H. Schmidt: Todesurteile in Düsseldorf 1933-1945

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Titel
Todesurteile in Düsseldorf 1933-1945. Eine Dokumentation


Autor(en)
Schmidt, Herbert
Erschienen
Düsseldorf 2008: Droste Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Löffelsender, Historisches Seminar der Universität Köln

Studien zur Justiz im Nationalsozialismus haben immer noch Konjunktur. Trotz einer immer vielfältiger werdenden Fülle von Untersuchungen, die sowohl die Rechtsentwicklung als auch die Rechtspraxis aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, kann die rechtshistorische Auseinandersetzung mit der Epoche des Nationalsozialismus keineswegs als abgeschlossen bezeichnet werden. Auf ein besonderes Interesse stößt hierbei seit jeher das Wirken der Strafjustiz im Allgemeinen und der Sondergerichtsbarkeit im Speziellen.1 In diesem Kontext ist auch das hier zu besprechende neue Buch des Düsseldorfer Historikers Herbert Schmidt zu verorten. Zehn Jahre nachdem Schmidt im Rahmen einer klassischen Studie die nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf untersucht hat, betritt er mit seiner neuesten Publikation wiederum das Forschungsfeld zur Justiz im Nationalsozialismus.2 In einer umfangreichen Dokumentation widmet er sich nun den von Düsseldorfer Strafkammern und dem Düsseldorfer Sondergericht in den Jahren 1933 bis 1945 gefällten Todesurteilen und fokussiert somit einen Ausschnitt seines vormaligen Untersuchungsgegenstandes. Hierbei verfolgt Schmidt kein genuin analytisches Interesse, sondern zielt darauf ab, „Schicksale auferstehen zu lassen“ und aufzuzeigen, „was in solchen außergewöhnlichen Krisenzeiten an menschlichen Abgründen aufbrach“ (S. 8f.).

Im Zentrum steht die chronologische Darstellung von insgesamt 82 Verfahren, in denen die Düsseldorfer Strafjustiz Todesurteile gegen eine(n) oder mehrere Angeklagte(n) aussprach. Den Schwerpunkt der Dokumentation bilden hierbei erwartungsgemäß Urteile aus der Kriegszeit, in der reichsweit eine inflationäre Zunahme von Todesurteilen – nicht zuletzt bedingt durch die normativen Verschärfungen durch das so genannte Kriegsstrafrecht – zu verzeichnen war. Die einzelnen Verfahren zeichnet Schmidt anhand einer Vielzahl von Dokumentenauszügen nach. Seine Quellengrundlage stellen hierbei die zumeist sehr umfangreichen Strafverfahrensakten der Staatsanwaltschaft Düsseldorf und Archivalien aus dem Kontext des Strafvollzugs, insbesondere Untersuchungsakten der kriminalbiologischen Sammelstelle in der Kölner Untersuchungs- und Strafanstalt „Klingelpütz“ dar, in dem die Mehrheit der zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung kriminalbiologisch ‚erfasst’ wurde. Der justizielle Zugriff durch die Strafverfolgungsbehörde und der eigentliche Rechtsprechungsakt – greifbar in der Anklageschrift und dem ausformulierten Urteil – spielen in der Dokumentation eine untergeordnete Rolle. Neben einer summarischen, narrativen Schilderung der verhandelten Straftaten, personenbezogenen Details zu den Angeklagten und relativ kurz gehaltenen Urteilspassagen konzentriert sich die Dokumentation primär auf die Vorgänge nach dem Urteilsspruch. Hierzu zählen eingereichte Gnadengesuche und die darauf rekurrierenden Stellungnahmen der unterschiedlichen Justizinstanzen sowie kriminalbiologische Begutachtungsergebnisse. Einen breiten Raum nehmen darüber hinaus die von den zum Tode Verurteilten verfassten Abschiedsbriefe und Berichte der Anstaltsgeistlichen über das Verhalten der Verurteilten vor der Hinrichtung ein, die zumeist in voller Länge abgedruckt sind. Minutiös nachgezeichnet wird zudem der eigentliche Akt der Hinrichtung, indem Schmidt aus Protokollen der Staatsanwaltschaft und dem Schriftverkehr mit dem jeweiligen Scharfrichter zitiert.

Eingeleitet wird die Dokumentation der 82 Strafverfahren durch kursorische Anmerkungen über die Strafjustiz im Nationalsozialismus und allgemein gehaltenen Schilderungen über den Vollzug der Todesstrafe. Hierzu zählen etwa Angaben über die Tätigkeit der Sondergerichte sowie verfahrensrechtliche Hintergrundinformationen zu den Formalitäten der Vollstreckung der Todesstrafe. Zudem liefert Schmidt in aller Kürze neben Informationen zu den Strafanstalten, in denen die Düsseldorfer Todesurteile vollstreckt wurden, Einblicke in die Tätigkeit der Scharfrichter. Eine knappe Darstellung über den Umgang mit nationalsozialistischen Unrechtsurteilen in der Bundesrepublik und biographische Abrisse von über 60 Protagonisten des justiziellen Entscheidungsprozesses beschließen die Dokumentation. Hierbei handelt es sich neben der Skizzierung der biographischen Eckdaten von Staats- und Rechtsanwälten, Anstaltsärzten und Strafanstaltsgeistlichen mehrheitlich um Richterbiographien, die durch ausführliche Auszüge aus den Entnazifizierungsverfahren angereichert sind. Anzumerken ist jedoch, dass sich die meisten der angeführten Biographien nahezu unverändert bereits im Anhang der erwähnten Sondergerichtsstudie von Herbert Schmidt finden lassen.3

