J. Zimmerer: Deutsche Herrschaft über Afrikaner

Titel
Deutsche Herrschaft über Afrikaner. Staatlicher Machtanspruch und Wirklichkeit im kolonialen Namibia


Autor(en)
Zimmerer, Jürgen
Reihe
Reihe Europa-Übersee, 10
Erschienen
Münster 2001: LIT Verlag
Anzahl Seiten
329 S.
Preis
€ 35,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Zeller

Im September 2001 reichten Nachkommen der Herero aus Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, in den USA Sammelklagen gegen mehrere deutsche und internationale Unternehmen (darunter die Deutsche Bank) ein. Nach dem Vorbild der Entschädigungen für die NS-Zwangsarbeiter werden Wiedergutmachungszahlungen für den von der deutschen Schutztruppe in den Jahren 1904-1907 verübten Völkermord und die anschließende Zwangsarbeit der Überlebenden gefordert. Mit dem kürzlich erschienenen Buch von Jürgen Zimmerer liegt eine historische Studie vor, die zu einer wissenschaftlich fundierten Erörterung der in der Kolonialzeit begangenen Verbrechen beiträgt.

1968 urteilte der englische Historiker John Iliffe über die Phase der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia (dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika), dass in den Jahren nach 1907, also nach dem Ende Kolonialkriegs des deutschen Kaiserreichs gegen die Herero und Nama, die Kolonie in einem Maße in ein europäisch dominiertes Land verwandelt wurde, dass dazu keine Parallele in Afrika zu finden sei. Diese sich an das Diktum von Hannah Arendt anlehnende Feststellung, dass in der kolonialen Geschichte Afrikas „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ zu finden sind, hat bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren, wenn auch das Bild vom totalitären Kolonialstaat durch die jüngere Forschung erhebliche Differenzierungen erfahren hat.

Die nun als Buch mit dem Titel „Deutsche Herrschaft über Afrikaner“ vorliegende, von Jürgen Zimmerer an der Universität Freiburg eingereichte Dissertation kann ebenfalls für sich in Anspruch nehmen, zur weiteren Klärung noch offener Forschungsfragen beizutragen. Dessen politik- und verwaltungsgeschichtliche Studie beschäftigt sich mit der „Eingeborenenpolitik“ in Deutsch-Südwestafrika in den Jahren zwischen 1905 und 1914 und zwar schwerpunktmäßig mit den vom deutschen Kolonialgouvernement Mitte August 1907 erlassenen „Eingeborenenverordnungen“. Diese gesetzlichen Regelungen betreffend die „Dienst- und Arbeitsverträge“, die „Maßregeln zur Kontrolle der Eingeborenen“ und die „Paßpflicht“ umschrieben im trockenen Juristendeutsch das, was für die afrikanische Bevölkerung, nach der durch den Krieg und Völkermord erlittenen demographischen Katastrophe, nun auch den Niedergang ihres politisch-sozialen und kulturellen Gefüges bedeutete.

Zwar sind die berüchtigten „Eingeborenenverordnungen“ wiederholt Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen, doch Zimmerer ist der erste, der detailliert deren Entstehungsgeschichte rekonstruiert und vor allem die in den Gesetzestexten fixierte Rechtsnorm mit der Rechtsrealität verglichen hat. Als Quellengrundlage dienten ihm Verwaltungsakten des Zentralbüros des Gouvernements in Windhoek bzw. der verschiedenen Bezirksämter in der Kolonie wie die Akten des ehemaligen Reichskolonialamtes in Berlin. Dabei war sich Zimmerer darüber im Klaren und betont dies auch im Vorwort, dass er mit seiner Arbeit nicht im derzeitigen Trend der (Kolonial-)Geschichtsschreibung liegt, die sich vornehmlich mit den kolonisierten Völkern und deren historischen Perspektive befasst. Er konstatiert jedoch noch einen erheblichen Forschungsbedarf zur Kolonialbürokratie, um die von der kolonialstaatlichen Obrigkeit gegenüber der indigenen Bevölkerung betriebene Herrschaftspolitik besser verstehen zu können. Insofern betrachtet Zimmerer seine Studie auch in erster Linie als Beitrag zur deutschen Geschichte in Afrika, weniger als Geschichte der Afrikaner, deren Schicksal natürlich keinesfalls ausgeklammert bleibt.

Als Ergebniss seiner Untersuchung kommt der Autor zu folgender Schlussfolgerung: Die in den Jahren nach 1907 auf Grundlage der neu erlassenen Verordnungen betriebene „Eingeborenenpolitik“, die auf die möglichst totale Erfassung und Kontrolle der afrikanischen Bevölkerung zielte, um damit Zugriff auf deren Arbeitskraft zu haben, stellte keinen grundsätzlichen Neubeginn dar; vielmehr konnten die deutschen Kolonialherren nunmehr ihre längst vor dem Krieg formulierte Herrschaftsutopie in dem „Schutzgebiet“ durchsetzen.

Mit dieser - die Kontinuität betonenden - These setzt er sich gegenüber den älteren Standardwerken von Helmut Bley und Horst Drechsler ab, die vor allem den durch den großen Kolonialkrieg provozierten Bruch und Neuausrichtung in der „Eingeborenenpolitik“ hervorhoben. Damit unterzieht Zimmerer aber auch die Vorkriegspolitik einer Neubewertung, war doch die Politik des langjährig amtierenden Gouverneurs Theodor Leutwein in der Literatur bisher zu gut weggekommen. Zimmerer argumentiert, dass die direkte Unterwerfung der in der Siedlungskolonie lebenden afrikanischen Völker schon unter Leutwein intendiert war. Viele Gesetzestexte lagen längst fertig formuliert in der Schublade, so dass der Krieg, gleichsam als ‚Katalysator‘ wirkend, die hochwillkommene Gelegenheit bot, die bisher mangels militärischer und finazieller Mittel lediglich indirekte in eine direkte Herrschaft umzuwandeln.

