O. J. Schmitt: Das venezianische Albanien

Titel
Das venezianische Albanien (1392-1479). Südosteuropäische Arbeiten 110


Autor(en)
Schmitt, Oliver Jens
Erschienen
München 2001: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
701 S.
Preis
€ 74,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ruth Simon, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die mit einem Preis der Südosteuropa-Gesellschaft ausgezeichnete und im Rahmen der Reihe "Südosteuropäische Arbeiten" publizierte Dissertation Jens Uwe Schmitts widmet sich dem weitgehend unerforschten Gebiet der venezianischen Herrschaft in Territorien und Städten auf dem Gebiet des heutigen Albanien.

Das auf einer umfassenden Auswertung des zu dieser Epoche überaus reichhaltigen venezianischen Quellenbestandes beruhende Buch ist in vier Hauptkapitel gegliedert: "Der albanische Raum im Spätmittelalter", "die äußere Entwicklung der venezianischen Besitzungen in Albanien", "Albanien als Teil des venezianischen Levantereichs" und "der lange Türkenkrieg (1463-1479)". Diese chronologische Gliederung ist in den Einzelpunkten wiederum systematisch nach Gesichtspunkten wie "Verwaltung und staatliche Wirtschaft", "Herren und Untertanen" unterteilt, die jeweils möglichst viele Aspekte der venezianischen Präsenz in albanischen Territorien zu erfassen suchen. Hilfsmittel wie eine Karte und eine Konkordanz der Orts- und Geländenamen sind leider äußerst knapp gehalten, das gleiche gilt für den Quellenanhang.

Schon der Titel „Das venezianische Albanien“ weist die Untersuchung als einen Beitrag zur albanischen Historiographie aus. Schmitt nennt im Vorwort den "Reiz des Unbekannten" und die bisher unerforschten Quellenbestände als Motivation für sein Vorhaben. Ziel seiner Arbeit sei es, "die Entwicklung der albanischen Gesellschaft, Wirtschaft und Verfassungsverhältnisse im Spannungsfeld von venezianischer Herrschaft und osmanischer Eroberung nachzuzeichnen und ein möglichst geschlossenes Bild einer bewegten Zeit zu geben". Durch diese methodische Entscheidung zur 'histoire totale' bei der Beschreibung erhält das Werk einen Handbuchcharakter, den Jens-Uwe Schmitt allerdings nicht für sein Werk in Anspruch nehmen will. (21) Er schließt viele Forschungslücken auf einem gänzlich weißen Fleck der historischen Landkarte des Adriaraumes. Strukturen und Auswirkungen der Präsenz venezianischer ziviler und militärischer Beamter und Kaufleute in diesem Raum werden aber kaum explizit analysiert.

Zwar möchte Schmitt sein Buch ausdrücklich als Teil albanischer und venezianischer Geschichte verstanden wissen (27), doch gehören seine Kenntnisse und Liebe mehr dem albanischen Teil als dem venezianischen. Das zeigt sich besonders gut an der sehr unterschiedlich gewichteten Einführung in die venezianischen und albanischen Sozialstrukturen: 16 Seiten Darstellung venezianischer Verhältnisse stehen immerhin 151 Seiten Einführung in die ‚albanische Welt‘ gegenüber. (29-44, 63-214)

Schmitt zieht keine Verbindung von den sehr differenzierten Ansätzen, die zur Erfassung der sozialen und kulturellen Lebenswelt des venezianischen Patriziats im Spätmittelalter existieren, zu dem Bild, das er von dem Handeln eben dieser Patrizier in den Gebieten und Städten in Albanien entwirft. Wichtige Arbeiten zur Kultur- und Sozialgeschichte des venezianischen Patriziats im Spätmittelalter wie zum Beispiel die von Elizabeth Crouzet-Pavan oder Dennis Romano maß er anscheinend als für die Untersuchung albanisch-venezianischer Beziehungsgeflechte keine große Bedeutung bei.1 Eine wechselseitige Befruchtung von Südosteuropa- und Venedigforschung ist daher ausgeblieben.

Wenn sich Schmitt mit venezianischern Beamten, Kaufleuten und Patriziern in Albanien beschäftigt, schildert er häufig einzelne Fallbeispiele, ohne aus den zum Teil sehr anschaulich und quellennah geschilderten persönlichen Schicksalen Rückschlüsse auf die Struktur venezianischer Präsenz in Albanien zu ziehen und auf diesem Wege auch zu einem differenzierteren Bild albanischer Verhältnisse zu gelangen. Die Akteure bleiben, auch auf albanischer Seite, eher eindimensional, da Schmitt oft über eine rein politik- und ereignisgeschichtliche Sichtweise ihres Handelns nicht hinauskommt. Die von ihm zum Teil vor die Kapitel gesetzten Zitate aus den venezianischen Berichten lassen die Frage nach den jeweiligen Erlebniswelten der Berichterstatter aufkommen. Schmitt stellt im Schlußsatz seiner Arbeit fest, daß die albanischen Gebiete in den Berichten nur dann wahrgenommen würden, wenn sie venezianische Interessen berührten. Diese Beobachtung hätte nicht Teil des Ergebnisses, sondern Voraussetzung einer Arbeit sein müssen, die allein auf der Auswertung venezianischer Quellen beruht (642), da nur solche vorhanden sind.

Seiner Grundaussage über Venedigs Verhältnis mit den Herrschaftsgebieten in Albanien zufolge hat Venedig seine staatlichen und wirtschaftlichen Interessen rücksichtslos verfolgt, während die albanischen Akteure gezwungen waren, Venedigs Machtansprüche zu akzeptieren, wollten sie nicht den Osmanen in die Hände fallen 2.