Die vorliegende Dokumentation stellt keine kommentierte Edition der Düsseldorfer Todesurteile dar, wie man vielleicht bei einem ersten flüchtigen Blick auf den Buchtitel hätte annehmen können. Dies intendiert Schmidt jedoch auch gar nicht; vielmehr geht es ihm darum, durch die detailreiche Darstellung der Abläufe zwischen Urteilsspruch und Vollstreckung des Urteils „die Ausweglosigkeit der Verurteilten“ und „die Unerbittlichkeit der mörderischen Justizmaschinerie“ (S. 313) zu belegen und den Leser die Möglichkeit zu geben, „in gewissem Sinne Zeuge“ (S. 7) der Vorgänge zu werden. Ein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse tritt hinter diese Ausrichtung der Dokumentation deutlich zurück. Analytische Schlüsse zu den dargestellten Verfahren werden nicht gezogen, was den geschichtswissenschaftlichen Ertrag der Publikation ebenso reduziert wie der teilweise zu Moralisierungen neigende Sprachduktus der Darstellung. Wertvolle Anknüpfungspunkte für die rechtshistorische Forschung zum Nationalsozialismus liefert die Dokumentation hingegen, indem Schmidt den Blick durch eine ausführliche Darstellung der Gnadengesuche der Verurteilten, der Angehörigen und Rechtsanwälte auf die Begnadigungsverfahren richtet. Wenngleich diese auch nicht weitergehend untersucht und interpretiert werden, zeigt Schmidt hiermit ein Themenfeld auf, das in den bisher vorliegenden Studien zur Strafrechtsprechung im Nationalsozialismus weitgehend unbeleuchtet geblieben ist.4 Die abgedruckten Dokumente zu den Gnadenverfahren – von denen elf bei einer Summe von 108 von Schmidt angeführten Todesurteilen in einem Gnadenerweis mündeten – verweisen auf das Potential dieser, bis dato nur peripher wahrgenommenen Quellen für die rechtshistorische Forschung. Das Begnadigungsverfahren kann als ein – neben der eigentlichen Urteilsfindung – zweiter Entscheidungsprozess über den intendierten Strafzweck angesehen werden, in dem das Verhältnis zwischen nach außen wirkender Generalprävention und einzig auf den/die StraftäterIn zielende Spezialprävention nochmals neu verhandelt wurde. Zum Objekt einer analytisch angelegten Studie gemacht, könnten sie durchaus weitere Aufschlüsse über den justiziellen Umgang mit StraftäterInnen in der nationalsozialistischen (Kriegs-)Gesellschaft bieten.

Auf Grund ihrer Konzeption und den formulierten Zielsetzungen leistet die Dokumentation der Düsseldorfer Todesurteile weniger einen weiteren Beitrag zur wissenschaftlichen Durchdringung des Themenkomplexes „Justiz im Nationalsozialismus“. Vielmehr richtet sie sich wohl vornehmlich an eine breitere, primär nicht-akademische Leserschaft. In Anbetracht dessen erscheinen die angeführten Monita in einem anderen Licht. Für Leser, die auf dem Feld der Rechtsgeschichte zum Nationalsozialismus weniger bewandert sind, bietet die detailreiche Dokumentation anhand des lokalen Beispiels facettenreiche Einblicke in die Praxis der nationalsozialistischen Strafjustiz und ihre sukzessive Radikalisierung, wenngleich der Blick durch die ausschließliche Fokussierung auf die Todesurteile ein wenig verkürzt ist. Auf eindrückliche Weise führen die vorgestellten Verfahren die Bandbreite der Verhaltensweisen vor Augen, die unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur, zumal in den Jahren des Zweiten Weltkrieges, als todeswürdig angesehen wurden und durch den richterlichen Urteilsspruch zu einem endgültigen Ausschluss aus der vielfach beschworenen „Volksgemeinschaft“ führen konnten. Seinem eigenen Anspruch, Schicksalswege der Verurteilten nachzuzeichnen, wird Herbert Schmidt durchaus gerecht. Wer allerdings nach wissenschaftlich fundierteren Aussagen und Forschungsergebnissen zur Düsseldorfer Justiz in den Jahren 1933 bis 1945 sucht, der greife gewinnbringend zu der erwähnten und immer noch aktuellen Sondergerichtsstudie aus der Feder des gleichen Autors.

Anmerkungen:
1 Einen aktuellen Überblick über den Forschungsstand zur nationalsozialistischen Sondergerichtsbarkeit mit weiterführenden Angaben liefern die Beiträge in: Justizministerium des Landes NRW (Hrsg.), „...eifrigster Diener und Schützer des Rechts, des nationalsozialistischen Rechts...“. Nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit, Düsseldorf 2007.
2 Herbert Schmidt, „Beabsichtige ich die Todesstrafe zu beantragen“. Die nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf 1933 bis 1945, Essen 1998.
3 Ebd., S. 241-288 (Biographisches Material zu den Richtern und Staatsanwälten der Sondergerichte).
4 Eine der wenigen Ausnahmen stellt die Studie von Isabel Richter zu Hochverratsprozessen vor dem Volksgerichtshof dar, in der auch die Gnadenverfahren und insbesondere die Gnadengesuche u.a. im Hinblick auf Argumentationsmuster analysiert werden. Dies., Hochverratsprozesse als Herrschaftspraxis im Nationalsozialismus. Männer und Frauen vor dem Volksgerichtshof 1934-1939, Münster 2001.

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