M. Mommertz u.a. (Hrsg): Das Geschlecht des Glaubens

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Titel
Das Geschlecht des Glaubens. Religiöse Kulturen Europas zwischen Mittelalter und Moderne


Herausgeber
Mommertz, Monika; Opitz-Belakhal, Claudia
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Campus Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mareike Menne, Historisches Institut, Universität Paderborn

Ist das Geschlecht des Glaubens gleichzusetzen, konvergent oder zumindest irgendwie abhängig vom Geschlecht der Gläubigen? Zunächst führt der Titel etwas in die Irre, denn vom Geschlecht des „Glaubens“ (oder auch dem der Konfession bzw. der thematisierten religiösen Kulturen) handeln die elf Beiträge zumindest in erster Linie nicht. Vielmehr bewegen sie sich im gegenständlichen und analytischen Raum zwischen den Konzepten von Männlich und Weiblich und von Gläubigen, die die entsprechende Markierung aufweisen. Weiterhin fungieren Norm und Praxis, Individuum und Gruppe, Innen und Außen, Aneignung und Zuschreibung, historische Paradigmen und Neue Politikgeschichte als Orientierungen des mittels dieses Bands abgebildeten Diskurses. Durch Studien, die von Polen-Litauen nach Italien und Spanien (und über dieses in die Neue Welt) und vom 15. bis in das frühe 19. Jahrhundert reichen, wird die konfessionelle Identitätsbildung als europäischer Fundamentalprozess greifbar. In ihrer Einleitung weisen die Herausgeberinnen darauf hin, dass es einerseits an empirischer Umsetzung der Kategorien zur Bildung der Differenzen von männlich und weiblich sowie zwischen den religiösen Gruppen mangele. Andererseits genügten die bisherigen empirischen Studien zum Konzept Geschlecht im Konfessionalisierungsparadigma nicht dem programmatischen Anspruch der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Programm des Bandes ist folglich die empirische Unterfütterung – und damit Hinterfragung – historiographischer Paradigmen aus bislang vernachlässigter Perspektive.

Teil 1 fokussiert das Geschlecht als Moment der Konstituierung und Abgrenzung von Kultur(en). Zentrale und verbindende Frage ist also die nach dem „Innen“ und dem „Außen“ der Kultur und der „Grenzhoheit“ – der Macht, In- und Exklusionen auszusprechen. Während Christina Lutter hier die intrakulturelle Grenzziehung, an der Männer und Frauen mitwirkten, betrachtet, arbeitet Linda Maria Koldau an den Grenzen von öffentlich und privat/verborgen, Sonntag und Alltag, Eliten- und (vormoderne) Populärkultur sowie letztens schriftliche Überlieferung und orale Tradition (wobei der erste Begriff selbstredend der Vertreter des „Männlichen“ ist). Barbara Staudinger weist für jüdische Geschäftsfrauen nach, was auch für andere Gruppen gilt und galt und damit als Leseanleitung auch für andere Beiträge fungiert: In ihrer Selbst- wie Fremdwahrnehmung existierten religiöse Kulturen, sozialer Status und Geschlechterrolle nicht lupenrein und abgrenzbar, sondern bildeten stets Überschneidungen, Konkurrenzen oder Situationen des Nebeneinanders.

Caroline Gritschke eröffnet den 2. Teil des Bandes, in dem das Geschlecht als Moment der Disziplinierung und Kontrolle verstanden wird. Ihr Interesse gilt den ausweichenden, heimlichen, umdeutenden Reaktionen einer Minderheit – hier die Schwenkfelderinnen und Schwenkfelder in Augsburg – auf das Disziplinierungsbestreben der Obrigkeiten. Differenzbildungen beobachtet Gritschke in der Trennung zwischen dem Innen und dem Außen von Individuum (Gewissen) und Gruppe (Gemeinde). Geschlechterdifferenz verortet sie in Fällen, in denen Gruppenmitglieder unter Druck gerieten, etwa unter Anklage: Hier bedienten sich Frauen des Musters der generellen geschlechtsbedingten Inkompetenz, Männer hingegen verwiesen eher auf ihren Laienstatus. Stefan Rohdewalds Blick auf die Kategorie „Geschlecht“ erlaubt erneut nicht nur Erkenntnisse über eben dieses, sondern darüber hinaus über das Rechtswesen der Frühen Neuzeit: Gerichte entwickelten sich trotz uneinheitlicher konfessioneller und rechtlicher Lage zu normativen Akteuren in der Ordnung wichtiger Bereiche des Lebens. Recht und soziale oder geschlechtliche Rolle folgten nicht aus konkreten Konflikten, sondern bestimmten diese zunehmend a priori. Dass „Ordnung“ jedoch noch weit von einem in sich geschlossenen System entfernt war, zeigt Kim Siebenhüner mit ihrer Untersuchung der Ehepolitik des römischen Sant’Ufficio. Die Präsenz unterschiedlicher eherechtlicher Kulturen – christliche, muslimische, jüdische – machte offenbar eine Doppelstrategie notwendig, die zunächst und einerseits der Konstituierung einer homogenen Gruppe diente und anschließend bzw. andererseits auf die Sicherung und Verteidigung katholischer Glaubensinhalte und Verhaltensweisen zielte.

