M.A. Hoare: Genocide and Resistance in Hitler's Bosnia

Titel
Genocide and Resistance in Hitler's Bosnia. The Partisans and the Chetniks, 1941-1943


Autor(en)
Hoare, Marko Attila
Erschienen
Anzahl Seiten
xiv, 386 S.
Preis
$ 107,43
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Korb, Lehrstuhl für Geschichte Osteuropas, Humboldt-Universität zu Berlin

Nun gut, Hitler. Der Führer auf dem Cover ist wohl vor allem durch die Hitler-sells Logik des britischen Buchmarktes erklärbar. Belegt Hoare mit seiner Studie über den Kampf zweier Bewegungen, der kommunistischen Partisanen und der serbisch-nationalistischen Četnici, doch selbst, dass Bosnien während des Zweiten Weltkrieges nicht Hitlers war. Schon eher Titos, des Partisanenführers, oder des Ustaša-Chefs Ante Pavelić, dessen Unabhängigem Staat Kroatien Bosnien 1941 zugeschlagen wurde. Doch führen noch zwei weitere Titelsubstantive in die Irre: Da es im Buch nur bedingt um „Genozid“ geht, und da sich auch „Bosnien“ als vermeintlicher Schauplatz der Studie als problematische Kategorie erweist, sollen beide Felder gesondert diskutiert werden. Wovon das Buch handelt verrät der Untertitel: Partisanen und Četnici und um den Bürgerkrieg, den beide Parteien 1941-1943 miteinander ausfochten. Hoare versucht herauszufinden, warum die Partisanen diesen Krieg gewannen. Er beschreibt in chronologischer Ordnung die Genese beider Bewegungen, die sich aus unabhängigen serbischen Bauerngruppen, die sich 1941 gegen den Terror der faschistischen Ustaša erhoben, rekrutierten (Kapitel 1). Die anfängliche Mischung aus Rivalität zwischen den Četnici und den Partisanen und deren Kooperation gegen die Ustaša (Kapitel 2) wurde bald von einem beginnenden Bürgerkrieg abgelöst (Kapitel 3). Diesen entschieden die Partisanen 1943 schließlich für sich (Kapitel 6). Hoare widersteht dabei der Versuchung, einem eine klare Entwicklung suggerierenden chronologischen Narrativ zu folgen. Stattdessen fokussieren die Kapitel auf unterschiedliche Regionen Bosniens und der Herzegowina, wie auf die Bosanska Krajina (Kapitel 2 und 5), Ostbosnien und Sarajevo (Kapitel 3) sowie die Herzegovina (Kapitel 4). Dadurch entsteht ein Panorama der regionalen Spezifika und der jeweiligen Politiken von unten wie von oben. Dabei ist die Studie etwas asymmetrisch, da das Hauptaugenmerk eindeutig auf den Partisanen liegt.

Ethnische Stereotype prägten den westlichen Blick auf Bosnien – auch, aber nicht nur – während der Kriege der 1990er-Jahre. Hoare zählt zu jenen, die gegen den Mythos, dass der unauslöschliche Hass zwischen den Volksgruppen unweigerlich in den Krieg geführt habe, anschreiben. Das Argument, dass er mit der hier besprochenen Studie anbringt, lautet, dass der Bürgerkrieg in Bosnien 1941-1945 nicht primär entlang ethnischer Linien ausgefochten wurde. Beim heftigen Konflikt der Partisanen mit den Četnici habe es sich vielmehr um einen innerethnischen Krieg zwischen serbischen Kommunisten und serbischen Nationalisten gehandelt. Da beide Bewegungen aus den serbischen Aufständen von 1941 erwuchsen, hatten beide bosnisch-serbische Wurzeln und konkurrierten um die Unterstützung durch die serbische Landbevölkerung. Ihre Basis ähnelte sich so sehr, dass ihnen zunächst keine andere Wahl blieb, als zu kooperieren. Die Grenzen zwischen beiden Bewegungen waren zunächst äußerst durchlässig und ihr Hauptziel identisch, nämlich die Ustaša zu stoppen. Sowohl die Kommunisten als auch die Führer der Četnici bemühten sich, auf der Aufstandswelle zu reiten. Um die Koexistenz aber nicht zu gefährden, stellten die Kommunisten ihre internationalistische Rhetorik hintan, während die Četnici bemüht waren, ihre gegen die bosnischen Muslime gerichtete panserbische Agenda zu kaschieren. Dennoch war ein langfristiger Ausgleich strukturell unmöglich, da sich die Zielsetzungen diametral widersprachen, und da jede der beiden Bewegungen die jeweils andere existenziell bedrohte. Während die Partisanen für ein multi-ethnisches kommunistisches Bosnien kämpfen, wollten die Četnici einen ethnisch gesäuberten großserbischen Lebensraum schaffen.

Genozid ist für Hoare das zentrale Konfliktfeld zwischen den Partisanen und den Četnici. Sobald nämlich die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Kontrahenten begannen, intensivierten beide die Gewalt gegen ihre vermeintlichen Gegner. Die genuine Gewalt der Partisanen tut Hoare etwas marginal als „left errors” ab (S. 196). Die Massengewalt der Četnici gegen die muslimische Bevölkerung, die Hoare als „Genozid“ klassifiziert – und völlig unnötigerweise einen Holocaust nennt (S.108) –, sieht er hingegen als entscheidend dafür an, warum die Partisanen den Bürgerkrieg gewannen. Die Führung der Partisanen habe erkannt, dass Widerstand gegen den Genozid der Četnici die einzige Möglichkeit darstellte, sich glaubhaft als jugoslawische, über den Nationen stehende Bewegung präsentieren zu können. Hoare liefert gute Einsichten in die Ideologie der Četnici, in ihre Gewaltpraxen, sowie in die Rolle des Komplizen, die die italienische Besatzungsarmee einnahm, indem sie muslimische Städte wie Srebrenica an die Četnici übergab und beim Massenmord an den Muslimen zusah.

