielerlei Hinsicht erst noch die Fundamente erarbeitet werden müssen, wie zum Beispiel eine systematische Auswertung des Briefwechsels des Fürsten mit über 400 nachgewiesenen Korrespondenzpartnern. Auch sind gewichtige Probleme der Quellenlage zu konstatieren, etwa das weitgehende Fehlen programmatischer bzw. biografischer Schriften aus der Feder des Fürsten und vor allem die Tatsache, dass wichtige Bestände des früheren Anhaltischen Haus- und Staatsarchivs (heute Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau) zum Dessauer Fürstenhaus Kriegsverluste sind, wie Angela Erbacher in ihrem detaillierten Beitrag zur archivalischen Überlieferung sehr zu Recht betont.

Der Band ist in drei Themenfelder unterteilt: „Politik und Alltag“, „Europäische Handlungsräume“ und „Inszenierungen“. Diesen Abschnitten vorangestellt ist ein Aufsatz von Georg Schmidt, der in explizit vergleichender Perspektive das Wirken Leopolds III. Friedrich Franz, Carl Augusts von Sachsen-Weimar und Ernsts II. von Sachsen-Gotha untersucht und somit ermöglicht, das Beispiel Anhalt-Dessau in dem größeren Kontext der Politik mindermächtiger mitteldeutscher Fürsten im späten Alten Reich genauer zu verorten. Schmidt akzentuiert mit guten Gründen die prekäre politische Position dieser drei als Kulturmäzene hervorgetretenen Herrscher, denen das Reich nur noch wenig Schutz gegen die ambitionierte Politik des preußischen Nachbarn bieten konnte, die andererseits aber auch kein Interesse an einem übermächtigen Kaiser hatten, weil eine interventionsfreudige, starke Wiener Zentrale ihr Regiment in mittel- und langfristiger Perspektive ebenso gefährdet hätte wie die Expansionsbestrebungen des Hohenzollernstaates.

Der Abschnitt „Politik und Alltag“ umfasst neben dem bereits erwähnten Beitrag von Angela Erbacher drei weitere Aufsätze. Michael Niedermeier dekonstruiert in seinem Beitrag zu den anhaltisch-preußischen Beziehungen in überzeugender Weise die hartnäckige Legende, Fürst Franz habe seinen 1757 erfolgten Austritt aus der preußischen Armee im Sinne eines bewussten politischen Schritts unternommen, um eine antipreußische und antimilitärische Haltung zum Ausdruck zu bringen. Die Beiträge von Frank Kreißler und Antje Faßhauer sind dem jüdischen Leben in Anhalt-Dessau gewidmet. Beide gelangen zu dem Ergebnis, dass die vergleichsweise große religiöse Toleranz, die Fürst Franz gegenüber seinen jüdischen Untertanen walten ließ, insofern etwas zu relativieren ist, als er letztlich die für die Juden so wichtige rechtliche Gleichstellung mit der christlichen Bevölkerung nicht zugestand.

Der fünf Beiträge umfassende Abschnitt „Europäische Handlungsräume“ widmet sich den europäischen Dimensionen des Wirkens Fürst Franz’. Ausgehend von dem Begriff Heterotopie im Sinne Michel Foucaults schildert Ute Lotz-Heumann die Badepraxis des Dessauer Fürsten und kommt in ihrer Untersuchung zu den multiplen Funktionen der überregionalen Kurorte des 18. Jahrhunderts zu dem Befund, dass es ihm bei seinen Kuraufenthalten primär darum ging, die Heilfunktionen der Kurorte und die dort gegebenen Möglichkeiten zu politischen Geheimverhandlungen zu nutzen; das Bedürfnis nach Repräsentation, Geselligkeit oder auch Unterhaltung war demgegenüber deutlich weniger ausgeprägt. Ingo Pfeifer behandelt die bisher kaum beachteten Beziehungen des Fürsten zur polnischen Aristokratie und Aufklärung. Vor allem verweist er auf dessen Bekanntschaft mit dem polnischen Fürstbischof von Ermland, Graf Ignacy Krasicki, der zu den bedeutendsten polnischen Literaten der Aufklärung zählt. Auch gelangt Pfeifer zu dem bemerkenswerten Befund, dass die Polen nach den Engländern und den Franzosen immerhin die drittgrößte Gruppe unter den ausländischen Besuchern in Wörlitz stellten. Drei Beiträge vertiefen die bisherigen Forschungen zu der bekannten Vorliebe Fürst Franz’ für die britische Kultur: Johanna Geyer-Kordesch untersucht insbesondere die Beziehungen des Fürsten zu den liberalen Adeligen Großbritanniens, Franziska Lietzmann erforscht seine Kontakte zu dem schottischen Adligen Sir George Sinclair, und Uwe Quilitzsch stellt den sogenannten Royal Navy Room im Schloss Wörlitz vor. Ihnen gelingt es jeweils, neue Akzente hinsichtlich der anglophilen Haltung Fürst Franz’ zu setzen, etwa wenn Quilitzsch zu dem Ergebnis gelangt, der Dessauer Fürst habe sich besonders stark für die Militärpolitik Großbritanniens interessiert.

Der dritte und letzte Abschnitt „Inszenierungen“ enthält vier Beiträge, die unterschiedliche Medien ins Zentrum rücken. Während Kathleen Hirschnitz anhand von ausgewählten Beispielen die Selbst- und Fremdinszenierung des Fürsten in seinen Bildnissen untersucht (beim gegenwärtigen Forschungsstand sind 85 Bildnisse der Fürsten ermittelbar), schildert Martin Disselkamp, wie Fürst Franz in den Briefen Johann Joachim Winckelmanns inszeniert wurde, nämlich gewissermaßen als charismatisches Kontrastbild zu Friedrich dem Großen und als „Zentrum einer ausstrahlungskräftigen Gruppierung von klassizistisch Geschulten“ (S. 194). Michael Hecht wendet sich dem bislang kaum erforschten Themenfeld der Historiografie und dynastischen Erinnerung der anhaltischen Askanier im 18. Jahrhundert zu. Er gelangt zu dem überzeugenden Ergebnis, dass die Rezeption dynastischer Vergangenheitsbilder am anhalt-dessauischen Hof noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielte, trotz des in dieser Zeit erkennbaren Bruchs in der anhaltischen Historiografie hin zu einem Mehr an Quellenkritik und Entmythisierung. Den Abschluss bildet die Untersuchung von Berit Ruge über Erkenntnisbilder und Einweihungsmotive im Dessau-Wörlitzer Gartenreich, in der die Deutungsoffenheit des durch Fürst Franz inszenierten diesbezüglichen Programms hervorgehoben wird, das eben nicht im Sinne einer Eindeutigkeit restlos aufgeschlüsselt werden kann.

Insgesamt gesehen ist dem interdisziplinär angelegten, reich bebilderten und preislich günstigen Sammelband zu bescheinigen, dass es eindrucksvoll gelungen ist, innovative Studien zu präsentieren, die im Hinblick auf die Erforschung des Lebens und Wirkens Fürst Franz’ einen gehörigen Schritt nach vorne bedeuten. Wünschenswert ist, dass der vorliegende Band in der Tat den entscheidenden Impuls dafür gibt, in absehbarer Zeit eine moderne Biografie dieses bedeutenden Dessauer Fürsten zu realisieren.

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