K. Lindenau: Brauen und herrschen

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Titel
Brauen und herrschen. Die Görlitzer Braubürger als städtische Elite in Spätmittelalter und Früher Neuzeit


Autor(en)
Lindenau, Katja
Reihe
Schriftenreihe des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde 22
Erschienen
Anzahl Seiten
315 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philip R. Hoffmann-Rehnitz, SFB 485 „Norm und Symbol“, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Universität Konstanz

Die Untersuchung der Oberschichten und sozio-politischen Eliten gehört seit jeher zu den Schwerpunkten der vormodernen Stadtgeschichte. Wie bei kaum einem anderen Forschungszweig spiegeln sich hier die jeweiligen historiographischen Trends wider. So wurde die lange Zeit dominierende verfassungs- und rechtsgeschichtliche Perspektive in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst von strukturgeschichtlichen Ansätzen abgelöst, die gesellschaftliche Ordnung vornehmlich anhand von horizontalen Schichtungsmodellen fassten. Nach der Wiederkehr der Akteure und der Fokussierung auf die Untersuchung sozialer Gruppen in den 1980er-Jahren ist die Forschung der letzten beiden Jahrzehnte zum einen von Netzwerkanalysen geprägt, die besonders die informellen Verflechtungen in den Mittelpunkt stellen, zum anderen von kulturgeschichtlichen Ansätzen, die Formen der symbolischen Kommunikation und den Erwerb ‚symbolischen Kapitals’ betonen. Katja Lindenaus Dresdner Dissertation, die sich den Görlitzer Braubürgern, also den Inhabern der in der Stadt gelegenen rund hundert Bierhöfe, als einer ‚städtischen Elite’ zuwendet, lässt sich keiner dieser Forschungsrichtungen eindeutig zuordnen; vielmehr verfährt sie eklektizistisch, darin einem allenthalben zu beobachtendem Trend der jüngeren Geschichtswissenschaft folgend. Das zentrale Anliegen der Untersuchung ist es, zu zeigen, dass der Besitz eines Brauhofes zumal in zentraler Lage zum einen mit einem hohen sozialen Prestige des jeweiligen Inhabers verbunden war und zum anderen als Ausweis der Zugehörigkeit zur sozialen und politischen Elite der Stadt, wie sie sich in der Ratsfähigkeit manifestierte, diente. Insofern kam dem Recht des Bierbrauens und Bierschenkens neben seiner ökonomischen auch eine mindestens ebenso wichtige symbolische Bedeutung zu.1

Diese Kernthese wird von Lindenau in den vier Kapiteln des Buches aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Im ersten Kapitel wird einerseits die Entwicklung des Braurechts seit dem Mittelalter, vor allem die Bindung des Brauprivilegs an den Besitz bestimmter Brauhöfe und die Beschränkung der Braubürger auf den Kreis der wohlhabenden Tuchhändler skizziert; andererseits werden zentrale Konfliktfelder, die Fragen des Braurechts betrafen, in exemplarischer Form behandelt. Dass der Rat die Görlitzer Braugerechtigkeiten etwa gegenüber dem Landadel vehement verteidigte, verweist, so Lindenau, ebenso auf die hervorgehobene Bedeutung des Brauwesens für Görlitz wie die Auseinandersetzungen mit den Handwerkern, die seit dem späten Mittelalter vom Braurecht und damit auch vom Stadtregiment ausgeschlossen waren.

Diese politisch-rechtlichen Aspekte bilden aber nur den Auftakt. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf einer sozialgeschichtlichen und sozialtopographischen Analyse der Bierbrauer und der Bierhöfe. Die Grundlage hierfür bildet ein umfangreicher Katalog der Görlitzer Brauhöfe, der allein ein knappes Drittel des Buches ausmacht. Hierin finden sich detaillierte Angaben vornehmlich zu den Besitzern und zur Wertigkeit der Brauhöfe, zu Testamenten sowie zu Geschosszahlungen. Diese beziehen sich vor allem auf das 16. und 17. Jahrhundert, sie greifen teilweise aber auch auf das 15. und das 18. Jahrhundert aus. Die auf der Grundlage von Brauregistern, Steuerlisten und Testamentsbüchern erhobenen Strukturdaten werden dabei in mehreren Tabellen und Karten aufgearbeitet und im zweiten und dritten Kapitel anhand zahlreicher Einzelbeispiele ausgewertet. Gezeigt wird dabei, dass der symbolische Wert eines Brauhofs wesentlich von seiner Lage abhing; so war mit den Brauhöfen rund um das Rathaus ein höheres Prestige verbunden als mit solchen, die sich in periphereren Gebieten befanden. Wie versucht wurde, den Status, der mit dem Besitz eines Brauhofes einher ging, abzusichern und innerhalb der eigenen Familie weiterzugeben, wird anhand der Vererbungs- und Stiftungspraktiken untersucht. Schließlich rückt im letzten Kapitel der Brauhof als Ort der Soziabilität und der ‚Oberschichteninteraktion’ in den Blickpunkt. Dabei wird aufgezeigt, dass sich in den Brauhöfen private und öffentliche Aspekte mischten, wobei ein Brauhof aufgrund der so genannten Reiheordnung nur für begrenzte Zeit als Gasthaus diente und ihm somit eine (semi-)öffentliche Funktion zukam.