Vor allem aber gehören die Schilderungen des Dilemmas der Partisanen zu den stärksten Passagen des Buches: Wie stark sollten sie den serbischen Nationalismus in den eigenen Reihen bekämpfen? Hoare belegt, dass kommunistische Überzeugungen in den Reihen der Partisanen so gut wie keine Rolle spielten. Partisanenkommandeure mussten in manchen Fällen sogar von der sicheren Eroberung von Städten Abstand nehmen, da sie nicht garantieren konnten, dass ihre Truppen kein Massaker an der muslimischen Stadtbevölkerung begehen würden – wie etwa im September 1941 im westbosnischen Kulen Vakuf geschehen. Die Gefahr, umgebracht zu werden, zwang viele Muslime, sich an der Seite der Ustaša gegen die Angriffe zu verteidigen. Diese komplizierten Dynamiken und die Ethnisierung im Bürgerkrieg aufzuzeigen, ist ein Verdienst von Hoare. Denn nicht angeblich islamischer Antisemitismus, sondern vielmehr Überlebensstrategien bestimmten die Bündnispolitik der bosnischen Muslime. Gleichwohl ist die Einordnung der Verfolgung der bosnischen Muslime als Genozid fragwürdig, und eine stärkere Diskussion des Forschungstandes und der Kontroversen um diese Frage hätte dem Buch gut getan.1

Bosnien bzw. der bosnische Charakter der Partisanen ist für Hoare der zweite Schlüssel, um deren Sieg über die Četnici zu verstehen. Den Partisanen sei es gelungen, die Hegemonie der Četnici zu brechen, indem sie die bäuerliche bosnische Bevölkerung überzeugt hätten. Die Vision vom multiethnischen Bosnien und die von den Partisanen selbst verkörperte Synthese des ländlichen und des städtisch-modernen Bosnien habe sich gegenüber dem nationalen Sektierertum der Četnici als das attraktivere Modell erwiesen. Zugleich habe das Durchbrechen der Geschlechtergrenzen durch die Partisanen das patriarchale Regime der Četnici in den Dörfern ins Wanken gebracht. Geschlechtergrenzen und nationale Segregation hätten sich gegenseitig stabilisiert, und die Strategie der Partisanen, beide miteinander verzahnten Herrschaftsverhältnisse zugleich zu verändern, habe sich für sie ausgezahlt. Das dekonstruktivistische Potential der Partisanen bewertet Hoare jedoch wohl zu enthusiastisch. Die Geschlechterrollen waren, wie die jüngere Forschung zeigt, starrer als angenommen.2 Und wie wenig bosnisch-multiethnisch die Partisanen gerade in der ersten Kriegshälfte waren, belegt der Autor selbst eindrücklich.

Zudem gelingt es Hoare jedoch nicht, zu erklären, was das genuin “bosnische” an den Partisanen gewesen sein soll, und es scheint, dass er sein Narrativ vom „wahren Bosnien“ überstrapaziert. Eine Gebietseinheit dieses Namens gab es seit 1929 nicht mehr. Für die Mehrheit der überdurchschnittlich jungen Bevölkerung spielte der angeblich spezifische Charakter des ohnehin sehr heterogenen Gebietes möglicherweise überhaupt keine Rolle, da sie mehr auf ihre kroatischen und serbischen Nachbarstaaten ausgerichtet war. Deshalb scheinen Titos Partisanen weniger “das wahre Bosnien” repräsentiert zu haben, wie Hoare suggeriert, sondern sie schufen in Wirklichkeit etwas völlig Neues: ein Bosnien, in dem alle Nationalitäten für Gleichheit fochten. Das „wahre Bosnien“ scheint eher jenes Segregierte gewesen zu sein, das die Partisanen zu überkommen suchten.

In der longue durée scheiterte dieses Bemühen bekanntermaßen. Oft wurde behauptet, dass die Jugoslawischen Kriege der 1990er-Jahre ihren Ursprung im Zweiten Weltkrieg hätten. Als einer von nur wenigen zeigt Hoare mögliche Kontinuitätslinien konkret auf: Der Sieg über die Četnici wurde auch mit der Integration der Besiegten in die Ränge der Partisanen erkauft. Dadurch hielten großserbische Ideen auch in die kommunistische Vision für Jugoslawien Einzug. Hoare nennt das den Sieg der Četnici in ihrer Niederlage. Dies ist ein überzeugender Erklärungsansatz für die Persistenz des serbischen Nationalismus in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Solche Einsichten machen Hoares Buch zu einem wichtigen Beitrag einer nicht-teleologischen Geschichtsschreibung, die primordialen Hass als Erklärungsansatz ausschließt. Zudem ist Hoares Buch eine detailreiche Geschichte Bosnien-Herzegowinas im Krieg und darüber hinaus eine spannende Studie über das komplizierte Verhältnis zwischen Kommunismus und Nationalismus in einer revolutionären Epoche.

Anmerkungen:
1 Eine jüngere Studie beispielsweise klassifiziert die Massengewalt der Četnici im Vergleich mit der durch die Ustaša verübte als ethnische Säuberungen bzw. als „Ethnozid“, vgl. Tomislav Dulić, Utopias of nation. Local mass killing in Bosnia and Herzegovina, 1941-42, Uppsala 2005.
2 Barbara N. Wiesinger, Partisaninnen. Widerstand in Jugoslawien 1941-1945, Wien 2008.

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