Antje Flüchter nimmt diesen Zweischritt für ihre Untersuchung der Wahrnehmung des Priesterzölibats in Jülich und Berg im 17. Jahrhundert methodisch gewendet auf und bietet damit in diesem Band den reflektiertesten Beitrag zur Konstruktion und Performanz von Geschlecht und den Praktiken religiöser Kulturen. Den Studien von Lyndal Roper und Susanna Burghartz folgend versteht sie die Akteure zuerst als geschlechtlich markierte Personen, dann fragt sie, welchem Geschlecht ihr Verhalten zugeschrieben und wie es bewertet wird, konkret: Welche Rolle spielte der Zölibat in der Geschlechterordnung – strukturierend, reproduzierend, modifizierend? Wie schon Staudinger und Gritschke sieht auch Flüchter weniger das Geschlecht als vielmehr das Soziale als hegemoniale Ordnungskategorie. Die Bewertung des Zölibats im Untersuchungszeitraum kann nicht allein als Indikator für erfolgreiche Konfessionalisierung dienen, sondern belegt die Rolle der Gemeinde in der Konstitution des Geistlichen – die sich allerdings mit ihren Argumentationsmustern der Obrigkeit bzw. den tridentinischen Normen anpasste. Flüchter will den geistlichen Mann zwar noch nicht als „drittes Geschlecht“ verstanden wissen, beobachtet aber ein Auseinandertreten der Normen für Geistliche und andere Männer.

Die Beiträge in Teil 3 beschreiben Geschlecht als Moment der Aneignung und Transformierung im Sprechen, Lesen und Schreiben. Mit der Beichte widmet sich Blanca Gari einem Sprechakt, der Frauen zunächst als Raum diente, in dem Codes, Rollen und Kategorien geübt und reflektiert werden konnten. Darüber hinaus trug er allerdings dazu bei, das grundsätzliche Anderssein der Frau zu identifizieren. In der Folge veränderten sich alle drei Rollen: die der Frau, die des Beichtvaters und schließlich die der Institution Beichte. Der Beitrag von Xenia von Tippelskirch zu lesenden Frauen im nachtridentinischen Italien knüpft sowohl an die von Gritschke festgestellte „geschlechtsspezifische Ignoranz“ als auch die von Koldau bemängelte männlich geprägte Überlieferung und Historiographie an: In normativen Texten zur Lektüre von Frauen sei der Nexus von Weiblichkeit und Ignoranz festgeschrieben; gleichzeitig ist das Schreiben, nicht das Lesen, der „historischere“ Akt. Die Besetzung von weiblicher Identität mit Ignoranz kann einerseits als Ergebnis unterschiedlicher disziplinierender, „schützender“ und die Wissensvermittlung kontrollierender Strategien verstanden werden, andererseits zeigen die Beispiele auch, dass diese normative Identitätsstiftung stets mit Frauen auszuhandeln blieb. Ulrike Gleixner kämpfte sich für ihre Analyse des Tagebuchschreibens als Bestandteil einer bürgerlich-religiösen Erziehung im 19. Jahrhundert durch die Geständnisse und Reflexionen sanfter, stiller, pietistischer Geister. Neben der Zeitökonomie und einer Evaluation der Tagespflichten fungierte das Tagebuch als Apologie der Frömmigkeitspraxis. Jungen Frauen bot das Schreiben trotz häuslicher und katechetischer Anleitung Raum zur Eigenständigkeit; sie erfuhren, erkannten und konstituierten hier ihre konfessionelle Zugehörigkeit. Gleixner hält fest, dass nun die Erziehung zum vorbildlichen weiblichen Verhalten nicht (mehr?) von Frömmigkeit zu trennen ist. Mit ihrer chronologisch spätesten der vorliegenden Studien zeigt sie, dass der Prozess der Identitätsbildung nach Innen und Außen, des Aushandelns, der Fremdkontrolle und -disziplinierung nun abgeschlossen war: Die geschlechtliche Markierung wurde zur Rolle, in die Erwartungen und Verhaltensweisen eingeschrieben waren, welche sowohl angeleitet und fremdgesteuert waren, als auch angeeignet wurden und die Identität stabilisierten.

Nach diesen heterogenen Reflexionen und Verwendungen von Geschlecht, das mal als definiertes, binäres Geschlechtsmodell die Gläubigen ordnet, mal als Anlage zur Entwicklung selbst Gegenstand der Untersuchung ist, wäre ein bündelndes Fazit wünschenswert gewesen. Ähnliches gilt für die Verwendung von Konfession, Glaube, Frömmigkeit und Religion – freilich lassen sich diese jeweils als kulturelle Praxis verstehen, doch erlaubte eine klarere Verwendung oder zumindest Reflexion der Gegenstände eine höhere Präzision. Auch eine Genderkodifizierung der verwendeten Kategorien über die Gläubigen hinaus, die in einigen Beiträgen angesprochen wird – seien es sozialer Stand, Alter, Verführung, Volkssprache, Heimlichkeit – hätte hier Platz gehabt. Abgesehen davon leistet der Band im Ganzen einen alternativen Blick auf die Geschichte religiöser Kulturen in einer Zeit, in der sowohl die Konfessionen als auch das Geschlecht einer immensen Dynamik unterlagen. Er stellt vor allem dank der empirischen Grundlagen der Beiträge überkommene Erklärungsmuster in Politik-, Glaubens- und Kulturgeschichte auf den Prüfstand. Die Beiträge zeigen, dass die Konstruktion eines weiblichen religiösen Subjekts in der neuzeitlichen Identität nicht grundsätzlich als „anderes Geschlecht“ angelegt war. Eine weitere Stärke besteht in der Freilegung unserer eigenen Ordnungskategorien im Blick auf die Vormoderne, der nämlich häufig die Überlieferung und Gegenstände als geschlechtslos sehen will, doch auf eine Dominanz männlicher Überlieferung und Deutung trifft, die, mit Bourdieu, so sehr Norm wurde, dass sie ihrer Rechtfertigung nicht mehr bedarf.

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