Die Untersuchung liefert interessante Einblicke in die im Falle Görlitz aufs engste mit dem Brauen und Schenken verbundenen sozialen Voraussetzungen der Konstitution einer sozialen und politischen Elite in einer vormodernen Stadt. Mit dem Katalog der Brauhöfe sowie den darauf aufbauenden Auswertungen, nicht zuletzt den zahlreichen Tabellen und Karten, wird historische Grundlagenforschung präsentiert, die nicht nur für die Görlitzer Stadtgeschichte Relevanz beanspruchen kann und weiterführende Analysen anregen kann. Dennoch bleiben einige Punkte kritisch anzumerken:

(1) Die Aussagekraft gerade der auf statistischer Grundlage gewonnenen Ergebnisse ist oftmals beschränkt, da ein Vergleich mit anderen Referenzgrößen ausbleibt. So ergeben etwa die von Lindenau ausgewerteten Testamente, dass in rund 80 Prozent der untersuchten Fälle die Ehefrau oder die Kinder das Brauhaus erbten. Lindenau erkennt darin eine für die Braubürger charakteristische Vererbungsstrategie, die auf die Sicherung des Brauhofes und des damit verbundenen Prestiges ausgerichtet war. Auch wenn dies plausibel klingt, kann darüber aber letztlich keine valide Aussage getroffen werden, weil keine Vergleichsdaten zu anderen Häusertypen präsentiert werden. Auch der Vergleich mit anderen Städten, der die Besonderheit respektive die Repräsentativität des Görlitzer Falles hätte herausstellen können, unterbleibt weitgehend.

(2) Die in der Einleitung aufgeworfene Frage, wie die Braubürger soziologisch am besten zu bestimmen sind, ob als (Funktions-)Elite, Oberschicht und/oder Führungsgruppe, bleibt letztlich ungeklärt. Alle drei Begriffe werden im Laufe des Textes abwechselnd verwendet, ohne dass eine klare Priorität erkennbar würde. Mehr noch: die Lektüre lässt Zweifel daran aufkommen, inwieweit diese drei von Lindenau angeführten Forschungskategorien überhaupt für die Charakterisierung der Braubürger adäquat sind. Angesichts der erheblichen wirtschaftliche Differenzen zwischen den Braubürgern und der auf der jeweiligen Lage und Wertigkeit basierenden Hierarchisierung der Brauhöfe erscheint es zweifelhaft, ob man generell alle Baubürger zur städtischen Oberschicht respektive Funktionselite zählen kann – zumal diejenigen, denen ein peripher gelegener, niederwertiger und damit vergleichsweise wenig Prestige verleihender Brauhof gehörte. Ebenso erscheinen die angeführten Indikatoren, auf die Lindenau ihre Aussage stützt, dass die Braubürger eine (Führungs-)Gruppe bildeten und sie sich auch selbst als Gruppe ansahen, nicht zwingend. Neben eher formalen Kriterien wie dem Besitz eines Brauhofs oder dem Ausschluss der Handwerker vom Braurecht wird zum einen darauf verwiesen, dass in den Testamenten von Braubürgern fast ausschließlich andere Brauhofbesitzer als Vormund eingesetzt wurden, zum anderen, dass die Brauhäuser als Orte der Soziablität unter den Braubürgern dienten. Letztlich wird damit aber nur gezeigt, dass zwischen einzelnen Braubürgern mehr oder weniger enge soziale Beziehungen formeller wie informeller Art bestanden, nicht aber, dass die Gesamtheit der Braubürger eine soziale Gruppe gebildet hätte, zumal eine, die über eine ausgeprägte Gruppenidentität und korporative Handlungsfähigkeit verfügt hätte. Hierfür fehlte es, anders als bei den Zünften, offensichtlich auch an einem institutionellen Ort und an einem organisatorischen Rahmen. An dieser Stelle kommt ein weiteres Problem der Darstellung zum Tragen, und zwar die primär exemplarische Verfahrensweise: Diese liefert zwar Indikatoren für bestehende soziale Netzwerke, belastbare Aussagen etwa über den Grad ihrer Integration oder die Mechanismen der sozialen Auswahl lassen sich daraus aber kaum ableiten.

(3) Sieht man von der kursorischen Darstellung einzelner Konfliktfelder im ersten Kapitel ab, wird die Ebene der politischen Praxis kaum behandelt. Über das immerhin im Titel angeführte Problem des Herrschens erfährt man daher nur wenig. Vielmehr bleibt weitgehend im Unklaren, wie die Braubürger (als Einzelpersonen und/oder als Gruppe) ihren von Lindenau postulierten Einfluss auf das Stadtregiment tatsächlich ausübten. Insofern besitzen auch die hierzu formulierten Überlegungen, so etwa dass angesichts des politischen Einflusses der Brauhofbesitzer die von Lars Behrisch verfochtene These einer „nicht konsensgestützten Herrschaft in Görlitz teilweise revidiert werden“ müsse (S. 188), einen eher hypothetischen Charakter.

Anmerkung:
1 ‚Symbolisch’ wird von Lindenau auf den Aspekt des Ansehens und sozialen Prestiges, mithin des symbolischen Kapitals im Sinne Bourdieus, bezogen, ohne dass damit aber ein darüber hinaus gehender konzeptioneller Anspruch verbunden wäre.

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