Die stark generalisierende Sichtweise der Geschichte der Serenissima im 14. und 15. Jhdt. (29-44) führt dazu, daß Schmitt nicht zögert, mit einer anachronistischen Begrifflichkeit von Venedig als "westlichem Staat" (15) zu sprechen und von den Patriziern als "Kapitalisten" (35) die die Interessen der venezianischen "Volkswirtschaft" (42) in Übereinstimmung mit ihren persönlichen Zielen in Albanien vorantrieben. Dem steht ein detailreiches Bild der albanischen Verhältnisse gegenüber, die Schmitt allerdings auch nur singulär und statisch wahrnimmt und dabei übersieht, daß viele als einzigartig für die Städte und die Verhältnisse auf dem Lande beschriebenen Charakteristika vielmehr Strukturmerkmale alteuropäischer Gesellschaften insgesamt sind, als Beispiel dafür sei die von Venedig ausgeübte Herrschaft anhand einzelner Rechtsansprüche und seinem Versuch, hier eine gewisse Vereinheitlichung eichen, genannt. Diese Beobachtung hätte Schmitt in einen Kontext mit Prozessen spätmittelalterlicher Territorialisierung setzen können. Ein weiteres Beispiel wäre die von Schmitt im letzten Kapitel seiner Darstellung beklagte Bellizität der albanischen Gesellschaft (549). All das hätte noch in einen europäisch vergleichenden Zusammenhang gestellt werden können, so daß eine Analyse der Parallelen und Unterschiede der Entwicklungen auf dem Gebiet des venezianischen Albaniens nicht nur mit anderen von Venedig beherrschten Territorien den albanischen Fall eventuell mit einem weiterführenden Erkenntnisinteresse hätte verbinden können 3. Die Untersuchung des Zusammenhangs von städtischer und kirchlicher Entwicklung auf dem Gebiet der von orthodoxen und katholischen Gemeinschaften geprägten romanischen Städte wäre zum Beispiel von Interesse für Spezialisten spätmittelalterlicher Stadtforschung gewesen, gleiches gilt für die Erforschung der sozialen und kulturellen Welt des städtischen Patriziats im Zusammenhang mit der venezianischen Einflußnahme. Ansätze sind hier immer nur implizit in der Beschreibung vorhanden, der aber leider keine Analyse folgt.

Diese Konzentration auf die albanischen Zusammenhänge, ohne weiterführende Forschungsansätze der Geschichtswissenschaft zu rezipieren, läßt sich vielleicht auch aus der im Vorwort explizit gemachten Verankerung des Autors im Forschungszusammenhang der Balkanmediävistik verstehen, deren Vertreter Konstantin Jire¹ek und Milan von žufflay er ausdrücklich als geistige Vorbilder nennt (13). Implizit spielte wohl auch der Wunsch eine Rolle, eine Geschichte Albaniens im Sinne des Braudelschen Großwerkes 4 zu schreiben, was sich in den Landschaftsschilderungen zu Beginn der Darstellung niederschlägt (63-92, 95-96, 205-211), die viel von der „Faszination“ verraten, die die albanische Landschaft auf Schmitt ausgeübt hat, wie er selbst im Vorwort bekennt (13). Bedauerlich ist nur, daß gerade diese Faszination seine Darstellung für Albanologen und Albanophile lesenswerter macht als für weitere Kreise – hier wäre vielleicht doch eine größere Zuneigung zum „Fleischwolf der Gelehrsamkeit“ (13) nötig gewesen, den Jens-Uwe Schmitt anscheinend teilweise nicht mit seiner Liebe zu Albanien vereinen konnte.
Schmitts großer und unschätzbarer Verdienst liegt im Erschließen für die Geschichte des venezianischen und adriatischen Raum wichtiger Quellen. Sein Buch stellt eine beachtliche Pionierleistung auf einem auch von der amerikanischen Venedig-Forschung kaum beachteten Gebiet dar. Die von ihm aufgestellte Quellenbasis läßt hoffen, daß sich nun weitere Studien zur venezianisch-albanisch-adriatischen Geschichte des Spätmittelalters anschließen werden.

Anmerkungen:
1 Crouzet-Pavan, E., "Sopra l' acque salse". Espaces, pouvoir et société à Venise à la fin du moyen âge, 2 Bde, Rom 1992 (= Collection de l'Ecole Française de Rome 156; Nuovi studi storici 14); Romano, D., Patricians and popolani. The social foundation of the Venetian Renaissance State, Baltimore 1987.
2 Dieses Bild zieht sich durch das gesamte Buch. Die hier zum Teil widersprechenden Quellenbefunde werden nicht mit ihm in Beziehung gesetzt: vgl., besonders Schmitt 15-23, auch 29-45.
3 Vgl. etwa die anhand von Einzelaspekten teilweise sehr viel analytischeren Ansätze zur Erforschung der venezianischen Herrschaft auf Kreta: Kitromilides, P. M., The making of a lawyer: humanism and legal syncretism in Venetian Crete, in: Byzantine and Modern Greek Studies 17 (1993), 57-81; McKee, S., Women under Venetian Colonial Rule in the Early Renaissance: Observations on their Economic Activities, in: Renaissance Quarterly 51 (1998), 34-91, oder die Detailstudie zur venezianischen Herrschaft auf der terraferma: Feraro, J., Oligarchs, Protesters and the Republic of Venice: The "Revolutions of the Discontents" in Brescia 1644-1645, in: JMH 60 (1988), 627-653.
4 Es wird allerdings im Literaturverzeichnis nicht erwähnt. Vgl. insbesondere Braudel, F., Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II., Bd 1, Frankfurt a.M. 1998 (EA 1949).

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