War einerseits Tempo und Radikalität des Prozesses, während dem die Entrechtung und Enteignung der Afrikaner vor sich ging, nur durch die Wirksamtkeit des bürokratischen Verwaltungsstaates und seiner Exekutivorgane zu erklären, konnte andererseits die angestrebte lückenlose Überwachung der „Eingeborenen“ nur mit großen Abstrichen umgesetzt werden. Infolge personeller und infrastruktureller Unzulänglichkeiten, der bestehenden Interessensunterschiede zwischen Verwaltung und Siedlerschaft und nicht zuletzt wegen des widerständischen Verhaltens der Afrikaner funktionierte der Überwachungsstaat nur sehr unzulänglich. Viele Schwarze entzogen sich dem kolonialstaatlichen Repressionsapparat - wie auch der Prügelpraxis vieler Weißer - durch Entlaufen in die nur schwer zu kontrollierenden Weiten des Wüsten- und Savannenlandes, nachdem sie zuvor die „Paßmarken“ - mit Nummern versehene Blechmarken, die jeder Afrikaner über sieben Jahre um den Hals tragen musste - fortgeworfen hatten. Die Afrikaner waren also keineswegs nur in der Opferrolle, sondern selbständig handelnde Akteure, die sich keineswegs den äußerst widrigen Umständen ihres von einer totalitär-rassistischen Kolonialgesetzgebung geprägten Alltagslebens widerstandslos unterordneten.

Den Kolonialkrieg von 1904-1907 sieht der Autor als eine Phase des Ausnahmezustandes, der der intendierten „Eingeborenenpolitik“ zuwiderlief, da er große Teile der indigenen Bevölkerung zu vernichten drohte – die man doch dringend in der Farmwirtschaft, in den Minen und beim Eisenbahnbau als Arbeitskräfte benötigte. Der in der weißen Wirtschaft fortwährend beklagte Arbeitermangel konnte bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft nicht beendet werden, auch nicht durch die Anwerbung von Afrikanern aus dem außerhalb der so genannten Polizeizone im Norden der Kolonie liegenden Amboland und aus Südafrika.

An der in den letzten Jahren von einigen Historikern in Frage gestellten These vom Völkermord der deutschen Kolonialmacht an den auftsändischen Herero und Nama lässt Zimmerer kein Zweifel aufkommen. Der hauptverantwortliche General Lothar von Trotha hatte bereits mit den Absperrungs- und Verfolgungsmaßnahmen in der Omaheke-Wüste, in die die Herero nach der Schlacht am Waterberg (12. August 1904) geflüchtet waren, seine genozidalen Absichten zum Ausdruck gebracht. Die von Trotha postulierte Art des Krieges als „Rassenkampf“ war dann auch bestimmend für die Art der Gefangenenbehandlung in den „Konzentrationslagern“: Aufgrund der erschreckend hohen Mortalitätsrate unter den rund 17.000 kriegsgefangenen Afrikanern - nahezu jeder zweite starb -, wertet Zimmerer sie als Fortsetzung der Vernichtungspolitik.

Für Kenner der Materie überraschende Erkenntnisse gewährt auch das Kapitel über die Einführung der „Eingeborenenbesteuerung“, denn in der älteren Literatur findet sich nicht selten noch der Hinweis, dass es diese in Deutsch-Südwestafrika im Gegensatz zu den anderen Kolonien auf dem Kontinent, wo die Afrikaner durch Kopf- oder Hüttensteuern zur Lohnarbeit gezwungen wurden, nicht gegeben hat. Die vollständige Pauperisierung der ihres Landes und Viehbestände enteigneten schwarzen Bevölkerung schloss, so das gängige Argument, eine Besteuerung aus. Doch dieses Zwangsinstrumentarium - das nicht zuletzt der sozial-disziplinarischen Umbildung der afrikanischen Völker zu einer „Klasse der Dienstbaren“ galt, zusammengefasst in dem zynischen Schlagwort „Erziehung der Afrikaner zur und durch Arbeit“ -, hat es auch in Deutsch-Südwestafrika gegeben, wenn auch erst ab 1910 und lediglich in Form lokaler, also nicht schutzgebietseinheitlicher „Eingeborenen-Kopfsteuern“.

Abschließend kann mit Zimmerer resümiert werden, dass es die oberste Zielsetzung des südwestafrikanischen Kolonialstaates war, eine neue, auf „Rassentrennung“ basierende Gesellschaftsordnung zu errichten, eine Gesellschaftsordnung, die zutreffend als „rassische Privilegiengesellschaft“ charakterisiert wird, innerhalb der die weißen Kolonialherren den Afrikanern lediglich die Rolle als Billiglohnarbeiter (fast) ohne jede Rechte zugestanden. So bleibt daran zu erinnern, dass den Deutschen der zweifelhafte Ruhm zukommt, die eigentlichen Erfinder der Apartheidspolitik in Südwestafrika gewesen zu sein, jenem unseligen System, das später die seit 1915 regierenden Buren perfektionierten und das erst mit der Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990 sein Ende finden sollte.

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